Publikationen
Realität und Einbildungskraft im Werk E.T.A. Hoffmanns. Weimar: Böhlau Verlag 1997.
E.T.A. Hoffmann zählt heute als einer der wichtigsten deutschen Schriftsteller der Romantik zur Weltliteratur. Seine eigentliche Leidenschaft galt aber ursprünglich der Musik. Hätte er seinen Berufswünschen folgen dürfen, wäre er gerne Musiker und Komponist geworden. Neben seinem Jura-Studium, das er 1792 in seiner Heimatstadt Königsberg begonnen hatte, widmete sich Hoffmann der Kunst und Musik. In dieser Zeit entstand allerdings auch Hoffmanns erster, wenngleich nicht erhaltener Roman „Cornaro“.
Nach beruflichen Stationen in Glogau, Berlin und Posen wurde er 1803 nach einem Karikaturenskandal nach Plock versetzt. Hier arbeitete er an zahlreichen Kompositionen und veröffentlichte 1803 sein erstes literarisches Werk – ein dramentheoretisches Essay „Schreiben eines Klostergeistlichen an seinen Freund in der Hauptstadt“ über die Verwendung des Chores in Schillers „Die Braut von Messina“. Schon bald durfte er Plock jedoch schon wieder verlassen: Warschau wurde die nächste Station in seinem Leben. Hier bewies er sich – neben seiner juristischen Tätigkeit – als Komponist und Dirigent eines Orchesters. 1805 endete diese glückliche Episode mit der Besatzung Preußens durch die Franzosen.
Stefan Ringel hat Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft an der Universität Mainz studiert und 1996 über E.T.A. Hoffmann promoviert (Realität und Einbildungskraft im Werk E. T. A. Hoffmanns). Es folgten Lehraufträge an den Universitäten Mainz und Koblenz-Landau sowie die Arbeitet als freier Journalist für den Südwestrundfunk, Mainz. Veröffentlichungen zu E.T.A. Hoffmann, Heinrich Mann und Friedrich Dürrenmatt (→ Forscherprofil).
Realität und Einbildungskraft im Werk E.T.A. Hoffmanns. Weimar: Böhlau Verlag 1997.
Es folgte einer unglückliche Zeit in Berlin, ehe Hoffmann 1808 nach Bamberg zog, wo er – den juristischen Brotberuf hinter sich lassend – als Kapellmeister am Theater anfing. Die Zeit im Bamberg brachte ihn endgültig zur Literatur. Am 12. Januar 1809 übersendet er dem Verleger der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“ eine Erzählung mit dem Titel „Ritter Gluck“, die dann bereits im Februar des Jahres erscheint.
„Ritter Gluck“ weist schon viele Merkmale Hoffmannschen Erzählens auf, wie überhaupt die meisten seiner Erzählungen einem Grundmuster folgen, das er lediglich variiert.[i] Diese Eigenart seines Werkes führt nach Ansicht zahlreicher Literaturwissenschaftler dazu, dass es innerhalb seines Werkes keinerlei Entwicklung gibt.[ii] In der Erzählung „Ritter Gluck“ trifft ein Ich-Erzähler in einem Berliner Kaffee einen seltsamen Fremden. Sie geraten in ein Gespräch über Musik allgemein, über musikalische Aufführungen in Berlin im weiteren und über die Werke des vor einigen Jahren verstorbenen Komponisten Christoph Willibald Gluck im besonderen. Der Fremde schildert in langen, mythologisch-mythischen Ausführungen das Wesen der musikalischen Inspiration. Plötzlich bricht der Fremde mitten in seiner Rede ab und läuft davon.
Einige Monate später trifft der Erzähler den Fremden vor einem Theater wieder, wo er einer Aufführung von Glucks „Armida“ lauscht. Er spricht ihn an und beide nehmen ihre einstige Diskussion wieder auf: der Fremde beklagt sich über die Art und Weise, wie Gluck in Berlin aufgeführt werde. Die Einwände des Erzählers lässt er nicht gelten und lädt ihn schließlich zu sich nach Hause ein, um ihn dort von seinen Ansichten zu überzeugen. Der Erzähler folgt ihm. In der Wohnung des Fremden angekommen, findet er im Regal sämtliche Werke Glucks vor. Der Fremde nimmt eines davon und beginnt es am Klavier zu spielen. Groß ist das Erstaunen des Erzählers, dass überhaupt keine Noten auf den Blättern stehen, noch größer sein Erstaunen darüber, wie der Fremde die Werke Glucks spielt: er variiert nämlich die Werke ganz im Sinne des Komponisten. Auf seine überraschte Frage: „Was ist das? Wer sind Sie?“, verschwindet der Fremde in ein Nebenzimmer und kehrt bald darauf in einem Galakostüm vergangener Tage zurück und antwortet ihm sonderbar lächelnd: „Ich bin der Ritter Gluck!“
Hoffmann hat das erzählte Geschehen im Berlin des Jahres 1806/1807 situiert, nennt bekannte Straßen, Plätze und Cafés. In dieser realen Kulisse lässt er den verstorbenen Komponisten Christoph Willibald Gluck auftreten. Realität und phantastische Begebenheit überschneiden sich, gehen scheinbar nahtlos und oftmals unmerklich für den Leser ineinander über.[iii] Der Leser ist herausgefordert, ob er das Erscheinen des toten Glucks im realen Berlin als Gespensterglaube abtun will (jahrzehntelang hing Hoffmann der Spitzname „Gespenster-Hoffmann“ an), ob er dem Ich-Erzähler ein Hirngespinst unterstellen will, ob er den Vorfall metaphorisch verstehen will (der Geist Glucks wird beschworen), ob er in dem seltsamen Fremden einen Verrückten erblickt, der sich für Gluck hält, oder ob er darin eine Form höchster Artistik sehen will, die artifizielle Aufhebung von Realität und Phantastik innerhalb der Kunst.[iv]
Für die „Allgemeine Musikalische Zeitschrift“ schrieb Hoffmann in der Folgezeit Rezensionen, Kritiken und weitere Erzählungen. Wegweisend sind dabei insbesondere sein Aufsatz über Beethovens 5. Sinfonie, die Erzählung „Don Juan“, die eine Interpretation von Mozarts Oper „Don Giovanni“ enthält, und die Erfindung der Gestalt des Kapellmeister Johannes Kreisler, des romantischen Künstlers par excellence. Gefangen in seinen Inspirationen, die in einer endgültigen Gestalt zu Papier zu bringen ihm permanent misslingt, leidet er an dem Unverständnis und der Kunstfeindlichkeit seiner Umwelt. Glück findet er immer nur in der Sphäre seiner Phantasien und der Musik. Über Jahrzehnte galt Kreisler als alter ego seines Erfinders E. T. A. Hoffmann – Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“ gibt davon bis zum heutigen Tag Zeugnis. Dabei wird übersehen, dass der Erzähler sehr wohl Kritik an Kreisler übt, dass er ihn und seine Leiden auch ironisiert, dass also bereits auf dieser Ebene Distanz zu Kreisler hergestellt wird. Übersehen wird auch, dass Hoffmann ein glänzender Jurist war, der niemals diese berufliche Laufbahn mit solchem Erfolg eingeschlagen hätte, würde er wie Kreisler über ein gebrochenes Verhältnis zur Realität verfügen.
Nach vielen Rückschlägen am Bamberger Theater erlebte Hoffmann ab dem Frühjahr 1810 auch einige Höhepunkte. Sein Freund Franz von Holbein übernahm die Leitung der Bühne. Gemeinsam mit ihm sorgte Hoffmann als Dramaturg, Komponist, Regisseur und Bühnenbildner für eine Blütezeit des Hauses. Diese Blüte dauerte bis in den Sommer 1812, als Holbein Bamberg wieder verließ.
Bamberg ist aber auch der Ort einer der schwersten Lebenskrisen Hoffmanns: die unglückliche Liebe zu seiner Gesangsschülerin Julia Mark. Nicht zuletzt als Folge dieser Liebesgeschichte des verheirateten Mannes verließ er schließlich 1813 die Stadt in Franken und arbeitete fortan als Kapellmeister bei der Theatertruppe von Joseph Seconda, die zwischen Dresden und Leipzig pendelte. Wenige Tage vor seinem Umzug unterschrieb er jedoch seinen ersten Verlagsvertrag. Der Bamberger Weinhändler und Verleger Carl Friedrich Kunz wollte die Aufsätze und Erzählungen, die bislang in der AMZ erschienen waren, sammeln und um weitere Beiträge ergänzt als Buch herausgeben. Auf diesem Vertrag unterzeichnete Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann erstmals als Ernst Theodor Amadeus Hoffmann.
Hoffmanns Zeit in der Seconda‘schen Theatergruppe in Dresden und Leipzig war geprägt von den Kämpfen gegen Napoleon. Die Theateraufführungen fanden unter Artilleriebeschuss statt; Löhne konnten nicht gezahlt werden. Trost fand Hoffmann in diesen Tagen in der Arbeit an seiner Oper „Undine“ und an der Märchenerzählung „Der goldne Topf“. In diesem Märchen erzählt er die Abenteuer des tölpelhaften Studenten Anselmus, der sich in Dresden in die Tochter des Archivarius Lindhorst verliebt, die Schlange Serpentina. Hinter der Gestalt des Archivarius verbirgt sich ein Feuersalamander, der wegen einer Jugendsünde aus seiner mythischen Welt Atlantis verbannt wurde und nun in Dresden lebt. Gelingt es ihm, seine drei Töchter an Jünglinge mit poetischem Sinn zu verheiraten, darf er zurückkehren. Eine hexenhafte Nebenbuhlerin, die Rauerin, versucht dies zu verhindern. Anselmus gerät zwischen die Fronten: immer wieder verwandelt sich für ihn unter dem Einfluss von Serpentina und ihrem Vater die wohlbekannte Alltagswelt Dresdens in märchenhafte Räume, die gleich darauf unter dem desillusionierenden Einfluss der Rauerin wieder verschwinden. Das Nebeneinander von Alltagswelt und phantastisch-mythischer Welt, in „Ritter Gluck“ erstmals erprobt, wird in „Der goldne Topf“ erweitert und ausgebaut. Gehetzt von seinen Dämonen verliert Anselmus den Glauben an die mythische Welt Atlantis und wird zur Strafe in eine Kristallflasche eingesperrt. Dort findet er zurück zu Glaube, Liebe und Hoffnung, zurück zu Serpentina, und wird deshalb erlöst. Lindhorst schlägt die Rauerin im entscheidenden Kampf, Anselmus wird aus der Kristallflasche befreit und an der Seite Serpentinas nach Atlantis entrückt.
In vieldeutiger Weise schildert Hoffmann dieses Geschehen: Johannes Harnischfeger sieht darin die Wiedergabe des psychologischen Prozesses einer Regression[v], das Ende lässt sich auch als Selbstmord Anselmus‘ interpretieren.[vi] Eine Bezugnahme auf die Psychologie, insbesondere auf die psychologischen Erkenntnisse der Zeit, ist durchaus berechtigt. E. T. A. Hoffmann kannte die einschlägige psychologische Literatur bestens (ein von ihm einige Jahre später in Berlin abgefasstes juristisches Gutachten im Mordfall Schmolling listet seine umfangreichen Kenntnisse auf), in Bamberg war er mit Dr. Adalbert Friedrich Marcus befreundet, einem führenden Irrenarzt seiner Zeit (für ihn hat Hoffmann ein Turmzimmer auf der Alten Burg ausgemalt, das leider nicht erhalten geblieben ist). Meines Erachtens sollten die psychologischen Aspekte jedoch nicht losgelöst betrachtet werden von der zeitgenössischen romantischen Naturphilosophie und ihren Spekulationen, insbesondere Gotthilf Heinrich Schuberts „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft“ und „Die Symbolik des Traumes“ sowie Schellings „Von der Weltseele“. Beide betonen, dass die Dinge in der Welt Ausfluss eines Mit- und Gegeneinanders zweier Pole seien, die von ihnen gemeinhin als Geist und Materie bezeichnet werden. Ganz in diesem Sinne gestaltet Hoffmann seine Erzählungen als Auseinandersetzung widerstreitender Kräfte sowohl im Innern des Menschen als auch in der Außenwelt. Endpunkt dieser Entwicklung ist sowohl für Schubert wie auch für Schelling die Überwindung dieses Dualismus, der endgültige Sieg der geistigen Kräfte über die Materie. Solange dieser Kampf jedoch noch anhält, gilt es aus der gewonnenen philosophischen Einsicht heraus auf den positiven Fortgang der Geschichte zu hoffen.
E. T. A. Hoffmann plädiert für eine Erkenntnis der Duplizität, für das Wissen um diese zweipolige Struktur der irdischen Erscheinungen. Den Gegensatz dazu bildet der von ihm so genannte Dualismus, wo stets eine Seite gegenüber der anderen dominiert. Alle Figuren, die im Dualismus verharren, werden in seinen Erzählungen kritisch dargestellt. Das heißt nun nicht, dass E. T. A. Hoffmann an Gespenster, Wiedergänger, Hexen und Zauberer, wie sie in seinen Erzählungen auftreten und die verschiedenen Kräfte verkörpern, glaubt: seine Erzählungen sind metaphorische Gestaltungen des Widerstreits universeller Kräfte. Hierin liegt die Wirklichkeit eines Archivarius Lindhorst, einer Rauerin oder später eines Coppelius. Doch der Trost, den die Kunst spendet, hilft nicht weiter, wenn das Gehalt ausbleibt, die Spannungen innerhalb der Theatertruppe zunehmen und Hoffmann immer öfter mit dem Leiter der Truppe, Seconda, aneinander gerät.
Im Juli 1814 traf Hoffmanns Jugendfreund Theodor Gottlieb von Hippel im befreiten Dresden ein. Mit ihm erörterte Hoffmann die Möglichkeit einer Rückkehr in den Staatsdienst. Hippel ließ seinen beträchtlichen Einfluss spielen und erreichte tatsächlich, dass Hoffmann im Oktober des Jahres am Kammergericht in Berlin seine berufliche Laufbahn als Jurist wieder aufnehmen konnte.
Als er im September in Berlin eintraf, war sein erstes Buch, die „Fantasiestücke in Callots Manier“, bei Kunz in Bamberg erschienen. Sie machten ihren Autor über Nacht berühmt. Hoffmann war Stadtgespräch in der preußischen Metropole.
In den folgenden Jahren war E. T. A. Hoffmann am Kammergericht erfolgreich tätig[vii] und stieg zu einem der bestbezahlten Autoren seiner Zeit auf. Den „Fantasiestücken“ folgten schon bald ihr Pendant, die „Nachtstücke“. Aus dieser Sammlung wurde insbesondere die Erzählung „Der Sandmann“, schon von Sigmund Freud zum Gegenstand psychoanalytischer Betrachtungen gemacht, bekannt. Triumphierten im „Goldnen Topf“ noch die guten Mächte, so erzählt „Der Sandmann“ von Sieg des Bösen. Unter dem Einfluss des scheinbar unsterblichen Coppelius, der schon seinen Vater zu Grunde richtete, verliebt sich der Student Nathanael in die lebensgroße mechanische Puppe Olympia. Als Nathanael dies erkennen muss, verfällt er dem Wahnsinn. Nach seiner Erholung kehrt er zurück zu seiner Verlobten Clara. Bei einem gemeinsamen Ausflug auf einen hohen Turm glaubt er unten im Menschengewimmel Coppelius wiederzuerkennen. Gepackt vom Wahnsinn will er Clara den Turm hinabschleudern, kann jedoch daran gehindert werden, woraufhin er selbst in den Tod springt.
Die facettenreiche Erzählung, die widersprüchliche Perspektiven und Ansichten vermischt, erzielt eine Vieldeutigkeit, die einen irritierten Leser zurücklässt. Hinzu kommt ein dichtes Netzwerk metaphorischer Bilder und Anspielungen, wobei ganz besonders die Metaphernkomplexe Auge und optische Instrumente eine zentrale Rolle spielen. Ähnlich arbeitet der Roman „Die Elixiere des Teufels“: eine wirre Geschichte um einen mordenden Mönch – oder war es sein Doppelgänger, der diese Untaten beging? Die Beschreibung einer Ich-Spaltung nimmt wissenschaftliche Analysen der Schizophrenie vorweg, bringt sie in Bezug zu frühkindlichen Prägungen und lockt deshalb seit ihrem Erscheinen viele Psychoanalytiker und Psychologen an.
Hoffmanns bevorzugtes Medium zur Veröffentlichung seiner Erzählungen waren Jahrbücher und Almanache. Die Herausgeber zahlten hervorragend und verlangten Erzählungen von übersichtlicher Länge, die sich neben der juristischen Arbeit leicht schreiben ließen. Ergänzt um wenige neue Beiträge veröffentlichte Hoffmann diese Erzählungen später in der Sammlung „Die Serapionsbrüder.“ Der Titel greift den Namen eines Freundeskreises auf, der sich um Hoffmann in Berlin gebildet hatte. In unregelmäßigen Abständen traf sich Hoffmann mit seinem Kollegen am Kammergericht Julius Eduard Hitzig, den Schriftstellern Adalbert von Chamisso und Carl Wilhelm Salice Contessa sowie dem Arzt David Ferdinand Koreff zum Meinungsaustausch und zum Erzählen neuer Geschichten. Die 28 Erzählungen und Essays in „Die Serapionsbrüder“ sind eingebettet in eine Diskussion zwischen mehreren Freunden über Literatur, Musik und die erzählten Geschichten. Eine besondere Stellung nimmt dabei die erste Erzählung der Sammlung, „Der Einsiedler Serapion“, ein. Ein Verrückter lebt in einem Wald nahe einer Stadt und hält sich für den Einsiedler und Märtyrer Serapion. Der Ich-Erzähler will ihn von diesem Wahnsinn heilen, muss sich jedoch belehren lassen, dass er selbst verrückt sei, wenn er meine, einen Verrückten heilen zu können. Anschließend erzählt ihm der Einsiedler mit einer solch berückenden Kraft eine Erzählung, dass der Ich-Erzähler völlig hingerissen ist. Serapions Wahnsinn, seine völlige Loslösung von der Realität, gibt seinen Erzählungen ihr magisches Kolorit. Er geht vollkommen in seinen Phantasien auf, ganz im Gegensatz zu manchem Schriftsteller, der dies vergeblich versucht:
„Woher kommt es anders, als daß der Dichter nicht das wirklich schaute wovon er spricht, daß die Tat, die Begebenheit vor seinen geistigen Augen sich darstellend mit aller Lust, mit allem Entsetzen, mit allem Jubel, mit allen Schauern, ihn nicht begeisterte, entzündete, so daß nur die inneren Flammen ausströmen durften in feurigen Worten: Vergebens ist das Mühen des Dichters uns dahin zu bringe, daß wir daran glauben sollen, woran er selbst nicht glaubt, nicht glauben kann, weil er es nicht erschaute.“
„Armer Serapion, worin bestand dein Wahnsinn anders, als daß irgendein feindlicher Stern dir die Erkenntnis der Duplizität geraubt hatte, von der eigentlich allein unser irdisches Sein bedingt ist. Es gibt eine innere Welt, und die geistige Kraft, sie in voller Klarheit, in dem vollendetsten Glanze des regesten Lebens zu schauen, aber es ist unser irdisches Erbteil, daß eben die Außenwelt in der wir eingeschachtet, als der Hebel wirkt, der jene Kraft in Bewegung setzt.“
Die Ermordung des Schriftstellers Kotzebue durch einen Studenten 1819 hatte Auswirkungen auch auf E.T.A. Hoffmann. Der preußische Staat nutzte das Attentat, um gegen Burschenschaftler und Liberale vorzugehen. Hoffmann wurde Mitglied einer Immediat-Untersuchungs-Kommission, deren Aufgabe es war, die Ermittlungen gegen die Verdächtigen durchzuführen. Schon bald geriet der Jurist Hoffmann in Widerspruch zu den politischen Absichten, die mit dieser Kommission verfolgt wurden. Er vertrat energisch den Standpunkt, dass nur Taten und nicht Gesinnungen Gegenstand juristischer und polizeilicher Untersuchungen sein könnten. Also nicht unbedingt Sympathie mit den Inhaftierten trieben ihn an, sondern das Beharren auf klaren Rechtsgrundsätzen. Der Staatssekretär im Innenministerium, von Kamptz, wurde zum erbitterten Gegenspieler Hoffmanns, der die Rückendeckung seiner Kollegen in der Kommission hatte.
Am Fall des Turnvaters Jahn eskalierten die Auseinandersetzung: Friedrich Ludwig Jahn hatte die Turnerbewegung gegründet, um körperlich starke Soldaten im Kampf gegen das verhasste Frankreich heranzubilden. Viele Studenten schlossen sich dieser Bewegung an: man versprach ihnen, dass nach der erfolgreichen Befreiung von der französischen Besatzung eine Verfassung eingeführt würde. Nach der Niederlage Napoleons erwies sich dieses Versprechen schon bald als gegenstandslos. Das alte absolutistische System wurde wiederhergestellt und durch einen Bund der größten europäischen Staaten, geschlossen auf dem Wiener Kongress, befestigt. Jahns Wunschtraum war stets die Rückkehr zu germanischen Tugenden: für ihn persönlich hieß dies, dass er sich Haare und Bart wachsen ließ, das Waschen als zivilisatorische Schwäche ansah und die Franzosen gerade so sehr hasste wie der ordentliche Germane einstmals die Römer. Aus dieser Gesinnung machte er keinen Hehl, doch resultierten aus ihr keine strafbaren Handlungen, so dass Hoffmann keine juristische Handhabe gegen Jahn sah. Er veranlasste dessen Freilassung, von Kamptz verfügte die erneute Inhaftierung und weitere Untersuchungen wie auch in vielen anderen Fällen. Tagebücher und Briefe der Inhaftierten wurden untersucht, aus fadenscheinigen Formulierungen Anklagen gebastelt.
In seinem Roman „Lebens-Ansichten des Katers Murr“ griff Hoffmann erstmals diese Praktiken an. Doch dies blieb noch unbemerkt. Die Idee, einen Kater, der sich das Schreiben beigebracht hatte, seine Lebensgeschichte erzählen zu lassen, war offensichtlich skurril genug, um von politischen Angriffen abzulenken. Noch verwirrender wird die Konstruktion dieses Romans dadurch, dass der Kater angeblich für die Abfassung seiner Lebensgeschichte ein anderes Buch zerriss und dessen Blätter als Löschpapier verwendete. Bei der Drucklegung, so berichtet der Herausgeber im Vorwort, sei nun ein peinlicher Fehler passiert: beide Texte, die Lebensgeschichte des Katers und die Geschichte aus dem anderen Buch, seien versehentlich gemeinsam abgedruckt worden. So ende immer wieder abrupt die Biographie des Katers und ebenso abrupt beginne die Geschichte eines gewissen Kapellmeisters Kreisler. Aus der Gegenüberstellung des selbst ernannten Künstlers Murr und des an der Welt und den Menschen leidenden romantischen Künstlers Kreislers bezieht der Roman einen Großteil seiner Komik, seiner Tragik und seiner Tragikomik, denn dies alles vermischt sich im Text.
Das Märchen „Meister Floh“, das dem bekannten Märchenschema E. T. A. Hoffmanns folgte – wenngleich in den späten Märchen das Glück nicht in Gestalt einer Entrückung in ein fernes Märchenreich auf die Helden wartete, sondern in der Erkenntnis der allgemeinen Duplizität, welche ein glückliches Leben im Hier und Jetzt garantiert, lag -, dieses Märchen also, erneuerte die Angriffe gegen von Kamptz, der in der Gestalt Knarrpantis karikiert wurde. Hoffmann benutzte inkriminierte Tagebuchstellen aus seinen Akten, um das Verfahren gegen politisch Unliebsame satirisch bloßzustellen. Unvorsichtigerweise erzählte er davon: im Weinhaus Lutter & Wegner, wo er und sein Freund, der bekannte Schauspieler Ludwig Devrient, Stammgäste waren, gab er seine satirischen Absichten preis. Das Innenministerium ließ daraufhin das Manuskript beim Verlag in Frankfurt beschlagnahmen. Hoffmann drohte ein Disziplinarverfahren, doch war er zwischenzeitlich schwer erkrankt. Schon auf dem Krankenbett diktierte er eine brillante Verteidigungsschrift: von Kamptz musste den Argumenten Hoffmanns zustimmen, wollte er nicht seine Karikatur in „Meister Floh“ bestätigen. Auch Hippel war schon wieder im Hintergrund tätig. Niemand weiß, wie das Verfahren geendet hätte, denn E. T. A. Hoffmann starb am 25. Juni 1822. Von Kamptz, der später Polizeiminister wurde, und Innenminister Schuckmann verfolgten Hoffmanns Witwe noch mit ihrem Hass. Sie weigerten sich standhaft, ausstehende Gehälter an die Witwe dieses „Aussätzigen“ (so Schuckmann in einem Brief an Justizminister Dankelman vom 18. Oktober 1828) zu zahlen.
Das literarische Verdammnisurteil über Hoffmann fällte kein geringerer als Goethe:
„… denn welcher treue, für Nationalbildung besorgte Theilnehmer hat nicht mit Trauer gesehen, daß die krankhaften Werke des leidenden Mannes lange Jahre in Deutschland wirksam gewesen und solche Verirrungen als bedeutend-fördernde Neuigkeiten gesunden Gemüthern eingeimpft worden.“[viii]
Das Urteil Goethes galt in Deutschland bis ins 20. Jahrhundert hinein als verbindlich. In Russland und Frankreich jedoch fanden Hoffmann und sein Werk schnell Freunde. Die französischen Romantiker bewunderten seine Erzählungen, Baudelaire pries seine Erzählung „Prinzessin Brambilla“ als einen Katechismus der hohen Ästhetik und in St. Petersburg gründeten Bewunderer einen Serapionsbund. In beiden Ländern gehört Hoffmann bis zum heutigen Tag zu den meist gelesenen deutschsprachigen Autoren. Seit den sechziger Jahren lebte auch in Deutschland das Interesse wieder auf. Heute gilt E. T. A. Hoffmann als einer der herausragenden Erzähler der Romantik und sein Werk als ein wichtiger Beitrag an der Nahtstelle zwischen traditionellem und modernem Erzählen, das in seiner Vielschichtigkeit immer wieder neue Impulse aussendet, sich ihm aus den unterschiedlichsten Perspektiven und mit den verschiedensten Methoden zu widmen.
[i] Vgl. Nehring, Wolfgang: E.T.A. Hoffmanns Erzählwerk. Ein Modell und seine Variationen. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 95 (1976), Sonderheft. S. 3 – 24.
[ii] Im Gegensatz dazu: Köhn, Lothar: Vieldeutige Welt. Studien zur Struktur der Erzählungen E.T.A. Hoffmanns und zur Entwicklung seines Werkes. Tübingen 1966, der vorsichtig von einer Tendenz im Werk E. T. A. Hoffmanns spricht. Vgl. auch Liebrand, Claudia: Aporie des Kunstmythos. Die Texte E.T.A. Hoffmanns. Freiburg 1996. Und: Ringel, Stefan: Realität und Einbildungskraft im Werk E.T.A. Hoffmanns. Köln, Weimar u. Wien 1997.
[iii] Zur Technik des Übergangs vgl. Deterding, Klaus: Die Poetik der inneren und äußeren Welt bei E. T. A. Hoffmann. Zur Konstitution des Poetischen in den Werken und Selbstzeugnissen. Frankfurt a. M., Bern, New York u. Paris 1991.
[iv] Vgl. Kremer, Detlef: Romantische Metamorphosen. E.T.A. Hoffmanns Erzählungen. Stuttgart u. Weimar 1993. Vgl. des weiteren vom gleichen Autor: E.T.A. Hoffmann. Erzählungen und Romane. Berlin 1999.
[v] Vgl. Harnischfeger, Johannes: Die Hieroglyphen der inneren Welt. Romantikkritik bei E.T.A. Hoffmann. Opladen 1988.
[vi] Vgl. Auhuber, Friedhelm: In einem fernen dunklen Spiegel. E.T.A. Hoffmanns Poetisierung der Medizin. Opladen 1986.
[vii] Einen Einblick gibt: Hoffmann, E.T.A.: Juristische Arbeiten. Hrsg. und erläutert von Friedrich Schnapp. München: Winkler 1973.
[viii] E.T.A. Hoffmann in Aufzeichnungen seiner Freunde und Bekannten. Eine Sammlung von Friedrich Schnapp. München: Winkler 1974. S. 747.