Wacław Biliński
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Seminars „E.T.A. Hoffmann und Europa“, das das Team E.T.A. Hoffmann Portal im Sommersemester 2019 am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin angeboten hat. Insgesamt 16 Studierende hatten sich in diesem Seminar einerseits mit Autoren aus dem europäischen Ausland beschäftigt, die E.T.A. Hoffmanns Werk beeinflusst haben, und andererseits mit Zeitgenossen und späteren Autoren, die sich von E.T.A. Hoffmann inspirieren ließen. Die besten Arbeiten, die zum Teil von den Studierenden selbst webgerecht aufbereitet wurden, konnten im Portal veröffentlicht werden.
Kalina Hauser wurde 1997 in Berlin geboren. Sie studiert seit 2016 Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Italienisch an der Freien Universität Berlin. (→ Forscherinnenprofil)
Biografie
1921 – Wacław Biliński wird in Lwów (dt. Lemberg) geboren
1930er Jahre – Bilińskis Familie wird in das weiter im Osten liegende Zbaraż (dt. Sbarasch) umgesiedelt, nachdem Bilińskis Mutter einen kritischen Brief an Józef Piłsudski, das damalige Staatsoberhaupt Polens, schickt
Februar 1944 – Biliński tritt der polnischen Volksarmee bei und wird zum Artillerieoffizier ausgebildet
1945 – Teilnahme an der Schlacht um Berlin
1946 – Umzug nach Łódź (dt. Lodsch)
1953 – literarisches Debüt
1953-1970 – Arbeit als Redakteur, unter anderem in der Literaturredaktion des Lodscher Polskie Radio (polnische öffentlich-rechtliche Hörfunkanstalt) und für die gesellschaftskulturelle Wochenzeitschrift „Odgłosy“ (dt. Geräusche; Laute)
1999 – Biliński stirbt im Alter von 78 Jahren in Łódź
Nachkriegsautor
Motiv Krieg
In seinen Romanen beschäftigte sich Wacław Biliński hauptsächlich mit dem Zweiten Weltkrieg. Er interessierte sich für Malerei, englischsprachige Literatur und war Hobbyfotograf. Heute sind seine Texte in Polen kaum bekannt; in Deutschland werden sie seit der Wende nicht mehr verlegt.
Friedrich Roy sieht in Bilińskis Roman Koniec wakacji (1979; dt. Das Ende der Ferien, 1984) inhaltliche Bezüge zu E.T.A. Hoffmann. Sein Aufsatz „Marginalien zu Wacław Bilińskis Roman „Koniec wakacji“[1] bildet die Grundlage für diesen Artikel.
Hoffmann-Bezüge in Bilińskis „Koniec Wakacji“
Inhaltsangabe
Auftreten von Hoffmanns Werk innerhalb des Romans
Der Roman spielt zu Beginn des zweiten Weltkriegs. Der Protagonist ist Adam Kossowicz, ein etwa dreißigjähriger Mann, der Deutsch an einem Gymnasium in Lwów unterrichtet. Kossowicz kam schon in seiner Kindheit mit deutscher Kultur und Literatur in Berührung und wuchs auch mit E.T.A. Hoffmanns Märchen auf. Hoffmanns Texte begleiten den Protagonisten über den gesamten Roman hinweg. So plant Kossowicz sogar, eine belletristische Monografie über den Einfluss der Warschauer Periode Hoffmanns auf sein Werk zu schreiben.
Verlauf der Geschichte
Dunkle Visionen der Zukunft
Zu Beginn der Handlung wird Kossowicz als Reserveleutnant bei dem Armeestab Łódź einberufen. Im Laufe der Handlung wird er in verwirrende und bedrückende Vorgänge verstrickt, die er nicht zu durchschauen weiß und die einerseits das „Ende der Ferien“, also den Ausbruch des 2. Weltkriegs, vorausdeuten, andererseits aber auch an viele Erzählungen Hoffmanns erinnern, in denen die Figuren von bedrückenden Vorahnungen geplagt werden. Schließlich wird Kossowicz in ein kleines Städtchen nahe der deutsch-polnischen Grenze beordert. Dort soll er einen deutschen Überläufer befragen, isolieren und wieder zurückschicken. Dazu kommt es aber nicht, weil Kossowicz mit anderen Gefangenen, darunter auch der deutsche Grenzübergänger, den er befragen sollte, einem Erschießungskommando der SS zum Opfer fällt.
Die Rolle E.T.A. Hoffmanns im Roman
Der Protagonist Adam Kossowicz spielt im Roman mit dem Gedanken, ein Buch über die Warschauer Periode E.T.A. Hoffmanns zu schreiben. Er begründet sein Vorhaben mit folgender These:
„Aus Warschau scheint er die romantische Vision des Lebens an der Grenze des Traums mitgenommen zu haben. Ich bin der Meinung, dass man anhand dieses Lebensabschnitts des Schriftstellers fast sein ganzes Schaffen, sagen wir, dessen wervollste Elemente ableiten kann.“[2]
Roy zufolge habe Biliński jedoch nicht zum Ziel, die These des Protagonisten zu stützen oder zu widerlegen. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Werk Hoffmanns stehe überhaupt nicht im Mittelpunkt der Handlung. Vielmehr spielt der persönliche, individuelle Einfluss Hoffmanns auf das Innenleben Kossowiczs eine Rolle:
„Für Kossowicz ist die Zuwendung zu Hoffmann ein Flucht- und Ruhepunkt gegenüber den Zwängen und Widrigkeiten seiner militärischen Existenz.“[3]
Kossowicz‘ steter Begleiter
Einfluss von Hoffmanns Leben und Wirken
Kossowicz beschäftigt sich mit Hoffmann nicht nur im Hinblick auf die geplante Monographie. In zahlreichen Alltagssituationen fühlt sich der Protagonist an den Schriftsteller erinnert und nimmt Hoffmanns poetische Sehweise an.
So wird die Romanhandlung durch einen unheilverkündenden Albtraum eröffnet, der Hoffmanns Kunstmärchen vom Nussknacker und Mausekönig umgestaltet und aktualisiert. In dem Traum jedoch wird der Mausekönig nicht besiegt, wodurch das Ende des Romans vorausgedeutet wird. Ein anderes Mal wird Kossowicz beim Anblick seines Vorgesetzten an die Karikaturen Hoffmanns erinnert. Bei einem Spaziergang mit seiner Freundin sieht der Protagonist sich wärmende Eidechsen, die er mit den güldenen Schlangen, die im Goldnen Topf auftreten, assoziiert.
Abschließende Intention
Gespaltene Identität
Der Roman endet damit, dass ein SS-Mann in Kossowiczs Tasche ein kostbares Hoffmann-Bändchen findet. Damit wird ein weiterer Aspekt, den die Beschäftigung Kossowiczs mit Hoffmann und mit der Germanistik im Allgemeinen eröffnet, berührt: Die Frage nach der (nationalen) Identität des Protagonisten. Wie Hoffmann steht Kossowicz zwischen der polnischen und der deutschen Kultur. Er fühlt sich keiner der beiden vollständig zugetan und wird dadurch zu einem Kosmopoliten, der sich gegen den Faschismus stellt.
In diesem Zusammenhang sollte ein kritischer Aspekt dieses Romans nicht unerwähnt bleiben: Ideologisch steht der Roman in einem sozialistischen Kontext. Er wurde in Ostdeutschland unter anderem durch den Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik verlegt und sollte dementsprechend kritisch gelesen werden.
Anmerkungen
[1] Vgl. Roy, Friedrich: „Marginalien zu Wacław Bilińskis Roman ‚Koniec wakacji'“, in: Deutsche Literatur im Wirkungs- und Rezeptionsfeld mittel- und osteuropäischer Literaturen. Teil 1. Potsdam: Pädagogische Hochschule Karl Liebknecht Potsdam 1989. S. 102-114.
[2] Biliński, Wacław: Das Ende der Ferien. Ins Deutsche übertragen von Ruth Matz. Berlin: Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik 1984. S. 57.
[3] Roy, S. 109.