„Das fremde Kind“
1816 erschien der 1. Band der Kinder-Märchen mit E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und Mausekönig, Karl Wilhelm Salice-Contessas Das Gastmahl und Friedrich Baron de la Motte-Fouqués Die kleinen Leute mit drei illuminierten und drei schwarzen Vignetten von E.T.A. Hoffmann in der Berliner Realschulbuchhandlung des Verlegers Georg Reimer. Das Märchen Das fremde Kind (1817) war für den 2. Band bestimmt, der von Hoffmann zusammen mit Georg Reimer 1817 herausgegeben wurde und zu dem Fouqué das Märchen Der Kuckkasten, Contessa das Märchen Das Schwerdt und die Schlangen beisteuerten und Hoffmann wiederum sechs Vignetten schuf. Später hat er beide Kindermärchen in die Serapions-Brüder integriert. Das fremde Kind befindet sich seitdem im vierten Abschnitt des zweiten Bandes der Serapions-Brüder an letzter Stelle.
Er habe, lässt Hoffmann den Serapions-Bruder Lothar (Fouqué) [1] in der Rahmenerzählung erklären, für die Kinder seiner Schwester ein zweites Märchen schreiben wollen, das weniger in fantastischem Übermut luxuriere, frömmer, kindlicher sein solle als Nussknacker und Mausekönig [2], sein erstes, außerordentlich erfolgreiches und überaus häufig illustriertes Kindermärchen. Am Ende ist sein weniger beachtetes und selten illustriertes Märchen Das fremde Kind unter den Serapions-Brüdern Gegenstand kritischer Auseinandersetzung. Ottmar (Hitzig) hält dem Erzähler vor, sein fremdes Kind [sei] ein reineres Kindermärchen als [sein] Nussknacker, aber…einige verdammte Schnörkel, deren tiefen Sinn das Kind nicht zu ahnen vermöge, habe er doch nicht weglassen können. Auch Sylvester meint, der Verfasser könne nun eben mal nicht auf kleine Teufelchen auf der Schulter verzichten, aber Cyprian (vermutlich Chamisso) und Vinzenz (Koreff) einigen sich versöhnlich darauf, dass auch dieses Kinder-Märchen für große und kleine Kinder geschrieben sei, für Kinder und solche, die es nicht seien, und jeder könne dabei denken, was er wolle. Alle lachen über diesen Vorschlag. Lothar will künftig nicht mehr auf andere hören und sich im nächsten Märchen rücksichtslos aller fantastischen Tollheit überlassen…[3]
Elke Riemer-Buddecke beforscht seit vielen Jahren Hoffmanns Illustrationsgeschichte. 1976 publizierte sie das inzwischen als Standardwerk geltende Buch E.T.A. Hoffmann und seine Illustratoren (Gerstenberg Verlag).
(→ Forscherinnenprofil)
Handlung des Märchens
Das Binnenmärchen selbst, Das fremde Kind, erzählt von der naturverbundenen Familie des Landadeligen Thaddäus von Brakel, die glücklich in ländlicher Idylle im winzigen Dorf Brakelheim lebt. Nur die vier dort ansässigen Bauernfamilien des Dorfes halten des gnädigen Herrn … niedriges Häuschen, das aber gar hübsch und gastlich ist, für ein Schloss[4]. Die phantasiebegabten Kinder Felix und Christlieb genießen im Sinne Rousseaus eine unbeschwerte Kindheit in Einklang mit der Natur. Sie spielen im Wald, sind viel an der frischen Luft und vermissen nichts.
Der märchenhafte Einstieg mit Es war einmal und so mancher Euphemismus in der Beschreibung der idyllischen Welt der Brakels lässt den Leser schnell ahnen, dass diese Welt gefährdet und anfällig für zerstörerische Kräfte von außen ist. Sie wird unvorbereitet und fast widerstandslos aus den Fugen geraten durch den vornehmen Besuch des wohlhabenden Onkels aus der Stadt, des Grafen Cyprianus von Brakel, der mit seiner kleinen dicken Frau und seinen abgerichteten Kindern in einer Kutsche anreist, die Kinder Christlieb und Felix mit fremdartigem Spiel- und Naschzeug aus der Stadt beschenkt und ihnen zur Erziehung einen Hofmeister aus der Stadt verordnet. Der Hund der Familie signalisiert mit gesundem Instinkt als erster, dass mit der Familie aus der Stadt und den in der Wissenschaft sinnlos gedrillten Kinder-Automaten Herrmann und Adelgund etwas nicht stimmt. Felix und Christlieb entdecken nach anfänglicher Faszination schnell, dass die Gaben des großen, hageren Grafen nichts taugen, nur mechanisch funktionieren und schnell kaputt gehen. Sie entsorgen alles im Wald. Der liebevoll gebackene Kuchen der Mutter, den die Stadtkinder nicht essen dürfen, schmeckt auch besser als das geschenkte künstliche Naschzeug, das man lutschen muss. Der Ausruf der kleinen dicklichen Frau von Brakel, die angesichts des Verhaltens von Christlieb und Felix von lieblicher Naivität[5], spricht, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier unvereinbare Welten aufeinanderprallen und sich schnell die Ahnung kommenden Unheils einstellt. Die nicht selbstsichere Familie des Thaddäus von Brakel lässt sich infolge von Minderwertigkeitskomplexen beeinflussen und akzeptiert wegen angeblicher Bildungslücken für die Kinder einen pechschwarz gekleideten Hofmeister mit dem bezeichnenden Namen Magister Tinte. Dieser erweist sich schnell als böse und sadistisch, er vergrault und schikaniert die Kinder, sperrt sie in ein Zimmer ein und quält sie mit unnützem Lernstoff. Aber die freiheitsdurstigen, phantasiebegabten Kinder wissen sich schließlich zu wehren und nehmen ihn mit in den Wald, wo er sich als Tierquäler und Naturverächter entpuppt. Er wird dort durch das fremde Kind, mit dem sie im Wald eine phantastische Parallelwelt erlebt und mit der Natur sprechen sowie in den Lüften fliegen gelernt haben, als Produkt des teuflischen Gnomenkönigs Pepser enttarnt. Letzterer ist der Feind der Mutter des fremden Kindes, der Königin hinter den Bergen, der Heimat des fremden Kindes, und damit auch eine Gefahr für das fremde Kind. Denn dieses kann sich Felix und Christlieb nicht mehr zeigen, seitdem sie von Magister Tinte unterrichtet werden. Denn er raubt ihnen mit seelenlosem Unterricht die Phantasie, deren Sinnbild das fremde Kind ist.[6] Magister Tinte wird sich im Wald in eine große scheußliche Fliege verwandeln, die das hoch in die Lüfte[7] entschwebende fremde Kind verfolgt und von einem Fasanenfürsten fast tot gebissen wird. Aus dem Wald zurückgekehrt und noch halb Fliege fällt er gierig über eine Milchschüssel und die Butterbrote der Familie her, woraufhin Vater Brakel ihn angeekelt mit der Fliegenpatsche aus dem Haus vertreibt. Bei erneutem Spielen im Wald und Einbruch eines Unwetters machen die Kinder die grausige Entdeckung, dass ihr weggeworfenes Spielzeug aus der Stadt und die große hässliche, von Felix ins Wasser beförderte Puppe gehorsame Zöglinge von Magisters Tinte sind und ihnen aus dem Gestrüpp heraus unheimlich mit menschlicher Stimme drohen, dass Magister Tinte gleich … hier sein werde.[8] Nach einer Ohnmacht als Folge des Spuks und nach Wetterumschwung gelangen sie trotzdem mit trockenen Kleidern, vermutlich beschützt durch das fremde Kind, wieder nach Hause.
Die Familie verliert danach jedoch alles. Der Vater wird schwer krank und stirbt (wohl Magister Tintes Werk), nicht ohne vorher den Kindern als Vermächtnis die Existenz des fremden Kindes bestätigt zu haben, an die er als Kind auch geglaubt habe. Zunächst hielten er und seine Frau das fremde Kind nur für ein Phantasieprodukt ihrer Kinder, als diese von ihren Begegnungen mit dem fremden Kind erzählten und es entweder für männlich (Felix) oder weiblich (Christlieb) hielten (Es ist ein namenloses, androgynes Wesen).
Der anfangs scheinbar großzügige Onkel zeigt nach dem Tod des Vaters sein wahres Gesicht als kaltblütiger Ausbeuter. Er beansprucht den Besitz der Familie von Brakel für sich und vertreibt erbarmungslos den Rest der Familie. Bettelarm und enteignet müssen Mutter und Kinder ihr Dorf verlassen. Die Mutter bricht auf dem Weg kurz vor der Brücke über den Waldstrom vor Erschöpfung und Gram zusammen. Aber das Erscheinen des fremden Kindes und seine Prophezeiung, dass die Kinder Felix und Christlieb später froh und glücklich würden, wenn sie nur die Erlebnisse mit ihm, dem fremden Kind, lebenslang im Herzen bewahrten, verhindert ein schlimmes Ende. Die Mutter ist nun auch bereit, die Existenz des fremden Kindes anzuerkennen. Ein barmherziger Verwandter nimmt alle auf. Das Ende wirkt deshalb versöhnlich, zumal, so der Erzähler, die Kinder zwar aus ihrer behüteten Jugend vertrieben worden seien, aber samt der Mutter froh und glücklich würden, weil ihnen in süßen Träumen das fremde Kind erscheine und von seiner Heimat erzähle.[9] Die Kinder haben sich also auch als Erwachsene ein Stück ihrer Kindheit und Phantasie bewahrt und sind nicht zu phantasielosen Bildungsbürgern, Produkten falscher Aufklärungsideologie (in E.T.A. Hoffmanns Sicht), geworden.
Das Kindermärchen ist im Kern kulturpessimistisch und die Einlassungen der Serapions-Brüder am Ende von Lothars Erzählung sind auch kein leeres Geplänkel. Kinder sind ernst zu nehmen und in ihrer Phantasiewelt reicher als angepasste, trotz Bildung und Wissen sich selbst entfremdete Erwachsene. Sie müssen und sollen als fremde, aber ebenbürtige, wenn nicht gar wegen des inneren Reichtums und lebendiger Innenwelt überlegene Wesen anerkannt werden. Sie haben nach Hoffmann poetische Gemüter (wie etliche seiner Gestalten), wenn sie nicht durch eine falsche Erziehung verbogen werden. Aber sie sind leider nicht durch bewusste Abschottung und Rückzug in die Idylle vor der Welt zu bewahren. Beide Wege sind fragwürdig.
Entstehungsgeschichte
Vorbild für Hoffmanns Das fremde Kind war das Märchen Die Elfen aus Ludwig Tiecks Phantasus, einer Fragment gebliebenen dreibändigen Sammlung von Märchen, Erzählungen, Schauspielen und Novellen und Dramen (Berlin 1812-1816). Ursprünglich hatte Tieck geplant, dass sieben Erzähler in geselliger Runde auf dem Lande in einer Rahmenhandlung wie bei Boccaccios Decamerone je sieben Märchen oder Dramen vorlesen, die jeweils im Anschluss diskutiert werden, und die Rahmenhandlung sollte selbst wie ein Roman erscheinen, in dem es auch um Konflikte zwischen den Erzählern geht, die schließlich mit Versöhnung und sogar Vermählung beendet werden. Tiecks Projekt ist unvollendet geblieben.
Ehrung Tiecks
Hoffmann verwies im Vorwort zu seinen Serapions-Brüdern ausdrücklich auf den Phantasus als sein Vorbild: Eben diese Form wird – muss an Ludwig Tieck’s Phantasus erinnern. Seine Hochachtung für Tieck, dass dieser ihn maßgeblich beeinflusst habe, macht er im Anschluss deutlich: Wie sehr würde der Herausgeber aber bei dem Vergleich beider Werke verlieren. Tieck sei ein vollendeter Meister und seine die ganze Seele ergreifenden Dichtungen enthielten in den dort eingeflochtenen Gespräche[n] auch die tiefsten scharfsinnigen Bemerkungen über Kunst und Literatur.[10] In Tiecks einleitendem sowie titelgebendem, von Anton vorgelesenem Gedicht Phantasus, wird, wie Friedrich Schnapp 1975 nachgewiesen hat, bereits deutlich, wie weitgehend Hoffmann Details für sein Märchen übernommen hat und dass z.B. die wenig gestellte Frage nach der Heimat des fremden Kindes nur durch die Analogie zu Tiecks Phantasus-Gedicht zu beantworten sei. Es sei die Liebe.[11] Zudem wird Phantasus bei Tieck von dem gemütskranken, von der Aufklärung infizierten Dichter, an dessen Tür er klopft, schließlich als Spielgefährte der Kindheit erkannt, der in seinem inneren Erleben beheimatet gewesen sei, sein Herz frisch und gesund gemacht und ihm in der Natur vielfältig Spielzeug erfunden habe.[12] Das entspricht Hoffmanns Ansatz.
Die Elfen – Ludwig Tieck
Hoffmann bezieht sich des Weiteren insbesondere auf das Märchen Die Elfen aus dem Phantasus. Auch der Begriff des fremden Kindes stammt aus diesem Märchen. Nur ist hier die verloren geglaubte Tochter Marie der Eheleute Martin und Brigitte, Pächter eines landwirtschaftlichen Gutes, das fremde Kind unter den Elfen, in deren Reich hinter den Tannen sie sich als Kind verirrte und sieben Jahre verbrachte. Psychologen würden wohl davon sprechen, dass sie in eine eigene Traumwelt abgetaucht ist, zu dem Erwachsenen der Zugang verwehrt ist.
Marie wird sich in diesem Reich sehr wohl fühlen und in Übereinstimmung mit der Natur leben, deren Sprache sie durch die Elfen erlernt, darf aber, als sie in ihre Heimat als auffällig schöne Fünfzehnjährige zurückkehrt, davon nichts erzählen.
Sie hat die sieben Jahre im Elfenreich auch nicht als solche, sondern nur als einen Tag empfunden und wird ihre besondere Spielgefährtin Zerina aus dem Reich der Elfen verlieren, da die Elfenkönigin bestimmt hat, dass sie das Elfenreich verlassen müsse. Ihr altes Heimathaus kommt ihr eng und finster vor, die Menschen ihrer Heimat erscheinen ihr in ihrer Tracht als seltsam und deren Vorurteil, hinter den hohen Tannen in der Senke und der verwilderten, verhexten Hütte hausten asoziale Zigeuner und Gesindel, darf sie nicht widerlegen. Sie muss Geschichten erfinden, wie sie von guten Menschen in der Stadt aufgenommen und erzogen worden sei, sehnt sich aber in Wahrheit nach dem Elfenreich und der Elfe Zerina zurück. Sie bleibt eine Fremde unter den Dorfbewohnern und Normalbürgern, heiratet ihren Kindheitsfreund Andres und nennt ihre Tochter bezeichnenderweise Elfriede. Sie entdeckt sehr bald, dass ihre Tochter heimlich mit der Elfe Zerina spielt, hochbegabt und anders ist als andere Kinder. Als sie ihrem Andres nach einem Streit über das Tannenwäldchen und die in seinen Augen von Asozialen bewohnte dortige Hütte von dem Elfenreich erzählt, die Elfen als Wohltäter der blühenden Landschaften rund um das Tannenwäldchen bezeichnet und Andres selbst die Elfe Zerina bei seinem Kind entdeckt, wendet sich alles zum Tragischen. Die Natur in Maries Heimat stirbt, wird nackt und kahl, Wälder, Wiesen und Pflanzen verdorren. Elfriede stirbt und bald darauf auch Marie. Maries Vater Martin und Ehemann Andres verlassen die Gegend und ziehen dorthin, woher Martin ursprünglich kam.
Das fremde Kind vs. Die Elfen
Des Lesers Irritation durch den Kontrast zwischen dem Märchenhaften und der Wirklichkeit (Zweidimensionalität des Kunstmärchens nach Lüthi) ist zwar bei Tieck und Hoffmann gleichermaßen gegeben, aber letztlich ist Hoffmanns Märchen am Ende ganz im Sinne seiner Ankündigung aus der Rahmenerzählung trotz der durchgehenden antinomischen Grundstruktur (Segebrecht)[13] versöhnlicher als das Märchen von Tieck. Die Kinder Felix und Christlieb werden von einem gutgesinnten Verwandten aufgenommen und haben alle Chancen, unter der Obhut des fremden Kindes, das in ihren Träumen weiterlebt, froh und glücklich[14] zu werden.
Hoffmanns Verfremdungen
Stilgetreue Figuren
Idealisierung des Landlebens?
Trotz aller deutlichen Parallelen zu Tiecks Märchen Die Elfen sind Hoffmanns Verfremdungen erheblich und für ihn typisch, da sie Komik, Phantastik und Unheimliches verbinden: Da ist die groteske Gestalt des Magister Tinte, ihre Verwandlung in eine grässliche Fliege und ihre Vertreibung durch die Fliegenpatsche, ferner die zur Karikatur überzeichnete vornehme Familie des Grafen Cyprianus von Brakel mit den gedrillten, unnatürlichen Kindern und der kontrastreichen äußeren Erscheinung, da ist das mit unheimlichem Leben erfüllte Spielzeug, das sich als gehorsamer Zögling des Herrn Magister Tinte[15] ausgibt, sowie die mit hässlicher Stimme quäkende große Puppe im nächtlichen, vom Unwetter heimgesuchten Wald[16], ferner die Bedrohung der Heimat des fremden Kindes durch den teuflischen Gnomen-König Pesper, der Kampf des Fasanenkönigs mit Tinte und so vieles mehr. Hoffmann findet viele Bilder für Komisches und Unheimliches. Das sind die sogenannten Teufelchen auf der Schulter, die die Seele des kindlichen Lesers belasten könnten.
Ein „versöhnlicher“ Märchenschluss?
Man könnte Hoffmann vorwerfen, seine Darstellung, wie Felix und Christlieb aus der Geborgenheit ihrer glücklichen, naturnahen Kindheit durch den Besuch der wenig sympathischen, eher komischen Verwandten aus der Stadt herausgerissen werden, vereinfache und kontrastiere klischeehaft, lasse das Leben auf dem Land als das bessere erscheinen, da es den Kindern die Freiheit der Phantasie ermögliche und ein Leben in Unfreiheit und bloßen Konventionen verhindere. Aber die für ihn typische ironische Brechung alles Faktischen ist auch hier wirksam. Bei dem Leser bleibt trotz Empathie mit den bäuerlichen Brakels (die wahren Menschen) und der Antipathie gegenüber Cyprianus und Familie (unnatürliche Menschen) die Irritation vorherrschend. Das gelingt z.B. durch die Darstellung, wie alles über die Thaddäus von Brakel und seine Familie hereinbricht, wie sie sich überrumpeln lassen und wie mühsam sie sich schließlich befreien. Der Tod des Vaters als späte Rache Magister Tintes, die Enteignung und Vertreibung der restlichen Familie durch Cyprianus von Brakel, der sich als gnadenloser Ausbeuter entpuppt, der Zusammenbruch der erschöpften Mutter – all dies ist durchaus beklemmend und erscheint, als würde die Gegenwelt und das Teuflische, verkörpert in Magister Tinte und im Gnomen Pepser, das selbst die Heimat des fremden Kindes bedroht, den Sieg davontragen. Der Märchenschluss muss also für Ausgleich sorgen, die belastete kindliche Seele besänftigen, denn schließlich sollte diesmal das Kindermärchen frömmer, kindlicher sein als Nussknacker und Mausekönig.
Hoffmanns Herkunft
Motiv Kindheit
Forderung einer liberalen Erziehung
Biographischer Hintergrund und Absichten Hoffmanns
Hoffmann scheint hier eigene Sehnsüchte im Wissen um ihre Unerfüllbarkeit zu projizieren. Als Scheidungskind kannte er nur zerrüttete familiäre Verhältnisse und keine behütete Kindheit – der Vater verließ die Familie mit dem ältesten Sohn, als Hoffmann zwei Jahre alt war, die Mutter kehrte zu ihrer verwitweten Mutter, Louisa Sophia Doerffer, zurück, wurde depressiv und fristete danach ein eher freudloses Leben (vegetierte nur in krankhaftem Zustande).[17] Zu dem merkwürdigen Haushalt gehörten neben der durchsetzungsstarken Großmutter noch zwei Tanten und ein Onkel – alle unverheiratet.[18] Über den Doerffers wohnte die schizophrene Mutter des Dichters Zacharias Werner, deren Weinen, Schreien und Toben Hoffmann als Kind hautnah mitbekam. Er blieb auch immer Städter, war kein romantischer Naturfanatiker. In diesem Kindermärchen jedoch scheint der ländliche Raum als Ort für eine natürliche undfreiheitliche kindliche Entfaltung besser geeignet als die Stadt, obwohl Hoffmann auch hier Fragezeichen setzt. Er weiß, dass der unausweichliche Verlust der Kindheit konfliktreich sein wird, selbst wenn es eine besonders behütete war.
Andererseits verbirgt sich hier noch eine weitere Botschaft: Hoffmann will, dass in dem Kind das andere, fremde Wesen, das seine eigene Vollkommenheit hat[19], erkannt wird, das dem Erwachsenen Respekt abnötigt und nicht in seiner Entwicklung durch falsche Erziehungsmethoden und unpassenden Wissensballast gestört werden sollte. Es soll ernst genommen werden. Das entspricht im Kern auch Tiecks Märchen. Das fremde Kind wird so, wie auch aus der Rahmenerzählung hervorgeht, zum bewussten Gegenentwurf zu Nussknacker und Mausekönig, weil es den phantasiebegabten Kindern die Möglichkeit eröffnet, sich später trotz Verlustes kindlicher Geborgenheit, trotz zu erwartender Anpassungszwänge in einer dualistischen Welt (Bettina Schäfer)[20] zurechtzufinden und eine eigene Identität zu entwickeln, die auch das poetische Gemüt bewahrt. Das bedeutet Freiheit, innere Freiheit durch Erhalt der Phantasie. Es geht ferner um den Erwerb sozialer Identität, den Mut zur eigenen Herkunft, aber nicht im geographischen, sondern im Sinne einer inneren, erinnerten Heimat. Thaddäus von Brakel verweist noch im Sterben darauf und gibt diese Erkenntnis seinen Kindern als Vermächtnis weiter. Seine Frau erkennt am Schluss, dass ihre Kinder in diesem Sinne Recht hatten und auch sie jetzt an ihr Märchen glauben müsse.[21]
Erste Illustrationen
Die ersten Illustrationen zu seinem Märchen Das fremde Kind schuf E.T.A. Hoffmann selbst. Ihm schwebten ursprünglich Vignetten in leichter AquatintaManier vor. So viel möglich, habe [er] immer den Titel genau in der Vignette, so wie das Resultat in der SchlußArabeske bezeichnen wollen.[22] Beeinflusst vom frühromantischen Künstler Philipp Otto Runge (1777-1810) und dessen ornamental symbolischer Landschaftsmalerei, vor allem den an Albrecht Dürer angelehnten allegorischen bzw. hieroglyphischen Randzeichnungen (Gemälde Der Morgen von 1808, zwei Fassungen) fertigte Hoffmann 1816 zunächst Zeichnungen zu jedem Kindermärchen an, auch zu denen von Contessa und Fouqué. Als er jedoch die ersten Exemplare vom Verleger Reimer in der Hand hielt, war er enttäuscht. Er fand die Steinstiche [Lithographien] …elend und die Illumination miserabel, akzeptierte sie nicht als Reproduktionen seiner Originalzeichnungen.[23]
Erneuter Versuch
Vielleicht wurden deshalb für den zweiten Band der Kinder-Mährchen andere Techniken verwandt: die Vignetten für den Anfang der drei Kindermärchen von Hoffmann, Contessa (Das Schwerdt und die Schlangen) und Fouqué (Die Kuckkasten) waren illuminierte Kupferstiche[24] und die Vignetten für den Schluss sind Holzschnitte auf chamoisfarbenem Papier ohne Kolorierung, die wahrscheinlich Hoffmanns Zeichnung am besten entsprochen haben. Hoffmann war mit den Kupferstichen sehr zufrieden (Die Bilder sind diesmahl dem Kupferstecher allerliebst geraten)[26], auf die vom Verleger Reimer angeordnete Farbkleckserei hätte er lieber verzichtet.[27]
Hoffmanns Illustrationen
Die erste Vignette (Abb. 1) bezieht sich auf das Kapitel Wie die Kinder mit dem Herrn Magister Tinte im Walde spazieren gingen und was sich dabei zutrug, also nicht auf den Anfang des Märchens. Denn es ging Hoffmann bei diesen Vignetten um das Zentrum des Märchens. Die wichtigsten Gestalten sind hier versammelt und ihr Verhalten ist bezeichnend. Die Vignette bezieht sich auf die Situation im Wald, als das fremde Kind die armen Kinder für immer verlässt, weil sich in seinen Augen der Gnome Pepser ihrer bemächtigt habe.
Und damit schwang sich das fremde Kind hoch in die Lüfte. Aber hinter den Kindern brummte und summte und knarrte und schnarrte es auf entsetzliche Weise. Der Magister Tinte hatte sich umgestaltet in eine große scheußliche Fliege, und recht abscheulich war es, daß er dabei noch ein menschliches Gesicht, und sogar noch einige Kleidungsstücke behalten. Er schwebte langsam und schwerfällig auf, offenbar um das fremde Kind zu verfolgen. Von Entsetzen und Graus erfaßt rannte[n] Felix und Christlieb fort aus dem Walde.[28]
Überdimensional groß gegenüber den kleinen fliehenden Kindern wirkt der in eine hässliche Fliege verwandelte Magister Tinte. Der Kopf ist trotz des Nasenrüssels noch halb menschlich, der aufgedunsene Körper mit den ausgebreiteten Flügeln ist dagegen ein Fliegenkörper, die Fliegenbeinchen sind zur Hälfte menschlich, der rechte Fuß steckt in einem Schnallenschuh. Der dürre linke Fliegenarm mit der Kralle als Hand will das zarte, mit einer Rose in der Linken in die Wolken entschwebende fremde Kind (hier eine weibliche Gestalt!) fangen, während Tinte in der rechten Hand mit der Schreibfeder die fliehenden Kinder zu paralysieren versucht. Christlieb hält sich angstvoll die Augen zu, Felix wehrt Tintes Angriff mit der Rechten ab und schützt die kleine Schwester, indem er ihren rechten Arm mit dem linken Arm fest umklammert. Die Natur ist nur durch eine kleine Grasnarbe zu Füßen von Magister Tinte und den Kindern angedeutet. Ein paar auf dem Boden liegende Blätter und zwei abknickende Farne oder Tannenzweige parallel zu den fliehenden Kindern symbolisieren den Wald als Ort des Geschehens und möglicherweise auch die Zerstörung der Natur durch Tinte.
Hoffmanns Darstellung ist betont minimalistisch und symbolisch, nicht naturalistisch in der Räumlichkeit und den Größenverhältnissen. Sogar tendenziell ‚kindlich‘ im Sinne des angestrebten Kindermärchens. Oder auch, wäre dieser Stilbegriff schon im frühen 19. Jahrhundert eingeführt worden (erst seit dem Maler Henri Rousseau in der Kunstgeschichte gängig), der Naiven Malerei zuzuordnen, obwohl es keine narrativen Züge hat.
Anders und deutlich als Arabeske zu verstehen ist die Schlussvignette (Abb. 2), obwohl sie sich inhaltlich auf dasselbe Kapitel und den direkt folgenden Text bezieht:
Bald konnten sie nun erkennen, daß der Stern ein schöner in gleißendem Goldgefieder prangender Vogel war, der, die mächtigen Flügel schüttelnd und laut singend, sich auf den Wald herabsenkte. Ha, schrie Felix, das ist der Fasanenfürst, der beißt den Herrn Magister tot – ha ha, das fremde Kind ist geborgen und wir sind es auch![29]Der große Vogel in Hoffmanns Schlussvignette, der sich mit geöffnetem Schnabel (laut singend), ausgebreiteten Flügeln und einem großen Strauß blühender Rosen in den Fängen herabsenkt, symbolisiert die Verheißung, die den Kindern am Ende des Märchens zuteilwird: die Verheißung des fremden Kindes, dass sie auch als Erwachsene Geborgenheit erfahren können, wenn sie sich den inneren Phantasiereichtum aus der Kindheit bewahren. Das scheint Hoffmann ein zentrales Anliegen gewesen zu sein. Die ornamental stilisierende, von parallelen Achsen und Bogenschwüngen bestimmte Arabeske ist so ein inhaltliches Resümee und wohl bewusst auf zwei Bildzeichen reduziert: Vogel und Rosenstrauß.[30]
Theodor Hosemann
Der biedermeierliche Künstler Theodor Hosemann (1807-1875) schuf 1844 im Auftrag Georg Reimers insgesamt 24 Federzeichnungen, die für den Druck in Holzstiche übertragen wurden. Seine Zeichnungen fanden bis tief ins 20. Jahrhundert so viel Anerkennung, dass Literaturwissenschaftler und Verleger sie für neue wissenschaftliche Gesamtausgaben übernahmen. Hosemann sei, so ihre Argumentation, zwar nicht kongenial, aber in seiner liebenswürdig naiven Art (Carl Georg von Maaßen) habe er Hoffmann besser als so manch moderner Künstler getroffen, dessen künstlerische Interpretation sich vor den Text dränge. Die daraus erkennbare Vorstellung, dass Illustration dem dichterischen Wort zu dienen habe und ihm nur so gerecht werden könne, entspricht zwar längst nicht mehr dem Verständnis gegenwärtiger, auf gleichwertigen Dialog setzender Illustratoren, aber Hosemanns ‚bescheidenen‘, unaufdringlichen Zeichnungen, in denen er sich, so seine Biographen, selbst übertroffen habe, spiegelten wenigstens eine Seite von Hoffmanns Dichtkunst.[31]
Hosemanns Illustrationen
Hosemanns illustrativer Zugriff (Abb. 3) ist im Gegensatz zu Hoffmann als Zeichner detailreich und narrativ, denn er erzählt das Kapitel Wie der Hofmeister angekommen war und die Kinder sich vor ihm fürchten bildnerisch nach und fasst zusammen, was sich ihm als Leser einprägte. Im Detail gibt es zwar eine weitgehende Übereinstimmung mit der dichterischen Vorlage, aber der Künstler folgt ihr nicht sklavisch: Er hat nicht nur das Kapitel, sondern das Märchen als Ganzes im Auge. Zudem ist eine vollständige Übereinstimmung zwischen dichterischem Text und Illustration illusorisch, weil ein bildender Künstler immer eigene innere Bilder hinzufügt, auch wenn er dem Text in erster Linie ‚dienen‘ will.
So stehen die sehr natürlich wirkenden Landkinder Kinder Felix und Christlieb wie zur Bildsäule erstarrt dem fremden, verwunderlichen Mann (Magister Tinte) gegenüber, sehen ihn voller Neugier, Angst, Misstrauen und Abwehr … von der Seite an und können sich nicht regen und bewegen. Der Hund Sultan schützt sie – da dem Felix der treue Sultan zu Hülfe geeilt war -, scheint zu knurren und Magister Tinte lauernd zu fixieren: Sultan, sonst ein frommer gesitteter Hund, hatte gleich vom ersten Augenblick an einen entschiedenen Abscheu gegen den Magister Tinte bewiesen. So wie dieser ihm nur nahe kam, knurrte er, und schlug mit dem Schweif so heftig um sich, daß er den Magister, den er geschickt an die dünnen Beinchen zu treffen wußte, beinahe umgeschmissen hätte. Das folgt eigentlich erst später, nach der ersten Vorstellung des neuen Herrn Hofmeisters durch Herrn von Brakel, den die erschrockenen Kinder fein artig grüßen sollten, und nachdem die Kinder den schrecklichen Unterricht von Magister Tinte bereits erlebt haben und nur noch hinaus in den Wald wollten vor lauter Freiheitsdurst. Die Darstellung des Magisters indes entspricht dem Text weitgehend (darauf verzichtet kaum ein Illustrator!):
Der Mann mochte kaum mehr als einen halben Kopf höher sein als Felix (bei Hosemann ist er sogar kleiner), dabei war er aber untersetzt; nur stachen gegen den starken breiten Leib die kleinen ganz dünnen Spinnenbeinchen seltsam ab. Der unförmliche Kopf war beinahe viereckig zu nennen, und das Gesicht fast gar zu hässlich, denn außerdem, daß zu den dicken braunroten Backen und dem breiten Maule die viel zu lange spitze Nase gar nicht passen wollte, so glänzten auch die kleinen hervorstehenden Glasaugen so graulich, daß man ihn gar nicht ansehen mochte. Übrigens hatte der Mann eine pechschwarze Perücke auf den viereckigten Kopf gestülpt, war auch von Kopf bis Fuß pechschwarz gekleidet und hieß: Magister Tinte.[32]
Bei Hosemann ist Magister Tinte bereits einer Fliege ähnlich und entspricht so seiner wahren Natur: Die Nase ist eher ein Rüssel, der unförmige Lieb ist fliegenhaft, die Rockschöße gleichen Fliegenflügeln, die dürren Beine Fliegenbeinchen. Ein störender Fremdling in der durch viele Naturdetails wie Weinranken, hohe Laubbäume, eine Bank zum Ausruhen und kleine Häuser im Hintergrund bereicherten dörflichen Idylle. Die Art, wie das Ehepaar von Brakel dargestellt ist, zeigt bereits Hosemanns weitergehende Interpretation: Thaddäus von Brakel ist schon ein Zweifler, dem der hässliche Magister nicht geheuer ist (…ihm wurde ganz unheimlich zumute…), während seine Ehefrau sich zwar liebevoll über die erstarrten Kinder beugt, ihnen aber unmissverständlich durch die Geste der Hand zu verstehen gibt, dass sie dem Herrn Magister fein die Hand geben müssten, weil er sie sonst für ganz ungeschliffene Bauernkinder halten müsse.[33] Dennoch macht die liebevoll bis ins Detail ausgeführte Zeichnung deutlich, dass Magister Tinte in diesem Geborgenheit vermittelnden Ambiente zwar ein gefährlicher Störenfried ist, aber nicht siegen wird. Das Dorf, die Familie und der Hund sind eine Einheit, ein Bollwerk gegen das in Tinte verkörperte Böse.
Ernst Huber
Ernst Huber (1895-1960), ein in Vergessenheit geratener Wiener Graphiker (vor allem Lithograph) und Landschaftsmaler, Mitglied der Zinkenbacher Malerkolonie und seit 1920 auch der Wiener Secession, gestaltete 1922 Das fremde Kind mit 10 Originallithographien für den Wiener-Verlag Paul Knepler, die Wallishausersche Buchhandlung, für die er schon 1920 Hoffmanns Erzählung Doge und Dogaresse illustriert hatte. Beide Ausgaben sind sich ähnlich: Das Buch hat jeweils ein Miniformat (16°, 11,3 x 7,8 cm), die ganzseitigen kleinformatigen Originallithographien wirken infolge ihrer irrealen Lichtführung und symbolistischen Tendenz geheimnisvoll. Sie sind in ein geheimnisvolles Dunkel getaucht, dem Hier und Jetzt entrückt. Nur die Farbtönung variiert: für die Lithographien zum Fremden Kind wurde eine dunkelbraune Druckfarbe gewählt und für die zu Doge und Dogaresse eine schwarze.
Symbolische Inszenierung
Hubers Lithographien zum Fremden Kind sind dem dichterischen Text als eigenständige künstlerische Deutung gegenübergestellt und versinnbildlichen Welten des Traums und Unterbewussten, die das Erleben der Geschwisterkinder Felix und Christlieb widerspiegeln sollen. Das fremde Kind (Abb. 4) ist so nur eine körperlose Erscheinung im tief dunklen Wald, mit der die nur in Rückansicht erkennbaren Kinder auf eine geheimnisvolle Weise Kontakt haben und die diese als irreale Lichtquelle bestrahlt. Bäume und Zweige scheinen an der rätselhaften Kommunikation teilzuhaben, umgeben die Kinder wie ein magischer Kreis, zu dem nur sie Zutritt haben.
Schwerelos wie im Traum und schemenhaft körperlos schweben die Kinder an der Hand des fremden Kindes in den Wolken (Abb. 5). Über ihnen türmen sich unerreichbar Schlösser und Kirchen: Da fasste wie gestern das fremde Kind beide, Felix und Christlieb, bei den Händen, und nun schwebten sie auf im goldenen Purpur des Abendrots … in den glänzenden Wolken, wie in wogenden Flammen, erblickte Felix die herrlichsten Schlösser …und prächtige, prächtige Häuser, die das fremde Kind als seine lieben Luftschlösser bezeichnet, zu denen sie aber heute wohl nicht mehr hinkämen. Felix und Christlieb waren wie im Traume und wussten selbst nicht wie es geschah, dass sie unversehens sich zu Hause bei Vater und Mutter befanden.[34]
Hubers Darstellung entspricht dem dichterischen Text weitgehend, aber sie ist wie fast alle Lithographien Hubers zum Fremden Kind eigenwillig rätselhaft, schwermütig und düster, als gelte sie Werken von Maurice Maeterlinck. Schon die Wahl gerade dieser bei anderen Künstlern nicht beliebten Textstelle (von Carl Hoffmann abgesehen), der eine realistische Darstellung wohl nicht gerecht werden könnte, ist für diesen symbolistischen Künstler bezeichnend.
Alfred Kubin
Charaktere im Fokus
Alfred Kubin (1877-1959) illustrierte 1947 das Fremde Kind eher satirisch und gesellschaftskritisch: Seine Federzeichnung zum Kapitel Der vornehme Besuch ist ohne weitere Details und Raumangaben auf die Menschendarstellung konzentriert, auf die aus der Stadt mit der Kutsche (nur durch Pferde angedeutet) ankommende Familie des Grafen Cyprianus von Brakel. Dominant und aggressiv wirkt die Gestalt des großen Grafen in der Mitte der Figurengruppe. Er trägt vornehme Kleidung: einen Zylinder und einen mit Pelerinen besetzten Umhang. In der rechten Hand hält er eine große lederne Reisetasche. Links neben ihm steht seine kleine dicke Frau und dreht den Kopf nach links. Mit ihrem Schleppkleid [35]und dem Federbusch als Kopfkrönung, der sie wohl größer erscheinen lassen soll, wirkt sie modisch ‚aufgedonnert‘. Rechts vorn befinden sich ihre Kinder Adelgund und Herrmann mit seinen langen Pumphosen und … Jäckchen … über und über mit goldenen Schnüren und Tresen besetzt und einem kleinen blanken Säbel an der Seite, auf dem Kopf aber eine seltsame rote Mütze mit einer weißen Feder … Kubin deutet nur an, unterstreicht jedoch mit wenigen expressiven Strichen das Komische dieser Figurengruppe. Zugleich wird die Bedrohung spürbar, die von dieser vornehmen Familie ausgeht und die die ländliche Idylle der Brakels zerstören wird.
Meisterhafte Vereinfachungen
Kubin, ein geistiger Nachfahre von Bosch, Goya und Ensor und unerschöpflicher Gestalter der unheimlichen und grotesken Seite des Lebens[37], führt vor, was ein Meister des ‚einfachen‘ schwarzen Federstrichs zu leisten imstande ist. Sein Federstrich ist jetzt freier als in den düsteren Illustrationen von 1913 zu Hoffmanns Nachtstücken.[38]
Mit wenigen Strichen skizzierte er z.B. die Szene, wie der in eine Fliege verwandelte Magister Tinte nach seiner Rückkehr aus dem Wald sich derart in den Milchnapf stürzt, daß die Milch überströmte, die er einschlürfte mit widrigem Rauschen (Abb. 7).[39] Magister Tinte hat zwar im Gesicht noch menschliche Züge und die Fliegenbeine münden in menschliche Hände, ansonsten ist er aber zur Schmeißfliege mutiert, die den Appetit auf die Milch im Napf verdirbt. Ein widriger Anblick!
Gustl Kochs Interpretation
Ein Jahr später illustrierte Gustl Koch dieselbe Szene (Abb. 8). Magister Tinte ist eine riesige Fliege mit einer großen schwarzen Lockenperücke und roten Stiefeletten, die lose an den dünnen Fliegenbeinen hängen. Er hat seinen Kopf so weit in den roten Milchnapf getaucht, dass er darin zu ertrinken droht. Das widrige Einschlürfen der Milch wird so zwar deutlich, aber der Szene fehlt das Unbehagliche, sie ist auf belanglose Weise lustig (Abb. 8), das Produkt eines routinierten Auftragsillustrators, der den dichterischen Text lediglich bebildert, statt sich mit ihm auseinanderzusetzen.[40] Mit ganz anderer Intensität gestaltete Lisbeth Zwerger dieselbe Szene 1977 (Abb. 16), was noch zu zeigen sein wird.
Hannelore Teutsch
Verlust des Hoffmann’schen Stil
Hannelore Teutschs Aquarell von 1988 (Abb. 9) fängt zwar das Skurrile und Befremdliche dieser Szene ein und betont die Zwitterexistenz Magister Tintes, aber es bleibt bei einer Komik, die Hoffmanns vielgestaltige Ironie nicht trifft. So ist die etwas unbeholfene Komposition kaum mehr als amüsanter Dekor. Teutsch hat hier wohl den Vorgaben des Berliner Kinderbuchverlages entsprochen, für den sie Hoffmanns Kindermärchen zusammen mit fünf weiteren Märchen aus der Weltliteratur zu illustrieren hatte.[41] Die Buchgestaltung ist dabei den eigenen Regeln eines Kinderbuches (oft mehr Bild als Text) unterworfen, durch den persönlichen Stil der Illustratoren geprägt und nicht Resultat einer ernsthaften Auseinandersetzung mit E.T.A. Hoffmanns Kindermärchen.[42]
Das ist auch das Problem der unzähligen Bilderbuchadaptionen zu Hoffmanns Märchen Nussknacker und Mausekönig, das nicht selten in verkitschten, Hoffmann, Dumas und Tschaikowski kombinierenden Weihnachtsmärchen-Versionen, amerikanischen und russischen vor allem, kaum noch wiederzuerkennen ist. Die Parallelen sind nur vordergründig und durch den Plot gegeben. Das heißt jedoch nicht, dass sich darunter keine gut gemachten Kinderbücher befinden. Nur eignet sich dafür Hoffmann eigentlich nicht.
Alexej Borutscheff
Einzigartige Auffassung
Dass Nähe zu E.T.A. Hoffmann gelingen kann, zeigen Alexej Borutscheffs, im Auftrag der Bamberger E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft 1967 entstandenen, dreizehn Kohlezeichnungen zum Fremden Kind (Querformat – 8°). Sie sind eigenwillig, vieldeutig und teils schwer zu deuten, aber nahezu kongenial. Der 1911 in Rostaw in der Ukraine geborene und 1994 in Bamberg verstorbene Künstler studierte an der Hochschule von Moskau. Er war von Haus aus freischaffender Architekt, arbeitete aber in der Schweiz und in Bamberg als Künstler und als Zeichenlehrer im Wasserschloss Concordia. Er hat sich intensiv mit E.T.A. Hoffmann beschäftigt. Zwischen 1956-59 schuf er eine Mappe mit 22 großformatigen Kohlezeichnungen zu Werken wie Der goldene Topf, Der Sandmann, Vampirismus, Die Abenteuer der Silvester-Nacht, Die Elixiere des Teufels, Prinzessin Brambilla, Klein Zaches genannt Zinnober und Meister Floh sowie mehrere Hoffmann-Porträts. 1976 entstanden noch acht Radierungen zu Das Fräulein von Scuderi.[43] Seine Kohlezeichnungen zum Fremden Kind (Querformat, 50 x 70 cm) erscheinen im Buch ganzseitig und so deutlich vom Text abgesetzt, dass sie sich fast vordrängen und den Betrachter zur Auseinandersetzung zwingen. Der Stil ist expressiv und von elementarer Wucht, nahezu aggressiv, teils auch plastisch wie der eines Bildhauers. Die menschliche Gestalt wird nicht selten so verfremdet, dass sie beunruhigend grob und hässlich wirkt. Lange Schatten mit jäher Brechung, drastische Verkürzungen der Perspektive und irreale Größen- und Raumverhältnisse bestimmen die an Graustufen reichen Kompositionen.
Es war deshalb 1967 ein gewagtes, interessantes Experiment, diesen extrem subjektiven, wohl durch seine ukrainische Heimat geprägten Grafiker und Künstler mit dem heftigen Strich und vehementer Vision mit der Illustration dieses Kindermärchens zu betrauen – mit unerwartetem, an Honoré Daumier gemahnendem Resultat, wie Gabriele Wittkop-Ménardeau 1968 in ihrer Rezension formulierte. Angesichts des in der Sowjetunion erlebten Stalinismus habe der nach Deutschland emigrierte Borutscheff keine Menschen nach dem Vorbild der griechischen Klassik modellieren können, sondern seine Kunst zur grausamen Waffe werden lassen und dem Werk Hoffmanns neue Tiefen gegeben.[44] Mit einer geradezu ‚explosiven Vitalität‘ hat er Szenen und Begegnungen aus dieser Erzählung in zwangsvolle Visionen von einer kafkaesken Welt verwandelt.[45]
Borutscheffs Illustrationen
Kaum zu glauben, dass Borutscheff dasselbe Kapitel (Abb. 10: Wie der Hofmeister angekommen war und die Kinder sich vor ihm fürchteten) wie Theodor Hosemann illustrierte! Hosemanns Darstellung (Abb. 3) wirkt trotz der hässlichen Gestalt des Magisters Tinte und des lauernden Hundes vergleichsweise idyllisch. Die sympathische Familie des Thaddäus von Brakel erscheint in ihrer natürlichen Umgebung als Bollwerk gegen den fremden Eindringling und die Kinder wirken beschützt.
Bei Borutscheff gibt es keine Geborgenheit, weder die private noch die der ländlichen Umgebung. Er konzentrierte sich nur auf die Menschen und ihre eher konspirative Gemeinschaft. Die Kinder links am Rand scheinen dem missgestalteten Magister Tinte mit den Glubschaugen und dem unförmigen Körper ausgeliefert zu sein. Seine Gestalt entspricht Hoffmanns Beschreibung, ist sogar weniger fliegenähnlich, aber so selbstbewusst in die Mitte gerückt, dass sie bedrohlich wirkt. Wer nur ermöglicht dieser hässlichen Kreatur diese absolute Selbstüberschätzung? Die riesigen Hände sind Folterhände und die Rechte hält die große Nadel, womit er die Kinder, als sie ihm die Hände reichten, gestochen.[46] Dem Hund ihm zur Rechten sträuben sich die Haare, die Augen lauern; er knurrt und schlägt mit dem Schweif … heftig um sich[47], jeden Augenblick dazu bereit, sich auf ihn zu stürzen. Das alles wäre nicht so weit von Hosemann und Hoffmann entfernt, gäbe es nicht noch die vier überdimensional großen, ins Rampenlicht drängenden Menschen im Hintergrund, von denen im Wesentlichen nur die Köpfe zu sehen sind. Wer sind sie und wieso vier? Die warmherzigen Brakels etwa? Wer sind die anderen Beiden? Was wollte Borutscheff mit diesen deformierten Menschen, in deren Gesichtern plumpe Schmeichelei, Feigheit, Schweigen, Akzeptanz des Unvermeidlichen, aber auch Spott zu lesen sind? Sind sie diejenigen, die die Macht des Bösen, verkörpert in Magister Tinte, zulassen, sogar noch fördern durch ihr Wegsehen (der Zweite von links, der Schmeichler, schließt sogar genüsslich die Augen)? Schützen sie wie bei einer Verschwörung das Böse und nicht die Kinder vor dem Bösen? Borutscheffs Darstellung wirft Fragen auf und hinterlässt einen ratlosen, beunruhigten Betrachter.
Die nachfolgende Zeichnung (Abb. 11) mit der Legende: … von … der Puppe ausgehöhnt … zu dem Kapitel: Was sich weiter im Walde begab, nachdem der Magister Tinte fortgejagt worden ist noch schwerer zu verstehen. Die Situation am Ende des Kapitels ist folgende: Die Kinder Felix und Christlieb drängen darauf, trotz der schrecklichen Erlebnisse mit dem weggeworfenen, sprechenden Spielzeug wieder im Wald spielen zu dürfen, weil sie dort das fremde Kind wiedersehen möchten. Die Mutter warnt sie zwar, sie sollten besser zu Hause bleiben, da sie draußen im Walde solch verrücktes Zeug[48]träumten, lässt sie aber schließlich gehen. Den Kindern wird der Wald nur sehr schnell verleidet, weil sich das fremde Kind nicht mehr blicken lässt und sie, sobald sie sich nur tiefer ins Gebüsch wagten oder sich dem Ententeich nahten, … von dem Jäger, dem Harfenmännlein, der Puppe ausgehöhnt … werden.[49]
Das vergitterte Fenster, an dessen Stäben in der Mitte der unbekleidete Junge in Rückansicht rüttelt und mit ihr vom Boden aus eine weibliche Gestalt mit Flügelärmeln, könnte das Eingesperrtsein der freiheitsdurstigen, phantasievollen Landkinder Felix und Christlieb versinnbildlichen, die sich nicht mehr in den Wald trauen.
Die dicke unbekleidete Puppe mit dem abgebrochenen rechten Bein zu Füßen des Jungen ist wohl die Puppe, die Christlieb vom vornehmen Onkel aus der Stadt geschenkt bekam und die von Felix in den Waldteich geworfen wird, weil ihre Beine bei dem Versuch der Kinder, sie zum Laufen zu bringen, brechen und ihre Kleidung zerfetzt wird.[50] Sie scheint mit geöffnetem Mund weiter zu höhnen. Links von Felix fällt eine weibliche Gestalt, wohl das Mädchen Christlieb, kopfüber zu Boden, bedrängt von einem Ross und anderen Traumgestalten mit gefährlichen Krallen. Es ist zu vermuten, dass Borutscheff so das verrückte Zeug, von dem die Kinder in der Sicht ihrer Mutter träumen, darstellen wollte. Er lässt die Kinder als wehrlos Ausgesetzte (sie sind deshalb nackt) und Gefangene ihrer Alpträume erscheinen. Die aggressiven Schatten, das vergitterte Fenster und die kahlen Silhouetten von Hochhäusern hinter diesem sprechen eine eindeutige Sprache: ein Ausweg (Freiheit in der Natur, im Wald z.B.) ist nicht in Sicht. Das wird auch durch die drangvolle Enge, in der sich die Figuren bewegen oder auch bewegt werden (das Mädchen vorn links) deutlich. Francisco de Goya (1746-1828) und Honoré Daumier (1808-1879) scheinen hier künstlerische Vorbilder gewesen zu sein. Die bedrückende Enge der Figurengruppierung, das Aneinander-Gefesselt-Sein, erinnert an Gemälde und Grafiken von Max Beckmann (1884-1950) um 1918-20 (Die Nacht, Familienbild z.B.).
Borutscheffs Kohlezeichnungen zum Fremden Kind sind trotz seiner unverkennbar individuellen Handschrift variantenreich. Die letzte Zeichnung zum Märchenende (Abb. 12): … so zogen sie unter vielen Tränen fort ist stilistisch anders und sozialkritisch. Sie erinnert an die expressionistischen Grafiken von Käthe Kollwitz (1837-1925), ihren Radierungszyklus zum Weberaufstand von 1983-97 oder zum Bauernkrieg von 1902/03, an ihr tiefes Mitleiden mit den Opfern der Ausbeutung und des Krieges, mit den Armen und Entrechteten.
Auch bei Hoffmann gibt es am Ende des Märchens Das fremde Kind auch dieses Bild der sozialen, tiefes Mitleid evozierenden Misere: Die Brakels sind am Ende. Der Vater stirbt, die Mutter und die Kinder werden enteignet und müssen das schöne Dörfchen Brakelheim verlassen. Die Mutter schnürt … ein kleines Bündelchen mit der wenigen Wäsche und den geringen Kleidungsstücken die man ihr gelassen, Felix und Christlieb mußten ein gleiches tun, und so zogen sie unter vielen Tränen fort aus dem Hause. Schon hörten sie das ungestüme Rauschen des Waldstroms über dessen Brücke sie wollten, als die Frau von Brakel vor bittrem Schmerz ohnmächtig zu Boden sank.[51] Ein Bild sozialer Trost- und Hoffnungslosigkeit! Hier setzt Borutscheffs Illustration an. Das scheint seiner Welterfahrung entsprochen zu haben. Hoffmann belässt es aber nicht dabei und findet ein versöhnliches ‚Märchenende‘, indem er das fremde Kind mit Verheißungen für die Zukunft aus dem Gebüsch hervortreten lässt. Ein Verwandter wird die Drei aufnehmen und die Kinder werden froh und glücklich werden.
So kann auch Borutscheff nicht umhin, diese tröstliche Perspektive aufzunehmen, obwohl seine Zeichnung auf den ersten Blick durch die langen, jähen Schatten absolute Trostlosigkeit widerspiegelt. Aber es gibt sie, die tröstliche Botschaft, auch bei Borutscheff: Während die Kinder eng umschlungen über die Brücke auf ein Dorf in der Ferne (als Hoffnungsträger zu verstehen) zueilen, liegt die Mutter, wie von Hoffmann beschrieben, zusammengebrochen am Boden vor der Brücke, aber sie schaut mit einem Lächeln im Gesicht nach oben und scheint die große schwarze Gestalt auf dem Brückenpfeiler links wahrgenommen zu haben. Diese schwarze Gestalt, die eher einer visionären Erscheinung als einem realen Wesen gleicht, soll wohl das fremde Kind versinnbildlichen, das die Gruppe der Hilflosen schützend umschwebt.
Lisbeth Zwerger
1977 illustrierte Lisbeth Zwerger (*1954, Wien) Das fremde Kind für die Edition Neugebauer der Baseler Hermann Schroedel AG.[52] Es war ihr Debüt als Illustratorin: Sie war erst 23 Jahre alt und diese bibliophile Ausgabe im extremen Hochformat (34 x 21 cm) war bereits ein Wurf von hoher malerischer und zeichnerischer Qualität und Intensität sowie Sensibilität für das dichterische Wort.[53] Seitdem arbeitet sie ausschließlich als Illustratorin im strengen Wortsinn und versteht sich selbst nicht als freie Künstlerin.[54] Sie illustriert in erster Linie Klassiker und europäische Volks- und Kunstmärchen und ist inzwischen mit vielen renommierten Preisen ausgezeichnet worden, gilt international als herausragend. Die Bücher mit ihren Illustrationen erscheinen im In- und Ausland. Das fremde Kind erlebte nicht nur mehrere Auflagen (zuletzt 2018 im typischen Format des Insel-Verlages, Insel-Bücherei Nr. 1454), sondern erschien auch im Ausland: 1984 in London/England und in Finnland sowie 1985 in Tokyo/Japan.
Ebenso erfolgreich illustrierte Zwerger 1979 für den Schroedel Verlag noch E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und Mausekönig (etliche Auflagen, Deutschland, Österreich, England, Frankreich, Schweden und in der Schweiz erschienen). 2003 beschäftigte sie sich erneut und deutlich anders in Stil, Farbe, Form und Raum, freier und klarer, mit Nussknacker und Mausekönig. Wie intensiv diese Auseinandersetzung war, belegen die zahlreichen Entwürfe und Skizzen, die sich in der Staatsbibliothek Berlin befinden. Die Neugestaltung muss ihr ein besonderes Anliegen gewesen sein (Silke Rabus).[55] Das Märchen mit den neuen Illustrationen und in der Adaption von Susanne Koppe erschien 2003 im Michael Neugebauer Verlag, Gossau/Zürich. 2017 hat Lisbeth Zwerger noch Illustrationen zu E.T.A. Hoffmanns Kriminalnovelle Das Fräulein von Scuderi geschaffen, die der Insel-Verlag in Berlin 2018 herausgab. Der Klappentext wirbt nicht zu Unrecht mit der These, Lisbeth Zwerger sei eine Zauberin, die uns mit Bildern verhext.
Zwergers zwölf Aquarelle zum Fremden Kind sind von gleichbleibender künstlerischer Qualität und Zeugnis intensiver individueller Auseinandersetzung mit der dichterischen Vorlage. Das ist in der Buchillustration eher selten. Ulrich Helmke hat 1979 und Silke Rabus 2009 darauf hingewiesen, dass der englische Jugendstil- und Märchenillustrator Arthur Rackham (1867-1939) hier Vorbild war. Die geschwungene Linienführung, der dekorative Einsatz filigraner Muster und die nahezu monochrome Verwendung der Farbe Braun mit einzelnen Akzentsetzungen in Rot und der pointiert gesetzte Kontrast zwischen Hell und Dunkel sprächen für die Anlehnung an Rackham.[60] Bei ihren späteren Illustrationen hat sie sich von diesem Einfluss befreit.
Zwergers Illustrationen
Die Aquarelle zum Fremden Kind, ihre Erstlingsarbeiten, sind in der Farbgebung monochrom und durch dunkle Brauntöne bestimmt, Resultat der eingesetzten braunen Sepiatusche (Abb. 13, 14, 15 u. 16). Farbakzente mit Ziegelrot, lichter Ocker, Beige, Creme und Hautfarben werden sparsam gesetzt. Der in Brauntönen nur schemenhaft angedeutete, neblig wirkende landschaftliche Hintergrund taucht alles in ein geheimnisvolles Dunkel. Die Figuren sind ländlich und altertümlich gekleidet, sind gotisch gelängt bis in die spitzen Füße und mit fragilen Umrisslinien umrandet. Durch ihre meist geschlossenen Augenlider und ihre Selbstbefangenheit erscheinen sie als rätselhafte Wesen, fast wie Autisten. Sie leben in ihrer eigenen Welt.
Zwerger betont so die Fremdheit als Wesensmerkmal dieses Märchens: Die innig verbundenen Kinder sind fremde Wesen, die in ihrer eigenen, für den Erwachsenen kaum erreichbaren Welt leben und träumen. Genauso stehen sie vor der großen Puppe im Waldteich, die Felix dort hinein schleuderte, weil er nichts mit diesem dummen Ding, das ihnen die fremden Kinder aus der Stadt mitgebracht haben[56], anfangen kann (Abb. 13). Sie stehen eng beieinander, Felix legt schützend den Arm um seine jüngere Schwester und beide scheinen nicht zu begreifen, was ihnen geschehen ist. Die Puppe geht nicht unter, schwimmt aufgeplustert, als habe sie ein unheimliches ewiges Leben. Zwergers sensible Deutung entspricht der dichterischen Vorlage, denn das weggeworfene Spielzeug wird schließlich ein unheimliches Leben entfalten und die Kinder aus dem Wald, aus ihrer Kindheit also, vertreiben. Da sich hier bereits die Konfrontation der Kinder mit einer befremdlichen Welt anbahnt, verzichtete die Illustratorin wohl darauf, die Kinder so darzustellen, wie sie zunächst von Hoffmann geschildert werden: als naturverbundene Wildfänge mit heiterem Naturell, geborgen in ländlicher Familienidylle. Die gibt es in Zwergers Aquarellen zu diesem Kindermärchen nirgendwo. Nicht umsonst heißt es auf der Titelseite des Buches gleich oben über dem Titel: Bilderbuch für Erwachsene.
Entsprechend fällt die Begegnung mit dem fremden Kind (Abb. 14) aus: Im Vordergrund rechts befinden sich die Kinder Felix und Christlieb. Felix sitzt auf einem Stein und Christlieb beugt sich über ihn, umklammert ihn schutzsuchend. Sie lauschen mit (ausnahmsweise) geöffneten Augen ergriffen und traumverloren den Erzählungen des vor ihnen stehenden fremden Kindes, das die Augenlider geschlossen hat und vor dem dunklen, erdfarbenen Hintergrund (Sepiabraun und Umbra) wie eine übernatürliche, lichte Erscheinung wirkt. Das lange, zu Boden fallende Gewand scheint sie als feminin auszuweisen, der Körper und der Kopf könnten aber auch zu einem männlichen Wesen gehören. Das entspricht der dichterischen Vorlage: Beide Kinder sind sich zwar einig, dass das fremde Kind ein langes Kleid getragen habe, aber für Felix ist es ein Knabe und für Christlieb ein Mädchen.[57] Dass die Szene eher einer Traumwelt als einer realen Welt angehört, wird auch durch die Art, wie Zwerger das landschaftliche Ambiente, den Wald, gestaltete: Alles bleibt nur Andeutung, der Boden unter den Füßen fehlt, die besonders herausgearbeitete Figurengruppe wird eingetaucht in eine Art Sfumato von grünlichen Brauntönen ohne bestimmbare Räumlichkeit. Nur links oben sind verschwommen verkrüppelte Baumstämme und Äste vor einem nächtlichen Wolkenhimmel zu erkennen.
Fassungslos befremdet zeigen sich die Kinder Felix und Christlieb auf dem Aquarell zur Ankunft Magister Tintes (Abb. 15), als ihnen der Vater den neuen Magister vorstellt, der sie künftig unterrichten soll. Es wird deutlich, dass sie die Welt der Erwachsenen nicht verstehen, die ihnen solch abscheuliche Monster wie Magister Tinte mit den Glubschaugen, dem spitzen Nasenrüssel, den Handkrallen, den Spinnenbeinen und -armen, dem aufgeblähten Bauch und den dicken Backen zumutet. Eine komische Witzfigur, wäre da nicht die abschreckende Aussicht, von ihr unterrichtet zu werden, und die Ahnung, dass es schlimmer nicht kommen kann. Felix ist in der Haltung bereits Abwehr und Christlieb, die sich Felix in Hoffmanns Märchen immer unterordnet, ratlos. Der Vater hinter ihnen, der behutsam den Arm um Felix legt und den Kindern gut zuzureden scheint, aber durch seine gekrümmte Haltung selbst eher irritiert und hilflos wirkt, nimmt dieser auf alles Weitere verzichtenden Darstellung – weder die Mutter noch der Hund sind anwesend, der dörfliche Background fehlt ebenfalls (vgl. Hosemann, Abb. 3) – auch das Komische, das zu einem befreienden Lachen führen könnte.
Zwergers Selbstauskunft, dass sie in Texten von E.T.A. Hoffmann die unschlagbare Kombination von Komik und leiser Melancholie besonders gereizt habe[58], mag zutreffen, in ihren Aquarellen zum Fremden Kind überwiegt jedoch die Melancholie. Selbst da, wo im dichterischen Text Situationskomik gegeben ist (Abb. 16): Magister Tinte, nunmehr eher Fliege als Mensch, hat sich in den Milchnapf gestürzt und schlürft daraus gierig die Milch. Felix eilt mit der Fliegenpatsche hinzu, die er nach Hoffmanns Darstellung dem Vater zur Vertreibung des Magisters aus dem Haus übergeben wird. Hier hat er sie selbst erhoben, bereit zum Schlag. Komik in diesem Aquarell? Höchstens im Treiben des Magisters und seinem misstrauischen Blick von unten zu finden. Aber über dem Ganzen lastet eine melancholische Schwere, vor allem in der Gestik und Mimik der Kinder (wieder mit geschlossenen Augenlidern), die das Befremdliche und eigentlich Bedrückende des entlarvenden Vorgangs sichtbar macht. Es gibt auch keine tänzerische Leichtigkeit (Silke Rabus) der Figuren[59], dafür Groteskes, das Komik und Unheimliches verbindet.
Carl Hoffmann
Relatives Ausklammern der dichterischen Vorlage
1980 illustrierte der DDR-Künstler Carl Hoffmann (1930-2015) für den Berliner Verlag Neues Leben neun Erzählungen von E.T.A. Hoffmann unter dem Titel Der unheimliche Gast. Phantastische Geschichten mit 36 Aquarellen[61] und Das fremde Kind für den Berliner Kinderbuchverlag mit fünfzig Aquarellen[62] sowie 1985 den Goldenen Topf und andere Kunstmärchen der Romantik[63] für den Ost-Berliner Verlag Neues Leben und Würzburger Arena-Verlag. Alle Ausgaben waren erfolgreich und erlebten mehrere Auflagen, erschienen auch im Ausland, z.B. in Griechenland.
„Nicht hoffmannesk“
Dass Carl Hoffmann sich hier durch malerische, kompositorische und zeichnerische Qualität als technisch versierter Künstler erweist und seine pastellfarbenen weichen Aquarelle mit dem raffinieren Sfumato eine hohe atmosphärische Dichte aufweisen, ist kaum zu bestreiten. Aber es ist die Handschrift des Routiniers, die stört, und die vielen Illustrationen mit dem immer gleichen Figurentypus und ähnlicher Farbpalette ermüden auf Dauer.[64] Warum er als Hoffmann-Illustrator nicht überzeugt, hat schon Klaus Deterding 1982 in einer Rezension zum Ausdruck gebracht. Er bezweifelt sogar, dass der Künstler E.T.A. Hoffmann wirklich gelesen habe, denn seine Aquarelle seien zwar hübsch und gekonnt, aber eben nicht hoffmannesk, werden also E.T.A. Hoffmann nicht gerecht.[65] Nach Deterding ist des Künstlers Selbstaussage: Ich illustriere mich lieber selber bezeichnend. Der Wert von Illustrationen sei fragwürdig, wenn sie nur schmück[t]en und nicht das Resultat einer tieferen, das dichterische Wort kongenial umsetzenden Auseinandersetzung seien. Deterdings Anspruch ist hoch, vor allem der Verbeugung vor E.T.A. Hoffmann geschuldet, aber nicht unberechtigt und ein Nachdenken über den Sinn von Illustration, das bei vielen Literaturwissenschaftlern zu finden ist. Angesichts der überbordenden Illustration zu E.T.A. Hoffmanns Werk ist es tatsächlich schwer, Qualitätskriterien zu entwickeln und sich zu fragen, welche Form der Illustration E.T.A. Hoffmanns Text verträgt und welche dem Text und somit dem Leser eher schadet. Wulf Segebrecht, ausgewiesener Hoffmann-Kenner wie Deterding, formulierte 1999 ähnliche Zweifel.[66]
Carl Hoffmanns Illustration
Einzelne Aquarelle Carl Hoffmanns vermögen jedoch durch eine raffinierte Komposition und phantasievolle Gestaltung zu bestechen. Das ist bei dem Aquarell der Fall, das den Kampf zwischen dem Fasanenfürsten und dem in eine Fliege verwandelten Magister Tinte (Abb. 17) darstellt. Es ist zwar auch ein Beispiel dafür, dass Carl Hoffmann nicht selten Nebenschauplätze der Handlung illustriert und ihm der Blick für Zentrales zu fehlen scheint, aber die Gegenüberstellung des zur Heimat des fremden Kindes gehörigen Fasanenkönigs mit dem in eine große scheußliche Fliege verwandelten Magister Tinte ist spannungsvoll und gelungen. Textentsprechend hat Magister Tinte, was recht abscheulich war … dabei doch noch ein menschliches Gesicht, und sogar auch einige Kleidungsstücke behalten.[67] Durch die Glubschaugen, die großen Flügel und hinteren Fliegenbeine, die eine lange Tintenspur nach sich ziehen, wird der unförmige Kugelkörper zwar sofort als Fliege erkennbar, aber die höfisch elegant bekleideten Arme und vorderen Beine mit Stöckelschuhen sind die eines Menschen. Die krallenförmigen Hände sind auch noch menschlich. Sie scheinen das entwichene fremde Kind fangen zu wollen.
Der Fasanenfürst ist, wie im Text beschrieben, ein in schöner, gleißendem Goldgefieder prangender Vogel … der, die mächtigen Flügel schütteln und laut singend, sich auf den Wald herabsenkte. Dass dieser bei Carl Hoffmann in Braun und Ocker gemalte, kraftvolle Vogel mit den mächtigen, ausgebreiteten Flügeln und der Krone auf dem Kopf überlegen ist und Magister Tinte als Abgesandten des Bösen, des Gnomen Pepser, besiegen und zur Erde zurückdrängen wird, wird vor allem in der Gestik und Mimik beider Tiere deutlich, aber auch durch die hier wohl symbolisch gemeinte Farbwahl. Magister Tintes Bereich ist der untere, in Braun und Umbra gemalt. Der obere Bereich, in hellem Himmelsblau mit ausgespartem Weiß gestaltet, ist der des Fasanenfürsten, dessen lange Schwanzfedern mit Blumen besetzt sind, die möglicherweise seine Zugehörigkeit zur paradiesischen Heimat des fremden Kindes anzeigen sollen.
Wenn E.T.A. Hoffmann den Jungen Felix siegesgewiss schreien lässt: Ha … das ist der Fasanenfürst, der beißt den Herrn Magister Tinte tot – ha, ha, das fremde Kind ist geborgen, und wir sind es auch![68],dann soll deutlich werden, dass das Böse wenigstens aus dem Reich der Phantasie oder nach Schnapp dem der Liebe[69] vertrieben werden kann. Diesen im Märchen möglichen Sieg über das Böse hat, so scheint es, auch Carl Hoffmann darstellen wollen. Insofern ist dieses Aquarell nicht nur Schmuck, sondern auch Deutung.
Spriano
Wundersam-bizarre Darstellung
Die Turiner Künstlerin und Bühnenbildnerin Carla Guidetti Serra Spriano (1921-2017), Studentin von Felice Casorati (1883-1963) an der Turiner Kunstakademie und Ehefrau des bekannten italienischen Historikers Paolo Spriano (1925-1988), schuf 1989 meisterhafte Aquarelle (Aquarelle und Mischcollagen), die wie die frühen Arbeiten Casoratis nicht nur an die symbolistischen Arbeiten des Wiener Secessionismus erinnern, sondern auch an den subtilen manieristischen Malstil der italienischen Spätrenaissance (Tizian) anknüpfen. Ihre romantisch-melancholischen und geheimnisvollen Illustrationen scheinen eher Traumwelten als der Realität anzugehören. Die Kinder Felix und Christlieb fliegen bzw. taumeln schwerelos in den Wolken im freien Fall, wie es nur im Traum möglich ist (Abb. 18), und das entspricht durchaus dem Text: Die Kinder schwebten im leichten Fluge durch Wald und Flur und die bunten Vögel flatterten laut singend und jubilierend um sie her. Mit einem mal ging es hoch – hoch in die Lüfte …kreischte der Geier, sich in banger Scheu vor den Kindern durch die Lüfte schwingend – Felix jauchzte laut, aber der Christlieb wurde bange. „Mir vergeht der Atem – ach, ich falle wohl!“ so rief sie…[70]
Doch das für die Kinder eigentlich lustvolle Erlebnis mit dem fremden Kind, das beide zum Fliegen an den Händen gefasst begleitet, wird bei Carla Guidetti Serra eher zum Angsttraum zweier ausgelieferter Kinder und die über ihren Köpfen am oberen Rand sich öffnende Heimat des fremden Kindes gleicht trotz der vielen Blumen einer bedrohlichen Alptraumlandschaft. Die Angst Christliebs vor dem Fallen und dass ihr der Atem vergeht wird eindringlich deutlich, nicht aber die prinzipielle Geborgenheit, die die Anwesenheit des fremden Kindes vermittelt – die Geborgenheit des kindlichen Gemüts durch die Phantasie.
Noch düsterer ist Guidetti-Serras im Detail sehr wortgerechte Illustration (Abb. 19) zu Magister Tintes bösem Treiben im Wald und seiner Verwandlung in eine große scheußliche Fliege, die brummte und summte und knarrte und schnarrte … auf entsetzliche grausige Weise … recht abscheulich war es, daß er dabei doch noch ein menschliches Gesicht, und sogar auch einige Kleidungsstücke behalten. Er schwebte langsam und schwerfällig auf, offenbar um das fremde Kind zu verfolgen[71]. Hier walten das Böse und das Zerstörerische: Die Atmosphäre ist nächtlich, die mit Sepiatusche gemalten Bäume des Waldes sind kahl, entlaubt und verkrüppelt, von verlassenen Krähennestern okkupiert. Nur der aufflatternde Zeisig rechts und die Blumen in den Ästen erinnern noch an die vormals intakte Natur. Das fremde Kind (oben am Bildrand) enteilt der Sphäre des Bösen – Der Gnome Pepser hat sich eurer bemächtigt, o ihr armen Kinder, lebt wohl – lebt wohl!“ .[72] Das Grausige und Unheimliche des Vorgangs wird eindringlich, aber subtil, nicht im Sinne bloßer Schauerromantik, deutlich.
Carsten Gille
Carsten Gille (*1959)[73] illustrierte E.T.A. Hoffmanns Märchen 2001 für den Berliner Rohrwall Verlag mit lockeren Pinsel-Feder-Tuschzeichnungen. Wie bei Kubin (Abb. 6) ist seine lockere Feder-Tuschzeichnung zum Kapitel Der vornehme Besuch (Abb. 20) auf die Familie des Grafen Cyprianus von Brakel bei der Ankunft mit der Pferdekutsche konzentriert. Ihr Erscheinungsbild ist entsprechend komisch, nicht nur durch die Größenverhältnisse: Der Graf ist groß und hager, seine Ehefrau klein und kugelrund und die Kinder gleichen unnatürlichen Marionetten. Gille deutet wie Kubin nur an, ist im Detail, etwa bei der relativ präzis von Hoffmann beschriebenen Kinderkleidung, ähnlich großzügig. Aber es gelingt auch ihm, die Gruppe textgerecht als unpassenden Fremdkörper, als unfrei und unnatürlich erscheinen zu lassen, letztlich so, wie sie von den Naturkindern Felix und Christlieb, deren Perspektive der Betrachter teilt, wahrgenommen wird.
Seine Zeichnung zu dem Kapitel: Was sich weiter im Walde begab, nachdem der Magister Tinte fortgejagt worden, erfasst mit sparsamem, expressivem Pinselstrich das Unheimliche des Vorgangs (Abb. 21): Die Kinder Felix und Christlieb haben sich auf der Suche nach dem fremden Kind tiefer ins Gebüsch gewagt und sich dem Ententeich genähert. Dort erleben sie, wie das weggeworfene Spielzeug in der Dunkelheit unheimliches Leben entwickelt und mit hässlich knarrenden Stimmen spricht. Felix wird unheimlich zumute, wie er den Jäger und den Harfenmann erblickte, die sich aus dem Gestrüpp, wo er sie hineingeworfen, erhoben, ihn mit toten Augen anstarrten und mit den kleinen Händchen herumfochten und hantierten. Dazu griff der Harfenmann in die Saiten, dass es widrig zwitscherte und klirrte.[74]
Aus dem Schilf am Ufer des großen Teiches, zu dem die Kinder bei strömendem Regen, krachenden Donnerschlägen und dumpf brausendem, durch die Tannen fahrendem Sturm flüchten, erhebt sich die große, von Felix weggeworfene Puppe aus der Stadt und quakt mit hässlicher Stimme, spritzt den Kindern, die schon vom Regen ganz durchnässt waren, ganze Ströme Wasser ins Gesicht. Felix konnte diesen entsetzlichen Spuk nicht vertragen, die arme Christlieb war halb tot…[75]
Der Spuk wird zwar nach einem tiefen Schlaf der Kinder vorbei sein und sie werden wundersam mit trockenen Kleidern auf einem weichen Moossitz erwachen sowie wohlbehalten nach Hause gelangen, aber das alptraumartige nächtliche Geschehen im Wald könnte als Spiegel der Psyche der völlig verstörten Kinder gedeutet werden, die mit solchen Schreckensvisionen auf das Erlebte reagieren.
Carsten Gille konzentrierte sich ausschließlich auf das unheimliche Leben des weggeworfenen Spielzeugs. Borutscheff lieferte eine gänzlich andere, sehr eigenwillige Version derselben Szene (Abb. 11), die sich weiter vom Wortlaut entfernt als die Gilles. Der Betrachter muss sich mit dieser bildkünstlerischen Interpretation, die den Dialog sucht, auseinandersetzen. Gille macht es dem Betrachter leichter. Illustration kann vielfältige Wege gehen und ist an die Bereitschaft des Betrachters gekoppelt, sich auf die zusätzliche Deutung des Illustrators einzulassen.
Valery Petrovich Slauk
Das Bild im Vordergrund
Valery Petrovich Slauk, 1947 in Kochanovo (Weißrussland) geboren, Buchillustrator und Professor für Graphik an der Staatlichen Akademie der Künste von Belarus, vielfacher Preisträger[76] und Teilnehmer an zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen, illustrierte 2002 für den Minsker Verlag Kavaler Publishers Hoffmanns Fremdes Kind mit sechzig Aquarellen (darunter 30 ganzseitigen). Schon die Fülle der farbigen Bilder macht deutlich, dass es galt, ein Kinder- und Bilderbuch zu gestalten. So dominieren die farbigen Bilder den dichterischen Text, der fast zur Nebensache wird, erzählen ihn auf ihre Weise nach, im Detail sogar relativ nah an seiner Bildlichkeit.
Die russische Illustration ist diesbezüglich wenig zimperlich. Überbordend reiche farbige Bebilderung, teils bis zur Geschmacksgrenze ‚bunt‘, technisch und künstlerisch meist raffiniert, findet sich nicht selten in der russischen Illustration zu Hoffmanns Werk, vor allem zu dem Märchen Nussknacker und Mausekönig[77] und zu Klein Zaches genannt Zinnober. Dass hier eine andere Bildtradition wirkt und der Hunger nach bebilderter Literatur in Russland offenbar groß ist, nimmt der Betrachter schnell wahr. Er muss sich vorurteilsfrei ‚verführen‘ lassen, und wenn das gelingt, ist er erstaunt über den Phantasiereichtum. Es scheint, als tobe sich hier ein besonderer Gestaltungs- und Freiheitswille aus, der in der Kunst den Ausgleich zu alltäglichem Freiheitsmangel sucht.[78]
Der Vergleich zwischen den Illustrationen von Kubin, Borutscheff und Gille zum zweiten Kapitel: Der vornehme Besuch verdeutlicht, wie eng bis in die Farbgebung Slauk die Textbilder übernimmt und Komisches mit viel Fabulierlust noch überbietet (Abb. 22). Aufgedonnert und unnatürlich wirken die Kinder und die kleine dickliche Frau des Grafen von Brakel, dessen hagere Gestalt mit dem auffälligen Orden auf der linken Brust alle überragt. Auch bei der Illustration zur Ankunft Magister Tintes bei den Brakels (Abb. 23) fabuliert Slauk über den Text hinaus: Magister Tinte, textentsprechend unförmig und eine zynische Missgeburt, umklammert mit scheußlichen Händekrallen nicht nur die Hände der Kinder, sondern tritt Felix auch noch mit seinen riesigen Hackenschuhen an den spinnendürren Beinchen kräftig auf den Fuß. Die Kinder sind seine Opfer, er will sie sich gefügig machen, so die Botschaft von Slauks Aquarell. Der gutmütige, beleibte Vater beobachtet das zwar, lässt aber Magister Tinte gewähren. Slauk verzichtete auf ein landschaftliches Ambiente. Ihm ging es nur um die Darstellung der für diese Szene wichtigen Menschen. Selbst die Mutter fehlt.
Nika Georgivna Goltz
Vereinigung der Ansprüche
Nika Georgivna Goltz (1925-2012)[79] zählt international zu den talentiertesten und produktivsten russischen Kinderbuch-Illustratoren und wurde vielfach ausgezeichnet, erhielt 2006 die Silbermedaille der Russischen Akademie der Künste und den höchsten russischen Titel (Honored Artist of Russia) für künstlerische Leistungen. Sie illustrierte über fünf Jahrzehnte mehr als hundert Kinderbücher, vor allem europäische Märchen, und ihre Bücher erschienen im In- und Ausland. Museen im In- und Ausland (in Dänemark, Schweden, Deutschland, Italien, der USA) haben ihre Original- Illustrationen erworben. Ihren Nachlass verwaltet der russische Künstler Maksim Mitrofanov (*1975), der 2011 ebenfalls E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und Mausekönig illustrierte.
Die Künstlerin hat sich seit 1958 bis zu ihrem Tod 2012 intensiv mit E.T.A. Hoffmanns Werk auseinandergesetzt, viele seiner Erzählungen illustriert, nicht nur seine Märchen, und manches auch ohne Verlagsauftrag, wie z.B. Arbeiten in Gouache zu Prinzessin Brambilla (2003-2005). Mit Nussknacker und Mausekönig hat sie sich, wie für russische Illustratoren typisch, fünfmal beschäftigt. Kein Kindermärchen, nicht einmal ein russisches, ist in Russland so häufig illustriert worden. Es scheint in der künstlerischen Ausbildung Standard zu sein, sich mit diesem Werk auseinanderzusetzen. Nika Goltz, unnachahmlich erfindungsreich, empathisch und herausragend in der Hoffmann-Illustration (eine eigene Liga), diente dabei nicht selten als Anregung und Vorbild.
2009 illustrierte sie für den Verlag Moskowskije Utschebniki Das fremde Kind, 2010 erschienen. Ihre pastellfarbenen Illustrationen in Gouache zum Fremden Kind zeigen, wie für sie bezeichnend, dass sie sich zwar Kindern verpflichtet fühlte und ihre Verantwortung als Kinderbuch-Illustratorin ernst nahm, aber unbeirrt ihren eigenen Weg ging und den erwachsenen Leser/Betrachter ebenso ansprechen wollte. Ihre Märchenwelten sind immer auch Auseinandersetzung mit der Realität und das Phantastische ist in dieser verankert.
Goltz’ Illustrationen
Die Mitglieder der Familie des Landedelmannes Thaddäus von Brakel (Abb. 24) sind in allem, in Gestik, Mimik, Kleidung und Lebensraum, wozu neben dem Wohnhaus auch der Hund Sultan gehört, reale Menschen. Irreal wirkt nur der in eine überdimensionale Fliege verwandelte Magister Tinte mit dem dicken Kugelkörper, dem unförmig quadratischen Gesicht mit überlangem Nasenrüssel, den Glubschaugen, der riesigen schwarzen Perücke, den durchsichtigen großen Fliegenflügeln und teils noch menschlichen kleinen Armen und Beinen. Goltz hat das dichterische Bild übertragen und zugleich gedeutet. Die Szene spielt sich vor dem Haus ab, nicht im Haus. Magister Tinte kann zwar vertrieben, aber mit der dünnen, zerbrechlichen Fliegenpatsche des Vaters nicht erledigt werden. Die Kinder mit ihren Tüchern sind ebenfalls machtlos. Die Mutter, wie Christlieb auch bei Hoffmann die schwächere Persönlichkeit, schaut hilflos nach oben. Magister Tinte flieht zwar, aber das Böse ist nicht ausgemerzt. Ihm wird die Flucht gelingen, er beherrscht die Lüfte und wird sein Unwesen weiter treiben.
Nika Goltz ist eine feinfühlige und gründliche Leserin. Sie drängt sich mit ihrer Illustration nicht vor den dichterischen Text und interpretiert dennoch sensibel und eigenständig, wird ihm so gerecht.
Jón Thor Gíslason
Interpretation des fremden Kindes
Aus eigenem Antrieb und auftragsunabhängig schuf der Isländer Jón Thor Gíslason (*1957 in Hafnarfjörður) 2009 ein großformatiges Leinwandgemälde von 200 x 150 cm, das sich in seinem Privatbesitz befindet (Abb. 25). Die Technik, Acryl, Asphalt und Schlagmetall auf Leinwand, ist symbolisch eingesetzt. Es geht nicht um die Illustration einer bestimmten Textstelle oder Situation, sondern um eine ganzheitliche Deutung aus der Perspektive des Künstlers. Er sieht in diesem Kunst- und Kindermärchen eine besondere Botschaft, die E.T.A. Hoffmann auch heute noch aktuell erscheinen lässt. Für ihn ist das fremde Kind ein Synonym für die verletzte Natur, die sich, so Brigitte Splettstößer, in einem leidvollen Zustand befinde. Die abstrahierten, gereihten Schmetterlinge im flächig gehaltenen Hintergrund deuteten an, dass der Zustand der Natur nicht hoffnungslos sei.[80]
Für Jón Thor Gíslason ist das fremde Kind, das er allein, ohne situativen Kontext, darstellt, eine Allegorie der Poesie und der Natur. Es ist ein verletztes, blutendes Wesen, das leidet, wie die Natur heute leide, so der Künstler in einer Mail, weil sie sich in einem schlechten Zustand befinde. Die induktiven Wissenschaften, in diesem Märchen verkörpert durch den Grafen Cyprianus von Brakel, und die Technik, verkörpert in dem mechanischen Spielzeug aus der Stadt, hätten überhandgenommen. Der Asphalt versinnbildliche, dass die Natur mit Tinte, wohl ein Bild für Wissenschaft und Schreibtischtäter, getötet werde. Das Schlagmetall, das schimmernde Gold und die Schmetterlinge im Hintergrund symbolisierten die Hoffnung auf eine Heilung der Natur, verkörpert im fremden Kind. Gíslason hofft, dass der Betrachter durch ganzheitliche Anschauung diese Botschaft seines Gemäldes verifiziere.[81]
Es ist müßig, darüber nachzudenken, ob Gíslasons Textdeutung, die Gleichsetzung des fremden Kindes mit der Natur, in dieser Form zutrifft und Hoffmann dergestalt aktualisiert und zu einem Propheten des die Natur zerstörenden Klimawandels gemacht werden kann. Seine Interpretation und die Botschaft seines Gemäldes stimmen jedoch überein. Und so ist dieses ein authentisches Beispiel für die E.T.A. Hoffmann-Rezeption eines Künstlers. Ferner lässt es sich kaum leugnen, dass hier mit einem hohen Maß an Sensibilität Teilaspekte dieses Kunst- und Kindermärchens (Hoffmanns kulturkritischen Ansatz) erkannt und für die künstlerische Arbeit fruchtbar gemacht worden sind.
Hans Günter Ludwig
Der Bamberger Künstler Hans Günter Ludwig (*1963) hat seine sechzehn Scherenschnitte zum Fremden Kind von 2015/16 gründlich durch 62 Entwürfe, Skizzen, Zeichnungen und Scherenschnitte vorbereitet und sich intensiv mit der dichterischen Vorlage auseinandergesetzt. Es ist für ihn bezeichnend, dass er wie Gislason als selbstständiger Interpret wahrgenommen werden will und sogar meist, wie z.B. bei seinen Illustrationen zu Meister Floh von 2012/13, ausgearbeitete Hinweise zu seiner jeweiligen Illustration und ihren Textbezug gibt und damit ‚festlegt‘, wie sie vom Betrachter ‚gelesen‘ werden sollte. Auch der bewusste Einsatz der Technik – Scherenschnittpapier, ungummiert, tiefschwarz, matt, 80 g/qm, Zeichenpapier 300 g/qm; Aquarellfarbe, Pastellkreide, Pastellfarben, Deckweiß, Passepartoutkarton, transparente Folie – variiert von Blatt zu Blatt und ist mehr als bloßes Hilfsmittel. Im Gegensatz zu Gislason, dessen Gemälde die Substanz des Märchens versinnbildlichen soll, geht Ludwig szenisch und chronologisch vor. Jeder Illustration, die sich auf eine bedeutsame Szene des Märchens bezieht, ist eine Legende, die meist den einzelnen Kapiteln entspricht, zugeordnet und so ist der Bezug der Scherenschnitte zur dichterischen Vorlage relativ eng und nachvollziehbar. Dennoch ist der Zugriff, wie für Ludwig typisch, eigenwillig und deutungsbedürftig, zumal Ludwig hinzu fabuliert, Hoffmanns Bilder zu überbieten sucht. Er ist ein Meister des filigranen Scherenschnittes, ein Karikaturist und zugleich ein Verfremdungskünstler.
Ludwigs Illustrationen
Fast alle Künstler wählten die Szene zum Vornehmen Besuch wohl wegen ihrer immanenten Bildlichkeit und Komik zur Illustration aus. Ludwigs raffinierte Illustration von 2015 zum (Abb. 26) ist dennoch gänzlich anders: Sie verknüpft den Scherenschnitt, das Aquarell und die Collage zu vier Ebenen.
Die vordere flächige Ebene ist mit Scherenschnitt gestaltet. Sie ist eine textgemäße szenische Illustration und zugleich eigenwillige Interpretation: Wie auf einer dekorierten Bühne oder einem Laufsteg stehen sich aufgereiht nach Größe und Bedeutung die beiden Familien gegenüber: links die des verarmten Landadeligen Thaddäus von Brakel, angeführt von Thaddäus, dahinter seine Frau und mit leichtem Abstand zuerst Felix und dann Christlieb und der Hund, von dem nur die Schnauze zu sehen ist. Eine normale, liebenswürdige, in der Haltung leicht unterwürfige Familie, die männlichen Mitglieder etwas forscher, die weiblichen Mitglieder eher untergeordnet. Auch das entspricht der dichterischen Vorlage. Rechts schreitet eine höchst komische Familie voran, angeführt vom spindeldürren, gestikulierenden Grafen Cyprianus, gefolgt von seiner kleinen kugelrunden Frau mit riesigem Federhut und tänzelndem großen Schritt. Sie schleift an ihren Rockzipfeln ihre zwei in der Luft wirbelnden Kinder mit sich, als wären sie Puppen oder Marionetten. Diese Familie ist durch und durch lächerlich, eine Karikatur.
Die zweite Ebene ist die der Collage mit Verfremdungen der Größenverhältnisse. Überdimensional groß gegenüber den eher kleinen Figuren des Vordergrunds türmen sich große Blumen an langen Stengeln hinter den Figuren, darunter zwei lilienblütige Tulpen, eine Narcisse, ein Maiglöckchen oder Ähnliches u. ä., möglicherweise Sinnbilder der Natur in Brakelheim, aber an sich eher Schnittblumen von kurzer Dauer, die bald verblühen werden. Insofern symbolisieren sie Vergängliches, z.B. dass die Naturidylle der Familie des Landedelmannes Thaddäus vergänglich sein könnte.
Die dritte Ebene, wohl eine geklebte Blumentapete mit türkisblauem Palmettenmotiv, dient als flächige Kulisse. Die vierte Ebene bildet dahinter eine Art Himmel mit bedrohlichen, rauchartig aufsteigenden Wolken, in lockerem Aquarellstil und in den Farben der Tapete, nur deutlich düsterer, gemalt. Es scheint, als sollte so das Bedrohliche, das mit dem vornehmen Besuch aus der Stadt in die ländliche Idylle der Brakels einbricht, symbolisiert werden.
Auch die Illustration von 2016 zu dem Kapitel Wie der Hofmeister angekommen war und die Kinder sich vor ihm fürchteten (Abb. 27), zeigt die Meisterschaft Ludwigs im Scherenschnitt. Eine derartige Dynamik ist für den Scherenschnitt schon erstaunlich und durch die Kombination mit dem aquarellierten Hintergrund zum häuslichen Ambiente der Brakels, die Räumlichkeit suggeriert, wird diese Dynamik noch unterstrichen. Brillant, wie mit Magister Tinte die Tinte raumgreifend ins Interieur fließt, wie das Ungeheuer die armen Kinder am Kragen (Felix) oder am Haar (Christlieb) besitzergreifend erfasst hat und wie hilflose Puppen durch die Luft schleudert, der aufgebrachte Hund der Familie, Sultan, zur Hilfe zu eilen versucht, im Raum‚ die Fetzen fliegen‘ und Chaos herrscht. Chancenlos die Kinder: Felix versucht sich zu wehren, Christlieb lässt sich paralysiert hochschleudern. Der ersehnte Ausbruch in die freie Natur, angedeutet am linken Rand, will nicht gelingen.
Die dichterische Vorlage zu dieser dramatischen Szene, die bühnenhaft durch den dicken schwarzen Rand wirkt, ist folgende: Felix will mit Christlieb in den Wald fliehen, …aber der Magister Tinte sprang mit ungemeiner Behendigkeit hinter her und erfasste die Kinder dicht vor der Haustüre. Felix wehrte sich tapfer, und der Magister Tinte war im Begriff zu unterliegen, da dem Felix der treue Sultan zu Hilfe geeilt war…[82]
Katina Peeva
In Sofia, den Verlagen Cultural Perspectives Foundation und Enthusiast erschien 2019 die erste bulgarische Übersetzung von E.T.A. Hoffmanns Das fremde Kind mit farbigen Digitalillustrationen von Katina Vasileva Peeva (*1980), übersetzt von Prof. Boris Dimitrov Parashkevov, einem Germanisten und Linguisten. Das faszinierend gestaltete Buch (Design: Svoboda Tzekova), ein veritables Highlight der jüngsten Hoffmann-Illustration, ist Teil der Reihe Musik im Buch und enthält einen Zugangscode über die Webseite des Verlages zum Hörbuch, das neben der Lesung von Samuel Finzi auch eine Komposition von Ivan Shopov zu Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach (1881 uraufgeführt, hier Ausschnitt aus der Barcarolle, 3.Akt) sowie Musik von Georgi Strezov und Simeon Eduard nach Motiven von E.T.A. Hoffmanns Harfen-Quintett c-moll enthält. Die Sängerin, die auch als Mitherausgeberin fungiert, ist Ina Kancheva.[83]
Das künstlerisch anspruchsvolle Bilder- und Hörbuch mit dem Format 25,5 x 22,1 cm, das in einer Auflage von 2000 Exemplaren gedruckt wurde, ist sowohl für Kinder als auch für Erwachsene gedacht, da es als bibliophiles ‚Kunstwerk‘ angesehen werden kann und die Illustrationen als selbstständige Interpretation den Dialog mit dem dichterischen Text suchen. Das Buch enthält siebzehn ganz-und zwei doppelseitige digitale Illustrationen 2D von 2019 in den Maßen 24,8 x 21 cm u. 24,8 x 42 cm.[84] Dazu fünfzehn dekorative Majuskeln am Anfang jedes Kapitels, 4 Vignetten an manchem Kapitelende (Tondos), 3 kleine Randzeichnungen (Fliege, Brezel, Vogel). Ein Frontispiz mit dem idealisierten, verjüngten Porträt von E.T.A. Hoffmann in längsovaler Rahmung nach dessen von Ludwig Buchhorn in Kupfer gestochenem Selbstbildnis befindet sich vorn auf der achten Seite vor dem Vorwort zum Dichter. Ferner ist der vordere und hintere Bucheinband mit Ausschnitten von der ganzseitigen Illustration zum 3. Kapitel (Abb.28) geschmückt. Diese Illustration ist durch ihre besondere Symbolik und Nähe zu Hieronymus Bosch, seinem Weltgerichtstriptychon von 1504-08, sowie Pieter Brueghel dem Älteren (1525/1530-1569) und dessen Höllenbildern[85] wie der Höllensturz von 1563 und der Dullen Griet von 1562 die bedeutungsreichste von Katina Peevas Illustrationen (Abb.28) und wurde deshalb wohl zum Coverbild gewählt.
Katina Peeva[86] ist mit dieser Buchillustration von 2019 ein künstlerischer Wurf von beeindruckender Qualität gelungen. Ihre Illustrationen werden der Vielschichtigkeit der dichterischen Vorlage in besonderer Weise gerecht, sie spiegeln, vor allem durch die Hoffmann entsprechende raffinierte Technik des Zitierens anderer Werke, den konsequenten Einsatz der Möglichkeiten der digitalen Kunst, die durchgehende antinomische Grundstruktur (Segebrecht) der Erzählung wider, machen auf Hoffmanns spezifische Ironie aufmerksam, auf die Duplizität oder Vielfalt der möglichen Wahrnehmungsebenen. Denn in diesem Kindermärchen für Groß und Klein gibt es trotz scheinbar klischeehafter Vereinfachung, z.B. der Idyllisierung des Landlebens, des Schwarz-Weiß-Kontrastes zwischen Land- und Stadtleben, zwischen erfüllter Naturkindheit und seelenloser Bildungsdressur, trotz aller Phantastik und Märchenhaftigkeit wie der Verwandlung des Magister Tinte in eine scheußliche Fliege, der Erscheinung des fremden Kindes, der Stimmen der Natur und des weggeworfenen Spielzeugs etc. das Teufelchen auf der Schulter Hoffmanns und damit die für ihn bezeichnende ironische Brechung und dieser entspricht Peeva in ganz besonderer Weise.
Das 1.Kapitel des Märchens, das wie ein Volksmärchen mit Es war einmal ein Edelmann… beginnt, zeichnet eine Idylle mit vielen Diminutiven und Euphemismen, dass dieser Edelmann … Herr Thaddäus von Brakel hieß und in dem kleinen Dörfchen Brakelheim wohnte … in einem niedrigen Häuschen mit wenigen kleinen Fenstern, umgeben von einem Wäldchen … mit schönen schlanken Birken mit ihren belaubten Ästen, wie mit zum Gruß ausgestreckten Armen uns freundlich zugewinkt, hatten sie im frohen Rauschen und Säuseln uns zugewispert: Willkommen, willkommen unter uns! So war es nun vollends bei dem Hause, als riefen holde Stimmen aus den spiegelhellen Fenstern … süßtönend heraus: Komm doch nur herein, du lieber müder Wanderer, hier ist es gar hübsch und gastlich! Das bestätigten die Nest hinein Nest hinaus lustig zwitschernden Schwalben und der alte stattliche Storch schaute ernst und klug vom Rauchfange herab …[87] Einen solchen idyllischen Schutzraum, der ‚himmlische‘ Geborgenheit spiegelt, malte Katina Peeva mit ihrer Illustration zum 1. Kapitel: Der Herr von Brakel auf Brakelheim (Abb. 29).
Sie ‚zitierte‘, verfremdete und kombinierte dabei Werke berühmter Künstler, vor allem die des belgischen Surrealisten René Magritte (1898-1967), seine Verfremdungs- und Kombinationsbilder mit geheimnisvollem Durchblick, wie z.B. Le double Secret von 1927, The Great Familiy von 1963, A friend of order von 1964, L’Heureux Donateur von 1966 sowie Decalcomanie von 1966, und zugleich die Dschungelbilder Henri Rousseaus (1844-1910), Meisterwerke der Naiven Malerei. Auch der Einfluss kroatischer sowie serbischer Vertreter der Naiven Malerei wie Ivan Stefanek (*1942), Milan Generalić (1950-2015) und Ivan Generalić (1914-1992) ist deutlich zu erkennen. Ähnlich Magritte malte Peeva einen kopflosen männlichen Oberkörper mit dunkelbraunem Sakko, dessen Brust den Blick auf eine Landschaft mit Haus freigibt. Sowohl im Brustbild als auch hinter der männlichen Gestalt breitet sich der Himmel mit Schäfchenwolken aus. Das Fachwerkhaus ist das Häuschen des Thaddäus von Brakel und das Dörfchen Brakelheim ist eine verträumte Paradieslandschaft, gemalt in dunklen Farben der Braun-Grün-Skala im narrativen, reihenden Stil der naiven Malerei. Selbst der Storch, der ernst und klug vom Rauchfange herabschaut, fehlt nicht. Die umgebende männliche Gestalt, in deren Oberkörper diese ländliche Idylle eingeschrieben ist, könnte der Edelmann Thaddäus sein als Garant für diese geschützte, intakte Welt (Gegenentwurf zur Realität wie für die naive Malerei typisch) oder ein Symbol der Geborgenheit, in der Familie von Brakel lebt und ihre Kinder aufwachsen. Die fremdartigen Kakteen und Pflanzen und die Tiere im Vordergrund, die an Rousseaus Dschungelbilder erinnern, unterstreichen das Verträumte dieser Welt mit ihrer paradiesischen Harmonie, die nicht von dieser Welt ist und bald verloren gehen wird. Auch das werden Peevas Illustrationen eindringlich widerspiegeln.
Komisch und unheimlich zugleich wirkt der vornehme Besuch der Familie des Grafen Cyprianus von Brakel bei Peeva (Abb. 30). Ihre Illustration folgt zwar Hoffmanns Beschreibung bis ins Detail, verändert jedoch Wesentliches. Graf Cyprianus, dessen weiter Pelerinenmantel Frau und Kinder dominant umschließt, ist textentsprechend ein großer hagerer Mann mit einem großen silbernen Stern …auf der Brust, seine Frau eine kleine dicke Dame, Sohn Herrmann trägt lange Pumphosen und ein Jäckchen von scharlachrotem Tuch … einen kleinen Säbel an der Seite, auf dem Kopf …eine seltsame rote Mütze mit einer weißen Feder und Tochter Adelgundchen …ein weißes Kleidchen…mit erschrecklich viel Bändern und Spitzen …ihre Haare [waren] ganz seltsam in Zöpfe geflochten und spitz in die Höhe heraufgewunden, oben funkelte aber ein blankes Krönchen, die Kutsche im Hintergrund ist blank und mit goldenen Zierraten reich geschmückt [88], aber Peeva verdunkelte die eigentlich bei heller und freundlicher Sonne sich abspielende Szene zu einem nahezu nächtlichen Geschehen: Fledermäuse hängen von Bäumen herab, der Himmel ist ein Abendhimmel mit bedrohlichen Wolken und alle Familienmitglieder haben schläfrige, blöde Glubschaugen[89] und wirken in ihrer absurden Kostümierung steif und unfrei wie Automaten, wie Gefangene ihrer Geltungssucht und Repräsentanten einer sich überlegen fühlenden Gesellschaftsschicht, die rücksichtslos in die ländliche Idylle der anderen Brakels einbricht. Deren Welt wird durch Pflanzen an den Bildrändern, gemalt im Stil der naiven Malerei, symbolisiert. Der Auftritt der Grafenfamilie bedeute Unheil und Böses, so die Botschaft Peevas.
Dass dieses Untergangsszenarien im Stil von Hieronymus Bosch und Pieter Brueghel evozieren kann, zeigt die zentrale Illustration zum 3. Kapitel (Coverbild!): Wie es weiter bei dem vornehmen Besuche herging (Abb. 28). Ganz unten am Rand tauchen wie Untergehende in einer heillos chaotischen, ja höllischen Welt die Köpfe der bedauernswerten Grafenkinder Hermann und Adelgund auf, bedrängt von fremdartigen, teils exotischen Zwitterwesen in irrealen Größenverhältnissen, von Meerestieren, gefräßigen Raubtieren mit offenen Mäulern. Fressen und Gefressen-Werden als Gesetz solcher unheilvollen Welten. Bosch und Brueghel lieferten die Vorlagen. Konkret illustriert wird eigentlich das, was Herrmann und Adelgund auf Knopfdruck als sinnlos angelerntes Wissen reproduzieren:
Da war von vielen Städten, Flüssen und Bergen die Rede, die viele tausend Meilen ins Land hinein liegen sollten und die seltsamsten Namen trugen. Eben so wußten beide genau zu beschreiben, wie die Tiere aussähen die in wilden Gegenden der entferntesten Himmelsstriche wohnen sollten …Herrmann beschrieb ganz genau wie es vor dreihundert Jahren in einer großen Schlacht zugegangen und wußte alle Generale die dabei zugegen gewesen mit Namen zu nennen. Zuletzt sprach Adelgunde sogar von den Sternen und behauptete, am Himmel säßen allerlei seltsame Tiere und Figuren. Dem Felix wurde dabei ganz Angst und bange, er näherte sich der Frau von Brakel und fragte leise ins Ohr: Ach, Mama! liebe Mama! Was ist denn das Alles was die dort schwatzen und plappern? [90]
Felix reagiert auf das Schwatzen und Plappern der dressierten Grafenkinder mit gesundem Menschenverstand, während sich seine Eltern blenden lassen. Dass Herrmann und Adelgundchen mit so viel unverdautem Wissensballast in ihren Köpfen bedauernswerte Kreaturen sind und als Kinder darin untergehen, spürt nicht nur Felix, dem angst und bange wird. Das soll auch Peevas ‚Höllenbild‘ vermitteln, denn es nimmt Hoffmanns kulturkritischen Ansatz auf, seine unverkennbare Abrechnung mit der Aufklärungsepoche.
Wie fern von kindlicher Seele und Auffassungsbereitschaft, ja als feindlicher Übergriff zu werten aufoktroyiertes Wissen sein kann, demonstriert eindringlich Peevas Illustration (Abb. 29) zum Kapitel: Wie der Hofmeister angekommen war und die Kinder sich vor ihm fürchteten. Übermächtig und körperlich aufdringlich türmt sich Magister Tinte hinter den Kindern auf Abb. 31).[91]
Wie von Hoffmann beschrieben, ist er eine abscheuliche Missgestalt mit langem Rüssel als Nase, schrecklichen Glubschaugen, dicken Backen, halslosem viereckigen Kopf auf kugelrundem Körper und spinnenhaften Fingern. Die Kinder sind seine Opfer, er bewacht sie auf engem Raum vor Fenstern, die in die schöne Natur und damit in die Freiheit locken. Felix‘ sehnsuchtsvollem Blick ist anzusehen, dass er in den Wald fliehen will, während Christlieb sich scheinbar fügt: Ach! Nun war an kein in den Wald laufen mehr zu denken! – Statt dessen mußten die Kinder beinahe den ganzen Tag zwischen den vier Wänden sitzen und dem Magister Tinte Dinge nachplappern, die sie nicht verstanden. Es war ein wahres Herzeleid!- Mit welchen sehnsuchtsvollen Blicken schauten sie nach dem Walde …[92] Hosemann, Borutscheff, Zwerger, C. Hoffmann, Goltz, Ludwig – alle Illustratoren ließen es sich nicht nehmen, Magister Tinte als Bösewicht, scheußliche Missgestalt und Fliege textentsprechend darzustellen. Katina Peevas Magister Tinte ist jedoch nahezu monströs: ein deformiertes, riesiges Ungeheuer, das die Kinder bedrängt und bewacht, selbst den Blick durch das Fenster versperrt. Aber er bleibt ein Mensch, wird in keiner ihrer Illustrationen zur Fliege. Hat sie diese Verwandlung als Verharmlosung empfunden? Wollte sie, E.T.A. Hoffmanns Kindermärchen in diesem Sinne verstehend, auf falsche Erzieher als Gefahr und Bedrohung für Kinderseelen hinweisen?
Peevas Hang zu düsteren Szenarien, den ihre überwiegend in Braun (Umbra, Walnuss, Kupferbraun, Ocker) und Grün (gebrannte grüne Erde, Moos, Grasgrün, Braungrün, Flaschengrün, Olivgrün) gehaltenen Digitalillustrationen zeigen, wird besonders deutlich in Arbeiten, die phantastischen, surrealen oder unheimlichen Szenen der dichterischen Vorlage gelten und in denen sie überwiegend surrealistisch arbeitet wie bei der Illustration zum 8. Kapitel: Was der Herr von Brakel und die Frau von Brakel zu dem fremden Kinde sagten, und was sich weiter mit demselben begab (Abb. 32).
In dieser doppelseitigen, besonders interessanten Illustration verwandeln sich die Bäume, Wiesen, Waldtiere und Waldströme in menschliche Gesichter und die Natur wird anthropomorphisiert. Peeva verbildlicht mit dieser sowohl surrealistischen als auch naiven Illustration das Erlebnis der Kinder Felix und Christlieb, dass die Natur unter dem Einfluss des fremden Kindes lebendig wird und zu den Kindern ‚spricht‘.
Die Illustration zu dem Kapitel Was sich weiter im Walde begab, nachdem der Magister Tinte fortgejagt worden (Abb. 33), ein bevorzugtes Illustrationsobjekt auch anderer Künstler, ist ebenfalls surreal. Felix und Christlieb geraten nach der glücklichen Vertreibung des Magister Tinte aus dem Elternhaus mittels Fliegenklatsche auf der Suche nach dem fremden Kind im Wald in ein schreckliches Gewitter:
Bald türmte sich ein schwarzes Gewölk auf, der Sturm heute, der Donner begann in der Ferne zürnend zu murmeln, die hohen Tannen dröhnten und krachten … Es wurde finsterer und zürnend zu murmeln, die hohen Tannen dröhnten und krachten … Es wurde finsterer und finsterer, dicke Regentropfen fielen herab und Blitze fuhren zischend hin und her! – Die Kinder standen an einem dicken dichten Gestrüpp …[93]
Dieses beängstigende Naturschauspiel ist aber nur der Auftakt zu Schlimmeren. Hoffmann lässt hier Unheimliches und Phantastisches geschehen: Das Spielzeug aus der Stadt, das die Kinder Felix und Christlieb im Wald und in den Teich weggeworfen haben, entwickelt aus dem Gestrüpp heraus ein unheimliches Leben, starrt die Kinder mit toten Augen an und beschimpft sie krächzend mit menschlicher Stimme. Die Kinder laufen zwar weg, aber am Ufer des großen Teiches erhebt sich die von Felix hineingeworfene große Puppe aus dem Schilf und quäkt … mit häßlicher Stimme, bespritzt sogar die Kinder aus Rache mit ganzen Strömen Wasser, als wollte sie diese ertränken. Alle erweisen sich als gehorsame Zöglinge des Herrn Magister Tinte[94] und es bleibt dem Leser überlassen, ob er diesen unheimlichen Spuk – Felix konnte diesen entsetzlichen Spuk nicht vertragen, die arme Christlieb war halb tot…[95]– als reine Halluzination der geängstigten Kinder wertet oder als reale Präsens des Bösen und Unheimlichen in einer fragilen und bedrohten Welt.
Peevas Darstellung suggeriert letzteres. Sie erinnert, vor allem durch die Farbwahl und angesichts der verkrüppelten, abgestorbenen Bäume, an Caspar David Friedrichs (1774-1840) düsteres Landschaftsgemälde Abtei im Eichwald von 1809/10 und seine Winter- und Nachtgemälde, wahre Tragödien der Landschaft und nicht selten mit dem Todesthema verbunden. Statt der Abteiruine sind es bei Peeva die unheimlichen Gesichter des weggeworfenen Spielzeugs, die aus dem nächtlichen Wald und Gestrüpp des Teiches auftauchen: die des Harfen- und Jägersmannes mit der Flinte, der großen Puppe mit ihren Glotzaugen, dem sprechenden Mund und Rissen im Porzellangesicht, ferner unheimliche Tiere mit denselben starrenden Glasaugen: ein Krokodil, ein Waldkauz, ein Uhu und eine Katze. Selbst der Mond hat ein grimmiges Gesicht mit Glasaugen.
Peeva ‚erlöst‘ den Betrachter zwar mit einem im Stil der kroatischen Naiven (Ivan Stefanek z.B.) gemalten Schlussbild (Abb. 34), das Felix und Christlieb nach der wundersamen Tröstung durch das fremde Kind vor dem Waldstrom und dem süßduftenden Laub zeigt und entspricht damit auch dem eher versöhnlichen Märchenende, das Hoffmann wählte: Sie wurden von dem Verwandten freundlich aufgenommen, dann kam es wie das fremde Kind verheißen. Alles was Felix und Christlieb unternahmen, geriet so überaus wohl, daß sie samt ihrer Mutter froh und glücklich wurden…[96]
Inwieweit Hoffmann selbst solch eine ‚Reparatur‘ der ins seinen Augen nur mit Ironie zu ertragenden disharmonischen Welt für möglich hielt, sei dahingestellt. Er wollte aber ein Kindermärchen schreiben, das frömmer, kindlicher [97] ist als Nussknacker und Mausekönig und insofern ist der Schluss des Kindermärchens Das fremde Kind als versöhnlich zu verstehen. Peeva entspricht ihm hierin, aber die Mehrzahl ihrer digitalen Illustrationen vermittelt eine verstörende Weltsicht – und folgt Hoffmann weitgehend. Etliche ihrer Illustrationen sind tendenziell sogar ‚dunkler‘ als die dichterische Vorlage und fügen noch manches Beunruhigende hinzu, ohne jedoch den Charakter dieses ‚Kindermärchens‘ aus den Augen zu verlieren. Sie sind Resultat einer intensiven Auseinandersetzung mit E.T.A. Hoffmann und künstlerisch beeindruckende Deutungen.
Anmerkungen
[1] Zum 1814 als Seraphinenorden initiierten und 1818 gegründeten Bund der Serapions-Brüder gehörten Schriftsteller und Intellektuelle aus Hoffmanns Freundeskreis wie Friedrich de la Motte Fouqué (vermutlich Lothar), David Ferdinand Koreff (Vinzenz), Karl Wilhelm Salice-Contessa (Sylvester), Adalbert von Chamisso (vermutlich Cyprian), Julius Eduard Hitzig (Ottmar), Theodor Gottlieb von Hippel, Ludwig Robert und Ludwig Tieck. Friedrich de la Motte Fouqués Erzählung Undine (1811) inspirierte Hoffmann zu seiner gleichnamigen Oper, Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte zu der Erzählung Die Abenteuer der Silvester-Nacht, Tiecks Phantasus, eine Sammlung von Märchen, Erzählungen, Schauspielen und Novellen zu den Serapions-Brüdern und speziell das Märchen Die Elfen zu seinem zweiten Kindermärchen Das fremde Kind. Hoffmann selbst ist Theodor in der Rahmenerzählung der Serapions-Brüder. Die Serapions-Brüder kommen jedoch nicht nur in der Rahmenhandlung vor, sondern auch in den Erzählungen selbst. Das gehört zur (ironischen) Struktur des Gesamtwerks.
[2] Die Serapions-Brüder. 2.Bd. Hg. v. Wulf Segebrecht, Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch, Bd. 28, Frankfurt am Main, 2. Auflage 2015, S. 569.
[3] Ebd., S. 616.
[4] Ebd., S. 570f.
[5] Ebd., S. 576.
[6] Nach Segebrecht ist das fremde Kind … das Prinzip Phantasie (vgl. Kommentar, S. 1416) und für Bettina Schäfer ist es eine Chiffre für das Prinzip Fantasie, poetische Imagination, dem im Märchen das Prinzip der aufgeklärten Ratio, vertreten durch Magister Tinte als Erzieher, gegenübersteht (Bettina Schäfer: Das fremde Kind. In: E.T.A. Hoffmann. Leben – Werk – Wirkung. Das literarische Werk. Hg. v. Detlef Kremer, De Gruyter, Berlin 2012, S. 312. Den grotesken Magister Tinte als Verkörperung des Prinzips der aufgeklärten Ratio zu bezeichnen erscheint allerdings angesichts seines tierischen sowie sadistischen Verhaltens, seiner Verwandlung in eine gierige Fiege etc. als gewagt. Die Gegenüberstellung als solche (Phantasie – aufgeklärte Ratio) trifft natürlich zu. Das entspricht der durchgehenden antinomischen Struktur dieses Märchens (Segebrecht)
[7] Ebd., S. 604. Diese Szene hielt E.T.A. Hoffmann in seiner Vignette zum Fremden Kind fest (s. Dietmar J. Ponert: E.T.A. Hoffmann – Das bildkünstlerische Werk. Hg. v. d. Staatsbibliothek Bamberg, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2012, Kat. Nr. 195, Bd. 1, S. 305f. u. Bd. 2, S. 120).
[8] Ebd., S. 610.
[9] Ebd., S. 614f.
[10] Ebd., S. 11.
[11] Friedrich Schnapp: Die Heimat des fremden Kindes. Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft, 21. Heft 1975, S. 38-41. Tieck: Dir ist also nicht bewusst,/ Sprach Phantasus, in deiner Brust,/ Was Thier und Pflanzen, Stein‘ empfinden, /Ich muss dir ihren Namen künden? / Die Liebe ist sie! Und alsbald /Kannt‘ ich die göttliche Gestalt…(S. 41). Schnapp scheint übersehen zu haben, dass die Heimat des fremden Kindes bei Hoffmann durch den Gnomen Pepser gefährdet ist.
[12] Ludwig Tieck: Märchen aus dem „Phantasus“. Hg. v. Walter Münz. Reclam, Stuttgart 2003, S.19f.
[13] Segebrecht, Die Serapions-Brüder, S. 1454 (Kommentar).
[14] Die Serapions-Brüder, S. 615.
[15] Ebd., S. 610.
[16] Vgl. ebd., S. 616.
[17] Julius Eduard Hitzig, Hoffmanns erster Biograph. Zitiert nach Yvonne-Patricia Alefeld: E.T.A. Hoffmann, Tectum Verlag, Literatur kompakt, Marburg 2017, S. 19.
[18] Vgl. Alefeld, S. 20.
[19] Vgl. Bettina Schäfer, S. 311. Schäfer bezieht sich hier auf Hans-Heino Ewers (Kindheit als poetische Daseinsform. Studien zur Entstehung der romantischen Kindheitsutopie im 18. Jahrhundert, München 1989) u. Detlef Kremer (Idyll oder Trauma. Kindheit in der Romantik. In: Hoffmann-Jahrbuch 11/2003, S. 7-18).
[20] Bettina Schäfer, Das fremde Kind. In: Detlef Kremer (Hrsg.), E.T.A. Hoffmann. Leben – Werk – Wirkung, De Gruyter, Berlin/Boston 2012, 2.erweiterte Auflage, S. 315. Problematisch ist jedoch Schäfers These, dass es bei diesem von Hoffmann bewusst konzipierten Gegenentwurf nicht um die Entwicklung geschlechtlicher Identität gehe, sondern um das Entstehen sozialer Identität (S. 314). Schäfer übernimmt hier den psychoanalytischen Interpretationsansatz von Alexandra Heimes zu Nussknacker und Mausekönig (auch in Detlef Kremers Buch zu E.T.A. Hoffmann. Leben-Werk-Wirkung, De Gruyter, Berlin 2012, abgedruckt, S. 287 – 297), der ein Beispiel dafür ist, wie scheinbar griffige Thesen einem dichterischen Text übergestülpt werden und ihn damit verfremden. Dass das Bild von der ohnmächtig neben dem Glasschrank liegenden, infolge von Glasscherben blutenden siebenjährigen (!) Marie, der Protagonistin in Nussknacker und Mausekönig, ein groteskes Bild für ihre Entjungferung durch den blutend auf ihrem Arm liegenden Nussknacker sei, ist eine abenteuerliche Deutung. In ähnlichem Kontext werden auch Maries Schwindel- und Ohnmachtsanfälle gesehen. Sie markierten die Stationen ihrer geschlechtlichen Identitätsbildung (S. 295).
[21] Die Serapions-Brüder, S. 615.
[22] Ebd., Segebrecht, Kommentar, S. 1339f.
[23] Vgl. Ponert, Bd.1, S. 298.
[24] Die Originale waren grau lavierte Bleistiftzeichnungen auf chamoisfarbenem Papier, s. Ponert, Bd.1, S. 305. Die anderen beiden Anfangsvignetten zu Contessa und Fouqué waren ebenfalls illuminierte Kupferstiche.
[25] Veröffentlicht bei Ponert, Bd.2, S. 120, Abb. 144 u. 145.
[26] Zit. n. Segebrecht, Kommentar, Die Serapions-Brüder, S. 1410.
[27] Hoffmann, Brief vom 10. November 1817 an Fouqué. Hoffmanns Briefwechsel. Gesammelt und erläutert von Hans von Müller u. Friedrich Schnapp, Bd. 2, München 1967-1969, S. 122. Vielleicht der Grund dafür, dass für die 2008 erschienene Gesamtausgab von Hoffmanns Schriften im Klassiker-Verlag diese Vignette in Schwarz-Weiß reproduziert wurde.
[28] Das fremde Kind, in: Die Serapions-Brüder, S.604.
[29] Ebd., S. 604.
[30] Für Ponert gehören die Blätter zum Laub des Waldes (S. 307, 1. Bd.). Nach Ansicht der Verfasserin sind sie Teil des Rosenstraußes.
[31] Vgl. Elke Riemer: E.T.A. Hoffmann und seine Illustratoren, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 1976, S. 24.
[32] Die Serapions-Brüder, S. 600.
[33] Ebd.
[34] Ebd., S. 591f.
[35] Ebd. S.574.
[36] Im Druck: Federstrichätzung
[37] Riemer, S. 43.
[38] Viele Hoffmann-Illustratoren haben ihn mehr oder minder erfolgreich nachgeahmt, manche ihn an Intensität sogar überboten (Josef Hegenbarth, Fritz Fischer und Stefan Faust z.B.).
[39] Die Serapions-Brüder, S. 608.
[40] Koch illustrierte Sagen und Märchen, Jugendliteratur und Abenteuerromane für Stuttgarter Verlage, z.B. den Karl Mayer Verlag oder die Union Deutsche Verlagsgesellschaft und die Bücher erlangten Auflagenhöhen von 16. – 25. Tausend.
[41] Hannelore Teutschs späteres malerisches, durch die Pittura metafisica und den amerikanischen Realismus eines Edward Hopper geprägtes Werk ist deutlich anspruchsvoller und vielschichtiger, spiegelt in einer melancholischen Grundstimmung die Einsamkeit und Verlorenheit des modernen Menschen in Architekturräumen.
[42] Die Anthologie erschien unter dem Titel Die Schneekönigin nach Hans Christian Andersens gleichnamigen Märchen.
[43] Borutscheffs Illustrationen zu E.T.A. Hoffmann befinden sich in der Staatsbibliothek Bamberg, die Staatsbibliothek Berlin hat auch einige seiner Arbeiten zu E.T.A. Hoffmann angekauft. Die Kohlezeichnungen zum Fremden Kind sind im Original 50 x 70 cm.
[44] Vgl. Gabriele Wittkop-Ménardeau, MHG (Mitteilungen der Hoffmann-Gesellschaft) 14/1968, S. 48.
[45] Riemer, S. 68; vgl. August Schmitt, MHG 14/1969, Beilage.
[46] Ebd., S. 600.
[47] Ebd., S. 602.
[48] Ebd., S. 611.
[49] Ebd., S. 612.
[50] Vgl. ebd., S. 582f.
[51] Ebd., S. 614.
[52] Leider nicht der Gesamttext. Eine Form der Adaption, Verfasser unbekannt. Auf der letzten Seite der Ausgabe wird darauf hingewiesen, dass der Text eine befremdliche Form habe: ganze Kapitel im Original, Teile von Kapiteln, kurzgefaßte Brücken, die nichts weiter wollen, als das übersprungene Geschehen gerafft andeuten … Der ungekürzte, ohnehin nur 45 Druckseiten umfassende Originaltext wäre sinnvoller gewesen. Das hätte auch der beabsichtigten bibliophilen Ausgabe, die allein die formale Qualität und die wesenhafte Gemäßheit der Bilder schon rechtfertigte … nicht geschadet. Die Qualität der Illustrationen, die Hoffmanns Märchen tatsächlich wesenhaft treffen, ist unbestritten.
[53] Ulrich Helmke bezeichnet in seiner Rezension von 1979, Ein neues Illustrations-Talent (Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft, 25. Heft 1979, S. 65 f), Zwergers Erstlingsillustrationen zum Fremden Kind als erstaunlich reif, in eigenem, unverwechselbarem Stil. Ein neues Illustrationstalent habe sich vorgestellt.
[54]Silke Rabus, Lexikon der Illustration 9/2009, S. 1-8, S. 2.
[55] Ebd., S.7.
[56] Die Serapions-Brüder, S. 582.
[57] Vgl. ebd., S. 589.
[58] Zitiert bei Silke Rabus, S. 2.
[59] Rabus, S. 3.
[60] Silke Rabus: Lisbeth Zwerger. Lexikon der Illustration 9/2002, S. 3 und Ulrich Helmke: Ein neues Illustrationstalent. In: MHG (Mitteilungen der E.TA. Hoffmann-Gesellschaft), 25. Heft 10070, S. 66.
[61] 14 ganzseitig, 22 im Text in Form von ovalen Medaillons oder Rechtecken.
[62] 22 ganzseitig, die anderen als Rechtecke im Querformat im Text.
[63] 36 Aquarelle. Zum Goldenen Topf: 3 ganzseitige Aquarelle und 1 Frontispiz (Tondo).
[64] Ähnlich ergeht es dem Betrachter mit den Illustrationen von Monika Wurmdobler, die zwischen 1980 und 1996 für den Insel-Verlag sieben Erzählungen E.T.A. Hoffmanns und die Serapions-Brüder insgesamt illustrierte. Einzelne ihrer farbigen Illustrationen sind, für sich genommen, interessant und künstlerisch überzeugend, aber das Serienmäßige ihrer farbigen Bilder mit dem immer gleichen Figurentypus stört auf Dauer erheblich.
[65] Klaus Deterding: Die schmückende Kunst. In: MHG, 28. Heft 1982, S. 92ff. Klaus Deterding hat 2017 E.T.A. Hoffmanns Fragment gebliebene Erzählung Der Feind ‚vollendet‘ und mit interessanten Porträtskizzen des Berliner Künstlers Siegfried Kühl herausgegeben.
[66] Vgl. Wulf Segebrecht: Illustrationen zu E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“, betrachtet von einem Leser. Unveröffentlichter Vortrag, gehalten 1999 auf einem Symposium zum Illustrator Fritz Fischer. Illustrationen seien prinzipiell als ein schwerwiegender Eingriff in den Text zu verstehen, so Segebrecht.
[67] Die Serapions-Brüder, S. 604.
[68] Ebd., S. 604.
[69] S.o., S. 5.
[70] Die Serapions-Brüder, S. 587f.
[71] Ebd., S. 604.
[72] Ebd.
[73] Interessante Biographie: 1959 in Ost-Berlin geboren, 1977 Abitur, 1979-81 Studium der Germanistik und Kunsterziehung in Dresden. Abbruch des Studiums, Arbeit als Telegrammzusteller, Hausmeister, Melker. Daneben Zeichenkurse bei Lothar Böhme, Dieter Goltzsche, Harald Metzkes, Hans Vent und Axel Wunsch. 1989 Aufnahme in den Verband Bildender Künstler und seitdem freiberuflich als Maler und Grafiker tätig. Ab 1990 Studienreisen nach Italien, Frankreich und Portugal. Von 1992-2000 als Restaurator tätig. Seit 2010 Leiter des Grafik-Workshops in Dziwiszone (Jelina Gora), Polen. Lebt in Berlin und Frauenstein. Vor allem als Maler tätig in der Maltradition der Dresdener Schule, der Nachimpressionisten und Cézannes. Farbintensive großformatige Ölbilder, teils abstrakt.
[74] Die Serapions-Brüder, S. 612.
[75] Ebd.
[76] Bester Illustrator des Jahres 2008, 2009, Honored worker of arts oft he Republic of Belarus, 2015
[77] In der amerikanischen Illustration zu E.T.A. Hoffmann übrigens vergleichbar.
[78] Das mag nach Spekulation klingen, aber diese drängt sich angesichts der Fülle russischer Illustrationen zu E.T.A. Hoffmanns Werk auf. Zu nennen wären neben Slauk Illustratoren wie Valeri Alfeewskij, Sergej Alimov, A.V. Armatinskaja, G. Dmitriyeva, Igor Egunow, Georg Filippowki, Nika Goltz, Dimitri Gordeev, Maxim Mitrofanov, Igor Oleinikov, M. Osadtschja, Tatjana Nikitina, M. Osadtschaja, Marina Puzyrenko, Ali Vinogradova und W. Wolinez.
[79] Auch Nick/Nicki Georgiewna Gol’c geschrieben. Übertragungen aus dem Kyrillischen sind besonders bei Namen problematisch.
[80] Brigitte Splettstößer, http://jonthorgislason.de/?portfolio=das-fremde-kind
[81] Mail vom 5.1.2020 an die Verfasserin.
[82] Die Serapions-Brüder, S. 601.
[83] Die in Sofia geborene Sängerin Ina Kancheva sang schon als Sechsjährige im Kinderchor des bulgarischen Nationalradios und Fernsehens und tourte mit diesem als Solistin und Balletttänzerin um die Welt. Nach ihrem Studium an der Staatlichen Musikakademie Sofia (Musik und Drama, Operngesang) erhielt sie mehrere Stipendien für die Ausbildung an großen Opernhäusern der Welt: das Europäische Opernzentrum Manchester, die Fundation Arena di Verona, de Accademia Chiggiani in Siena und das Placido Domingo Center of Perfection in Valencia. Sie hat an Meisterkursen von Irina Gavrilovici, Montserrat Caballé (Sie haben z.B. 1999 in Sofia zusammen in einem Konzert das Duo des fleurs aus der Oper Lakmé von Léo Delibes gesungen), Raina Kabaivanska, Leo Nucci und Renato Bruson teilgenommen und gewann viele internationale Preise. Von 2006-2011 war sie Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart, brillierte dort und in anderen großen Opernhäusern des In-und Auslands in verschiedenen Hauptrollen (Carmen, La Traviata, Figaro, Zauberflöte, La Bohème, Don Giovanni, Le Comte Ory, Lucio Silla etc.). E.T.A. Hoffmanns Das fremde Kind ist das Debütbuch der Künstlerin, die auch als Gastdozentin und Assistenzprofessorin an der Nationalen Akademie für Theater und Filmkunst in Sofia arbeitet und aktuell in Berlin lebt. Sie arbeitet mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin zusammen (z.B. Kammeroper Madame Landru von 1962 von Roberto Hazon in der Rolle der Madame Landrou, Uraufführung mit zwei Klavieren), hat mit dem Pianisten Ludmil Angelov , einem führenden Chopin-Interpreten, ihre CD Pauline Viardot, eine Sammlung klassischer Poesie und neuer Arrangements von Chopins Mazurkas sowie weitere CDs mit Liedern von Modest Mussorgsky veröffentlicht, fördert junge Künstler, engagiert sich in der Früherziehung junger Sänger/innen (hat inzwischen selbst eine Tochter) und hat mehrere Kinderbücher herausgegeben.
[84] In Zusammenarbeit mit einem Fotoshop (aufwändige, zeitintensive Technik).
[85] Die Höllenbilder wurde lange Zeit Pieter Brueghel dem Jüngeren, dem sogenannten Höllenbrueghel, zugeschrieben. Inzwischen ordnet man diese Werke dessen Vater zu.
[86] Katina Peeva wurde 1980 in Sofia, Bulgarien, geboren, wo sie immer noch arbeitet und lebt. 2006 schloss sie ihr Studium der Szenographie am Puppentheater an der Nationalen Akademie für Theater-und Filmkunst in Sofia ab. In den folgenden Jahren arbeitete sie als Arrangeur, Illustrator, Maler und Designer, perfektionierte klassische Techniken wie Tinte, Tempera und Aquarell. Von 2009-2014 war sie als Gastdozentin an der Nationalen Akademie für Theater und Filmkunst in Sofia tätig. Seit 2009 ist sie eine 2D-Künstlerin im Bon Art Studio, Sofia, und arbeitet mit einem Fotoshop zusammen.
[87] Die Serapions-Brüder, S. 570f.
[88] Ebd., S. 573ff.
[89] Blöde hat hier die Bedeutung von ‚schüchtern‘ oder ‚scheu‘. Peevas Darstellung suggeriert die Bedeutung von ‚blöde‘ im heutigen Sinn.
[90] Ebd., S.577.
[91] Die Kinderbilder erinnern an die von Philipp Otto Runge (1777-1810), vor allem an das Gemälde von 1805/6: Die Hülsenbeckschen Kinder. Peeva ‚zitiert‘ vielfach in ihren Illustrationen. Das Tertium comparationis zwischen Runge und Peeva ist, dass sich der Betrachter mit der kindlichen Perspektive identifiziert und sich in deren Erlebniswelt versetzt. Die Kinder wirken deshalb nicht niedlich und ‚kindlich‘, sondern als eigenständige, gleichwertige Persönlichkeiten.
[92] Ebd., S.601.
[93] Ebd., S. 609f.
[94] Ebd., S. 610
[95] Ebd.
[96] Ebd., S. 614f.
[97] Ebd., S. 569
Literaturverzeichnis
Werkausgaben
E.T.A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, 2.Bd. Mit einem Nachwort von Walter Müller-Seidel und Anmerkungen von Wulf Segebrecht sowie mit den Illustrationen von Theodor Hosemann zur ersten Gesamtausgabe von 1844/45. Winkler Verlag, München 1963.
E.T.A. Hoffmann, Die Serapions-Brüder, 2.Bd., Text und Kommentar. Hg. v. Wulf Segebrecht unter Mitarbeit von Ursula Segebrecht, Deutscher Klassiker Verlag, Taschenbuch, Frankfurt am Main, 2. Auflage 2015, Bd. 28, (entspricht Bd. 4 der Edition E.T.A. Hoffmann. Sämtliche Werke in sieben Bänden, Frankfurt am Main 2001).
Hoffmanns Briefwechsel. Gesammelt und erläutert von Hans von Müller u. Friedrich Schnapp, Bd. 2, München 1967-1969
Ludwig Tieck, Märchen aus dem „Phantasus“. Hg. v. Walter Münz. Reclam, Stuttgart 2003.
Literatur
Yvonne-Patricia Alefeld: E.T.A. Hoffmann, Tectum Verlag, Literatur kompakt, Marburg 2017
Klaus Deterding: Die schmückende Kunst. In: MHG, 28. Heft 1982, S. 92ff.
Hans-Heino Ewers, Kindheit als poetische Daseinsform. Studien zur Entstehung der romantischen Kindheitsutopie im 18. Jahrhundert, München 1989.
Ulrich Helmke, Ein neues Illustrations-Talent. E.T.A. Hoffmann: Das fremde Kind. Mit 12 ganzseitigen Illustrationen von Lisbeth Zwerger. Basel: Edition Neugebauer im Hermann Schroedel Verlag, 1977 Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft, 25. Heft 1979, S. 65 f.
Detlef Kremer, Idyll oder Trauma. Kindheit in der Romantik. In: Hoffmann-Jahrbuch 11/2003, S. 7-18).
Dietmar J. Ponert, E.T.A. Hoffmann – Das bildkünstlerische Werk. Hg. v. d. Staatsbibliothek Bamberg, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2012.
Silke Rabus, Lisbeth Zwerger, Lexikon der Illustration 9/2009, S. 1-8.
Elke Riemer: E.T.A. Hoffmann und seine Illustratoren, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 1976, 1. Auflage
Bettina Schäfer, Das fremde Kind. In: Detlef Kremer (Hrsg.), E.T.A. Hoffmann. Leben – Werk – Wirkung, De Gruyter, Berlin/Boston 2012, 2., erweiterte Auflage, S. 310-315.
Friedrich Schnapp, Die Heimat des fremden Kindes, in: MHG 21, 1975, S. 38-41.
Wulf Segebrecht: Illustrationen zu E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“, betrachtet von einem Leser. Unveröffentlichter Vortrag, gehalten 1999 auf einem Symposium zum Illustrator Fritz Fischer.
Gabriele Wittkop-Ménardeau, MHG (Mitteilungen der Hoffmann-Gesellschaft) 14/1968.
Bildnachweis und illustrierte Ausgaben des Fremden Kindes
1844 Theodor Hosemann (1807-1875)
E.T.A. Hoffmann. Gesammelte Werke. 12 Bde., Verlag Georg Reimer, Berlin 1844/45. 24 Federzeichnungen, in Holz gestochen von H. Asmus. Überwiegend: 10,8 x 8,3 cm (Hochformat) oder 8,3 x 10,8 cm (Querformat) pro Holzstich. Scan: Riemer-Buddecke.
1922 Ernst Huber (1895-1960)
E.T.A. Hoffmann, Das fremde Kind. Verlag Knepler, Wien 1922. 132 S..11,4 x 7,5 cm (Buch). 10 ganzseitige Originallithografien à 8 x 5 cm Druck), Seite: 11,5 x 8 cm. Scan: Riemer-Buddecke.
1947 Alfred Kubin (1877_1959)
Märchen E.T.A. Hoffmanns, hg. v. Werner Bergengrün. Bergland Verlag, Wien 1947, 432 S.. 26 Federstrichätzungen, davon 10 ganzseitig à 18,8 x 11,1 cm; 1947, 1948, 1951 u. 1952 wiederholt. Scan: Riemer-Buddecke
1948 Gustel Koch
E.T.A. Hoffmann, Das fremde Kind – fünf Märchen deutscher Dichter. Hg. v. Annemarie Herleth. Karl Mayer Verlag, Stuttgart 1948. Auflage: 16-25 tsd. Mit 40 farbigen Illustrationen von Gustl Koch. 158 S., 22 cm. 1. E.T.A. Hoffmann: Das fremde Kind, 2. Clemens Brentano: Das Märchen von dem Baron Hüpfenstich, 3. Wilhelm Hauff: Die Geschichte von Kalif Storch, 4. Eduard Mörike: Der Bauer und sein Sohn u. 5. Theodor Storm: Die Regentrude. Scan: Riemer-Buddecke.
1966/67 Alexej Borutscheff (1911-1994)
E.T.A. Hoffmann, Das fremde Kind. E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft, Bamberg 1967. 78 S., quer-kl. 8, 15,3 x 21,5 cm (Querformat). Originale: Kohlezeichnungen à 50 x 70 cm. Scan: Riemer-Buddecke.
1977 Lisbeth Zwerger (*1954)
E.T.A. Hoffmann, Das fremde Kind. Edition Neugebauer im Hermann Schroedel Verlag AG, Basel 1977. 15 Bl., 34 x 21 cm. Kinderbuch, aber auch: Bilderbuch für Erwachsene (Zwerger). Bibliophile Ausgabe, gekürzter Text. 2. Auflage 1985, 27 S. 11 farbige Illustrationen (Aquarell und Feder), 10 davon ganzseitig, eine doppelseitig. Cover-Illustrationen: Vorder- und Rückseite. Blatt: 24,9 x 15 cm. Scan: Riemer-Buddecke.
1980 Carl Hoffmann (1930-2015)
E.T.A.. Hoffmann, Das fremde Kind. Hg. v. Gerhard Schneider. Der Kinderbuchverlag, Berlin 1980 u. 1982., 2. Auflage Verlag Dausien, Hanau 1982. Kinder- und Jugendbuch. 76 S., 30 cm (29,7 x 21 cm), 50 farbige Illustrationen (Aquarell, Gouache), davon 26 ganzseitig. Vorderes und hinteres Umschlagbild. Scan: Riemer-Buddecke.
1986 Nika Goltz (Gol’c, 1925-2012)
In: Die Königsbraut. Das fremde Kind. Verlag Moskowskije Utschebniki, Moskau (Russland) 2010. Text in Russisch. 159 S., 29,5 x 22 cm. 65 farbige, 2009 entstandene Illustrationen (Gouache), davon 41 ganzseitig. Foto und Copyright: Maxim Mitrofanov, Nachlassverwalter.
1988 Hannelore Teutsch (*1942)
E.T.A. Hoffmann Das fremde Kind, in Die Schneekönigin, S. 16-66. Sechs Märchen aus der Weltliteratur. Illustrationen von Hannelore Teutsch. Der Kinderbuchverlag Berlin – DDR 1988. Für Leser von 9 Jahren. 224 S., 26,9 x 19 cm. 7 farbige Illustrationen zum Fremden Kind, davon 2 ganzseitig. Technik: Bleistiftzeichnung auf Transparentpapier, belichtet auf SW-Film. Darunter das Aquarell. Originale im Besitz der Berliner Staatsbibliothek. Foto und Copyright Hannelore Teutsch
1989 Carla Giudetti Serra Spriano (1921-2017)
Il Bimbo Misterioso. Fabia per bambini e per coloro che non lo sono più (Das fremde Kind. Märchen für Kinder und diejenigen, die es nicht mehr sind). Übersetzung von Carlo Pinelli. Illustrationen von Carla Guidetti Serra Spriano, Verlag Einaudi, Turin 1989. 2. Auflage1990. Italienisch, 67 S., 25 cm. 7 ganzseitige Aquarelle.
2001 Carsten Gille (*1959)
Das fremde Kind. Hg. v. Ulrike Moheit, Rohrwall Verlag, Berlin 2001. 63 S., 22,3 x 16,6, cm. 16 s/w Tuschzeichnungen, davon 5 ganzseitig à 15,5 x 11 cm. Einbandgestaltung innen und außen. Originale im Besitz des Künstlers. Foto und Copyright Carsten Gille.
2002 Valery Petrovich Slauk (*1947)
Čudesnoe ditja : skazka dlja malen’kich, bol’šich i vzroslych detej (E.T.A. Hoffmann, Das fremde Kind. Kindermärchen). Peresk. Svetlany Morozovoj. Ill. Valerija Slauka. Kalaver Publishers, Minsk (Weißrussland) 2002. Russisch. Kinder- und Bilderbuch. In kyrillischer Schrift. 96 S., 29 x 22 cm. 2. Auflage 2010. 60 farbige Illustrationen (Gouache oder Acryl), davon 30 ganz- oder doppelseitig. Foto: Riemer-Buddecke.
2009 Jón Thor Gislason (*1957)
Das Fremde Kind. Acryl, Asphalt, Schlagmetall auf Leinwand. 200 x 150 cm. Privatbesitz des Künstlers. Foto und Copyright: Gislason.
2015/16 Hans Günter Ludwig (*1963)
E.T.A. Hoffmann, Das fremde Kind. Illustrationszyklus mit 16 Kunstblättern (unterschiedliche Techniken, auch Scherenschnitte bzw. Silhouettenschnitte auf teilweise farbigem Hintergrund mit Aquarell oder Pastell auf Zeichenpapier 300g/qm, teils auch Collagen; tiefschwarzes, ungummiertes mattes Scherenschnittpapier, 80g/qm) von 2015/2016. Mit Erläuterungen durch Andreas Ulrich. Vorarbeiten und Entwürfe mit Bleistift und Aquarell. 2016 Ausstellung dieser Illustrationen in Bamberg, E.T.A. Hoffmann-Haus. Staatsbibliothek Bamberg. Je Blatt: 79,9 x 59,9cm, Bildausschnitt 41,6 – 49,8 x 32,5 x 40,6 cm. Fotos und Copyright: Gerald Raab u. H.-G. Ludwig, Bamberg.