Theodor Gottlieb von Hippel
1794/95
Königsberg, Ende Oktober 1794
In der größten Mißlaune von der Welt schreibe ich Dir diese Zeilen — teils ist es mir im äußersten Grade unangenehm, daß ich Dich vor Deiner Abreise gar nicht mehr sprechen, daß ich Dir nicht noch ein herzliches Lebewohl sagen kann, teils ärgerts mich, daß ich in einer Sache, die Dich doch auch in gewisser Rücksicht interessieren könnte, nicht aufrichtiger gewesen bin. Jetzt, da das ganze vorüber ist, will ich Dir wenigstens zu einiger Herzenserleichterung den ganzen Vorfall erzählen — Du kennst doch meine beide neuesten Stücke, auf die ich vorzüglichen Fleiß angewendet habe, und von denen ich immer zu sagen pflegte, daß ich sie einem Kenner anonymisch zum Kauf anbieten lassen würde — nie hast Du aber erraten daß dieser Kenner Dein Onkel, der Geh〈heime〉 R〈at〉 v〈on〉 H〈ippel〉 sein sollte. Gestern führte ich meinen Entschluß aus, und schickte sie durch den Bedienten meines GroßOnkels ganz inkognito von einem kurzen Billet begleitet hin. Der Geh: R. ließ sagen, daß ihm die Stücke recht gut gefielen, und daß er den Maler davon kennen zu lernen wünschte — Wer war vergnügter als ich, heute Morgen setzte ich mich ganz modeste ins Zeug, und spazierte, zum ersten mal in meinem Leben als ein eingefleischter Maler hin — . Noch nie bin ich von jemanden artiger empfangen, — Er rühmte meine Stücke — ließ mir den Rousseau in Pastel zum Besehn hinunterbringen, frug mich, ob ich seine ganze Sammlung gesehn hätte worauf ich unvorsichtig »ja!« antwortete, worüber er sich zu wundern schien — noch immer kam nicht der rechte Punkt nach meiner Meinung — Endlich löste sich das Rätsel durch wiederholte Äußerungen — er dachte, ich hätte ihm die Stücke zum Präsent geschickt — wie war ich bestürzt — mechanisch rückte ich gegen die Türe, und unmutig lief ich heraus und nach Hause — Was in aller Welt muß der Geh: R. 〈von〉 mir denken — notwendig muß er sich irgend einen versteckten Zweck dabei vorstellen — sonst ist es ja Torheit von mir — denn zur großen entscheidenden Empfehlung auf immer sind die Stücke viel zu schlecht — Er muß am Ende über mich lachen. Das Resultat der ganzen Begebenheit ist nun nichts weiter, als daß ich mit großem Aufwand von Zeit und Mühe mich lächerlich gemacht habe, und dieser Gedanke ist für mich jetzt sehr erbaulich.
Das einzige bitte ich, Lieber Freund, daß Du mir bald bald aus Arnau schreibst — Wie sehr wirst Du mir jetzt fehlen — Du warst der einzige der mir frohe Stunden schuf — indessen bald vergeht auch die Zeit, in der ich Dich nicht sehn werde, und der Augenblick der Wiedervereinigung hat immer was unendlich frohes und angenehmes für uns.
Lebe wohl
H
Dienstag d. 7ten Dezember 1794
Dein lieber Brief, den ich heute erhielt, hat mir vorzügliche Freude verursacht, denn ich schließe aus demselben, daß jene wohltätige Heiterkeit, die nur allein uns das Schätzenswerte des Lebens fühlen läßt, sich auf Deinen Geist hinabgesenkt und das nächtliche Geschwader finsterer Launen und marternder Vorstellungen verscheucht hat — Vielleicht ist auch ein Teil der süßen Schwärmerei, der Schöpferin mancher recht glücklichen Feierstunden, mit verloren gegangen, und Dir vielleicht also in dieser Rücksicht ein hoher Genuß geraubt, Du darfst aber gewiß über diesen Verlust nicht trauern, denn dem hohen geistigen Genuß fehlt insgemein Dauer, und unser Geist, unsere Fantasie fühlt eine widrige Erschlaffung, und wohl gar manchmal unser Herz eine unbehagliche Leere, wenn er vorüber gegangen ist. Wir vertauschen also gern jenen hohen Genuß, den Schwärmerei verursachte, mit einem minder hohen aber dauernden, der nur eine wohltätige nie mit Nachwehen verknüpfte Empfindung in uns hervorbringt — Sollten wirklich meine Briefe durch das Gepräge eines frohen unbefangnen Geistes, daran Teil haben, so würde dies Verdienst um Dich, davon der Gedanke so sehr mit der Freundschaft, die ich gegen Dich lebhaft empfinde, harmoniert, mich noch viel zufriedner und froher machen. — Daß Du Dich durch Deine häufigen langen Briefe sehr bei Tante und Onkel, in Rücksicht der Freundschaft gegen mich, in Credit setzest, kann ich Dir auch beiläufig sagen. Beide schließen aus kurzen Briefen auch auf kurze Freundschaft, — mag übrigens vielleicht anthropologisch richtig sein, nur muß denn doch wohl immer unterschieden werden, in wie fern es möglich oder nicht möglich war lange Briefe zu schreiben. Uns beiden möcht es wohl immer möglich sein, wenn kein Bote als Exekutant dasteht, und lauernd über die Schulter sieht, ob man nicht bald nach der Sandbüchse greifen wird, die er wohl gar schon in der Hand hält, um sie sogleich zu reichen, wenn er nur irgend die Begehr darnach in unsern Augen zu lesen glaubt. Daß ich Dir so ganz im Gange der Rede eine Schilderung in nuce von Deinem pausbäckigen dickbeinigten Merkur gemacht habe, wirst Du wohl sogleich geahnet haben. Du kannst Dir gar nicht denken, mit was für Bereitwilligkeit er BriefSpediteur ist — Je dicker der Brief ist, den er mir bringt, desto freundlicher ist seine Miene, und als ich ihm heute das dicke Paket gab, blinzelte er mit den Augen, zog den Mund fast bis an die Ohren hinauf, und es erschallte ein dreimaliges feines hihi, so daß der Arnausche MäuseKönig unmöglich harmonischer lachen kann.
〈…〉
Heute ist nicht Ball, sonst säß ich hier nicht und schriebe an Dich — denken würde ich gewiß an Dich eben so oft, denn gerade auf dem Ball misse ich Dich ganz unendlich — Man fühlt es nie so sehr, wie man sich dran gewöhnt hat, als bei solchen Fällen, wo der Drang nach Mitteilung stärker als gewöhnlich ist. Dein Zufall — Man könnte ihn Ballkrampf — chorikospasma ( χοριk̃οσπασμα ) nennen, ist also acht Tage zu früh gekommen — Vermutlich wird mir nun kein Ball behagen, denn alle meine Erwartungen, Hoffnungen, Wünsche — alles alles ist konzentriert in dem Gedanken: auf den 17 t ist Masquenball (Maschkeradeball sagen die Königsberger Poissarden) Mein sehnlicher Wunsch ist, daß wir beide, ich und Du, spanisch sprechen könnten, spanische Billets kann ich wohl schreiben — aber sprechen — da hackts —
Die über Lindhorsts schmucke weißgebleichte Reithosen ausgeschüttete Mißlauge ist mir sehr komisch vorgekommen, mir fiel dabei etwas ähnliches ein, wovon ich nicht weiß, ob ichs Dir erzählt habe. Wie Andacht und Frömmigkeit, die immer mit goldenem Zepter in unsrer Familie geherrscht haben, es heischte, daß wir unsre Sünden bereuen und zur Kommunion gehn mußten, wollte der dicke Sir recht anständig erscheinen und wusch daher Freitag vorher aus seinen schwarzen Hosen sehr sorgfältig die Rudera des Durchfalls einer unverschämten Schwalbe und der fetten Teile der Soße eines wohlschmeckenden Ragouts, hing sie bei sehr schönem Wetter unter sein Fenster und watschelte darauf zum hypochondrischen Freunde. — Unter der Zeit entstand ein heftiger Platzregen, kaum sah ich die durchnäßten Hosen, als ich den unwiderstehlichen Trieb fühle, dem Platzregen ein wenig zu Hülfe zu kommen, ich leerte also 5 Gießkannen und 3 volle pots de chambre auf die unglücklichen Hosen aus, welches alles sich sehr schön einzog und sie dermaßen schwer machte, daß der Bindfaden, woran sie hingen, sie kaum zu halten vermochte. — Als Sir Ott nach Hause kam, war der erste Gang zu seinen Hosen. Flossen gleich nicht helle Tränen über die rotbraunen Wangen seines Angesichts, so verrieten doch klägliche Seufzer die Angst seines Herzens, und Schweißtropfen wie Perlen auf der orangenen Stirne den Kampf seiner Seele — 3 Stunden wand er die KommunionsHosen, um alles Wasser hinaus zu bekommen. Des Abends klagte er sein Unglück der ganzen Familie und bemerkte zugleich, daß mit dem Platzregen häßliche Teile und verderbende Dünste heruntergefallen wären, die totalen Mißwachs verursachen würden, denn der Eimer Wasser, den er seinen Hosen ausgepreßt, hätte ganz bestialisch gestunken, worüber denn, als eine Landplage, die ganze Familie seufzte, ausgenommmen die Tante, welche lächelte und versteckt äußerte, daß der Gestank wohl aus der Auflösung gewisser angetrockneter Teile 〈…〉 entstanden sein könnte. — Ich gehörte zu der Partie die die Landplage annahmen, und bewies, daß wenn die Wolken hellgrün aussähen, es immer so wäre — . Der Onkel verteidigte die Reinigkeit seiner Hosen und sagte, sie wären so orthodox, wie seine Meinungen vom heiligen Geist. — quantum distat ab Inacho pp
Daß Dein Herz von braunen Locken und VergißmeinnichtsAugen bekrenzelt ist, werde ich gehörigen Orts anzeigen 〈…〉. Lerne doch nur ja auf der Zither, — die Anfangsgründe auf dem Klavier — Überwinde kleine Schwürigkeiten, Du erntest viel Vergnügen dafür ein. — Schreibe doch nur ja mit jeder Gelegenheit, und rechne die Kürze meines letzten Billets nicht mir, sondern Deinem Mercur zu.
Lebe wohl —
Adieu Adieu Adieu
Ewig Dein Freund
H
Zum 18 Januar 1795.
Masquerade
an H — — —
Schon hör ich sie, die schallenden Trompeten
Ich hör den süßen Ton von sanften Flöten
Komm — eile — ihr lieblicher Schall
Lockt nicht vergebens uns zum Ball —
Hinweg mit allem, was uns germanisiert
Was uns vor bübischen Lauschern geniert.
Hinweg mit dem Zöpfchen —
Das Haar in wallende Locken frisiert
Die leicht und zwanglos das Köpfchen
Umwehn — mit TuberosenPomade parfümiert —
Der runde kleine Hut mit winkenden Federn garniert
Sitzt schief drauf, wie’s einen Spanier ziert
Wenn dann kein ArgusAuge es sieht,
Wirfst du übers schwarze Habit
Den feuerfarbenen Mantel.
Er sichert dich, glaub mir, vor jedem Tarantel-
Stich, der dir heimlich zugedacht,
Und hüllt das Geheimnis in ewige Nacht.
Hier, nimm die klingende Zither. —
Schon manches eiserne Gitter
Brach ihrer Akkorde süße Harmonie
Gemischt mit zärtlichen Minnesangs sanfter Melodie. —
Wir treten in den hellen Tanzsaal hinein
Fast jeden Durchgang versperren
Uns Haufen großnasigter Herren.
»Wer mag das sein?«
Zischelt der eine dem andern ins Ohr.
Wir dringen mit spanischer Grandezza vor,
Und Domino’s, und Nobili
Und Herren aus Algier und Tripoli
Und Schweden Dänen Israeliten
Schweben hinweg vor unsern Schritten.
Da tanzen im bunten Gewühl
Nach volltönger Instrumente Spiel
Venezianer mit Griechinnen
Und Herrn mit Bärten von Taft mit holden Charitinnen. —
Wer ist dies Mädchen im weißen griech’schen Gewand?
Gegürtet nur einfach mit blauem flatternden Band?
Kunstlos umwallen
Den Schwanenhals, den weißen Nacken
In üppiger Fülle die braunen Locken
Und fallen
Auf den schwellenden Busen herab
Frostigem Stoizismus ein ewiges Grab —
Bald nähert feierlichen Ganges
Der Spanier sich ihr — er spricht ein breites ein langes
Von spanischem Nonsens ihr vor.
Sie neigt vertraulich ihr Ohr
Um was zu verstehn was er selbst nicht verstand
Doch bald wird’s deutlicher, er spielet
Manch zärtlichen Ton auf seiner Zither, sie fühlet
Im sanften Drucke der Hand
Wen ihr die neidische Larve verhüllt
Und jeden Druck begünstigt ein holdes Verzeihen
Ein leiser Gegendruck — . Von süßer Wonne erfüllt
Schwebt, ach so innig, so warm
Umschlungen von ihres zärtlichen Spaniers Arm
Sie leicht durch die bunten staunenden Reihen〈.〉
Freitag d. 12 t Dezember 1794
Traure mit mir — trauere mit den seufzenden Jünglingen Königsbergs — Klage um Morgen, Mittag, Abend und Mitternacht — Bald eilt sie dahin, und wird hinfort nicht mehr gesehn — dahin ist die holde Tänzerin, Terpsichorens Liebling, Thaliens Busenfreundin, ein ungünstiges Schicksal entreißt sie uns, wenn wieder junges Grün die nackten Sträuche bedeckt, und wenn angenehme Zephire den Schnee von den Feldern hinweg gepustet haben werden, und wenn die Lerchen singen werden — Mad. S. — ihr Mann etabliert sich in K.〈?〉 Hinweg v. B. mit farbigen Röcken — schwarz sei Dein Gewand, bleich Deine Wange, und melancholisch — tränenschwer Dein Blick —
ich mache ein Abschiedslied, wozu ein Schleifer die Musik ist — mit schwarzen Rändern will ich Exemplare austeilen in Ost, Süd, West und Nord, —
Was hältst Du davon? 〈…〉
Wie stehts mit der OttsCanonisierung? — der Einfall ist vortrefflich, die Förmlichkeit ganz Deiner reichhaltigen InventionsGabe überlassen — ich dächte, eine kleine Glorie aus Goldpapier könnte nicht schaden — und eine große Bouteille müßte unterstehn, als wenn der ganze Kerl herausgekrochen wäre. Um das Wunder vollkommen zu machen, müßte der Hals der Bouteille sehr eng sein — oben ein pausbäckiger Engel, aus dessen Munde die Worte herauskommen »Beugt eure Knie, Gottsfürchtige Wandrer — dieser Heilige tut seine Wunder im Schlaf.« — Zur sinnbildlichen Vorstellung seiner wundertätigen Kraft möcht‘ ich folgendes Bild wählen — Ein Tisch mit vielen Bierkrügen, Bouteillen und Gläsern — Um denselben verschiedne besoffne Kerls übereinander gepurzelt — sie raufen sich — schreien pp Unten die Unterschrift — heiliger St. Otto, bitte für uns, — auf der andern Seite die Wirkung des Gebets — sie sitzen alle in anständigen Stellungen in Schlafröcken auf bequemen Sesseln, und schlafen.
Wenn ich sage, daß ich der ganzen Welt ein tiefes Compliment mache, und denn ihr nichts weiter von mir als meinen diminutiven Zopf sehen lasse, so sage ich nicht zu viel — So isoliert, so abgesondert von allen hab‘ ich seit meinen Studentenjahren noch nicht gelebt — Nur der spricht mich, der mich ausdrücklich aufsucht, und denn geb‘ ich ihm 10 Minuten preis, und damit Punktum — ich glaube, daß ein Nichtkenner etwas menschenscheues darin erblicken könnte, er irrt sich aber ganz. Ich liebe die Menschen noch so wie vorher — Daß ich die wiederhasse, die mich hassen, daß ich denen bei Gelegenheit einen Seitenhieb versetze die mir einen zudachten, daß ich über die lache, die lächerlich sind — das wird doch keiner für Menschenhaß halten — Alle meine DamenBekanntschaften schränken sich auf ein paar Worte Gespräch ein (eine ausgenommen), und weiter es auszudehnen habe ich auch bei keiner Lust — Schaden hat mich vorsichtig und klug gemacht — Erfahrung hat mich gelehrt, daß viel reden und wenig handeln das Prädikat eines Schwächlings ist, in den Fall werd‘ ich nicht kommen, daß dies mir zum Vorwurf dienen soll. — ich zeige mich wenig, weiche so viel wie möglich jeder Sottise und auch jedem Maulaffen aus, und so hoffe ich endlich mühsam zu dem Glück zu gelangen, daß man mich zufrieden läßt — Selbst das Ballgehn, jetzt sowohl als künftig en masque , wird nach diesen Prinzipien eingerichtet. — Die Stimmung ist sonderbar — nur ein einziger paßte für sie, und dieser einzige, der sie mit mir teilen könnte, ist mir, wenigstens auf eine Zeitlang, entrissen — ich studiere also jetzt die Kunst in mir selbst alles zu suchen, und glaube auch mit der Zeit in mir zu finden was mir nützen kann — fern sei es aber von mir, daß mein Herz nicht gleich empfänglich für jede äußere Mitteilung, für jedes Gefühl bleiben sollte, denn nie muß der Kopf dem Herzen schaden, nie muß aber auch das Herz mit dem Kopfe davon laufen — das nenn ich Bildung! — Vielleicht wird bald eine ähnliche Stimmung in Deiner Seele herrschen, und immer fester wird die Harmonie der Gesinnungen das Band unsrer Freundschaft knüpfen. — Reidnitz hat geschlossen — ich sitze ein und bin jetzt mit allem möglichen beschäftigt, die Tage werden mir immer äußerst geschwind verfließen — Meine Laune ist jetzt meistenteils immer froh, das wirst Du auch wohl aus meinen muntern Briefen schließen — Jeden Abend sitze ich bis nach 12, oft bis nach 1 Uhr auf, und des Morgens stehe ich um 8 Uhr auf. Diese LebensArt hat für mich so einen Anstrich von Behaglichkeit, der sie mir immer fortsetzen heißt. — Daß ich meine Inamorata so ganz mit all dem Gefühle liebe, dessen mein Herz fähig wäre, daran zweifle ich sehr, nichts wünsche ich aber weniger, als einen Gegenstand zu finden, der diese schlummernde Gefühle weckt — das würde meine behagliche Ruhe stören, würd mich aus meiner vielleicht imaginären Glückseligkeit herausreißen, und ich erschrecke schon, wenn ich nur an den Troß denke, der solch einem Gefühl auf den Fersen folgt — da kommen — Seufzer — bange Sorgen — Unruhe — melancholische Träume — Verzweiflung pp — ich meide daher alles, was so etwas involvieren könnte — Zu jeder Empfindung für Cora zum Beispiel, hab‘ ich gleich irgend eine komische Posse zur Surdine, und die Saiten des Gefühls werden so gedämpft, daß man ihren Klang gar nicht hört — Nicht viel besser, als Dein Exil, werden meine Ferien sein, d. h. ich werde immer einsitzen, und höchstens meine Inamorata sprechen, ich werd‘ mich aber doch sehr amüsieren — Unter andern mal‘ ich jetzt auch für Sie zum Weihnachtsangebinde ein modernes NähKörbchen, dessen Beschreibung ich auf einen der künftigen Briefe erspare — Im nächstfolgenden Briefe erhältst Du auch die Schilderung einer großen höchst lächerlichen Begebenheit, die ich morgen als Sonntag d. 14 Debr 1794 zu erleben gedenke. 〈…〉
Königsberg d. 12 Jenner 1795.
Laß Dich, lieber einziger Freund, das kleine Format meines Briefes nicht anfechten, ich wette, daß mancher mit dem darauf geschriebenen anderthalb Bogen füllen würde. Deine melancholische Stimmung, in der Du die liebe Schwärmerei, die uns so manches mit Rosen bekränzt, was unbekränzt unscheinbar und schlecht sein würde, hinwünschest in das mitternächtliche Dunkel gänzlicher Vergessenheit und Entsagung, ist doch wieder Schwärmerei, nur etwas anders nüanziert. ich glaube daß der Zustand gänzlicher Gefühllosigkeit und Vernichtung unserer selbst nur immer imaginair ist, denn die Wirklichkeit möchte immer doch zu dem unglückseligsten gehören, was unsern Geist treffen kann — Frei zu sein, so viel wie möglich, von den wirksamen Eindrücken unserer Ereignisse — bestimmt den Begriff des Philosophen, doch dahin zu kommen, zu dieser hohen Stufe gänzlicher Apathie, wäre für mich wenigstens nicht Glück. Es gibt so viele Kleinigkeiten, woran sich so gern unser Geist hängt, und in denen ein hoher moralischer Genuß versteckt liegt — für jeden sind diese Kleinigkeiten da, und auf jedem beruht es, durch eine gewisse Art sorgfältiger Ausbildung sich dafür empfänglich zu machen. — So lange wir uns nicht entkörpern, und unsere Sinne nicht scheiden können von unserm Geist, müssen wir die Schwärmerei nicht von uns verscheuchen — Sie ist uns das, was einem Gemälde das Kolorit ist — Sie erhöht jede Idee, die unsern Geist beschäftigt, sie verbreitet über uns bei jedem Gedanken von Glück eine wohltätige Empfindung eines sanften Entzückens — Freundschaft und Liebe (nicht Liebe und Freundschaft) erhalten nur durch sie ihren Wert — Und sage noch überdies — jede große Handlung die je geschah — war nun das Motiv — Patriotismus — Freundschaft pp — sage, bewirkte 〈sie〉 nicht immer 〈die〉 Schwärmerei? — Denn diese tritt sogleich ein, wo kalte ruhige Überlegung aufhört — Wozu diese ganze Lobrede — ich appelliere auf Dein inneres Gefühl — und Deine innere Überzeugung. — —
Dein Trauerspiel wird schön, vorzüglich haben mir, mit Arnolph gesprochen, die 3000 Janitscharen sehr charmeriert — dieser Arnolph ist Pferdehändler, und gibt sich für einen Grafen — wurde ausgepfiffen und wieder zu Gnaden angenommen. Künftig ein mehreres davon!
Zum größten Glück in meinem Leben würd ich rechnen, wenn mich ein günstiges Schicksal ganz mit Dir vereinte — Ist mein Käficht gleich golden, so ists doch ein Käficht, und keiner kann mir das Schnappen nach Freiheit verargen — Solche Abende, wie der neuliche, das sind herrliche Abende, die auf mein Ganzes einen immer währenden Eindruck machen. — Hast Du den Herbsttag von Ifland gelesen? — ich kann mir keine herrlichere Szene denken, als die des Lizent〈iaten〉 Wanner und des Selbert, wo sie sich ihrer froh durchlebten Universitätsjahre erinnern. — Sollte dies nicht einst bei uns der Fall sein? — Der Rückblick in vergangene frohe Zeiten gewährt einen hohen geistigen Genuß 〈…〉
Die schöne Tochter Graziens empfiehlt sich Dir. ich begegnete sie am Schloßberg — sie sprach von Dir, und frug ängstlich, ob Du weit gereist wärst, und wenn Du zurückkommen würdest, — ich drückte ihr die Hand, zuckte mit den Achseln und sagte, daß ich Briefe auf Briefe an Dich schriebe um Dich an meine Brust zu locken — aber »er ist jetzt in OberItalien und will über den Vesuv nach der Schweitz, von da setzt er über die Weichsel nach Asturien, 〈von〉 wo er über die SchneeKoppe nach Dresden gehen wird — eben hat er auch einen Ruf nach Constantinopel erhalten, der GroßSultan will testieren, und da soll er das Siegel aufdrücken« — Leb wohl leb wohl
Adieu
Königsberg den 19 ten Februar 1795.
Vergebens habe ich seit Dienstag auf eine Gelegenheit und auf Briefe von Dir gewartet. Entweder Du bist zu sehr mit dem beschäftigt, was den Menschen am meisten zerstreut, oder Du willst Dich allmählich schon selbst von meinem schriftlichen Umgange abgewöhnen, um in desto ungestörterer Ruhe und Zufriedenheit in M〈arienwerder〉 leben zu können. Meine neue Lektüre ist jetzt der Genius von Grosse. Mit einer Art von Geisteserhebung les‘ ich die schwärmerischen Schilderungen der Glückseligkeit, den Umgang eines innig vertrauten Freundes genießen zu können — Unbemerkt entschlüpften die Ideen aus dem Buche und eigne traten an ihre Stelle — ich sann nach über meinen Zustand — die Ahndung bald alles zu verlieren, was mich hier noch fesselt, gemischt mit einer bangen Empfindung, brachte mich außer mir — ich warf das Buch weg, und ich glaube, Tränen hätten meine Augen gefüllt, wenn mir diese die Natur nicht fast ganz versagt hätte. Du ziehst davon mit leichtem frohen Herzen, Du wünschest mit Sehnsucht den Augenblick des Abschiedes heran, uneingedenk, daß mich Dein Verlust im innersten schmerzt. Du sagtest es mir neulich grade so ganz ohne Schonung — und andre mächtige Ideen und Empfindungen, die gerade bei Dir rege geworden waren, ließen es nicht zu, daß Du die übertriebene Lustigkeit von meiner Seite bemerken konntest. ich danke es dem S. und seinem spanischen steifen Zopf, denn diese bemäntelten recht gut, was ich eben Dir nicht zeigen wollte — Willst Du mir noch eine Freundschaft tun, ehe Du mich auf immer verläßt — denn ich fühle es, wir sehn uns dann nie wieder — so schaffe mir das Portrait Deiner Mutter, ich will es für Dich kopieren — doch muß ich freilich fragen, ob Du mich für geschickt genug dazu hältst — ob ich mich selbst malen werde, weiß ich noch nicht. Das hängt von Dir ab.
Es war ein schöner Abend, an dem ich den letzten Teil des Genius las — meine Fantasie hatte einen Festtag — Es war eilf Uhr als ich das Buch aus der Hand legte — Das Aufwallen von unzählichen Leidenschaften hatte meinen Geist in eine Art von matter Betäubung gesenkt — Mir war wirklich sehr wohl — die traurigen Bilder der kummervollen Tage der Vergangenheit traten zurück in Schatten, und süße Träume einer froheren Zukunft umnebelten meine Sinne — F〈ranziska,〉 R〈osalie,〉 E〈lmire〉 wichen ganz aus meinem Gedächtnis — aus ihnen schmolz ein Ideal zusammen, und dies Ideal war sie — eine neue Schöpfung hatte sie hervorgebracht — gereinigt von den irdischen Verbindungen schwebte sie mir entgegen im himmlischen Glanze — ich sah sie, ich fühlte sie, ich hörte ihre Stimme — sie kam mir entgegen, sie bot mir einen Kranz, geflochten von Myrthen und Rosen — Es war ein schönes Bild, das mir meine Fantasie vorzauberte. In einem Zustande, der gleich weit vom Wachen und Schlafen entfernt ist, lag ich auf meinem Bette — ein Knistern weckte mich — ein schneidender Luftzug durchwehte meine Stube — ich sah‘ auch meinen Genius, — ach es war nicht Amanuel! — —
Mich verläßt alles — Auch sie wird mich verlassen — bald naht sich ein kritischer Zeitpunkt, der sie mir vielleicht auf immer entrückt. Ich glaubte durch Dich, durch Deinen Umgang, mancher Last mich zu entledigen, die mich Zentnerschwer drückt, aber das ist alles jetzt vorbei —
Glaube mir, daß es lange nicht so schmerzhaft ist, alles zu verlassen, wie von allen verlassen zu werden — Schlaf wohl
H.
Montag Abends um halb eilf Uhr d. 23 ten Februar 1795.
Wenn Du nach Königsberg kommst, ist’s nicht anders, als wenn mir einmal ein guter Geist erscheint, der sogleich verschwindet, wenn ich mich seiner Gegenwart recht erfreuen will — ich freute mich auf den heutigen Nachmittag, und verbrachte ihn — mißlaunigt und langweilig. Noch nie in meinem Leben ist mir der Zwang, den mir die Gegenwart eines dritten auflegt, lästiger gewesen. — Jetzt bin ich froh, das macht, ich rufe ein Bild meiner Fantasie zurück, das mir schon einige süße Stunden verschafft hat — höre meinen Traum — nur halb so lebhaft darfst Du das frohe dabei empfinden, als ich, und doch wirst Du mit Vergnügen bei diesem Ideal einfachen Glücks verweilen. — Bald kommt der Frühling, und bald folgt ihm der Sommer — statt nach M〈arienwerder〉 zu gehen bleibst Du noch den Sommer über in A〈rnau〉 — Du siehst die wiederauflebende Natur — jedes emporkeimende Gräschen, jede schwellende Knospe enthüllt für Dich den Geist des Lebens — Du atmest freier in der gereinigten Luft — Dein Kummer verläßt Dich — das allgemeine Streben und Weben heitert Deinen Sinn und gibt Deinem Geist wieder die gehörige Spannkraft — Bald naht sich die angenehmste Zeit — ich komme zu Dir heraus — nicht auf einen Tag — nein ein paar Wochen bringe ich bei Dir zu. Unsere Zeit ist auf das angenehmste verteilt — Studieren — Spazierengehn — Unterhaltung wechselt in bestimmter Ordnung ab — Beide haben wir denn einen gemeinschaftlichen Zweck — die Harmonie unserer Seelen schafft uns die angenehmsten Stunden — Fern von alle dem, was uns kränkt und ärgert, fühlen wir uns erhaben und groß über all‘ die Schnurfeifereien übelgelaunter Despoten. — O mein Freund — ich kann es Dir nicht sagen, wie viel kleine fast unmerkbare Nüancen unsers Vergnügens sich meinem Geist darstellen, wenn ich mir dies Leben denke — Das Landleben an der Seite eines Freundes hat für mich einen mächtigen Reiz — Wie so sehr sympathisieren wir — ich glaube die paar Wochen machten mich froh und gesund — Mein Klavier müßte mit — mein MalKasten und einige ausgewählte Bücher ebenfalls — wie so manches würd uns als Erzeugnis jener glücklichen Stunden noch nach Jahren an die süße Vergangenheit erinnern. Mit einer Art Geisteserhebung denk ich daran — es ist als rauschte plötzlich ein düstrer Vorhang auf, und ich blickte in ein Elysium — Wie so manche Schwärmereien würden uns da beschäftigen — Welche große Entschlüsse würden wir fassen — ich muß Dir sagen, daß ich jetzt wieder anfange anders zu werden, Mein Geist hat wieder jenen wohltätigen Schwung bekommen, der zu Handlungen, die nicht von elenden Kleinigkeiten abhängen, unumgänglich nötig ist — Pläne hab ich — Feste unwandelbare Entschlüsse reifen in meiner Seele —
Mein Sommeraufenthalt in A〈rnau〉 kann nur Traum bleiben Deinetwegen, das gesteh‘ ich, aber schon als Traum ist er so wohltätig für mich, was wäre nicht erst die Wirklichkeit — Ach Freund, daß wir nicht können wie wir wollen — da liegts! O süße Wonnezeit des Rosenmonds — für mich werden die Rosen nicht blühen — umsonst wehen mit leichten Fittigen Zephyre mir deine balsamischen Düfte zu. Einsam ohne Freund — ohne Geliebte wird jede Stunde neuer Gram mein Herz durchbohren — Nimm diesen Stoßseufzer nicht als Spaß auf.
Dienstag d. 24 Februar 1795.
Wenn ich sage, daß Du mich mehr interessierst — Bester, daß Du mir mehr am Herzen liegst, als alles übrige in der Welt, daß ich alles aufopfern möchte um Dir zu folgen, um mit Dir zusammen den ganzen Umfang des beseeligenden Glücks der Freundschaft genießen zu können, denn sage ich Dir eine heilige unzählbar oft empfundene, durch keine unedle Einwirkung entweihte Wahrheit — Wir sind für einander geboren — Laß uns auch das Schicksal auseinander reißen, unsre Herzen trennen sich nie — vielleicht gelangen wir einmal beide nach langem herumirren, in einen sichern Hafen — das Ziel aller unserer Wünsche, unserer Hoffnungen winkt uns entgegen, wir eilen, und treffen zusammen da wo sich alles Trübe aufheitert, wo Freuden, oft gedacht oft gewünscht und nie empfunden, unser harren — dies Feuer für Dich wird in meinem Busen nie erkalten, und ich bin stolz darauf von Dir dasselbe erwarten zu können.
Mein Liebhngswunsch ist jetzt bald Deine Mutter, wenns möglich ist, auch den Geh. Rat malen zu können — Mein Lieblingstraum der Sommeraufenthalt in A〈rnau〉 — ich sehe mich schon in gelben Hosen, aufgeschnallten Stiefeln, einem grünen Kollet mit schwarzsamt’nem Koller und kleinen Aufschlägen und einem runden Hute auf einem Klepper im schönen Sommerwetter herumtraben, und Dich mit übereinander geschlagenen Armen stehn — und Abends in den Mond sehn — in Stoßseufzern zärtlichen Inhalts wechseln wir beide — ich klage, Du seufzest — am Ende kommts uns beiden possierlich vor — lachend und schäkernd gehen wir zu Bette — um — noch eine Stunde zu plaudern — Dir wird zu warm, Du stehst auf, ich hinterdrein — so kommt die Mitternacht heran — bis wir beide vor Schlaf nicht mehr lallen können — wir wünschen uns gähnend eine gute Nacht — schlafen schön, und träumen noch schöner — Deinen Vater seh‘ ich oft mit Vergnügen 〈mich〉 meine kleine Rondos und Lieder spielen hören — ich hab‘ eine Romanze auf die russische Kaiserin gemacht — das, und die Arien aus Lilla gefällt ihm am besten, das muß ich öfters wiederholen — Er läßt sich endlich bewegen, ein Liedchen auf der Zither zu spielen — ich akkompagniere auf dem Klavier — und denk zuletzt, ich bin in Spanien, und Du brummst dazu und schäfst endlich gar ein — Ist gut, daß hier das Blatt zu Ende ist, sonst würde ich Dich noch mehr ermüden. — Addio
H.
Sonnabend, den 29 t 〈l. 28.〉 Februar 1795
Abends.
Dein lieber Brief hat meine Stimmung sehr geändert — Lieber einziger teurer Freund — ich bedauere Dich, ich fühle tief in meinem Herzen Dein Unglück — Innig vertraut mit manchen geheimen Motiven Deines Schmerzes empfinde ich alles mit Dir — Du bist mir viel — mehr als alles übrige in der Welt. Wärmer noch schlägt mein Herz für Deine Freundschaft, als für jene so unglückliche Liebe, denn unglücklich ist sie auch auf alle Fälle. ich las Deine warme Versicherungen Deiner Freundschaft — in inniger Wehmut zerfloß mein Herz, und ich versank den Brief in der Hand in eine stille schwärmerische Verzückung — ich liebe Dich — ich bete Dich an — Du bist der einzige, der die innern Regungen meines Herzens versteht — dessen ganze Seele sich so sanft der meinigen anschmiegt. Ach wie unauslöschbar in meinem Gedächtnis und in meinem Herzen sind jene Abende eingeprägt, die ein wohltätiges Licht über meinen ganzen Charakter verbreiteten — Mit Dir ziehe ich gern in eine Einöde — ich verlange denn Keinen mehr zu sehen, Keinen zu hören als Dich. Verscheuche doch Deine trübe Vorstellungen immerwährenden Unglücks — und könnt ich sie verscheuchen, das wäre mehr, als die feurigsten Wünsche erflehen können — ach wie gern eilt ich zu Dir — — bald — und verlebte die paar Wochen mit Dir noch ungestört und glücklich — das wär ein heitrer Sonnenblick nach vielen trüben Tagen — Meine I〈namorata〉 werde ich vermutlich gar nicht mehr, oder doch wenigstens so bald nicht sprechen. 〈…〉
Freund — Innig Geliebter — ich sags Dir feierlich und ernst — Gern opfere ich die Geliebte und alles, wenn ich Dich mir erhalten könnte — wie gern folgt ich Dir nach M〈arienwerder〉 — Pläne durchkreuzen meine Seele, neue Vorsätze und Entschließungen brüten in mein〈em〉 Gehirn — Für Dich möcht‘ ich mit froher Miene mein ganzes scheinbares Glück aufopfern, um Dir unwandelbar zugesellt des einzigen für mich wahrhaften Glücks zu genießen. 〈…〉
Sollte ich doch unglücklich den niedern Kabalen unterliegen, so habe ich Dich noch — Du wirst mich nie vergessen — Alles kann man mir rauben aber Dich nicht — und mir nicht mein eignes Selbst — Meine Unschuld wird mich trösten — Arm und hülflos werde ich nie sein — immer findet sich doch wohl eine Wand, die ich bepinseln, und Papier, das ich beschreiben kann. Item es hilft, war der Wahlspruch eines meiner Vorfahren, und nach diesem Wahlspruch bin ich erzogen. Sollte gar mein Leben in Gefahr kommen, so verlass‘ ich mich auf meinen Mut, der mir Anschläge geben und meine Kräfte stärken wird. Sollte ich endlich doch ein Opfer seiner unverzeihlichen Bosheit werden, so weine Deinem Freunde eine mitleidige Zähre, und sei der Vollführer einiger kleiner Anordnungen, die Du in einem kleinen Archiv in meinem Kasten aufgezeichnet finden wirst. Das ganze Archiv gehört Dir, es wird Dir manches drin interessant sein. Du wirst sogar an der Schrift die kalte Ruhe und Gelassenheit bemerken, womit ich Dir dieses schreibe.
Freund, welche Seligkeit liegt in dem Gedanken, mit Dir vereint allen gewiß infamen Verhältnissen auf ewig entsagen zu können, und Du glaubst einen Augenblick, sie könne mich zurückhalten Dir zu folgen? O wie so unwürdig meiner innigen Freundschaft gegen Dich wäre dies — Nein selbst bei der glücklichsten ungestörtesten Ruhe hätte sie mich nie zurückgehalten! — Du siehst, lieber Freund, daß auch ich meine besondre Art Unglück habe, und daß meine Lage nicht beneidenswert ist — Wir werden durch alles mögliche verbunden — wir sind Unglücksbrüder — Du wirst einen mächtigen Unterschied zwischen unserm Unglück finden, aber glaube mir, am Ende kommt alles auf eins heraus.
Für heute muß ich die mir so liebe Unterhaltung mit Dir aufgeben, die Tante fordert mich auf ihr noch einige meiner ˃Gedanken über Vieles˂ mitzuteilen — ich muß ihrem Verlangen Genüge leisten — Schlaf wohl, lieber einziger teurer Freund — süße Träume, reizende Bilder einer frohen Zukunft mögen Dich umgaukeln — Geisterartig walle bei Dir vorüber der Genius Deiner Dir lieben — Fühlst du ein sanftes Säuseln der Lüfte, ein leises hin und herwehen, ein Flüstern gleich dem murmelnden Geräusch eines fernen Baches, so ists mein Genius, der Dich umschwebt — denn alle Nacht bin ich bei Dir — Dich und sie, öfters noch Dich allein seh‘, hör‘ und fühl‘ ich in langen Träumen. Schlaf wohl —
Morgen noch ein mehreres und der weitere Erfolg des häßlichen Vorgangs —
Sonntag 〈1. März〉
Abends
Ich komme eben von einer kleinen Fete, zu der man mich geladen hatte — da war ich geschwätzig — altklug bei den Alten, religiös bei den religiösen, galant bei den Damen — und im Grunde so einsam, als wär‘ ich in eine Einöde versetzt gewesen — Eine kleine Unterhaltung mit Dir soll mich schadlos halten, und mir noch vor Schlafengehen einige frohe Augenblicke machen.
〈…〉
Mein sehnlichster Wunsch ist Dich morgen zu sprechen. Denke an den schönen Traum, begeistere Dich damit so wie ich — ach nur 2 Wochen wollt‘ ich glücklich sein. Denk an das Portrait Deiner Mutter. Denk an Deinen, ewig Deinen
H
Mittwoch d. 4 t März 1795
Lieber teurer Freund! Es ist sehr gut, daß heute keine Gelegenheit kam, ich hätte sie ohne an Dich geschrieben zu haben wieder fortgehn lassen müssen. Wir hängen nie von uns selbst ganz ab, unnennbare Kleinigkeiten, die fest mit einander verknüpft sind, eine Reihe von Vorfällen, Zerstreuungen mannigfacher Art halten uns oft von Beschäftigungen ab, die uns doch so sehr am Herzen liegen — Ich bin nicht eher ruhig, bis ich an meinem Maltisch sitze, und das Portrait Deiner Mutter vor mir habe — die Idee Dir einmal einen kleinen Freundschafts-Dienst tun zu können setzt mich in eine Art von Enthusiasmus, ich brenne vor Begierde für Dich viel zu tun, daher ergreife ich eifrig jede Gelegenheit wenigstens etwas tun zu können. Das Bild wird mir gewiß gut geraten, denn ich werde con amore arbeiten. — Willst du auch Deinen Onkel von mir kopieren lassen? Sprich ein einziges Wort, und Du wirst mir lebhafte Freude verursachen.
Den Don Juan habe ich jetzt auch eigentümlich — er macht mir manche selige Stunden, ich fange an jetzt je mehr und mehr Mozarts wahrhaft großen Geist in der Komposition zu durchschauen, Du sollst gar nicht glauben, wie viel neue Schönheiten sich dem Ohr des Spielers entwickeln, wenn er auch nicht die geringste Kleinigkeit vorüber schlüpfen läßt, und mit einer Art von tiefem Studium zu jedem einzelnen Takt den gehörigen Ausdruck sucht — Das Anschwellen von sanfter Melodie bis zum Rauschenden, bis zum erschütternden des Donners, die sanften Klagetöne, der Ausbruch der wütendsten Verzweiflung, das Majestätische, das edle des Helden, die Angst des Verbrechers, das Abwechseln der Leidenschaften in seiner Seele, alles dieses findest Du in dieser einzigen Musik — sie ist allumfassend, und zeigt Dir den Geist des Komponisten in allen möglichen Modifikationen. Noch 6 Wochen wollte ich Don Juan studieren, und Dir ihn denn auf einem englischen Fortepiano vorspielen — wahrhaftig Freund, Du säßest still und ruhig von vorne an bis zu Ende, und würdest ihn noch viele Zeit in Deinem noch dazu unmusikalischen Gehirn behalten. Denn da würdst Du noch mehr die Schönheit fühlen, wie in der Comedie, man ist da viel zu zerstreut um alles gehörig zu bemerken.
Wenn Du Montag herkommst, so bitte ich Dich auf das inständigste, Du tust Deinem Freunde, der Dich innig und zärtlich liebt, einen Gefallen der ihn sehr glücklich macht: fahre früh aus, daß Du schon um 10 Uhr hier bist, komme gleich zu mir, denn kannst Du bis halb 1 Uhr bei mir bleiben. Wenigstens etwas mußt Du aus Don Juan hören. Fürchte Dich nicht vor mein Singen, ich werde schon meine Stimme so modulieren daß sie Dir nicht unangenehm sein soll.
Lebe wohl, lieber HerzensJunge, behalte mich lieb
Ewig Dein
H
Montag sprech ich Dich doch gewiß.
Sonnabend d. 4 t April 1795
Du erhältst — lieber Freund — Dank seis meinen schöpferischen Federposen, schon wieder 2 Bogen des Cornaro — Der Titel ist jetzt so bestimmt
CORNARO
Memoiren des Grafen Julius von S.
Geschrieben
In den Frühlingsmonden des Jahres 1795
Rezensiere doch recht genau, und unterstreiche etwanige Wiederholungen in dem Ausdruck und in den Ideen. Ich glaube daß das Werkchen bald zu 16 Bogen, als die bestimmte Anzahl des ersten Teils, anwachsen wird — ich schreibe jeden Abend recht con amore daran. — Schick mir doch nur ja auch etwas von Deinen Arbeiten — Du wirst finden, daß ich ziemlich genau den Gang einer gewissen Geschichte beibehalte — Das Lärm in den ersten Bogen ist nicht ohne Ursache — Erst im 2 t Teil erklärt’s sich —
Was machst Du denn — Wie lebst Du? Wenn Du mißvergnügt bist, so fang nur an einen Roman zu schreiben, das ist gute Medizin — Ich habe gestern auf dem Kneiphöfschen Hof Graun’s Tod Jesu mit einer Empfindung, die ich Dir nicht beschreiben kann, aufführen hören — Es war sehr voll geputzter Damen — R. K. D. — Ich sprach einige Worte mit ihr , und stellte mich dann in einen einsamen Winkel, um ganz die Musik zu genießen — Es sangen: 1. Baß — D.. S. B. — 2.Tenor Z. A. G. L. — 3. Diskant die W. A. und Z. Die Arie — Ihr weichgeschaffnen Seelen — eine der schönsten im ganzen Oratorium — sang Z. mit einer Empfindung, die manchem schönen Auge Tränen auspreßte, mir tränenlosen aber tiefe Seufzer — das feierlich Pathetische der Choräle drang durch Mark und Bein — da wär ich gern gestorben — Die W. sang das erste Rezitativ: Gethsemane — und die darauf folgende Arie mit einem Ausdruck sanften wehmutsvollen Gefühls — ihr Gesicht paßte zu dem was sie sang — Alle Sänger und Sängerinnen waren schwarz — hättst Du doch die Musik gehört — Leb wohl lieber teurer Freund, denk oft an
Deinen H
〈Frühjahr 1795.〉
Lieber teurer Freund Ich danke Dir recht sehr für Deine Rezension — es ist die erste, die ich so recht habe nützen können — verschiedne kleine Züge, die anders gestellt eine bessere Wirkung tun würden, werde ich verändern. — Deine Arbeiten hab‘ ich mit Vergnügen gelesen. — Du erhältst sie nebst der Fortsetzung von Cornaro zurück — Warum das Cornaro heißt entwickelt sich erst im zweiten Teil — Sag mir nur — ist das Ganze nicht ein bißchen buntschäckigt? —
Es kommt auch teils daher — weil in diesem ersten Teil alles vorbereitet werden muß —
ich erwarte Dich sehnlich diese Woche — wenn Du Mittwoch oder Donnerstag und in der übrigen Zeit kommst — findst Du mich in der gelben Stube — ich male sie aus —
ich lebe jetzt still und zufrieden — ich wünsche, daß Du auch jeden trüben Gedanken von Dir verscheuchen magst. Der Frühling hat auf meine Laune einen sehr wohltätigen Einfluß. Eben komme ich nach Hause, unter der Zeit ist Dein Brief nebst den Büchern angekommen. Der Mensch hat versprochen wieder zu kommen, und ich erwarte ihn.
Ich bin sehr unzufrieden, daß Du meine Bogen noch nicht zurückgeschickt hast — an den Rand bitte ich nichts zu schreiben weil ich da selbst meine Veränderung mache — Lebe wohl und glücklich
Donnerstag bekomme ich Cornaro und Du KlavierNoten
H
Freitag den 1 ten Mai 1795. 〈...〉
Mein physisches Übel kam auch wieder — Es besteht in Migraine, Unwohlheit und einem entsetzlichen Nasenbluten — vorige Nacht blutete ich anderthalb Stunden — heute schon wieder, obgleich nicht so lange — vorgestern befürchtete ich einen Blutsturz — Mir wurde so weh, und so halb ohnmächtig, ich weiß selbst nicht wie — Motion hilft mir — ich befinde mich besser darnach — Wenn ich nur wüßte, daß es Deinem Vater lieb wäre, würd ich künftige Woche einen Tag Morgens zu Fuß herauskommen, und allenfalls um den Abend zu genießen, erst auf den andern Morgen früh meine Retour nehmen, ich denke immer, ich habe einen Künstler-Körper, d. h. er wird bald gar nicht zu brauchen sein, und ich werd mich empfehlen ohne ihn mitzunehmen.
Mein moralisches Übel kennst Du 〈…〉
Seitdem Du in A〈rnau〉 bist, bin ich wirklich hier mitten im größten Gewühl sehr verlassen — ich bin ein Anachoret, als wenn ich auf Formentera wäre — Wie Du noch hier warst, war es anders — Wärst Du und der Bruder nicht damals hier gewesen — Himmel wo wäre ich jetzt! — ich werde noch zur Verzweiflung kommen, über die gänsedummen Bocksprünge des gemeinen maulaffenden Pöbels — ich ergreife den Stab! — Sieh nur, unser Übel ist entgegengesetzt, Du hattest zu viel Fantasie, ich habe zu viel Wirklichkeit.
Meine beste Stunde im Tage ist Abends um 10 Uhr, wo ich gewöhnlich zu Bette gehe — ich werd jetzt schlafen, denk ich denn, und schlaf wirklich ein —
Ich werd Dich Sonntag mit Sehnsucht erwarten, komm doch nur gewiß —
〈…〉
Du glaubst gar nicht, wie mich dieses quät — auch mein Schicksal, meine Bestimmung — Das Studieren geht langsam und traurig — ich muß mich zwingen ein Jurist zu werden.
Wenn ich doch eine Hackertsche Mondgegend hätte —
Leb‘ wohl —
Denk an mich H.
Königsberg d. 22 t September 1795
Lieber Einziger teuerster Freund! Eine Unterhaltung mit Dir, wenn sie auch nur schriftlich sein kann, wird mich gewiß heitrer stimmen — Noch nie, noch nie habe ich Deinen Verlust lebhafter gefühlt, als in den heutigen Abendstunden. Die Wunden, welche schon fast ganz geheilt waren, sind durch neue Vorfälle wieder aufgerissen — und ich zweifle nicht länger an ihrer Unheilbarkeit — Dir, Dir allein kann ich’s nur sagen, was ich empfinde 〈…〉
Als ich die Nachricht bekam, daß alles wieder beim alten wäre, daß alle Szenen erneuert würden, griff ich mechanisch nach Hut und Stock — als ich mich einigermaßen besann, stand ich am Rollberge, und hatte den Drücker an der Türe Deiner vormaligen Wohnung in der Hand — Vergebens würd ich Dir meine Empfindung schildern — eine helle Träne stand in meinem Auge — das will bei mir viel sagen! — Ich fühlte eine schreckliche Leere in meinem Herzen — Keiner — keiner, dem ichs klagen konnte — Was wir uns waren — ich bin stolz darauf es frei sagen zu können — Du findst mich auch nicht zum zweiten mal — Von Dir find ich keinen Schatten — Ich kann das nun schon für den Tod nicht leiden, die Bekanntschaften — wenn man sie Freundschaft nennt — Eine gewisse Person war so stockfischmäßig dumm, mir mit dem plumpsten Anstande zu sagen: Ja freilich, er ist fort, Du wirst Dir einen andern Freund zulegen müssen. — Wer diese Person war, wirst Du an dem Gemälde leicht erkennen — Mein Schicksal ist traurig, eben in dem Zeitpunkt, wo ich den ganzen Umfang des Glücks fühle, das ich genießen könnte — gerade denn stehe ich in Gefahr es auf immer zu verlieren — Ich müßte verzweifeln ohne mein Pianoforte — dies schafft mir mitten in dem Sturm von tausend quälenden Gefühlen, noch Trost — Es ist, als umschwebte mich ein friedlicher tröstender Genius, wenn ich zuletzt halb berauscht von den ungebundenen, nie wiederkehrenden Gängen meiner Fantasie, mich ganz in mich selbst verliere. Da habe ich jetzt den J. — ich bin ihm sehr gut, ein anderer Geist scheint ihn zu beleben, wenn er die Violine nimmt — aber übrigens — nein so etwas ist einzig — wir hätten uns nie trennen sollen. 〈…〉
Und nun! — Laß mir hier ein Gleichnis von meiner lieben Musik borgen — Denke Dir eine Simphonie gespielt von den größten Virtuosen, auf den vollkommensten Instrumenten — denke Dir die schmelzendste Stelle eines Adagio, pianissimo ausgeführt — Deine Empfindung ist aufs äußerste gespannt — und nun kommt ein elender Mensch, und schrapt auf einer Bierfiddel ein Stück eines erbärmlichen Gassenhauers — sage, würde nicht Dein Innerstes sich empören — Du siehst Dich herausgerissen auf die empfindlichste Art aus der süßen wonnevollen Betäubung, worin Dich das sanfte Adagio wiegte — Dein Zorn — Dein reizbares Temperament würde alles sanfte in Deiner Seele ersticken — Du würdest auf den Fidler zufahren, und in der größten Hitze sein Instrument zerschlagen — aber würde das alles helfen? — Die Spieler sind aus dem Takte gekommen — die Augenblicke des warmen Gefühls, das nur allein die Seele des schönen Vortrags ist, sind vorübergeflogen — und alles — die zusammengeworfnen Noten — die verstimmten Instrumente — alles sagt’s Dir: Es ist vorbei — es war! — Da hast Du das ganze Verhältnis — da hast Du den Urgrund meines Kummers — das Bild meiner schlaflosen Nächte — meiner blassen Wangen! — Wo ist die Jovialität, die meinem Geiste eigen ist! — sage Freund — Ist das Schicksal, oder liegt es in Umständen, die doch subjektiv sind, daß ich nur gleichsam Erholungen habe, um desto empfindlicher wieder gequält zu werden? — Es ist, als ob sich alles vereinigte mir meine Tage jetzt abscheulich zu machen — schon gehts in die zehnte Woche, daß ich examiniert bin, und noch ist nichts von Berlin zurück, noch bin ich nicht vereidigt. Mein geschäftloses Leben ist mir im höchsten Grade zur Last. Werde ich nur erst arbeiten — ich will so viel — meine Kräfte setze ich zu — wenn es mir gelänge, was ich will, so würden manche das ungewöhnlich nennen, davon sprechen mag ich gar nicht, weil man mir ins Gesicht lacht. — Überhaupt — weiß Gott, welches Ungefähr, oder vielmehr, welch eine sonderbare Laune des Schicksals mich in dies Haus hier versetzte. Schwarz und weiß kann unmöglich entgegengesetzter sein, als ich und meine Familie — Gott was sind das für Menschen! — Freilich gesteh ich ein — daß manches an mir zuweilen so ziemlich exzentrisch ausfällt — aber auch nicht die geringste Nachsicht — der dicke Sir, für meinen Spott zu abgenutzt, für meine Verachtung zu erbärmlich, fängt mich an mit einer Indignation zu behandeln, die ich wahrlich nicht verdiene.
Ewig werd ich an den einen Gang aus A〈rnau〉 mit Dir denken. Du weißt wie mein volles Herz da überfloß, — wie ich Dir da so alles klagte, was 〈in〉 meiner Brust nagte — ach das alles hat sich nicht geändert — über das alles seufze ich noch — Was mich aber über alles trösten kann, was alles Leiden, allen Kummer in Vergessenheiten begraben, was die tiefsten Wunden, die ein feindliches Schicksal meinem Herzen schlug, heilen kann, das ist die Wiedervereinigung mit Dir — Wenn das, was mich hier so gefesselt, was den höchsten Lebensgenuß mir gibt, wenn ich das verlieren sollte, dann fliehe ich zu Dir — ich überwinde alle Hindernisse — denn Mut hab‘ ich, und den verlier ich auch nie — ich lebe in der größten Eingezogenheit — ich wohne wenns möglich ist, dicht bei Dir, oder doch wenigstens in einem Hause mit Dir — ich arbeite so viel als ich nur kann — Ein paar Abendstunden mit Dir zugebracht ist meine Erholung — glaube mir, lieber einziger Freund, dieser süße Traum beruhigt mich, — er macht mich zufriedner mit mir selbst und mit den Gegenständen um mich. Und sollte denn die Erfüllung unmöglich sein? — Nein wahrlich nein — dawider empört sich meine ganze Seele — Wenn ich alles verlieren sollte, so bin ich doch noch sehr reich, ich habe ein köstliches Kleinod aus dem Schiffbruch gerettet, das ist Deine Freundschaft.
〈…〉
Verzeih es, lieber Freund — wenn meinem Briefe hie und da Zusammenhang fehlt — ich mag ihn nicht wieder durchlesen — Erst künftigen Donnerstag kann dieser Brief abgehen — bis dahin spreche ich noch zwei, drei mal mit Dir! —
〈…〉
Gute Nacht, mein lieber!
Sonntag d. 25 t Oktober 1795.
Schon viel eher hätte ich Dir auf Deinen lieben Brief geantwortet, wenn ich nicht jeden Posttag noch auf einen von Dir gewartet hätte, — der Ball, auf den Du Dich neulich so freutest, wird vermutlich jetzt gewesen sein, und ich bin auf Nachrichten davon äußerst begierig — der Ball ist das wenigste, aber in was für neue Verhältnisse Du dadurch getreten bist, was für neue Ideen Dich beschäftigen — ob Amor oder Mephistopheles gesiegt hat — das ist das interessante — Im Grunde genommen ist unsere Lage jetzt wieder sehr verschieden, Du in der kleinen Stadt spielst den Weltmann, der sich in den buntesten Zirkeln herumtummelt — ich in der größern — den eingezogenen Stubenhüter, den die tote Welt um sich herum genug beschäftigt, und der außer den Regierungszimmern und seiner eignen Stube in keine andere kommt. Im Ernste — ich glaube, Du kannst Dir von meinem jetzigen Leben einen nicht so recht eigentlichen Begriff machen. Die Eingezogenheit verbunden mit den glücklichen Stunden der Autorschaft fängt an für mich Reiz zu haben. Wenn ich dann des Abends sitze, mein Werk vor mir, und wenn meine Fantasie tausend Ideen vervielfältiget, die sich in mein〈em〉 Gehirn erzeugen — denn verliere ich mich so ganz in diese neu erschaffne Welt, und vergesse darüber alles bittre der Gegenwart — Ich arbeite jetzt an einem Werk, was ganz mit meiner Laune, der ich immer ihren gewöhnlichen Gang lassen kann, übereinstimmt — ich nenne es »den Geheimnißvollen«! — Ein sehr ominöser Titel, nicht wahr?
〈Montag, den 26.,〉 Nachmittag um 2 Uhr
Ich dachte heute einen recht frohen Tag zu haben, wie Montag gewöhnlich, aber das ist verdorben, denn eben jetzt sehr zur Unzeit stirbt der GroßOnkel. — Eben bin ich da gewesen — da liegt er mit eingefallnen Backen, offnem Munde, brechenden Augen, und röchelt dumpf — der Anblick war grausig für mich — Der Mensch ist doch ein elendes Geschöpf, wenn er geboren wird und wenn er stirbt — Du siehst, daß meine Abwechslungen hier sehr traurig sind, daß ich schwarz gehe, und einige Wochen die Bälle, das einzige, wodurch ich noch an einem sehr feinen Faden mit der beaumonde von K〈önigsberg〉 zusammenhänge, meiden muß. — Wenn Du noch in Arn〈au〉 wärst, so käm ich morgen auf jeden Fall zu Dir heraus, denn es wird ein sehr fataler Tag sein — da wird ex officio geweinet und ich darf mein Fortepiano nicht ansehn, ob ich gleich eine sehr schöne zärtliche Arie von Pietro Winter nur gestern aus der Partitur gezogen und unaufhörlich gespielt habe, und heute und morgen wieder spielen möchte. — — —
— Der Onkel balgt sich fürchterlich mit dem Tode —
Ich brach bei meiner Schilderung der Stunden meiner Autorschaft ab, und nicht genug kann ichs Dir wiederholen, daß mir das Wesen lieb ist und anfängt, meinen Plänen eine ganz andere, hin und her etwas originelle Richtung zu geben. — Die Wiedervereinigung mit Dir ist mit ein Hauptzweck, wohin ich arbeite, aber leider — gehört’s noch immer ins Gebiet der schönen Träume (Eben kommt der Vetter R. und will, ich soll Protokoll führen — Gehorsamer Diener!) und schöne Träume lassen doch immer so einen süßen Nachhall ihrer Harmonie in unserer Seele zurück, die in uns eine für Körper und Geist sehr gesunde Stimmung hervorbringt. — Zuweilen bist Du mir ganz gegenwärtig — ich sitze mit Dir (denk an die seligen Abende) bei einer Flasche Wein und wir schwatzen und philosophieren uns ein ganzes Gebäude von Entschlüssen oder rechnen unsere Bemerkungen aus der Vergangenheit zusammen und freuen uns über das Zusammentreffen unserer Ideen — bei jedem Glase eine Gesundheit! Wir quälen uns oft — wessen — wenn gleich in jedes Kopf und Herzen sogleich der Gedanke an sie alle andere überwältigt. 〈…〉 Wenn ich mich so in diesen Ideen verliere, so möchte ich wohl gleich zu Fuß nach M〈arienwerder〉 kommen, mit meinen Manuskripten in der Tasche, und alles hier im Stich lassen. — Doch, das geht nicht so recht, und bei dem allen hoffe ich doch, daß wir über kurz oder lang wieder vereinigt weit froher als jetzt leben werden. —
〈…〉
Meine kleine Konzerte dauern noch fort, und neulich legt‘ ich den Anfang eines Motetts von eigner Komposition auf — aber den Text dazu wirst Du schwerlich raten — er ist aus Goethe’s Faust — Judex ille cum sedebit pp die Worte des Mädchens sind begleitendes Rezitativ — das Judex pp vollstimmig, meinte J., (so wie ichs nehmlich aufgeschrieben habe, eine Strophe bloß mit Posaunen Fagotts und Hoboen und dann erst fugenmäßig die Orgel und andre Stimmen) müßte eine schauervolle Wirkung tun. — Wohnt ich an einem katholischen Ort, so ließ ich die Rezitative weg, komponierte ein paar Fugen dazu, und hätte dann Hoffnung es in der Kirche aufführen zu hören. — Habe ich mich erst wieder mehr in der Komposition geübt, so mach ich mich über Claudine von Villa Bella her. Du glaubst überhaupt gar nicht, wie mich jetzt die Furie der Komposition in Musik — Romanschreiberei pp anpackt. — Das beste ist — daß ich alles das, was mir nicht gut dünkt, ins Feuer werfe. —
Ich wünsche, daß Du einst ein Mädchen mit der ruhigen sanften Empfindung, die aber nie anders, als nach ausgestandenen Stürmen, sich unsers Herzens bemeistert, so lieben magst, als ich meine I〈namorata〉 — Es ist nicht das Toben einer wilden alles verzehrenden Leidenschaft, es ist das sanftere Feuer eines innigen Gefühls, welches mich an sie fesselt. Um dies alles nicht in meinen Verhältnissen lächerlich zu finden, muß man sie ganz kennen, und auch nur Dir — Du Einziger, der mich versteht, sage ich dies 〈…〉. Lebe doch recht vergnügt — Glaub nur sicherlich, man kann viel in sich selbst finden wenn man sich nur die Mühe gibt zu suchen, doch das darf ich Dir nicht sagen. Leb wohl Einziger teurer Freund.
Ewig
Dein
H
Königsberg d. 25 Novbr 1795.
Daß Du mir in Deinem letzten Briefe vom 15 t November cr. keine Vorwürfe über mein Stillschweigen gemacht hast hat mich gefreut, denn mein Bewußtsein der Schuld ließ mir ihn mit Zittern und Zagen erbrechen. Du hast mir dadurch auf eine gerade Art zu verstehen gegeben, daß Du endlich von meiner Denkungsart ganz überzeugt bist, und nicht das Andenken an Dich und meine immer fortwährende einzige Freundschaft für Dich nach der Menge meiner Briefe beurteilst. Eine meinen Körper und meine Seele angreifende Unpäßlichkeit, die mich zu jeder noch so kleinen Anstrengung unfähig machte, einige Verdrießlichkeiten, und das Verlangen Dir mit dem nächsten Briefe das Portrait Deiner Mutter zu überschicken haben mir ein so langes Stillschweigen auferlegt; denn irre ich nicht, so ging mein letzter Brief schon vor 5 Wochen ab. Daß Du auch krank bist, bedaure ich von Herzen, Du bist aber noch glücklich genug dabei arbeiten zu können. Mir gings nicht so! Noch jetzt hemmt eine unüberwindliche Schläfrigkeit den ganzen Tag über den Lauf meiner Geschäfte. In der Nacht ist mein Geist am tätigsten, und wenn ich ungenierter wäre, würden die Produkte mancher glücklich durchträumten Nacht Musterstücke ihrer Art sein. Die Ouverture zum neuesten Motett, dem noch die Vollendung fehlt, habe ich in der Nacht gesetzt, indem ich bloß den Baß auf des J. Harfe die eben in meiner Stube stand probierte, und ich versichere Dich, daß diese Ouverture das einzige von meiner Arbeit ist, was mich das Inwohnen eines musikalischen Genies vermuten läßt — doch schon auf der ersten Seite meines Briefes verirre ich mich in meine Lieblingsmaterie, und werde ennüyant weitläuftig — ich breche ab, wenn ich noch vorher einige Worte über Axur gesagt habe. Vorigen Sonntag nehmlich wurde Axur , eine neue Oper von Salieri, gegeben. Der kurze Inhalt ist folgendes: Axur, König von Ormus, ein Tirann ohne gleichen, verliebt sich in Astasia, die Gemahlin seines Feldherrn Tarar, und läßt sie ihm rauben. Tarar, mit Hülfe des Italiäners Biscroma, entdeckt seine Geliebte zuletzt im Serail, will sie erretten, welches ihm aber fehl schlägt. Axur, teils über diesen Vorfall, teils über die Liebe des Volks zu Tarar erbittert, verdammt ihn mit Astasien, die ihm aufs verächtlichste begegnet, zum Feuertode. Sie besteigen schon den Scheiterhaufen, als die Armee, die Tarar gegen die Ungläubigen anführen sollte, zurückkehrt, die Leibwache wird geworfen, und die Soldaten dringen durch, um Axurn niederzuhauen und ihren General zu erretten. Tarar mahnt sie vom Scheiterhaufen herab zur Ruhe und Unterwerfung, sie legen ihre Waffen nieder, Tarar steigt herab und bittet Axur um Gnade — dieser, zur Verzweiflung gebracht, wirft den Turban Tararn vor die Füße mit den Worten, daß er ihn hasse und Leben und Freiheit ihm nicht verdanken wolle, und stößt sich den Dolch in die Brust. Dies ist der nackte Plan, aber wie viel Ausputz — Da kommt noch Biscroma vor, ein Italiäner, der Aufseher des Serails bei Axur und Tarars Freund ist — dieser Charakter, der von Hrn. S. vortrefflich durchgeführt wurde, hat mir vorzüglich Freude gemacht — tausendmal hab ich bei der Oper an Dich gedacht — es wäre gewiß Deine LeibOper geworden. Den Axur spielte S〈chwartz〉 meisterhaft — die Musik der Oper ist, so wie alles von Salieri, ganz vortrefflich — Reichtum der Gedanken und richtige Deklamation geben ihr den Rang gleich den Mozartischen — Ach Freund, eine einzige so komponierte Oper könnte das Glück meines Lebens machen!
Das Portrait Deiner Mutter liegt in seiner Vollendung vor mir — S. ist gewiß ein großer Künstler, denn es ist nur zu sichtbar — daß es ihm gelungen ist, nicht allein die Züge genau zu kopieren, sondern auch dem Bilde den Geist einzuhauchen, der nur allein fähig ist ein Bild in der Ähnlichkeit brauchbar zu machen — ich merke, daß dies Dir nicht deutlich sein kann — doch Du mußt es meiner Verworrenheit zu gute halten — Wenn es mir nur gelungen wäre dies auch in die Kopie hinein zu bringen. So con amore , wie dies Portrait, habe ich noch keins gemalt. Ich hätt‘ meine Kopie zerrissen und eine neue angefangen, wenn nicht der G〈eheime〉 R〈at〉 auf das Portrait und Du auf einen Brief noch 4 Wochen hätte〈t〉 warten müssen — Ich beneide Dich eine solche Mutter zu haben, aber Du gleichst ihr Zug vor Zug auf ein Haar 〈…〉 Mal ich diesem Portrait eine andre Frisur, einen Zopf, und eine Binde um den Hals, so bist Du es. — Übrigens hat sich der Hang zur Malerei bei mir verloren, und das macht, weil ich im Grunde noch nicht weit genug darin bin, daß es meinen Geist genug beschäftigen kann — das einzige ist, daß ich Vignetten satyrischen und amorösen Inhalts mit Bleifeder hinwerfe, die mir Stoff zu einem Werke geben sollen, welches ich witziger Art nach unterm Namen Ewald Trinkulo schreibe. Du wirst wissen, daß in Schakespears Sturm der Hofnarr des Königs Trinkulo heißt, und das war mein Ahnherr —
Man ist doch im Grunde hier ein erbärmliches Geschöpf — dünkt sich frei und glücklich, und hängt mehr wie einer von Konvenienzen und Launen ab. Daß ich zuweilen recht niederträchtige Tage verlebe ist eine traurige Wahrheit. Wenn ich könnte wie ich wollte, so wie ich immer gewollt habe, so säße ich nicht hier und ließ mir von der Melusinenbrut und dem Apollo aus dem Bierfaß eine doppelte Sonate vorschnarchen! — Wenn ich von mir selbst abhinge, würd‘ ich Komponist, und hätte die Hoffnung in meinem Fache groß zu werden, da ich in dem jetzt gewählten ewig ein Stümper bleiben werde. 〈…〉
Bei Axur kommt auch eine Harlequinade vor, die Biscroma nach italiänischem Geschmack der FavoritSultane gibt.
Arlequin, Arlequinette und Pierrot — die Musik dazu ist niedlich.
Welch ein Mischmasch — 1. Seite Axur — 2. Seite Deine Mutter! 3. Seite eine Heirat und eine Harlequinade.
Königsberg d. 19 t Dezbr 1795
Wer grübe sich nicht selbst sein Grab
Und würfe froh des Lebens Bürd hinab,
Wenn süßer Wahn nicht wäre!
Nimm Dir den Wahn, Dein Ruhm sei Lüge,
Sei Tand — sei Rauch —
Auch Doris — Doris trüge,
Sie täusche auch!
Wer grübe sich nicht selbst sein Grab
Und würfe froh des Lebens Bürd hinab,
Wenn süßer Wahn nicht wäre —
Ich weiß nicht, ob Du diese Strophen auch so gefühlvoll, so von einem stillen prunklosen Reiz erhoben finden wirst als ich — Mit meinem Gefühl sympathisieren sie ganz, ich habe nicht aufhören können sie zu lesen, und will sie sogar in eine leichte faßliche Melodie bringen um sie in jeder unmutigen Stunde auswendig singen zu können. — Ja lieber Freund, wenn jener süße Wahn, jene wohlwollende Fantasie, welche die Dinge, die von Natur häßlich und beschmutzt sind, mit bunten Farben bemalt, nicht wäre, wie würde es mit unserm Glück, mit unserm Frohsinn werden. — Der Introitus ist bedeutungsvoll, wirst Du sagen, und das Folgende wird vielleicht Deine gespannte Neugierde gar nicht befriedigen. Arm an merkwürdigen Begebenheiten kann ich Dir nur kleine Vorfälle der Vergangenheit und Gegenwart erzählen, die aber doch wichtig genug waren, auf mich und vorzüglich auf meine Empfindungen und meine Stimmung zu wirken — Zuerst muß ich Dir sagen, daß ich mit meiner ganzen hiesigen Lage wieder unzufriedner bin als je. Ich lebe in einer Geschäftlosigkeit, die meinen Tätigkeitstrieb abstumpft und mich zu jeder Anstrengung unfähig macht. Auf der Regierung werde ich unter der Menge ganz übersehn und muß mich glücklich schätzen, wenn ich mich dazu drängen kann Supplikanten zu vernehmen oder Protokoll zu führen 〈…〉
Du übst Dich in allen nur möglichen Arbeiten und wirst gewiß längst Rat sein, wenn ich noch als Auskultator ( Ohrenspitzer — ich hab über diesen Ausdruck mich sehr gefreut) herumlaufe, und irgendwo Präsident, wenn ich irgend eine kleine Stelle von ein paar hundert Taler Gehalt erhasche. Doch das alles soll in unserer Freundschaft nichts ändern. Der Gedanke Dich so ganz zu kennen, daß ich davon überzeugt sein kann, ist äußerst wohltätig für meine ganze Stimmung! — Es gibt nur ein einziges Ding in der Welt, von dem man behaupten kann daß es nie, wenigstens nie ganz täusche, und dies ist echte wahre Freundschaft, so geschlossen, so mit herzlicher Miene, offen und zwangslos wie die Natur, wie es Chodowiecki in einem Göttinger Taschenbuch zeichnete, auf der andern Seite umarmen sich ein paar Menschen in einer beschornen Lindenallee, zu denen gehören wir nicht! 〈…〉
Ja Ja — Wer grübe sich nicht selbst sein Grab
und pp
Wenn süßer Wahn nicht wäre!
Süßer Wahn ist’s bloß, was unser Glück und unsere Zufriedenheit macht — Nimm mir den, und ich würde gewiß mein Grab graben, um mit der größten Gelassenheit hineinzusehn, und es — — wieder zuzumachen denn der süße Wahn würde mir doch, wenn Ruhm und Ehre alles dahin wäre, noch mit 〈dem〉 Gedanken schmeicheln, daß Doris mich nicht trüge — Aber wenn auch dieser letzte Trost verschwände, wenn selbst die Geliebte, die mir alles war, mich hintergangen, mich vergessen hätte, welch eine gute Gottheit würde mich dann vor Verzweiflung schützen? —
〈…〉
Ja lieber Freund, nichts ist wahrer als daß Deine Gegenwart hier nur allein im Stande wäre mich für all‘ die trüben Stunden, die ich hier verfolgt und angefeindet verlebe, schadlos zu halten! — Alle meine Lieblingsarbeiten liegen unvollendet — ich habe nicht den Mut, die Stimmung sie fortzusetzen. Meine Fantasie ist erschlafft, und mein Geist erliegt unter dem Druck meiner widrigen Verhältnisse. — Sogar meine Kompositionen bleiben unvollendet — ich bin nicht im Stande mich in den Geist des Anfanges zu versetzen — Wie glücklich war ich, als ich das Motett Judex ille cum pp zu komponieren anfing — es ist fertig bis auf die Fuge, die erst angefangen ist, und das SchlußChor — Wir wollten es auf Weihnachten singen, aber es ist mir nicht möglich es fertig zu machen. 〈…〉
Wenn ich Dich doch eben jetzt nur eine einzige halbe Stunde sprechen könnte — Du kannst unmöglich die Sehnsucht empfinden, die mich jede Viertelstunde an Dich denken, und die Verhältnisse, die uns trennen, in den tiefsten Abgrund wünschen macht — Heute wird hier »das Sonnenfest der Braminen« gegeben. Die Musik hat sehr viel frohes — ich werde hinein gehen, und mich vielleicht aufheitern, oder doch wenigstens wieder einmal ein paar frohe Stunden genießen — Wenn ich denn Abends aus der Komedie komme, unterhalte ich mich noch mit Dir.
Abends um 9 Uhr
Ich habe das Sonnenfest gehört, und mich nicht aufgeheitert! — Die Musik war bis zum Überdruß alltäglich 〈…〉
Freund, wann werde ich mich endlich — von all diesen bis zur Nichtswürdigkeit kleinen Kabalen, von all‘ den sonderbaren Verhältnissen losreißen, und frei und glücklich sein — denn nur in der Freiheit ist Glück! — Wenn mir die Menschen den Kopf zu warm machen, und ich denn einen Geniestreich ins Große mache, so werden sie alle die Mäuler aufsperren, und mich mit der weisesten Schafsmiene für einen Narren erklären — woran ich mich aber sehr wenig kehren werde. — — —
Leb wohl, lieber einziger Freund, und vergiß nicht
Deinen
H
1796
Sonntag d. 10 Januar 1796.
Vor 3 Stunden habe ich Deinen Brief vom 5 Januar erhalten, und schon jetzt setze ich mich hin Dir ihn mit unruhigem Herzen und von tausend qualvollen Vorstellungen gemartert zu beantworten. Dein Plan in Rücksicht meines Fortkommens hat mich gerührt, weil er mir’s fühlen läßt, wie aufrichtig Deine Freundschaft für mich ist. Mein Verhältnis mit 〈…〉 ist dasselbe und vielleicht enger als je — Die Unannehmlichkeiten und Zänkereien haben eine gute Wendung bekommen, nachdem eine gewisse Mittelsperson aufgehört hat, dumme Streiche zu machen. — Du hast alles in Anschlag gebracht, nur nicht daß ich sie bis zum Unsinn liebe, und daß gerade das mein ganzes Unglück macht. — Du mußt mich für den wankelmütigsten Menschen halten, wenn Du dies liest — ich schäme mich fast Dir mehr von einer Sache zu schreiben, die mich zum Fangball der heterogensten Launen macht, die mich vielleicht in Deinen Augen herabwürdigt und lächerlich macht — ich liebe sie und bin unglücklich, weil ich sie nicht besitzen kann, weil in dem süßesten Genuß der Liebe ich qualvoll daran erinnert werde, daß sie nicht mein ist — nicht mein sein kann. — Sie, die ich über alles liebe, ohne die für mich kein Glück blüht, keine Freude existieren kann, ist das Weib eines andern — eines Menschen, der ohne die Kostbarkeit zu genießen die er besitzt, sie nur ängstlich bewacht —
Da hast Du meine ganze Schwachheit — ich weiß, daß Du ohne mich lächerlich zu finden mich bemitleiden wirst — Du bist der einzige, dem ich die Schwachheiten meines Herzens gern eröffne —
Ohnmöglich kann ich’s verlangen, daß sie mich mit dem ausgelassenen Grad von Schwärmerei lieben soll, die mir den Kopf verrückt — und auch das quält mich — Und nun — soll ich mich von diesem Gegenstande trennen — trennen mit der vollkommenen Gewißheit sie nie wieder zu sehn? — Du kannst mich trösten über vieles, aber kannst Du dies Gefühl — diese Leidenschaft, die mich zu Boden drückt, besiegen, so nenne ich Dich den Meister des menschlichen Herzens. — Wäre sie frei — so eilte ich zu Dir, denn alsdenn hätt‘ ich den gewissen Zweck vor mir, und könnt ihn erreichen — aber jetzt! 〈…〉
Wie ich lebe, darf ich wohl Dir nicht sagen — Ein Klausnerleben ist’s in der Regel, da hast Du ganz recht, auch noch jetzt — Auf die Bälle gehe ich wohl, ich tanze aber nicht mehr, aus dem sehr simplen Grunde, weil ich kein Vergnügen daran finde — Das was Du von Deiner Veränderung des Charakters sagst, trifft auch mich — ausgenommen — daß es an mir gegen andre weniger merklich ist, weil ich immer sehr verschlossen war —
Meine großen Pläne sind zu Ende — es lohnt nicht weils nicht geht — ich lebe fort, ich mache keine Ansprüche, weil es so wie jetzt unmöglich gehen kann — Mein Körper ist zu schwächlich um nicht mit der Seele mitzuleiden, und ich glaube gewiß, nicht 30 Jahr alt zu werden — was denn nachher hinter mir geschieht ist mir sehr gleichviel —
Also sei nur so gut der Wirtin die Ausbietung der Stube zu erlauben, ich werde nicht von hier mich entfernen, so lange der Tod oder Sturm und Braus mir nicht gewisse Leute aus dem Wege komplimentiert.
Meine Musik — mein Malen — meine Autorschaft — alles ist zum Teufel gegangen, ich bin so dumm wie ein Stockfisch, und versteh‘ nicht einmal ein gescheutes Protokoll aufzunehmen, so wie alles was mir vernünftige Leute, die weit gegründeter denken als ich, wohlmeinend raten.
Manchmal ist’s mit mir ganz und gar vorbei, und wenn mich nicht noch des Onkels kleine Konzerte aufrecht hielten, so wüßte ich nicht, was wohl schon alles aus mir geworden wäre. —
Bleibe Du in M〈arienwerder〉 oder gehe nach B〈erlin?〉 — werde alles — werde viel mehr, als Du mit Deinen kühnsten Wünschen glaubst oder hoffst — mich laß hier in Königsberg mich verzehren — mit mir ist nichts anzufangen, das siehst Du wohl, ich kann nicht fort — ich will sie nicht verlassen, und sie möcht um mich 24 Stunden weinen und mich dann vergessen — ich sie nie — Ich bin schon zu allem verdorben — man hat mich um alles geprellt, und auf eine sauersüße Art —
Lebe wohl lieber Freund — ich werd vielleicht so bald jetzt nicht schreiben, nimm 〈es〉 nicht übel und verschone mich auch eine Zeitlang mit Briefen — Glaube daß ich Dich ewig — ewig schätzen und lieben werde — lebe wohl — lieber lieber Freund!
Ewig bis in den Tod Dein
H
ich bin krank, herzlich krank — Ein einziges Wesen könnte mein Arzt sein! — vielleicht wird’s wieder besser.
ich habe den Sylvester auch feierlich begangen, und mich sehr mit Dir unterhalten 〈…〉
Montag 〈11. Januar〉 Morgens
Nimm doch nur nicht übel, daß ich so verworren geschrieben habe — ich hätte den Brief gar nicht abgeschickt, wenn’s mir möglich wäre einen bessern zu machen — Aus Versehn hab ich auch das Blatt abgeschnitten — Bester Freund, ich fühl es, nur Du allein in der Welt verstehst mich, und lohnst mir meine innige Freundschaft mit gleichem Gefühl — Um mich her ist hier Eiskälte, wie in Nova Zembla, und ich brenne und werde von meiner innern Glut verzehrt. — Dein ganzer Plan macht mich unglücklich — Du hast mir das Herz zerrissen! Überall seh ich Unmöglichkeiten, und doch werd‘ ich zu Dir hingezogen!
Ich erwarte bald einen Brief von Dir — ich werd‘ auch bald wieder schreiben — Leb wohl lieber Freund.
Königsberg d. 23 t Januar 1796
Deinen lieben Brief vom 14 t Jan: habe ich erhalten — Ja wohl war die Stimmung schrecklich, in der ich meinen letzten Brief an Dich schrieb — ich war herausgeworfen aus allen meinen Glücksplänen, und eine von Mißmut und feuriger Ohnmacht (kein Widerspruch!) koagulierte Zirbeldrüse, aus der Gift, Galle, und was weiß ich alles mehr, hervorquollen, verleitete mich zu den sonderbaren schwarzen Ausgüssen auf weiß Papier. Meine Laune ist der erste Wetterprophet, den ich kenne, und wenn ich Lust und Langeweile hätte, könnt ich Kalender machen. Du schreibst, ich soll das große Nest mit einem kleinen vertauschen, weil letzteres wärmer ist, und ich sträube mich dagegen, vors erste weil mir im großen unter gewissen Fittigen sehr wohl war, und dann weil man mir den Ausflug verbot, welches zweite als Hauptgrund gelten kann, wenn von wollen und nicht können unter uns die Rede sein wird, welches bald geschehen kann — Kurz ich sträube mich, einige Tage nachher bin ich auf der Redoute 〈…〉 und aufgehoben ist aller Umgang zwischen ihr und mir — Da hast Du in ein paar Kraftzügen ein ganzes Gemälde — in ein paar Worten die Quintessenz des ganzen Unglücks, welches mich quält, mich abpeinigt wie der G. R. M. die blasse C., und mir Schlaf, Ruhe und Essen verleidet — da sitz ich nun gerade so wie vor Zeiten als ich mich doch noch mit allem meinen Herzeleid Dir an den Hals werfen konnte, und sauf alle Abend bis 12 Uhr Huflat〈tich〉Tee, weil zu meiner verwünschten Lage auch noch eine böse Brust hinzukommt, die ich mir durch plötzliche Erkältung ohnlängst von einem Ball holte. — Und doch, wenn auch nur ein wenig mehr Realität, als vor 2 Jahren in meinem ganzen Wesen aufzufinden war, mich nicht mehr in solchen Fatalitäten, wie die quaestionis ist, den Verzweiflungsvollen spielen und hingegen mehr die Folgen in ihrer möglichen Reihe erblicken läßt, hätte ich mich dabei nicht so ruhig betragen, wenn ich nicht in den letzten Perioden der kurzen Geschichtserzählung auf vorigem Blatte eine Lüge gesagt hätte. Dies wirst Du selbst bemerken, wenn Du bedenkst, daß man, wenn’s einem so recht am Herzen liegt, zum Fenster hineinsteigt, wenn die Türe zugeschlossen ist — Freilich kann man den Hals brechen, aber was ist ein Hals gegen das, was man drinnen fand! — Vermutlich wird’s noch unangenehme Auftritte setzen, 〈…〉 und ich fliehe in die Arme meines Einzigen, und streckten sich auch einige Paar hiesige Arme, nervigte und nicht nervigte, nach mir aus um mich zurück zu halten, so entschlüpf ich ihnen mit schlauer Gewandtheit und fliehe zu Dir. Ich denke, daß ich in erwähntem Fall mein KlausnerLeben glücklicher und zweckmäßiger mit Dir an einem Orte verleben könnte, als hier — Du wirst bemerken, daß ich zwei Machtsprüche hier feierlichst widerrufe, einen im verborgenen und den andern offenbar. Der verborgene steht in meinem Briefe an Dich nach A〈rnau〉 und besteht in vier Worten, der offenbare im vorigen Briefe — Machtsprüche sollte kein Mensch tun — sie geraten nicht, und können sogar Pierrot’s mit großen Knöpfen und kleinen Köpfen aus uns machen — dixi
Daß meinen alten Vater zweimal der Schlag gerührt hat, ist mehr als traurig — seine und die Umstände des Br〈uders〉 sind dadurch die elendsten geworden, und für mich ist das Gefühl, nicht helfen zu können, niederdrückend — So gehts — in meinem Leben möcht ich nicht J〈ustiz〉Kom〈missar〉 werden — dies gehört nicht unter die Machtsprüche. Montag ist mein Geburtstag — ich werd 20 Jahr alt — wie hab ich mich gefreut auf diesen Tag — ich wollte in der Dämmerung recht sentimentalisch sein — ich hätte wie Jean Paul mein Herz hervorgenommen und 〈zur Geliebten〉 gesagt: »prenéz!« , aber nun hat der Satan, der so lange doch noch ziemlich artig gegen mich war, solch viel Unheil und Zetergeschrei drein geschmissen, daß alles vorbei ist, und ich Montag eben so einsam, und eben so bittersüß empfindelnd in meiner Stube hinter dem grauen Schreibtische sitzen werde, als Abelard in seiner StGildo’sKlause — so hieß ja wohl sein Kloster? — Meine Aktenlecture ist ein wenig trocken, daher muß ich sie manchmal etwas auffrischen, aber nie mit Plunderkram der letzten Messe sondern ich lese jetzt mit wählendem Geschmack — Den Don Carlos hab ich wenigstens 6 mal gelesen, und lese ihn jetzt zum 7 t mal — Nichts rührt mich mehr, als Posa’s Freundschaft mit dem Prinzen — ich glaube schwerlich, daß je ein erhabeners und zugleich anziehenderes rührendes Bild der Freundschaft aufgestellt wurde als dieses — Ich lese bis in die Nacht — die Szene verändert sich. Der H〈att〉 ist Don Philip, sie Elisabeth, ich Don Carlos, Du Posa, die R. Eboli, der St. Alba, der B. Domingo, die Tante: Mondekar u. s. w. — Lache doch nicht über diesen sinnigen Unsinn! — Du sollst gar nicht glauben, wie äußerst eingezogen ich jetzt lebe — bloß die kleinen Konzerte machen meine Erholung aus 〈…〉
Morgen ist Sonntag, das hat seine vollkommne Richtigkeit, und es würde mir einfallen, wenn ich auch nicht das Fußwasser hätte zum Onkel tragen sehn — Da muß ich zu Bette gehn — denn wisse nur, Sonntag blühn bei mir Künste und Wissenschaften, und dazu muß ausgeschlafen werden. Im Ernste geredt. Die Wochentage bin ich Jurist und höchstens etwas Musiker, Sonntags am Tage wird gezeichnet und Abends bin ich ein sehr witziger Autor bis in die späte Nacht — Noch die letzte Szene des Posa mit Carlos und dann zu Bette — Himmel schon halb 12!
Gute Nacht.
H
Sonntag 〈24. Jan.〉 Abends um halb 10 Uhr
Wenn man einmal angefangen hat mit Dir zu plaudern, so kann man nicht aufhören — so gings mündlich, so gehts schriftlich — ich nehme heute Abend den Brief an Dich hervor, und noch ein Blatt hinzufügen wird mir Bedürfnis — Fürs erste weiß ich nun ganz genau, warum meine Mißlaune oder lieber schwarze Gallhypochondrie feriiert — das hat seine physische und moralische Gründe 〈…〉 — meine sich multiplizierende sedes machen mich federleicht — Sei doch ein wenig Mediziner um mir diesen periodum zu verzeihen. Der moralischen Gründe gibts viele! — aber meine Empfindung, meine Fantasie ist stärker als alles — sie wirft alles über den Haufen, und blickt stolz auf die Kinder des Sentiments — O süße Vereinigung mit alle dem was mir lieb ist, gegen das gerechnet mir die Welt zu klein ist und ich gern den Himmel dazu erobern möchte — süße Vereinigung, dich erblicke ich im milden Strahlenglanze! — Heilige Bande müssen in Trümmer zerfallen — entzweigerissen müssen in zerstörter Ohnmacht die verjährten Vereinigungen heterogener Wesen da liegen, und der Geist der ewig wahren Harmonie muß den Palmzweig über die Gräber des Hasses und der Zwietracht schwingen, wenn ich glücklich werden soll. — Verzweifelt ists, daß ohne den magern Ehrenmann, der keine Hosen trägt und der die tollsten Paradoxa mit einem Hieb aufzulösen versteht, mein Glück im bauen oder gebaut werden so viel Lärm macht. Dieser Lärm ist unausstehlicher als das SackpfeifenKonzert des Prinzen Facardin, und nur die Stimme der Freundschaft übertäubt den widrigen Nachhall und spielt Glockentöne der Harmonika ans Ohr des Lieblings: drum will ich auch diesem Saus und Braus, der mir meinen musikalischen Kopf toll machen könnte, entfliehn in Deine Arme, Du lieber, da wollen wir glücklich sein — denn die süßesten Träume reichen nicht an dies Zauberbild!
Da sich nun gewisse Pläne in meinem Kopfe immer fester setzen, und ich mich sehr orientiere in M〈arienwerder〉 meine eigentliche Karriere zu machen, so schreib mir doch recht viel spezielles — vom Präsidenten — von den Räten — Referendarien — vorzüglich Arten der Versorgungen in Marienwerder — Danzig — Thorn. Doch ja nur speziell — Nach D〈anzig〉 möcht‘ ich gern einst versorgt werden. Vielleicht komm ich nicht innerhalb 3 Monate nach M〈arienwerder〉.
Morgen wird man mich überraschen mit dem, was mir von meinen Wünschen abgelauert wurde 〈…〉 was hilft das, wenn sie selbst nicht da ist — mein Pastellgesicht und meine Knochenbeine und Hände sagen es unzählige mal, daß ich elend bin, und doch ist mein Geist so los und ledig, und mir fehlen zu der Luftreise bloß Flügel. Jetzt ruhe ich auf der Erde, und bin schon am Cap de bonne esperance . — Der PraejudicialTermin meiner Liebe ist längst da gewesen, und ich bin im AgnitionsUrtel in alles verurteilt, worin ich verurteilt werden konnte — Ja lieber Freund, schwerlich werde ich je in extenso mehr sein können, als ich hier zwischen den 4 Wänden an meinen Schreibtisch gefesselt bin — Noch nie war mein Herz fürs Gute empfänglicher, und höhere Gefühle schwellten noch nie meine Brust mehr empor — mein Geist überflügelt meinen Körper und Krankheit und Mattigkeit erinnern mich an die Fesseln — Platte Geister haben keinen Sinn für höchste Anspannung und nennen es Abspannung, daher die Vorwürfe, die ich dulde — das Mottengeschmeiß, was mich zuweilen umgibt, hält mich für dumm, und ich muß gestehn, daß mich manche linkische Wendung und mancher stiere Blick in die Klasse der Leute ohne Welt — savoir vivre — stößt — indessen noch nie warf ich meine Perlen vor die Säue, und ich fühle daß ich einigen Wert habe, — nie mehr als wenn ich Deine Briefe lese. — Freund wir verstanden uns — ein Blick — ein Wort war oft das suppletorium zu den Ideen, die alle Worte, worin sie eingezwängt werden sollten, zurückstießen — Ich glaube, daß wir nie so isoliert — nimm den Sinn des Worts recht — werden gelebt haben als wenn wir in M〈arienwerder〉 zusammen leben sollten — Mir scheint es so, als wenn Du mit Deinem guten Herzen, mit Deiner Legion von Empfindungen sehr Klausnerisch lebst. Denn wir beide sind behutsam und delikat, und hängen nicht so leicht etwas von der innern Seite heraus, wie eitle Leute das Schnupftuch aus der Rocktasche — —
Da hab ich heute meine Vignette geendigt, deren Eingang Dir gefallen würde, weil ich ihn aus Deiner Seele heraus geschrieben zu haben glaube — Nur schade, daß das Ding fast zu witzig ist, zuviel Witz ist glaub ich ein Fehler, aber der Satan mag über Liebe mit humoristischem Temperament schreiben ohne witzig zu sein — ich hätt Dir’s geschickt, wenn es nicht ungeheuer viel Postgeld käme, und ich nicht
die Hoffnung hätte es Dir mit höchst eigenen Händen vorzulegen —
Der Pestilenziarius ist heute in der Komedie — ein Grund warum ich nicht hinein ging, sonst hätt ich wohl noch einmal »die Räuber« gesehn, vorzüglich da Schwarz den Carl Moor spielt —
Ich flehe Deinen und meinen Schutzgeist an, daß er mir den morgenden Abend überstehn hilft — Fatal ists und bleibts, und wenn meine Krankheit nicht wäre, könnt ich doch in den Unglückspfuhl bis über den Kopf hineinplumpen. —
Wenn sich doch das Stundenrad schneller drehte, und in schnellerem Kreise Monden und Jahre wirbelten — mein Ziel ist nah und fern — die Strahlenbrechung zeigt den Schiffern immer näher das Land als es ist, und durch diese Täuschung der Approximation werden sie in frohem Mute erhalten, so gehts mir vielleicht auch! —
Billig sollt ich diesen Brief morgen noch nicht abschicken um mich Abends hinzusetzen und zu schreiben: Nun ist’s vorbei — so und so wars — aber erstlich erhältst Du diesen Brief sehr viel später, und dann geriete ich in Gefahr dem Briefe noch ein paar Extrablätter hinzuzufügen, und statt eines Briefs ein Paquett auf die Post zu geben.
Denke lieber Freund morgen an mich — weils mein Geburtstag ist — Solche Tage sind immer Sonnenblicke in unserm Leben, wenn wir froh sein können, daß wir sind und daß wir es verdienen zu sein —
Denke noch zurück an meinen Einsegnungstag, wie ich mit Dir einsam im kleinen Stübchen saß, und sie trank Kaffee in der andern Stube — offenbar zum Narren hätte sich der Wundermann gemacht, der mir aus der Hand oder aus dem Gehirnkasten nach LhombreKarten gesagt hätte — Sie liebt Dich — Du wirst sie lieben, und nun die Segensformel hinterdrein — Heute fühl ich Schmerz — heute vor zwanzig Jahren macht‘ ich Schmerz — vielleicht bloß durch den Anschlagzettel oder das SubskriptionsBlatt des Sedezbandes, welcher ediert werden sollte — Ewig schade, daß ich im Winter geboren bin — wär’s Sommer, so lief ich heraus in den großen Hörsaal der Natur, und empfände und ergrübelte mich da sitzend, stehend, laufend satt — jetzt im Käficht eingesperrt ohne sei wird mir unbehaglich sein. — Mein Gott, ich bin doch nur einmal unterbrochen, und so unerwartet wie gestern wieder halb zwölf! — Gute Nacht mein lieber einziger Freund — vermutlich werd〈en〉 wir uns morgen nicht sprechen — Gute Nacht!
Ewig ewig
Dein H
ExtraBlatt an meinem Geburtstage 〈25. Jan.〉 —
Der Pestilenziarius hat mich heute überrascht 〈…〉 Sie kommt! — In diesen zwei Wörtern liegt der Beweis, daß man mit wenigem sehr viel sagen kann — ich sage damit, daß ich sehr glücklich bin, daß die sentimentalische Dämmerung mich noch glücklicher machen wird, und daß der gebrannte Casemir ein elendes Machwerk ohne die Insinuation der lieben Hand ist — Wie der Sturm sich nun wieder gelegt hat — welcher Genius Öl in die Meereswogen gegossen hat, das weiß ich nicht, genug sie kommt, und die pedissequa , welche die Ankunft annoncierte, sprach viel von wiederhergestelltem Frieden, der so wie jeder Friede nach dem Handwerksgruß der Kriegführenden Mächte als ein ewiger konstituiert worden ist.
Du denkst, daß jetzt alle Worte der vorigen Blätter cessieren wie der diesjährige Winter — Du irrst aber — Meine Pläne stehen unverrückt und über kurz oder lang, spätstens binnen einem Jahr komm ich nach M〈arienwerder〉. Daß der Friede quaestionis eine Preisaufgabe meiner gesunden Vernunft ist, bleibt wahr, bis ich die Motive erfahren und mich dann für sehr vernagelt gehalten haben werde. —
Freund, ich möchte gern heute aus mir selbst heraus — ein erhebendes Gefühl trägt mich empor auf kühnen Fittigen — Freundschaft und Liebe pressen mein Herz, und ich möchte mich durch die MückenKolonne, durch die MaschinenMenschen, die mich umlagern mit platten Gemeinplätzen, gern durchschlagen — gewaltsam allenfalls — Daß ich ganz und gar mich verändere — welches so gar schon aufs äußere wirkt, weil sich gewisse Leute über meinen vollen — starren Blick aufhalten, wirst Du fühlen — wenn ich Dir sage, daß ich mitten im Herbst — WinterLandschaften male — daß es zuweilen etwas exzentrisch in meinem Gehirnkasten zugeht, darüber freue ich mich eben nicht beim Besinnen — dies exzentrische setzt mich offenbar herunter in den Augen aller die um mich sind — und Leute, die alles in Nummern teilen und Apothekerartig behandeln, möchten mir manchmal ihren orthodoxen Schlagbaum vorhalten, oder ihr offizinelles Krummholz um den Hals werfen —
Weißt Du, daß ich auf der Harfe spiele? — Schade ist’s nur, daß ich mich nicht zwingen kann auf der Harfe nach Noten zu spielen, sondern nur immer fantasiere, wodurch ich aber viel Fertigkeit gewinne. Sollt ich künftig nach M〈arienwerder〉, so bringe ich 3 Instrumente mit: 1) ein kleines Klavier, 2) eine Wienerharfe, 3) eine Violine — Dein S. hat ganz recht — viel Seligkeit entgeht Dir, daß Du nicht spielst — Nimm nicht übel — Dein Zuhören ist gar nichts — die fremden Töne drängen Dir Ideen oder vielmehr sprachlose Gefühle auf, aber wenn Du eigne Empfindungen — die inartikulierte Sprache des Herzens aushauchst in die Töne Deines Instruments, denn erst fühlst Du, was Musik ist — Mich hat Musik empfinden gelehrt, oder vielmehr schlummernde Gefühle geweckt — Im tollsten Hypochonder spiel‘ ich mich mit den silberhaltigsten Passagen Benda’s (des Berliners) oder Mozart’s an, und hilft das nicht, so bleibt mir nichts mehr übrig, als auf alles zu resignieren. 〈…〉
Lebe wohl, mein trauter lieber einziger Freund,
ewig der
Deine
H
Sie hat diesen Brief gelesen — ist gerührt, und bestellt tausend Versicherungen wahrer Freundschaft an Dich.
Königsberg den 21 t Februar 1796.
Deinen Brief mit der enormen Praejudicialperiode zu Anfang, welche mit ihrem klappernden Klang die Grazien von meinem Tintenfasse verjagte, habe ich in einer sauersüßen Stunde erhalten, und sogleich ein Beispiel mehr zu dem Satz schreiben können daß die praejudicia im Grunde genommen nichts taugen — Freilich ists wahr, daß ich dem Anscheine nach recht herzlich faul oder gar indifferent gewesen bin, aber der Schein trügt! —
In gespannter Erwartung hab ich mich die Tage versehnt — Eigentlich hatte ich in die Schicksalslotterie gesetzt und harrte trotz dem leidenschaftlichsten Lottospieler auf den Posttag der mir Gewinnst oder Verlust bringen sollte.
Um Dir nun mit dezisiver Gewißheit diesen Gewinnst anzeigen zu können hab ich so lange gewartet, denn wenn ich Dir den Gewinnst anzeigen sollte, so wär dazu kein unerlaßlicheres Erfordernis, als daß ich ihn selbst wüßte —
Du wirst finden, daß ich gedichtet habe, als ich Deinen Brief empfing, denn was sollen beim Relationenschmieden oder sonst — die Grazien auf dem Tintenfaß, die sich bei allem, was nur nach Juristerei riecht, so sans coup de trompette wegstehlen, als befürchteten sie irgend etwas ungeziemliches von dem Mann mit der langen Nase — Ja ich machte wirklich Verse, und wollte eben gewisse Leute dem Satan gereimt zuführen, wobei ich in einem Ausfall mich selbst sehr lobte, und war auch wirklich bis zu einer höchst interessanten Stelle gediehen, als Du mit Deinem Praejudiz losknalltest 〈…〉
Deine rhapsodische Gedanken, oder abgerissene Gedanken , so wars ja wohl, oder Aprilwetterperioden nach Deinem eignen Ausdruck haben Dich mir so geschildert, wie Du gehst und stehst — Ich sehe Dich mit Deinen 5/9 Blicken daher schreiten — maschinenmäßig die Nase schnupfen, und alles und nichts sehen, denn 〈…〉
Die Grazien sind weg vom Tintenfasse — ich schreibe erbärmlich, und gerate schon in den Hofmeisterton — Auch 〈…〉 wollen sich schon auf Ton reimen — daran ist der Beelzebub und Dein Präjudiz Schuld.
Der Apfel ist aufgegessen — Gute Nacht!
Den 22 Februar Morgens
Ich eile Dir zu sagen was eigentlich meine Briefe aufgehalten hat — Die Stierszene auf der Redoute, die ich Dir letzthin beschrieb, hat doch ernsthaftere Folgen gehabt als ich Anfangs dachte. 〈…〉 Daher sagte ich Mittwoch vor 14 Tagen, daß ich schlechterdings nach Marienwerder wollte. Das wurde mir nicht zugestanden — ich schlug Glogau vor — das war besser. Den Tag darauf wurde deswegen geschrieben, und gestern erhielt ich die Antwort — daß man mich mit offnen Armen empfangen würde, daß schon alles mit dem dortigen Präsidenten abgemacht, und daß es gut wäre, wenn ich noch vor Ostern abginge. Die Reise ist aber ganz fest im Anfange des Mais bestimmt, und schon wird die Equipage in Stand gesetzt, d. h. was um und an mir ist! — Diese Entfernung wird meinem Geiste wohl tun — ich fühle mich stark genug zu Aufopferungen, die ich vielleicht noch vor einem halben Jahre nicht hätte überwinden können. Ein Glück das meine Sinne und mein Herz mit niedlichen Gaukeleien amüsiert, kann mich nicht mehr mit den diamantnen Banden fesseln, die es vor weniger Zeit um mich schlug — ich eile das zu werden, was mein Verstand billigt ohne dem Herzen eine Wunde zu schlagen — denn welch eine Anhänglichkeit, welch eine Liebe wär das, die in einer Entfernung von 78 Meilen erkaltete 〈…〉
Außer uns (im Hause) und dem Z. der allem Vermuten nach mitgeht, weiß es noch niemand, und wirds auch niemand bis ungefähr 14 Tage vor meiner Abreise wissen, denn werden manche Nase und Maul aufsperren, und den Flüchtling entweder loben oder verdammen, je nachdem das Glas ihrer Laune, wodurch sie’s ansehn, geschliffen ist. Du wirst mich von allen am besten verstehen, Du wirst diesen Entschluß von der rechten Seite betrachten, und meinen Heroismus, wenn ich es anders so nennen kann, nicht für eine Don Quichotterie meiner Leidenschaft ansehn — Ich kanns Dir versichern, daß K〈önigsberg〉 ein wahres 〈…〉 Nest ist, und daß in keinem Orte ich so geplagt werden kann als hier. Die romantischen Gebürgsgegenden in Schlesien werden allein schon im Stande sein eine Zentnerschwere Last, die meinen Geist hier niederdrückt, abzuwälzen — ich werde freier atmen, wenn ich durch die ObstAlleen fahren werde, die mit ihren Blütendüften die Luft ringsumher besser parfumieren als ein paar hundert Flacons der K〈önigsberger〉 Damen die Balluft, die so schwerdünstig die Tänzer, vorzüglich solche wie Du und ich, einpreßt, daß sie nicht Atem genug zum nächsten vis à vis einziehen können. Heute ist Montag, welches Du nicht bezweifeln wirst, wenn Du in Deinen TerminsKalender siehst — demohngeachtet werd‘ ich sie nicht sehn, denn die Festtage sind so wie die heiligen Tage der Kath〈oliken〉 bei uns reduziert, und stehn nur so der Erinnerung an den Kuchen wegen, der z. B. der Stuhlfeier des St. Petrus zu Ehren in den Ofen geschoben wurde, noch mit roter Schrift im Kalender — Ich habe heut vormittag Instr〈uktions〉Termin in einer SchwängerungsSache — Vorher schreibe ich an Dich, und denn — es ist entsetzlich, daß wir von Tagen und Stunden abhängen 〈…〉
An StadtNeuigkeiten bin ich wie gewöhnlich bettelarm — denn das kannst Du Dir leicht denken, daß mir vieles, fast alles, in meiner jetzigen Lage höchst läppisch vorkommt. Ich denk lieber an mein seliges Ende, und wie man mich aufs Posthaus zu Grabe bringt, als an die Sponsalien der geblitzten Musensöhne oder unbärtigen Themispriester — Aus Überzeugung der Notwendigkeit studiere ich mein jus , und aus Hang (leidenschaftlich) füllt Musik die Stunden der Erholung. In ein musikalisches Land geht meine Wanderschaft — Kirchenmusiken werd ich erst kennen lernen, und meine Kompositionen werden sich unter der Bildung echter Musiker besser erheben, als hier in dem musikalischen Schlaraffenleben, wo ein jeder geigt und pfeift wie’s ihm dünkt — ich muß abbrechen, damit ich mit einem unverständlichen Galimathias Deine Ohren nicht mehr beleidige, als die meinigen neulich in Axur der Bratschenschraper, der eine schöne Solostelle verhunzte, wofür ich gern mit meinem Spazierprügel auf seinem Kranium den Takt geschlagen hätte. —
Zu den größten Fatalitäten gehört, daß der Bruder wieder hier ist, daß wir ihn schlechterdings nicht nach I〈nsterburg〉 zurückbringen können, 〈…〉 Der Mensch hat einen unbegreiflichen Leichtsinn, und unser Vertrauen nie verdient.
Anbei noch ein Extrablatt.
Extrablatt.
Gleichnisweise zu reden habe ich bisher beständig ein Tutti gespielt, jetzt will ich ein Solo spielen, und probiere es jetzt um nicht aus dem Takt zu kommen, wenns aufgeführt wird. — Die paar Stunden, die ich Dich noch in M〈arienwerder〉 genießen werde, sind in den Reiseplan einbedungen und beschäftigen mich eben so gut, als die Ankunft in G〈logau〉. Der Onkel will schlechterdings haben, ich soll mir ein Stammbuch anschaffen, und also will ich mir wirklich solch einen Registrant über meine Bekanntschaften anschaffen, und es jedem, dem ich Adieu sagen muß, ganz dreist hinpräsentieren — die Anstalten der Reise gehn schon bis ins kleinste Detail. 〈…〉
Für eins nur ist mir bange, für die Verzweiflungsszenen einer gewissen Person, wenn es heißen wird — fort! — Wenigstens wird’s mir eine fatale Laune verursachen, die ich nicht sobald verlieren kann. — Daß ich Dein Portrait nicht habe, ärgert mich ganz abscheulig — So viel Pergament und Papier mit Fratzengesichtern zu beschmutzen, und nicht den einzigen, bei dessen Andenken einem so wohl ums Herz wird, abzuzeichnen! — Mit Bleifeder und Tusch wär in ein paar kühnen Zügen das ganze vollendet gewesen. Ist denn in ganz M〈arienwerder〉 kein Mensch, der sich aufs abzeichnen versteht — Närrisch vor Freude würde ich, wenn ich in Deinem Briefe Dein Portrait, wär’s auch nur ein flüchtiger Contour mit Bleistift hingeworfen, eingeschlossen fände —
Lebe wohl, mein einziger Freund — bald erfährst Du mehr von mir Adio —
H.
Königsberg den 13 t März 1796.
Ob und wenn Du diesen Brief erhalten wirst, ist eben so ungewiß, als unsere Zusammenkunft vor meinem moralischen Tode für Preußen. Du schreibst mir von Deiner Reise ohne den Termin ihres Antritts zu bestimmen — vielleicht ist dieser schon vorbei, und Du hörst auf einer Waldfahrt neupreußische Wölfe heulen, während ich GeigenQuartetts komponiere und aufführen lasse — vielleicht befindst Du Dich bei Deiner brutalen VokalMusik in behaglicherem Zustande, eingehüllt in das Exterieur eines Kumpans der Melodiereichen Sänger, als ich am warmen Ofen sonst bei meinem concert spirituel , und heute einsam beschäftigt mit Gedanken an Tod und Ewigkeit, die mich ernsthafter als je gestimmt haben — Der Schwermut entgehe ich durch eine Unterhaltung mit Dir, Du mein Einziger — Ich habe Deine alten Briefe durchgelesen und einige neuere dazu gelegt ( reponiert ), selbst von Schmerz durchdrungen, springt dann und wann ein Funke meiner humoristischen Laune, die mit meiner Bildung gleichen Schritt hält, hervor, wenn ich mich zu Dir hinversetze auf den beiden bekannten Sorgstühlen, ein Tisch in unserer Mitte mit einer Flasche Wein, die den Fittig unserer Fantasie bekielte — Der Tod hat bei uns auf eine so schreckliche Art seine Visite gemacht, daß ich das grausenvolle seiner despotischen Majestät mit Schaudern gefühlt habe — Heute morgen fanden wir meine gute Mutter tot aus dem Bette herausgefallen — Ein plötzlicher Schlagfluß hatte sie in der Nacht getötet, das zeigte ihr Gesicht, vor gräßlicher Verzuckung entstellt — Ich weiß, daß Du im Stande bist eine solche Szene zu fühlen — den Abend vorher war sie munterer als je, und aß mit gutem Appetit — Das sind wir Menschen! — quälen und härmen uns im spannlangen Leben — sorgen für die Zukunft — machen Pläne auf Pläne, wenn vielleicht nur noch ein armseliger Tag unsere Todesstunde verzögert — Das große Studium des Todes ist uns verhaßt, weil unser verzärtelter Geist sich nur an blühenden Rosen weidet, deren Dorn er fürchtet — Ach Freund, wer nicht den Tod sich bei Zeiten zum Freunde macht, und auf Vertraulichen ` Fuß mit ihm umgeht, dem macht er zuletzt seine Visite immer auf die quälendste Art — ich meine, daß das seine Lieblinge sind, die er so ohne viel von sich blicken zu lassen weghascht, und was so schrecklich scheint, ist bloß ein Erziehungskniff von ihm für uns übrige — Du wirst meinen Schmerz mit mir fühlen, und Dein Gefühl, Dein gutes Herz stimmt gewiß in das Requiem ein, das ich den Manen meiner guten Mutter weihe.
Weiß Gott, was für ein Accisbedienter diesen Brief beschnüffeln oder gar lesen wird, darum möchte ich als geschworner Todfeind alles AccisWesens nicht gern viel erzählen, was als Conterbande aufgemutzt werden könnte, und doch drückt’s mir das Herz ab, an Dich zu schreiben, und nicht alles so hinzusetzen wie es mir mein Gefühl diktiert — Du weißt ja, daß ich mich Dir so gern mit all‘ meinem Kummer an den Hals werfe, daß ich so gern mein bißchen Freude durch Mitteilung erhöhe — darum ist mir jeder Zwang lästig — und Deine Reise, und das AcciseAmt — es ist fatal — Am besten ists, ich setze Dir ein paar Worte her, aus dem Roman, den ich in müßigen Stunden und vorzüglich Sonntags bearbeite — sie handeln von einem Lieblingsgegenstande —
»Wie so schön ist doch Freundschaft! Ich beneide euch nicht, ihr Weiber und Mädchen, um euer Geschlecht! — Wahr mag es sein, daß euer luxuriöser Sinn sich trefflich darauf versteht, in tausend feinen Nüancen Genuß einzuatmen, wo wir mit gröberm Sinn die ganze Masse einschlucken; wahr mag es sein, daß unsere Liebe Eis vom NordPol ist gegen die Glut die dies Gefühl in eurem Herzen entzündet, daß unempfindsame Klötze wir oft da sind wo Geist und Leben euer ganzes Leben elektrisch durchzuckt; aber ich beneide euch nicht, stolz auf das Geschenk der Männer, die Freundschaft — Tausendkehligt hör ich Euren Einwand — triumphierend schließt ihr euch untereinander in die Arme ˃lieben wir uns nicht?˂ — Aber verzeiht, daß ich mir nichts abdingen lasse und sogar über eure heiße Umarmungen ein wenig lächle. Viel Gründe unterstützen meinen Satz fürs Männer-Monopol — Einer ist wichtig, aber es ist ein wenig indiskreter als man gewöhnlich sein darf ihn anzuführen — Ohne Risko ein notwendiges Stück am Exterieur zu verlieren würd ich es nicht wagen können diesen Grund vor der Tribune der Weiber zu verfechten, müßten sie mir erst auch zugeben, daß Sinnlichkeit das große Triebrad ihres Tuns und Lassens ist, was sich in unglaublicher Schnelle unaufhörlich dreht — Die Freundschaft tut gar nichts für die Sinnlichkeit, aber alles für den Geist. Ihr Genuß ist das Wohlwollen fürs verwandte, die Seligkeit des Wiederfindens gleicher Regungen — haben wir den gefunden der uns versteht, in dessen Brust wir mit Entzücken gleiche Gefühle, in dessen Kopf wir eigne Ideen ausspähen, der mit geläutertem Sinn für Tugend und Schönheit mit uns den Blumenpfad oder den dornigen Weg, den wir wandeln, betritt, wie ganz anders malt sich uns denn die Welt, und unser Selbst wird uns dann nur erst wert. Ein Heroismus, schon der Natur der Weiber entgegen, stählt uns zu Taten, denen ohne den Geliebten unsere Schwäche unterlegen haben würde — Ja mein Theodor, beide wären wir nicht das, was wir sind, wenn das Schicksal nicht unsere gleich gestimmten Herzen vereinigt hätte. Ehe die Geburtsstunde unsrer Freundschaft schlug, hab‘ ich recht erbärmlich in meiner Klause gelebt. Mein Geist war ein Gefangener, den man eingesperrt hatte und unaufhörlich bewachte« ppp
So weit aus dem Geheimnißvollen! Nimm doch das inkorrekte hie und da nicht übel, heute kann ich unmöglich nachbessern — und Sie, Herr AccisInspektor, oder inquisitor privatus , werden finden, daß nichts gegen die Religion, den Staat, öffentliche und PrivatRuhe darin enthalten ist, und wenn Sie Sich die Mühe geben wollen, den Brief ganz durchzulesen, so werden Sie ferner finden, daß man am Abend des Tages, an dessen Morgen man seine Mutter tot findet, nichts hinterlistiges im Schilde führen kann!
Nun spreche ich wieder mit Dir, mein lieber einziger Freund — Meine Abreise nach S〈chlesien〉 und speziell nach G〈logau〉 bleibt bestimmt, und wenn mich der Frühling lebendig findet, so werde ich ihn da aufsuchen, wo er sein Haupt mit einer BlütenKrone schmückt, wenn ich ihn auch noch bei der Toilette finde — Eine Kopie von Dir — ein Unglücksbruder, der Sinn für das hat, was unerlaßlich ist unser Vertrauen zu erwerben, heißt hier jetzt mein Freund, und ist auch wirklich nächst Dir der einzige, dessen Umgang mich froh macht 〈…〉 Wenn Du es möglich machen kannst in der Mitte oder auch Ende Mai’s in K〈önigsberg〉 einzutreffen, so ist unser Wiedersehn gewiß, und wenn Dir dieser Augenblick — diese Tage des seligsten Genusses so viel wert, so heilig wie mir sind, so wirst Du gewiß alle Hindernisse überwinden und Deine Reise so einrichten, daß Dein Aufenthalt in K〈önigsberg〉 in die Mitte des Mai’s trifft — Mit 〈…〉 stehe ich in einem Verhältnis, das mir Seligkeit und Wonne verursacht, und mir Tod und Verderben droht, wenn ich nicht männlich genug bin meinen Entschluß auszuführen — So viel davon und das verstehn Sie doch nicht, Herr Inquisitor, so pfiffig Sie auch aussehn!
Lebe wohl, einziger Freund, und gib mir baldige Nachrichten von Dir —
Lebwohl
Ewig Dein
H
Mittwoch den 31 t März 1796.
Im Grunde wärs mir doch fatal gewesen, wenn Du meinen Brief gar nicht gelesen hättest, sei’s auch, daß die Wendungsperioden, die jeden Inquisitor und AccisBeamten näher als Dich angingen, auf diese Art in den Wind geschrieben wären, und uns um Raum und Zeit geprellt hätten. Jetzt, da Du mir von der weit ausgesetzten Zeit Deiner Reise geschrieben und eine dreitägige BriefAufkündigungsFrist gesetzt hast, bin ich sehr ruhig in Rücksicht meiner Herzenserleichterungen und Federstriche, denn beide dürfen nicht so schulmäßig Takt halten, wie der Klavierspieler in der Orchester-Simphonie, und könne zuweilen in freier Fantasie etwas ausschweifen, wegen cessierender Kritik. —
Daß Du schon wieder einen starken Schritt getan hast, ist mir Deiner langen Beine wegen gar nicht aufgefallen, ich mit meinen kurzen mache nur sehr kleine Pas so daß ich gar nicht von der Stelle komme, deswegen will ich mir auch, sobald ich in Schlesien zum erstenmal geniest habe, ein paar Stelzen machen lassen, mit denen ich ohne Furcht und Grauen über Stock und Stein wegschreite — Du meinst, daß man auf Stelzen sehr leicht fällt — ich bin aber zum Glück ziemlich leicht. — Immer mehr und mehr naht sich meine Reise, und ich sehe mit einem ahndenden Gefühl die letzten Schneeflocken hinschwinden, als würd‘ ich sie nie mehr das Fleckchen Grün decken sehn, welches seine finstre Schlagschatten an die Wände meiner Stube wirft — Aufrichtig gesagt — denn gegen Dich kann ich schon unmasquiert erscheinen und nicht dem Chamäleon gleich des Nachbarn Farbe zurückspiegeln — aufrichtig gesagt, wohl und weh wird mir bei dem Gedanken an die Trennung von ihr 〈…〉
Du weißt, mein lieber Freund, wie ich sonst zu sein pflegte, als Du noch jeden kleinen Kummer mit mir teiltest — ich brauste — Deine Entfernung, meine klösterliche Abgeschiedenheit von allem, was mir, und dem ich wert bin, hat mich anders gestimmt — ich könnt es jetzt medizinisch mit einem Ausschlag vergleichen, der einer Erkältung wegen zurückschlägt und unausrottbar an den innern Teilen frißt — Das Bild ist nicht edel aber wahr — Eine gewisse sonderbare Laune, die auch jetzt überall hervor schimmert, hat mich nicht unterliegen lassen, und Du warst es, der diese Laune (nach meinem Gefühl richtig) Humor, und meine etwas bizarre Briefe humoristisch nanntest — Wärst Du hier, so würde ich nicht klagen, — wenn Du kämst, ich würde mit Don Carlos rufen — »O nun ist alles wieder gut, ich liege am Halse meines Rodrigo!« — Sie zu verlieren — — dieser Gedanke drückt mich zu Boden, und ich zweifle, daß ich auf Schlesiens Gebürgen freier atmen werde! Was kann mich sonst an diesen Ort fesseln, wo man mich gewaltsam einsperrt, und mit einer heiligen Dummheit meinen Geist in eine von Vorurteilen erschaffne Dogmatik einzwängt — Ach lieber Freund bogenlang würde der Rotulus all der Ärgerlichkeiten, die mich täglich an meine widrige Lage mahnen. Welch ein Blitzstrahl der erzürnten Gottheit hat mich doch in einer Stunde des Zorns in den Kreis dieser Menschen herabgeschleudert! — Nicht ein Stündchen Alleinsein gönnt man mir — Nach dem Tode meiner Mutter ist noch alles zehnfach konfuser, und man martert mich mit Grammairediscoursen bis in die späte Nacht. Etwas gescheutes tun kann ich schlechterdings gar nicht — Kurz in dieser Rücksicht ist meine Reise etwas sehr herrliches. — Einen Posttag weih ich Dir in M〈arienwerder〉 — aber denn, lieber Freund, mußt Du einmal ein paar Tage ganz für mich leben; wie freu ich mich auf den Augenblick unsers Wiedersehns 〈…〉
Meine Malerei blüht wieder, und ich möcht Dir gern den Laocoon zeigen, den ich gestern vollendete.
Zu verstimmt bin ich heute um Dir mehr sagen zu können, als daß ich Dich ewig lieben werde.
H
Königsberg d 28 t Mai 1796.
Dein Brief vom 25. d. M., den mir ein glücklicher Zufall in die Hände zu werfen schien, rückte mir meine Nachlässigkeit in der Beobachtung einer heiligen Pflicht vor. Als ich ihn empfing, schlich an dem Stundenrade meines Lebens eine bittre Sekunde in trägem Schneckengange vorüber — ich schlug Deinen Brief auseinander, und wieder nichts als Klagen, die mehr Erzeugnis einer verjährten Hypochondrie als Folgen wirklicher Vorfälle zu sein scheinen. Dir fehlt das Talent, glücklich zu sein, und deswegen trägt mein Herz einen Flor und trauert um Dich, wie um einen Abgeschiedenen; denn fern von mir wird Dich dieser Wurm, der an der schönsten Blüte Deines Lebensgenusses frißt, immerdar erhalten. Du sehnst Dich nach einem Etwas, das eine tötende Leere in Deinem innern ausfüllen soll — Du hoffst — erhältst — Du genießest nichts, und alles hüllt sich in den Florduft des Traums, denn nur dann fühlst Du, daß es da war, wenn der Zeitenflug es schon in Ruinen begrub! Laß mich offenherzig reden bei diesem AbschiedsRendezvous, das sich unsre Geister, entflohen der gröbern Masse des despotisierenden Konventionshaufens, auf dem Scheidewege, wo sich ihre Surtouts trennen sollen, gaben. — Du gleichst einem schönen Instrumente, dessen Saiten abgespannt sind — — In diesen abgespannten Saiten liegt eine Flut entzückender Harmonien, die sie aber nur dann angeben, wenn ein äußeres Motiv ihre Drehwirbel herumschiebt und sie aufspannt. Dir fehlt ein Wesen, das mit einem stärkeren TätigkeitsDrange, als der Deinige, sich fest an Dich anschmiegt, das elektrische Funken in Deinen hinstarrenden Geist wirft. Du bist alles — kannst alles und auch nichts sein — mit einem durchbohrenden Gefühl dieses Nichts verabscheuen und doch in tiefem MitternachtsDunkel vergebens nach einer Lichtflamme forschen, die Dich herausleiten soll auf den Rosenpfad des sich selbst genügenden Lebensgenusses. — Einerlei mags nun nicht sein, ob dieses sich anschmiegende Wesen ein weiblicher Engel mit verführerischen Reizen geschmückt ist, oder ein Freund, dessen Herz vor ungeduldigem Entzücken pocht, dies dem, den er höher schätzt, mehr liebt, als alles was ihm auf dieser Erde teuer sein kann, vielleicht sein zu können — Einerlei ists nicht — welch ein Freundesherz kann dem genügen, der sich an dem liebeklopfenden Busen jenes Engels Seligkeit träumt und Seligkeit genießt — Aber wenn diese Holde noch zauderte, das dem Geliebten zu sein, wenn die Stunde noch nicht schlug, in der sie Trost in dessen Seele hauchen sollte, dem die Gegenwart ungenossen wie einem Siechen vorüberflieht — und dann böte der Freund mit dem himmlischen Gefühl im Auge und Herzen, das — das sein zu können, was ihm eine liebliche Fantasie als höchstes Erdenglück malt, sein Herz dar zum Ersatz für freudenleere Stunden, vielleicht daß denn auch dieser Freund Ruhe und Frieden ins kranke Herz hinein sympathisierte (laß mir dies Wort hier brauchen). Es ist für mich ein süßer Stolz mich in diesem Freunde selbst gemalt zu haben. — Ich tadle mich, daß eine gewisse vielleicht falsche Delikatesse mich zurückhielt, Dir in ein paar Zügen das Gemälde meiner Ideen für den Genuß der Zukunft zu entwerfen — der Urstoff dieser Ideen hing längst an einer Seite meines Gehirns — Diese Ideen waren reponiert, bis der barsche Exekutor die SchicksalsSentenz, die uns allen mit der Zeit publiziert und exekutiert wird, an dem G〈eheim〉R〈at〉 vollführte — Da kamen sie hervor — alle alte GlückseligkeitsPläne — die Hauptbedingung war erfüllt, Du kamst — so still — verschlossen — abgelenkt von all dem friedlich guten Selbstgenuß, der sonst in Deiner Seele wohnte — Du glaubst daß das Tätigkeitstrieb ist, was Deine Fühlbarkeit fürs einfache abgestumpft hat — und daß ich diesen hasse — beides ist falsch — O mein einziger Freund, was für Menschen konnten diese schöne Pflanze, die für eignes und für Menschenglück in Dir aufkeimte, erdrücken! Ich fand Dich nicht so, wie viele Äußerungen Deiner Briefe besagt zu haben schienen — Mir sank der Mut jetzt in einer solchen Stimmung Dir mich und meine Pläne aufzudringen, und nie trauerte ich mehr um manche LieblingsIdee — noch mehr — ich trauerte um Dich, als ich Dich so verschlossen, so unzugänglich für manches sah, das sonst Deine Seele erfüllte, und in glühendem Enthusiasmus Dein Blut heftiger durch die Pulse trieb — Meine Reise nach G〈logau〉 türmte sich vor meinem Blicke auf wie eine GebürgsKette die Dich von mir scheiden sollte, ich las Dir mein petitum vor, welches der Lärmschuß zum ganzen Manoeuvre sein sollte — Eine sprachlose Unzufriedenheit — Eine Miene, die zwar sagte, so wärs nicht gut, aber es könnte ja nicht anders sein, war alles — der Lärmschuß geschah! — Ich kenne Dein Herz zu gut, ich liebe Dich zu sehr, um auch nur eine halbe Sekunde etwas absichtliches in diesem ernsten Schweigen zu suchen, und eben deswegen tadle ich mich, daß ich nicht ungestüm in Dich hinein gedrungen bin, daß ich nicht mit der Batterie meiner Ideen in Deine Herz Verschanzung Bresche geschossen habe — Du hättest kapituliert, und mir selbst zum freien Einzug die Tore geöffnet! — Jetzt hast Du mich verlassen, und ich verlasse künftigen Donnerstag einen Ort, der mir hätte wert sein können, wenn die Wahrheit des Satzes, daß eine Kette von Kleinigkeiten, oder vielmehr oft eine Kleinigkeit, die sich wie ein Schneeball durchs Fortrollen — durchs Aufnehmen und Anbacken dieser oder jener Kleinigkeiten bis zum ungeheuern vergrößert, uns und unsere Handlungen bestimmt, diesmal nur umstoßlich wäre — O mein Freund, in ein Elysium könnt mich’s versetzen, wenn mir ein Wesen die Unabhängigkeit von diesen unausweichbaren Übeln, die wie Nadelstiche nicht tödlich aber schmerzhaft verwunden, von diesen Kletten, die überall hängen bleiben, zusichern könnte! —
Jetzt ist das Freundesherz, das ich Dir anbot, vielleicht bald ersetzt, und dann bist Du glücklich — ich meine — daß das bessere oben erwähnte vielleicht bald alles gut macht — Wenn dies aber nicht wäre — vielleicht wartete noch jenseits obiger GebürgsKette eine spätere Vereinigung auf uns! — Du weißt daß meine Pläne in Rücksicht Deiner und meiner ohne Grenzen sind! — Wie wenn die Eisrinde, die das Geschäftsleben um Dein Herz krustiert hat, in mildem Sonnenschein auftaute — ein Wink und ich flöge zu Dir — Wie wenn wir nun einige Zeit noch zusammen, um Menschen — Sitten und uns selbst kennen zu lernen, einige Gegenden Deutschlands durchreisten — Vielleicht unterstützt mich bis dahin das Glück mit einigen seiner metallnen … wie Dus nennen willst, und das opfere ich gern einer solchen Reise — Den Hintergrund des Gemäldes, auf dem diese Reise die vorderste Gruppe ausmacht, kann ich Dir noch nicht einmal skizzieren, vielweniger malen —
Du sagtest mir ziemlich bitter: ich wär ein Musiker, Du ein Jurist — mithin entfernten sich unsere Zwecke — und unsre Herzen, lispelte Dir vielleicht schon das bittre Gefühl zu, das Dich gegen mich aufbrachte, weil ich eine Stunde, die ohne mein Herz zu befriedigen, ohne mir mehr — ich sollte mit Dir zusammen denn nur vom sel. G〈eheimRat〉 sprechen — als ein mechanisches ZähnGeklapper zu sein, mich traurig gemacht hätte, dem abzuschreibenden Axur opferte, — aber Du sprachst es nicht aus — Es hat mich gekränkt, daß Du dies sagtest, daß Du mich von einer weichen Seite — einer LieblingsSache, die mich oft für manches bittre schadlos halten muß, angriffst, aber ich verzeih’s Dir gerne, wenn Du mir versprichst mir nie mehr den Musiker vorzuwerfen —
Ich lese nochmals Deinen Brief, und sehe, wie sich alles um 〈…〉 herumdreht — Alles! — Sei glücklich! — Mir tuts wohl das alles Dir geschrieben zu haben — ich fühle mich erleichtert und werde ohne Neid nicht mit dem Schicksal grollen, wenn Du auch ohne mich recht glücklich bist! — ich erwarte einen Brief von Dir in Gr〈oß〉G〈logau〉. Mach die Adresse an meinen Onkel, der wie Du weißt Reg〈ierungs〉R〈at〉 ist, und schlag den Brief an mich ein — in diesem Briefe mußt Du auch bestimmt anzeigen, wohin ich den nächsten Brief an Dich zu adressieren habe. Lebe denn wohl, Du Einziger mit dem vereint ich ganz glücklich hätte sein können — leb‘ wohl und vergiß mich und alles das nicht, was mir nah‘ am Herzen liegt! — Wenn ich durch M〈arienwerder〉 gehe, werd ich den L. besuchen, und wenns möglich ist, mein Dasein an Deiner Stubentüre ankreiden zum Merkmal und Innungsgruß unsrer verwandten Geister beim letzten Rendezvous — Adieu mein lieber.
Ewig Dein
H
Extrablatt zum AbschiedsRendezvous!
Eigentlich sollte das Adieu des letzten Blatts das Finale, der letzte Akkord unsers Rendezvous sein — ich sehe mich aber noch einmal nach Dir um, wie damals, als Du mich aus A〈rnau〉 nach K〈önigsberg〉 geleitetest, auf der Anhöhe an der Brücke — und laufe Dir nach um schon vielmal gesagte Dinge noch einmal zu sagen — um Dir noch in einem Abschiedskuß alles das vor Augen zu stellen, was mit einem bunten RegenbogenRande die Lieblingspiele meiner Fantasie bordiert! — Noch einmal ergreife ich die Feder um mit ihr in diesem Extrablatt (ein Jean Paulscher Ausdruck) an Dein Herz zu tippen. — Ich meine, daß man durch Anstrengung doch wohl mit der Zeit Herr über die Kleinigkeiten werden könnte, die uns (witzige Seitensprünge ungerechnet) an einem unzerreißbaren Haarseil lenken — daß man eben so gut, wie den Takt bei einer aufzuführenden Oper, auch den Takt, in dem man zu leben verbunden ist, dirigieren könnte, und diese Meinung, die ich der Kettenhypothese entgegensetze, führt mir den frohen Gedanken, den SonntagsEinfall zu, daß wir immer einmal nun genug dirigiert, das dirigieren versuchen könnten. — Wollte ich Dir den Schieber in der Laterna magika meiner Fantasie öffnen, so könntest Du Dich sehr viel mal sehen — zB wie Du mit mir vereint durch die schönen Gegenden des südlichen Deutschlands streichst, wie Du Dich glücklicher fühlst als je — wie Du alle Talente, die was taugen, an mir nutzest — in specie das Malen! (Du weißt die Fantasie ist oft egoistisch) — Du lächelst, daß Du, indem Du glaubtest, im Extrablatt etwas neues zu lesen, immer wieder auf die alten Ideen stößt — Nimm nicht übel! ich hab mich froh und leicht geschwatzt — die bittre Sekunde ist vorübergerutscht, und mein Humor ist der alte, so wie immer wenn ich mit Dir schwatze — Freilich habe ich diesmal vielleicht manches gesagt, was eine gewisse unabzulegende Diskretion mir hätte verbieten sollen, aber laut Deiner Vollmacht, Dir immer die Wahrheit zu sagen — Dir ohne Hehl alles vorzurücken was mir gefällt an Dir und nicht, habe ich diesmal mir mehr Freiheit herausgenommen als sonst — Ich habe Dir nie ein Pförtchen, sondern immer die Flügeltüren zu meinem Herzen geöffnet, und es ist nicht meine Schuld daß Du oft anstatt durch die Flügeltüren sans façon hineinzugehn nur durch das Pförtchen gucktest — wie es auch doch immer nicht gut bleibt, daß Du nicht gleich, als Du nach K〈önigsberg〉 kamst, gegen mich den Florbezug von Deinem Herzen wegwarfst, und gerade zu decisiv sagtest — so und so will ich jetzt hier leben mit Dir zusammen in dieser und jener Art —
Ich wurde unterbrochen Abends um halb 9 Uhr — jetzt hats 10 geschlagen, und ich komme recta aus dem Sprint — Du weißt, daß meine Laune öfters maître de plaisir ist, und daher komme ich jetzt aus dem Sprint — Bei einem solchen herzlichen AbschiedsRendezvous als das unsrige denkt man nicht gern an Kleinigkeiten, überhaupt ist man denn ein erbärmlicher Erzähler, der nicht einmal gescheute Perioden baut, und eben deswegen will ich Dir auch nicht den Bockssprung meines ReiseKumpans auserzählen, der mich unterbrach (nehmlich der Bockssprung) und bis in den Sprint trieb, so wie neulich die Klarinette des kleinen L. aus Loyals Garten bis auf den Ochsenmarkt! —
Eben jetzt, da ich bald das Extrablatt zu schließen gezwungen sein werde, kommt mir der fatale Gedanke in den Weg, daß Dich dieser Brief gar nicht mehr in M〈arienwerder〉 antreffen wird — daß vielleicht ein anderer — ein chargé d’affaires — diesen Brief erbrechen und lesen wird, und daß ich diesem daher mein Compliment machen, und ihm höflichst zu verstehn geben muß, daß falls er diesen Brief gelesen hat, er offenbar um eine halbe Stunde Zeit geprellt ist — denn sehn Sie mein Herr! Sie kennen uns, Schreiber und Leser (ordentlich bestimmte), nur in Sürtouts, die so geschnitten sind, wie alle unsre, und nichts ausgezeichnetes haben — Nun haben wir aber bei diesem Rendezvous diese lästigen Dinger abgeworfen, und sind mithin Ihnen, mein Herr chargé d’affaires , ganz unkenntlich (das eingehakte ist für Sie — sonst nichts! — )
Die meinem Herzen teuer ist, grüßt Dich, und gibt Dir einen Kuß des Friedens — der ReiseKumpan ist ein Windbeutel, ich aber im Extrablatt so wie im Briefe ewig ewig der
Deine
H.
Glogau den 18 t Julius 1796
Dein lieber Brief vom 26 t Jun: cr. , den ich einige Tage nach meiner Ankunft in G〈logau〉 aus den Händen des Onkels empfing, kettete mich wieder an Dich fester an — an Dich, und an jene Verhältnisse, ohne die mein Herz leer, und die Harmonie meines Kopfs mit demselben total verstimmt ist — Ich bin in einer Art Betäubung oder Rausch meiner Vaterstadt entflohn — der Abschied von ihr hatte mich so butterweich gemacht, daß ich mich bald vor mir selber sehr prostituiert und geweint hätte — nachher war ich verzweifelt lustig und zog mir die Überhosen richtig dreimal verkehrt an, dann aß ich sehr viel und trank noch mehr — sie sah ich noch einmal am Fenster, — vielleicht war mein Universal-Compliment gegen die vierseitige Nachbarschaft und mein SpezialGruß, den ich ihr ins Fenster als letztes Lebewohl zuwarf, meine Schlußvignette für K〈önigsberg〉 — ich meine, daß ich ihnen zum letzten mal hingezeichnet stand, und mich in meinen rund verschnittenen Haaren und Reisehabit nicht sonderlich produzierte — Von meiner Reise nichts, lieber Freund, außer, daß ich mit einem Deiner StadtInwohner reiste, der mich in M〈arienwerder〉 während der 2 Stunden, die man auf der Post mit Packen und Pferde wechseln zubringt, überall herum führte und mir verschiedne Damen zeigte, und unter andern 〈…〉 Dieser Cicerone und Reise ami war übrigens ein Knopfmacher, und hatte eine sehr hübsche Frau, — eins von den feinen Gesichtern aus dem Lavater, — gegen die man gleich freundlich sein muß, wenn man nur ein einzigesmal einen Crayon zwischen den Fingern Kunstmäßig gehabt hat. Die kleine KnopfmacherFamilie versammelte sich um den zurückgekehrten Papa, der bloß eine Visite in K〈önigsberg〉 abgestattet hatte, aber 8 Tage, für ihre Liebe eine lange Zeit, weggeblieben war — eins kletterte ihm an den Hals herauf — eins umklammerte seine Knie — und als er nun vollends bunte Pantoffeln für die Mädchen, und Gastkuchen auspackte, da hättest Du die Freude sehen sollen — Das Kleinste erwachte jetzt auch in der Wiege und lallte seine kleinen Ärmchen ausstreckend nach der Mutter, die lächelnd die Falten aus dem Bratenrocke des Mannes, der eben aus dem Mantelsack hervorgegangen (nehmlich der Bratenrock) war, ausstrich, und den vom Königsberger Gastmahl restierenden Staub — den FederAnflug ausbürstete — Ein alter Mann mit dem frappantesten Gesichte, der am Tische Knöpfe ausarbeitete, füllte die Szene mit BewillkommungsComplimenten und einem sehr höflichen Sermon an mich und seinen Kumpan — indem er schon längst ganz leise, mit einem Flugblick auf mich, sein etwas poröses Mützchen hinter sich geworfen hatte und in einer sehr konservierten Frisur mit einem Coeurtoupé dasaß — Jetzt kam Kaffee in einer mächtigen Kanne — Die Frau eilte vom Bratenrock weg um eine PorzellainTasse herunter zu langen und auszuwischen — Die Tasse war für mich — eine von Fayence für den Mann — der alte sah ziemlich lüstern den braunen Trank aus der Kanne fließen, und schmunzelte nicht wenig, als ganz unvermutet mit einer schnellen Wendung der Mann ihm seine Tasse darbot und all‘ seine HöflichkeitsWeigerungen mit einem lauten Ruf nach einer neuen Tasse abschnitt — Die Kleinen versammelten sich um den Tisch mit ihrem Kuchen in der Hand — die Bitte um Kaffee durften sie nicht wagen — und doch bissen sie nicht in den Kuchen — ich fütterte sie aus meiner Tasse, indem ich den Kuchen einbrockte, und es ihnen mit dem Teelöffel herauslangen ließ — Die Mutter wollte das nicht zugeben, und als ich darauf bestand, schenkte sie, um mir jede Entäußerung zu ersparen, ihnen nun ein Napfchen zur Tunke ein — jetzt war allgemeiner Jubel — alles trank Kaffee, und sogar der Haus-Kater, der mit hohem Rücken knurrend schon längst an die Familie näher getreten war, bekam fetten Rahm — ich hatte mich so bei den Kleinen insinuiert, daß sie mich nicht fortlassen wollten, als man mich zur Post rief — ich küßte sie alle — und auf den sanft gerundeten Contour der Lippen des Weibes hätte ich auch einen JoricksKuß gedrückt, als ZueignungsDokument meiner Seele und InnungsGruß des Handwerks, das ich treibe um besser zu sein, als ich ohne dasselbe wäre und sein könnte — Du verstehst mich! — Doch hätte dies Sensation erregt, und der PolizeiBürgermeister, dem es gewiß bekannt geworden wäre, hätte diesen Kuß quaest〈ionis〉 registrieren und mich vor der ganzen Welt in Mißkredit setzen können — Du siehst daß ich in M〈arienwerder〉 sentimentalisiert habe, und daran ist bloß das Profil oder auch die face einer KnopfmacherFrau schuld! — habeant sibi — nimm nicht übel, daß diese Geschichte ganz offenbar zwei Seiten meines Briefs einnimmt.
In Posen mußte ich mich der Post, nicht meiner Müdigkeit wegen von Sonnabend früh bis Montag spät um 6 Uhr aufhalten — Da lebte ich in einem vortrefflichen Hotel, bei Madam Speichert, recht lustig — Mittwoch d. 15 Junius früh um 6 Uhr stand ich Stirn gegen Stirn mit meinem Onkel — Du glaubst jetzt meine Ankunft zu lesen mit allen Att- und Pertinenzien — Du irrst Dich, denn mehr sage ich Dir nicht, als daß eine unausstehliche Verlegenheit mich von denen zurück stieß, denen mein Herz in den ersten Momenten des Kommenwerdens zufliegen sollte — Nach und nach, als diese VerlegenheitsEisrinde durch den Sonnenschein, den die Cousinen mitbrachten, von meinen Intestinen weggetaut war, wurde ich von einer Jovialität belebt, die mir selbst oder deren Ursache mir rätselhaft war. Zum Glück webte ein komischer Vorfall mit dem Bräutigam der Cousine gleich in den ersten Dialog ein gewisses Interesse, daß wenigstens die fatalen Momente schneller als sonst vorüberschlüpften — Dieser Erzspaß bestand darin, daß ich mich mit K〈orn〉, der auch auf der Reise nach G〈logau〉 war, in einem pohlnischen Städtchen beim Pferde wechseln in der Nacht zusammentraf, daß wir schieden (er fuhr mit eigner Equipage) ohne uns kennen zu lernen, daß wir beide zu gleicher Zeit eintrafen, und daß er kaum zwei Perioden seines EintrittsGrußes vollendet und noch nicht einmal seine Braut geküßt hatte, als ich hineintrat — Genug von dem allen — ich bin in G〈logau〉 entfernt von allem, was mir lieb war, und ich habe wie’s Hamlet seiner Mutter rät, die eine kranke Hälfte meines Herzens weggeworfen, um mit der andern desto vergnügter zu leben. Meine Cousinen sind sehr gebildete Mädchen — die zweite hat eine äußerst interessante Figur, das Gesicht von beiden ist ohne hübsch noch häßlich zu sein ein Gemisch von interessanten und WechselbalgsZügen, doch aber im ganzen gar nicht uneben. Sie sind Dir beide sehr gut — Der ältsten hab‘ ich gesagt daß Du Dich sehr gut kleidest und elegant zu Pferde säßest (Steckenpferd und rechtes Pferd), der zweiten, daß Du ihrem Liebhaber ähnlich sähst — beides wichtige Gründe, Dir ihre Zuneigung zu verschaffen — Der Onkel schätzt Dich als meinen Lebens associé und wünscht sehnlich Dich kennen zu lernen — — Jetzt stoße ich an eine Hauptfrage, die ich in Deinem Blick lese — ob ich glücklich — zufrieden bin! — und leider muß ich antworten, daß ich nie dauernd unglücklicher, nie bei mitunter langem Durchbruch meiner Jovialität so ein Sklave unseliger Kleinheiten gewesen bin — Nimm an, daß ich mich mit Gewalt losriß von einem Wesen, das meine ganze Seele füllte, das mir alles sein konnte, ich opferte mich einem unglücklichen konventionellen Verhältnisse auf und floh‘ mit blutendem Herzen — einen wohltätigen Genius suchte ich fern von meinem Vaterlande und fand ihn nicht! 〈…〉 und das ist die Gesellschaft, die mich aufheitern, die mir den Schmerz der Trennung von euch, ihr Lieben, versüßen soll — Die KnopfmacherFamilie hätte das eher getan, wenigstens Stundenlang, als diese Menschen — Die Tante ist eine vortreffliche Frau — sie und der Cousin, ein äußerst natürlicher jovialischer Junge, sind die einzigen, die mir noch oft manche frohe Stunde machen werden — Dem Onkel warf ich mich an den Hals mit meinen Leiden — sein Trost — sein Rat war eiskalt — ein tiefer inniger Schmerz frißt an der besten Blüte meines Lebens, denn der, der mich glücklich machen sollte, ist mir fremd geworden! Denke Dir, daß er mir so gar den Rat gab, nie mehr zu schreiben, damit nicht meine Briefe ad acta kämen —
- 20 Julius Eben kehrte ich aus der JesuiterKirche zurück — sie wird neu gemalt, und ich habe den exzentrischen Einfall zu helfen — das wird mir wahrscheinlich juristischer Seits übel genommen werden! —
Für diesmal, mein teurer einziger Freund, nehme ich Abschied von Dir, ich bin zu verstimmt, um Dir in meiner gewöhnlichen Jovialität Schilderungen von G〈logau〉 zu machen — schon im folgenden Briefe sollst Du mehr erfahren —
Lebe wohl, einziger innig geliebter Freund! —
Ewig Ewig der Deine
H.
Glogau den 17 t September 1796
Bester teuerster Freund! Es gehört mit zu den niederschlagenden Unannehmlichkeiten, welche mich auch jetzt, in veränderter Sphäre, zu Boden drücken, daß erst heute ich im Stande bin, Dir Deinen Brief vom 15 t August zu beantworten. Vier Wochen drängen sich in die Mitte von Frage — Anrede und Antwort, und diese vier unseligen Wochen, die ich, bis auf einen oder zwei glückliche Tage, in dem GeschäftsJournal meines hiesigen Aufenthalts wegwischen möchte, als einen übel angebrachten episodischen Zug, der ins Ganze nicht hineinpaßt, haben mich so lebensmüde, so völlig erschlafft gemacht, daß erst gestern ein Brief aus K〈önigsberg〉 im Stande war, mich mir selbst wiederzugeben, und dann, als die ersten Funken meines Geistes Strebsamkeit entzündeten, als Sie die feinsten Fühlfäden meiner Fantasie ergriff — als alles hervortrat, was sich meinem blöden Sinn entzogen hatte, da sah ich Dich mit einer Miene des Vorwurfs — Du klagtest über mich, und nanntest mich leichtsinnig und vergeßsam — Verzeih das sonderbare dieser Zeilen — sie mögen Dir meine Stimmung schildern, die, ohnehin schon feierlich, durch eine schmerzhafte, doch bald vorübergehende Krankheit bitter wehmütig gemacht ist.
Daß ich mich in Z. wirklich geirrt habe, schmerzt mich eben so sehr, als daß man jetzt in K〈önigsberg〉 alles anwendet, ihn durch die gallichtesten Briefe mir und dem Onkel verächtlich zu machen. Er ist noch nicht hier und wird auch wahrscheinlich nicht herkommen, da er schon den 12 t August seine Fußreise hierher angetreten hat und noch nicht angekommen ist — So mußte sich alles vereinigen, um mich aus einer Gegend zu vertreiben, die, nach andern Motiven und auch nach andern Grundsätzen gehandelt, mir die angenehmste hätte werden und bleiben können. — Warum Dir mit Hoffnungen, die ich, um jemanden weniger leiden zu sehen und mit kälterer Entschlossenheit als sonst den süßesten Verbindungen zu entrinnen, zurück ließ, Warum Dir, der Du nicht einmal Interesse dabei hast, mit diesen Hoffnungen schmeicheln — ich sehe K〈önigsberg〉 nie wieder! Man hat mich hier mißverstanden — wie der beste Rechenmeister das warum und weswegen samt meiner Zukunft herauskalkuliert, und es mir als facit dieser gewaltigen Rechnung zur Pflicht gemacht nie mehr K〈önigsberg〉 zu sehn — Schlüße nicht, mein Teurer, aus dieser traurigen Ouverture, aus diesem Klaglibell gegen mein Schicksal, daß mich mein Humor, — meine Jovialität, die vorzüglich die letzte Zeit, besage meiner an Dich geschriebenen Briefe, jedem Schicksalshieb meine härtste Seite präsentierte, ganz verlassen hat — dieser Humor beseelt noch meine Unterhaltung, vorzüglich mit den Damen, und macht, daß man mich hier für einen leidlichen Gesellschafter und noch bessern Musiker hält. — Mein Schmerz — das Gefühl der unausfüllbaren Leere, der Losgerissenheit von der Kette, die mich an Freunde und Seligkeit band, ist höchstens zwei Morgenstunden auf meinem Gesichte lesbar, und stimmt meine Diktion zwei Oktaven herauf, so daß ich mit keinem festen Ton in keiner festen Periode zum armseligsten Tropf werde — so wie die Sonne steigt, wird meine Außenseite von ihren Strahlen erwärmt, und ich bin brauchbar, so lange die Sonne oder sonst ein Licht scheint, des Abends falle ich in eine GeistesOhnmacht, und meine Fantasie paßt sehr sorgfältig auf meine Augenlider auf, um, so bald sie nippen, mir mit grellen Farben alles unangenehme, was mir je widerfuhr, zu wiederholen, und mir eine solche Zukunft zu zeigen, die nur zu gut mit der Vergangenheit zusammen stimmt. 〈…〉
Diese unruhvolle Periode bringt mich um die besten Stunden, weil man mich mit unermüdeter Aufmerksamkeit und Artigkeit nie allein läßt, sondern beständig herunterschleppt, um die Küsse, welche die verliebte Braut dem Bräutigam auftippt, zählen zu helfen — Jetzt hab ich mich in eine Garderobe, die dicht an meiner Stube stößt, eingesperrt und sitze zwar wie im Ohr des Dyonisius — denn jeder Schall von unten verdreifacht sich, indem er an die Eckmauer stößt und durch eine Öffnung im Boden heraufplatzt, sonst aber ziemlich ungestört —
Du frägst, wie es mit meiner WeiberKenntnis stehe, und ich antworte Dir, daß ich Schätze sammle, und daß meine Aufpasserei, die Du Beobachtungsgeist zu nennen beliebst, allemal in gutem Schwung ist, so oft ich aus meiner physischen und moralischen Klause heraustrete — Überall wo ich hinblicke, sehe ich kindische Torheiten — Firlefanzen und Possenreißen mit Empfindsamkeit und Liebelei — ich sehe Kleinlichkeiten, die man sich höchstens nur einmal im Leben erlauben sollte, bis zum Ekel wiederholen — die irae amantium des Horaz, die man sich recht hübsch denken kann, sind erniedrigt zu mörderischen Ausfällen auf gesunden MenschenVerstand und Bonhomie — das alles finde ich zuweilen amüsant, doch ich kann darüber 〈nicht mehr〉 so herzlich lachen, als wir oft zusammen über ähnliche Dinge in K〈önigsberg〉, wo wir noch zusammen das Ronchoncha-Chor sangen. 〈…〉
In dem Briefe, den ich gestern aus K〈önigsberg〉 erhielt, ist Deiner mit freundschaftlicher Wärme gedacht, und auch eines Abendessens erwähnt, daß Du im D …〈schen〉 Hause eingenommen hast — Sie ist auch da gewesen, und Du hast mit ihr von mir gesprochen — das alles hat mich ausgesöhnt mit mir und mit dem, was um mich ist — Ich bin höchst glücklich, wenn die frostige Lebensphilosophie, die hier vom Stuhle der Themis gepredigt wird, meine besten Hoffnungen, als unausführbare Chimären, verscheucht.
Lebe wohl, teurer einziger Freund — So bald Braut und Bräutigam den Bettsprung gemacht haben, sitze ich wieder im Ohr des Dyonisius und schreibe einen sehr langen Brief an Dich —
Ewig ewig der Deine
H
〈3. Oktober 1796.〉
Antwortschreiben an Theodor in bequemem Taschenformat geschrieben mit didottschen Lettern im Oktober 1796.
Als heute den 3 t Oktober des laufenden Jahres nachmittags um 3 Uhr der Postbote einlief und 3 Briefe brachte (Du bemerkst die Harmonie der Wörter und Zahlen) war der unstreitig der beste, der die lebhafteste Freude verursachte, und das war der Deinige an mich. O mein Theodor, so lange noch die Sonnenblicke Deiner Freundschaft mich erwärmen — so lange noch diese auf die Eisrinde, die Konvention und Unglück von nichtswürdigen Kleinigkeiten geboren um mein Herz ziehn, wohltätig würken, daß sie im lieblichen Tau der Empfindsamkeit hinfließt — stockt noch nicht der Puls meiner Tätigkeit — Ich fühle, daß jugendliches Feuer in meinem innern wallt, und daß diese verzagende Resignation auf Freude und Glück, welche mich seit vielen Tagen unter den schrecklichsten Qualen nagender Hypochondrie niederwarf, nur abgelebten Greisen ziemt, nicht mir dem Jünglinge, der es als angebornes Recht vom Schicksal fordern kann noch manche bunte Dekoration zu sehn, die in dem zu spielenden Lebensschauspiel vorkommt und nur noch für die folgenden Akte verhüllt bleibt.
Dein Brief (der in einem Anfall jovialischer Laune geschrieben ist) ist für mich eine stärkende Arzenei, ein Roborativ gewesen — Ich habe wieder hoffen gelernt, denn Du hast mit der siegenden magischen Gewalt Deiner Freundschaft mir einen reizenden Prospekt der Zukunft hervorgezaubert. — Warum erscheint mir heute alles im Purpurglanz neu erwachter Gefühle! Warum schwingt sich meine Fantasie mit raschem Fittig zu einem ländlichen Elysium auf, wo Freuden ihren Kettentanz um mich reihen, und wo ich keine verlorne, keine ungenossene Stunden bejammern darf! — Bin ich denn nicht glücklich — Sind nicht alle Klagen die meine Atmosphäre verpesten, wahre Versündigung an Dir und an mir selbst? — Wenn selbst jene entzückenden Bilder, jene Wonneträume, Sie einst zu besitzen und mit ihr durch die engsten Bande der Menschheit und Natur verbunden die letzten Schritte zu vollenden — wenn sie nur Bilder blieben nie von der Wirklichkeit erreicht — so nagt das noch nicht die Blüten meiner Seligkeit weg — ich habe Dich! Eine Freundschaft die wie die unsere um die kleinsten Verhältnisse des Lebens ihre süßen Bande schlingt, wo man mit einander alles und getrennt nichts ist — wo mit ökonomischer Sorgfalt Kummer und Freude geteilt wird und mitbeweint und mitgenossen jeder Augenblick der Vergessenheit entrinnt — wo die Quelle wechselseitiger Rührung nie versiegt — eine solche Freundschaft gewährt einen ewig reinen Genuß — sie wird von einem Heroismus gestählt, den der Rausch der Liebe nicht erträgt — Ja mein Theodor — wenn alles für mich verloren ist, wenn Sie nicht für mich lebt — denn lande ich in Deinem Hafen — ich bin ja sonst schon oft Dein Maître de plaisir — Dein Zeichenmeister und HofKomponist — KapellDirektor und Hofpoet gewesen — ich werde es vielleicht noch einmal sein, wenn dieses volle Herz dem Zerspringen nahe sein wird in der Leere die es umgibt. Laß mir ihn immer träumen, den süßen Traum künftiger Vereinigung mit Dir, dem Einzigen, dem mein Herz, meine Empfindung eine Lustvilla ist, in der sein Geist gerne verweilt. In einer vaterländischen Gegend zwischen murmelnden Bächen, majestätischen Eichen und niedern Birkensträuchern wirst Du einst gehn verbunden mit ihr — deren Aufenthalt Du nach Pensylvanien verlegst — mag sie sein ferne oder nah, geboren ist sie schon und harret auf Dich kommenden — da werd ich mich zwischen euch drängen, pochend auf die Vorrechte, die mir mein Herz gibt das sich anklettet an das Deine — Du wirst mich in Deine Arme schließen, und selbst auf ihren Mund werde ich einen Segenskuß drücken dürfen — Friede im Herzen, werden wir mit trunknen Blicken an uns hängend ganz des Wiedersehns erhabnen seligen Moment genießen — An dieser Stelle, mein Theodor, wollen wir unsrer Freundschaft ein Monument errichten — allenfalls auf simpelm Piedestal den Genius der Freundschaft zwei Kränze zusammenbindend — mit der Inschrift unten im Piedestal »Hier fanden sich Theodor und Eugenius wieder« — Lächle über das Bilderbuch meiner Glücksträume. — Ich wollte mich losreißen von meiner Schwärmerei der Zukunft und in die Gegenwart zurückgehn, aber ich vermags nicht — mein trunkner Blick irrt nur in den Wonnegegenden umher, die noch in weiter Ferne liegen, und die nur der Flug langer Monden und Jahre erreicht —
In Deinem vorletzten Briefe tratst Du in Gesellschaft auf, und ich genieß Dich so, wie ehedem, wenn wir im frohen Zirkel unsre Jovialität in Bewegung setzten, und unser gesellschaftliches Talent übten. In diesem eben empfangenen Briefe trittst Du allein auf — ich habe Dich genossen wie ehedem, wenn wir in den Armstühlen saßen. Oft wehen mich die Lüfte der Vergangenheit an, und ihre Freuden gehn hervor, wie Geistergestalten abgeschiedener Geliebten, die man ohne Schauer erblickt als Repräsentanten ihrer Wirklichkeit. Ich bin schon sehr glücklich gewesen, mein Theodor! Oft und meistenteils war mein Glück verborgen dem Menschenpöbel — Konvention und die unglückseligsten Verhältnisse brandmarkten es als unerlaubte Contrebande, die man nicht einführen dürfte ins Leben, weil sie ihr Maut-Amt bei Zeiten vorgelegt hatten — ich entschlüpfte ihnen auf Kosten meiner Ruhe, und eine gewisse Kindlichkeit in meinem Charakter, ein Zutrauen zu allem was mich umgab ging verloren — Warum war es so und nicht anders, klag ich so oft, warum legte das Schicksal RosenKetten und Fesseln so nah an einander — Ich stürmischer wurde gezähmt durch die Heimlichkeit, in die sich alles hüllen mußte — Du bist mein tröstender Engel mit Deinem Glückshafen für mein Herz, das oft ängstlich in einem Fegfeuer der widrigsten Eindrücke schlägt. Nur einen einzigen Gedanken reiße noch aus meiner Seele, und ich werde ganz glücklich sein — können! — Du merkst, worauf dies alles geht, um so mehr wenn ich hinzusetze, daß das Dasein eines einzigen Menschen, dem ich 78 Meilen entfloh, meine schönsten Stunden umschafft in schmerzhafte — Eine krampfhafte Empfindung durchzuckt mein inners, wenn ich mir etwas kleines ungeheures denke — Genug — schon verbittert mir der Gedanke daran die Sabbatsaugenblicke, die ganz Dir gehörten! — Jetzt wärs einem FlügelConcerte ähnlich, wo nach dem sonoren ViolinenTutti der Spieler sein Solo zu klimpern anfängt, wenn ich Dir schriebe von kleinen Vorfällen meines hiesigen publiken Vegetierens und von episodischen Sponsalien die nichts weiter abgeben als Lachstoff! Weniger kann kein Mensch dazu gestimmt sein als ich in diesen Momenten des innigsten Gefühls der Freundschaft für Dich, mein Theodor! Noch nie waren mir die Menschen um mich her lästiger, und noch nie hatten sie zu gleicher Zeit weniger Einfluß auf mich. Dies Blättchen soll als Lichtblick und Aufhöhung in die gröbere Masse eines Neuigkeitsbriefs, der in andern Stunden zu lesen ist, eingestoßen werden — Lebe daher wohl für diesen Abend, für diese Nacht, Teurer Einziger! Eine dunkle Schattenvolle Nacht umhüllt mich — die Helle, die durch die Finsternisse bricht, ist ein Traum — mehr als ein Traum, vielleicht schon Dämmerung und Vorglanz eines schönen Morgens, der endlich durch die SchlagSchatten der Bergkette brechen wird, die mich von Dir trennet. Lebe wohl!
Eugenius
Glogau den 22 Oktober 1796
Mein einziger teuerster Freund! Du bist zu gut, Du liebst mich zu sehr, um die Grade meiner Wärme gegen Dich nach der Zahl der Briefe zu berechnen — Mein hiesiger Aufenthalt, der ein Lärm- und Tummelplatz meiner Launen ist, und in den hineingestoßen ich an hundert Haarseilen mehr hänge als sonst, ist Schuld daran, nicht daß ich nicht an Dich gedacht haben sollte (denn mein Vegetieren hat mich noch nicht zur Mumie umgeschaffen), sondern daß ich dieses Erinnern an Dich, oder mehr als das — dies ganz mit voller Seele an Dir hängen, mein Teuerster, nicht schriftlich dokumentiert habe. — Dein VorwurfsBrief, Klaglibell gegen meine Briefsverzögerung vom 14 t Okt: hat alle jene Haarseile losgeschnitten, und ich fliege Dir zu sagen, daß ich Dich liebe, und daß die Trennung von Dir der bitterste Tropfen ist, den mir das Schicksal in den Becher des Lebensgenusses hineingemischt hat — Mit diesem vollen Herzen, mit diesen süßwehen Empfindungen, mit diesem Drange nach Mitteilung werde ich nur mit Dir vereint glücklich sein können — Mein Geist schwebt dem Deinigen zu, bei jedem Ideal künftiger Zufriedenheit. — Hier lebe ich oft von interessanten Gegenständen umgeben so uninteressant als weiland mit dem Cizero unter dem Arm, als ich in Prima saß, und die ersten Grundpunkte oder Contourstriche zu allem künftigen Glück und Unglück, namentlich aber auch zu Deiner Freundschaft, ohne selbst daran zu denken hinwarf — Jene Zeit war schön, weil mit jedem Tage ich selbst (moralisch) mit meinen kleinen Freuden heranwuchs — Diese Zeit kommt nicht wieder — Jetzt lebe ich uninteressant, weil ich von allen, die mich liebten, hinwegzog, ohne hinlänglich vernünftigen Grund, und aus einer Art von tollem Stoizismus, der mir nicht einmal natürlich ist, und weil hier die, die mich nicht lieben, mich nicht verstehn, sich auch nicht die Mühe geben mich zu verstehn. — Ich erinnere mich Dir viel übles von der Cousine geschrieben zu haben — es ist alles nicht wahr, und bloß nur ungezognen Grolls wegen hab‘ ich Dich belogen 〈…〉
Freilich hab‘ ich aus K〈önigsberg〉 ihr Gemälde erhalten — Getroffen ist sie und schön gemalt — das Gemälde ist aber in Nova Zembla gemacht — Kein warmes Kolorit — kein feuriger Blick führt’s zum Herzen — Sie ist’s nicht — Sie die mich liebt — ich arbeite an einer Kopie, der meine glühende Fantasie Leben und Geist geben soll. — Ein gewisser M〈olinary〉 der ein sehr geschickter Maler ist, hält sich seit einigen Tagen hier auf — Alles was ich von ihm höre und sehe ist so äußerst interessant, daß ich nicht die Zeit erwarten kann ihn kennen zu lernen — Noch nie habe ich eine solche lebhafte MiniaturMalerei gesehn! —
Es ist fast ganz gewiß, daß ich auf den März die Reise nach K〈önigsberg〉 mit dem Onkel antrete — Wir werden uns wieder sehn — ich werde Dich früher umarmen als sie! — Einziger Teuerer — ich finde Dich so wieder als ich Dich verließ — Du liebst mich — und ich bin glücklich! — Wenn diese Prüfezeit, diese Fegfeuerprobe vorüber sein wird — wenn alles was mich quält und niederdrückt in tiefe Nachtschatten zurücktreten — wenn endlich jene Sonne für mich aufgehn wird, der ich mit ungeduldigem Entzücken entgegensehe — O mein Freund — was wäre ich, wenn diese wohltätige Ideen seliger Zukunft meinem Geist nicht Kraft und Spannung gäben!
Eben fällt mir das Blatt in die Hände, das ich denselben Tag schrieb, als ich Deinen ersten Brief erhielt — ich leg es versprochenermaßen diesem Briefe bei, der eben auch kein Neuigkeitsbrief ist — Allemal wenn ich an Dich schreibe, nehme ich mir vor, Dir recht viel Schilderungen von G〈logau〉 zu machen und überhaupt recht jovialisch zu sein, eine unbesiegbare wehmütige Stimmung verdirbt mir allemal dies Projekt.
Du bist in D〈anzig〉 gewesen und hast ein neues Menschen genus kennen gelernt — solche Ausflüchte wünscht ich mir machen zu können — vielleicht gehe ich auf ein paar Tage nach B〈reslau?〉 〈…〉
Ich werd mich einmal anstrengen Dir ein Buch zu übersenden, woran ich schreibe, was jovialischer ist und witziger als ich selbst. Lebe wohl, mein Teurer, und antworte mir sehr bald.
Ewig der Deine
Eugenius.
Glogau d. 11 t Dezember 1796
Ich eile, Dich noch in M〈arienwerder〉 dicht vor der Abreise nach K〈önigsberg〉 mit einem Briefe zu erwischen — Du mußt, ständest Du auch schon mit einem Fuß im Wagentritt, doch noch so lange zögern, daß Dir der Postbote den Brief insinuieren kann — lesen magst Du ihn auch erst in K〈önigsberg〉 — laß diese Unterhaltung Dir aber das EintrittsCompliment — die BewillkommungsVisite sein! — Ich ging nach Süden um wärmer zu sein, und bin an eine Eisklippe geraten, die mir Verderben droht — Mein Exil vergleiche ich mit jenen Inseln des Lord Anson, die nur in der Beschreibung Paradiese sind — die Exaltation, in der ich in das freiwillige Exil ging, ist Dir nicht unbegreiflich, wohl aber oft mir selbst — Heute gerade wäre ich in der Stimmung Dir manches zu sagen, was so toll — so überaus toll ist, daß ein gewisses vernünftiges etwas — ein schwarzer Punkt in einem Feuerkreise — mir jede Periodensetzung zu verderben scheint, in der ich Dir dieses erzählen oder lieber herfantasieren will! — Nenne mich den leichtsinnigsten unbedachtsamsten Menschen, der sich um Hirngespinste quält und in einer unaufhörlichen Schattenjagd seine Kräfte erschöpft — ich bins fürwahr! Ein kleiner Zettel aus meiner Brieftasche fällt mir in die Hände — diese Worte stehn darauf »Wenn ich’s mir als möglich denke, daß dieser unsinnige Wechselbalg meiner Fantasie, über den ich in ruhigen Momenten ganz teufelmäßig lache, je die Fibern meines Gehirns erschüttern, oder an die Fühlfäden meiner Empfindung tippen könnte, so wünschte ich mit Schackespears Falstaff: Es wäre Schlafenszeit und alles wäre vorbei!« — Dies habe ich gewiß in einer Aufwallung von gewissen tollen Ideen hingeschrieben und sie glücklich gedämpft — und jetzt! — jetzt ist das alles geschehn, was ich damals bloß als möglich der Kritik meiner Vernunft unterwarf — und ich wünsche doch nur selten die Schlafenszeit, welche ich in jener Stelle aus Heinrich IV. dem Falstaffschen Ausruf unterschiebe.
Verzeih, mein Theodor, diese Dir unverständliche Äußerungen meiner sonderbaren Stimmung, ich reiße mich los, um Dir interessanter zu werden oder um nicht selbst im Briefe ganz dem Hirngespinst zu gleichen, das mit meiner Laune faselt!
Die Nachrichten, welche ich jetzt aus K〈önigsberg〉 erhalte, sind so sonderbar, so widersprechend, daß sich mir nichts gewisses daraus abstrahieren läßt. Ich bekomme zwar auch Briefe von ihr , diese sind aber nur schlechte Repräsentanten der Vergangenheit — Du gehst nach K〈önigsberg,〉 von Dir glaube ich mehr und gewissere Nachrichten zu erhalten, wie man sich meiner erinnert. Diese Nachrichten sollen meine Reise nach K〈önigsberg〉 bestimmen!
Man lebte hier in einem solchen traurigen Einerlei, wenn man nicht ex propria auctoritate manchmal humoristische Sprünge machte. Zu diesen gehören auch die ombres chinoises , die ich mit Hülfe des Cousins etabliert habe, und durch die ich manchmal meiner Laune freien Lauf lasse — ich habe auf diese Art auch den Jahrmarkt von Goethe aufgeführt! —
Ich wurde unterbrochen und an dem fernern Schreiben verhindert — der Brief muß in 2 Minuten fort. Lebe wohl — Mir ist daran gelegen daß Du den Brief vor Deiner Abreise nach K〈önigsberg〉 bekommst — Schreib mir doch nur ja aus K〈önigsberg〉 — ich werd einen Brief nach K〈önigsberg〉 adressieren allenfalls bei uns 〈abzugeben〉 — Lebwohl — Herzensbester Freund! Adio!
Dein
H
1797-1800
Glogau den 21 t Januar 1797
Einziger Teurer Freund! Was Du eigentlich von mir denken magst, möcht ich wissen! Die Santa Hermandad meines eignen Gewissens klagt mich an, und nur mit schwachen Gründen suche ich einer schmerzhaften Verdammung zu entgehn! — Dein Brief (der letzte), der mir heute in die Hände fiel aus dem Portefeuille, indem ichs aufmachte ein Portrait anzusehn, mahnte mich an die Erfüllung einer Pflicht, die mir zugleich noch wohltätige Sonnenblicke aus der Vergangenheit verschafft — Vor einigen Tagen hätte ich freilich nicht schreiben können, denn ich hab‘ mir den Arm auf dem Eise lahm gefallen, aber Dein letzter Brief erforderte schleunige Antwort — Die Spannung in der Du ihn für mich aufs Papier hinwarfst, hat vielleicht schon nachgelassen — vielleicht siehst Du schon manche Dinge anders — manche Gestalt, die erst in grellem Lichte hervorstach, ist im Schatten — ich will, daß Du mich nur hörst, und wünsche die zum Teufel, welche Dir Verdruß und böse Laune machen — Ich bin Dir am heutigen Januars-Abend, mein liebes Kind! so eiskalt, daß ich Dir sogar ungemein vernünftig sagen kann, daß im Entbehren, im NichtGenießen — im völligen moralischen und physischen Farniente man eine überaus große Ruhe findet (unumstößlich wahr) — daß man eigentlich nie — nie lieben sollte — keinen Geschmack finden an Anmut und Schönheit, und hinbrüten bis man mit Schackespears Fallstaff schlafen ginge — ich setze nur noch hinzu, daß dies abscheulich ist, — nehmlich ein Satz aus der Diätetik des Phlegmatikers, welcher in K〈önigsberg〉 auf dem gewissen Lehnstuhle vegetiert, und daß ich ewig verdammt sein will, wenn ich länger als dreiviertel Sekunden so räsonnieren kann. — Jetzt hab ich mein Licht geputzt, eine SchlafMütze auf mein Haupt geworfen, zweimal zum Schrecken einer Maus, die an einem haschierten Pantoffel soupierte, den Fuß gegen die Erde gestampft, und denke — empfinde — spreche anders!
Schon in mehr als einem Brief habe ich Dir gesagt, daß ich zu jovialisch bin, um möglich an einer fatalen Grille zu kleben, daß sich trübe und frohe Stunden in den zu durchlebenden Tag bunt unter einander teilen, daß mein Geist aber oft mir PartialZahlungen leistet, wenn meine Fantasie eine ganze KapitalsSumme fordert — Dies alles zum voraus gesagt, kann’s Dir nicht auffallen, wenn ich Dir versichere, daß ich nie mehr Veranlassung hatte unglücklich zu sein, als jetzt, und daß ich nie jovialischer dachte, als heute am einsamen Abend — Mir fehlt nur mein Theodor — auf ewig könnte ich alles alles, was mich quält, warum ich mich abhärme, vergessen, und glücklich sein, wie ichs nie war! 〈…〉
— Der verfluchte Arm — ich muß pausieren! —
Ich habe etwas pausiert, und mein Arm erlaubt mir weiter zu schreiben! — aber o weh, durch die Stiche im Arm sind gewisse Stiche, die tief in das Herz gehen, rege geworden und haben meiner guten Laune einen Stoß versetzt — Alles geht jetzt verflucht, der Cousin schnarcht aus F moll — die Maus nagt unaufhörlich am Pantoffel — ich hab‘ sie erschmeißen wollen mit dem LandR〈echt〉 von 1721 — mit schlesischen Edikten — mit meiner Bürste — mit der Sandbüchse — die Stube ist schon fast mit allen meinen Effekten besäet, aber die mordiöse Canaille nagt fort — stört gänzlich alle Illusion, und ich kann nichts gescheutes denken. — Zu diesem allem kommt noch, daß ich mit einer fieberhaften Schläfrigkeit kämpfe, welche ich auf die Ereignisse des heutigen Tages schiebe — denn denk nur — M〈inna〉 hat uns verlassen und auf eine entsetzlich lange Zeit, und ich bin so weichherzig, so sentimentalisch beim Abschiede gewesen — habe sie unwillkürlich, als sie mir den Abschiedskuß reichte, an mein Herz gedrückt, daß mir der Cousin einmal über das andere versichert ich wäre verliebt, und daß ich der größte Hasenfuß bin, den man sich nur denken kann, ist auch mitunter wahr. Eben fällt mir ein, vor einiger Zeit einen Brief von Dir erhalten zu haben, in dem Du mir versichertest meinen letzten Brief nicht verstanden zu haben, welches sehr glaublich ist, weil ich etwas verrückt war als ich ihn schrieb!
Ich berichte nur noch, daß der Cousin aufgewacht ist — und eben auf mein flehentliches Bitten mit besonderer Geschicklichkeit das Galgenvieh, die soupierende Maus, im Vorbeischießen ertreten hat, und lege mich denn schlafen — Gute Nacht, mein Theodor, Morgen früh‘ füll ich vielleicht mit gescheutern Dingen die übrigen Blätter, ich fühls, nichts Kluges gesagt zu haben! — Das über Deine Geschichte ausgenommen — es ist solches wahr!
Gute Nacht!
Sonntag 〈22. Januar〉 früh um 9 Uhr
Ein trüber unfreundlicher Morgen — der Sturm hat diese Nacht geraset, und Schlossen haben meinem Fenster den Untergang gedroht. Jetzt ist’s sonst ruhig, nur der ganze Weg nach Bruste (ein Dorf eine ViertelMeile von G〈logau〉, den ich übersehn kann, ist mit Fußgängern bedeckt, die nach G〈logau〉 in die Kirche wallen. Denk Dir eine lange Kette, deren Glieder blaue Mäntel (in den Mänteln stecken res sese moventes ) sind! So erbaulich, wie denen da zu Mute ist, so fromm sie selbst durch die Beschwerlichkeiten des Ganges gestimmt werden, so können wir beide, Du und ich, nun und nimmermehr sein — Du wohl noch eher 〈…〉 Du hast es mir oft ziemlich unsanft vorgeworfen, daß ich nicht für so etwas als verdorbener Städter empfänglich wäre — ich räume es ein!
Einige Zeit hindurch (um nicht ewig vom Sonntage zu reden) hab ich hier einen Umgang genossen, der meinem Geist oder willst Du lieber, meiner Fantasie neuen Schwung gegeben hat. Ein Mensch, wie ich ihn mir oft idealisierte, kam wie eine Erscheinung her, und floh wie ein guter Genius der im Vorüberfluge Rosenblätter in die Lüfte streut — . Sein Ruf war wider ihn, und er wurde wie viele Menschen verkannt. — Denk Dir einen Menschen — schön gebaut wie der Vatikanische Apoll — dazu aber einen Kopf, wie ich ihn einen Fiesko zu Charakterisieren wählen möchte, denn es ist wahr, daß aus dem sonst schönen Auge oft eine gewisse boshafte Schadenfreude hervorstrahlte — Die schwarzen kurzen krausen Haare schienen dies noch mehr zu bestätigen — In der ganzen Haltung des Körpers lag etwas stolzes — eine gewisse Superiorität die doch nie anmaßend war — dieser Mensch hieß M〈olinary〉, und war ein Maler — Du kennst mich, Theodor, kennst meinen Enthusiasmus für die Kunst — War’s Wunder, daß ich mich gleich ihm zu nähern suchte. Es gelang mir bald, und nun verbrachte ich fast jeden Tag ein paar Abendstunden in seiner Gesellschaft — Er hatte die mehreste Zeit seines Lebens in Italien gelebt, und sich vorzüglich in Rom zum Künstler gebildet. — Ich behalte mirs vor, künftig bei einer mündlichen Unterhaltung Dir mehr von ihm zu sagen, jetzt nur so viel, daß ich durch ihn unendlich in der Kunst gewonnen habe. Der FeuerGeist des Italiäners belebte seine Werke, und einige Funken davon weckten meinen schlafenden Genius — dieses dokumentier ich durch ein paar MädchenKöpfe, die ich in meinem Portefeuille von meiner Hand habe.
〈…〉
Es wäre alles gut, wenn nicht alles sich bei mir zur Leidenschaft umwandelte — Meine Heftigkeit — ich möchte sagen, meine Raserei bei allem, was sich mir von der Seite solcher Empfindungen darbietet, zerstört alles gute in mir — Die Jovialität geht zum Teufel, und zerstört sind alle Glücksträume — dies ist der Punkt, in dem ich mit M〈olinary〉 zusammentraf — Beide Kinder des Unglücks — beide verdorben vom Schicksal und sich selbst!
— O mein Theodor, wenn ich’s Dir schildern könnte, so wie ich’s fühle, was Du mir bist, wie ich mit ganzer Seele an Dir hänge — wie ich nur noch gut bin um Deiner Freundschaft würdig zu sein! — Jedes Wort in Deinen Briefen ist mir teuer und heilig — das Paket liegt in meinem Pulte, und jeder Blick, den ich hinwerfe, erstickt die maliziösen Pläne — die boshaften Schlüsse, welche von einer verzweifelten Resignation erzeugt werden, und stimmt mich so wehmütig, daß ich weinen möchte, wenn ich Tränen hätte! —
Künftigen Frühling reise ich nach K〈önigsberg,〉 das ist bestimmt, aber dann mach ich im Junius eine FußReise ins Gebürge, wie glücklich wär‘ ich, wenn mich da mein Theodor begleitete! — Denke Dir Freund! wenn wir, wieder vereint, die schönen romantischen Gegenden des Riesengebürges durchzögen — Alles würde uns auffordern, zufrieden mit uns, ausgesöhnt mit der ganzen Welt, mehr als jemals die Gegenwart zu genießen. — Daß ich gehe, ist so fest bestimmt, daß kein moralisches Ereignis den Vorsatz umstoßen und die Ausführung vernichten kann — aber ob der schöne, herrliche Glückstraum Deiner Begleitung erfüllt werden wird, ist eine andere Frage! — Verzeih Einziger, es klingt wie ein Vorwurf, wenn ich Dir sage, daß noch nie etwas in Erfüllung ging, um das ich Dich bat — Immer drängten sich unvorhergesehene Hindernisse dazwischen — und lag es gänzlich bloß an Dir, so stimmten Dich äußere Dinge anders, und Du fandst es immer unmöglich, meine Wünsche zu befriedigen — Schreib mir wenigstens, ob jene intendierte Reise ganz gegen Deine Bestimmung für den künftigen Sommer ist oder nicht! — Wie glücklich wäre ich, wenn Du einwilligtest!
Wenn ich nur erst weiß, ob Du noch in M〈arienwerder〉 bist oder schon fort nach K〈önigsberg,〉 (die Überschickung der Briefe macht mir einige Unruhe) so schicke ich Dir ein gewisses Portrait zu! — Eben bringt man mir Preislers Zeichnungen, die ich M〈olinary〉 geliehen hatte, wieder — Ein Zettel fällt heraus »Wir sehn uns wieder!« Wahrscheinlich meint er in Warmbrunn. Er will künftigen Sommer hin und ich auch — er geht nachher nach Italien, ich leider nicht! —
Wenn wir uns wiedersehn, ist meine Fantasie von neuen Hoffnungen geschwängert — ich werde ausgelassen sein, denn dort find ich sie wieder. 〈…〉 ich bin schlechter, verdorbner — ich tauge nicht mehr viel, und höchstens mal‘ ich besser, das ist aber auch alles! —
Eben kommt ein höchst sonderbarer Mensch zu mir, associé , LitisKonsorte (nach Jean Paul) eines Hauses, in dem ein Mädchen ist, der ich, wie man als ganz gewiß sagt, den Hof mache — Es ist wahr, daß ich einige Ausschweifungen begangen habe — dieser M. zu Gefallen einigemal bei den Franciscanern Messe gehört, auf der Redoute nur mit ihr getanzt habe, das ist alles wahr, so wie daß sie ganz ausgezeichnet hübsch ist, und daß ihr Kopf bei mir im Portefeuille liegt — dieser Mensch ist erstaunend höflich — geht um mich her, wirbelt auf der Bratsche einige dumme Akkorde — Was er nur wollen mag! — Mich hinbitten zum C. R. — ich kann nicht kommen, weil ich mich des Arms wegen nicht anziehn kann! Der Cousin macht Dir sein Compliment! Adio Teurer Einziger Freund, Adio bis zum Anfang des Aprils
Ewig der Deine
H.
Glogau den 15 t März 1797.
Teuerster Einziger Freund! Endlich, endlich reiße ich mich los von allem, was mich umgibt, was mich mit unsichtbaren Ketten an die uninteressantesten Dinge fesselt, um Dir in einer süßen ruhigen Stunde, die ich ganz froher Vergangenheit weihe, zu sagen, daß ich Dich innig liebe, und daß alle Nachrichten, die sich auf Vorfälle, welche Dein künftiges dauerhaftes Glück begründen sollen, beziehn, mich auch äußerst glücklich machen! — Der Kauf der L〈eistenauer〉 Güter, die in einer romantischen Gegend liegen sollen, scheint mir die erste dezidierende Handlung zu sein, welche Einfluß auf Dein ganzes künftiges Leben hat! — Zieh ein in Dein Paradies mit einem holden Geschöpfe, das — vielleicht nicht inniger, aber für Dich doch empfindungsvoller (ich will sagen, Deine Empfindung wäre gespannter) als jeder Freund, Dein Entzücken teilt — glücklich ist der, dessen Du Dich in den ersten Stunden dieses Wonnegefühls erinnerst — die Periode ist undeutlich — eigentlich wollte ich bemerken, daß die Liebe zur Freundschaft sich verhält, wie der Akkord der ÄolsHarfe, der alle Fibern erschüttert, zu den angeschlagenen Saiten des FortePiano, die sanft und lange in der Seele nachklingen. — Du sagst, mein Teurer, daß selbst meine Briefe von der Veränderung zeugen, die mein Ich — die guten Seiten meines Ichs gewaltsam zerstört hat. O mein Freund, in Stunden, wo ich noch fähig bin jene himmlischen Gefühle — jene schwärmerische Ideale von Tugend — Liebe — Glück hervorzurufen, welche mich in einem Alter von 16 bis 20 Jahren so glücklich machten, in diesen Stunden steht’s deutlich vor meiner Seele, was ich war und was ich bin! — Zwei Menschen haben eine Hölle in meine Brust geworfen, welche unaufhörlich brennt — Es gibt Augenblicke, wo ich an allem guten verzweifle, wo ich mich aufgelegt fühle, allem entgegen zu arbeiten was mit scheinbarem Glück prahlt — und denn — denn, wenn alles aufwacht — Briefe aus Preußen mich wider meinen Willen an menschliche Wesen ketten — Liebe kann einen Satan bekehren! — wenn alles auf mich einstürmt — dann wird die Eisrinde, die sich um mein Herz legte, erwärmt — sie schwindet, und eine unbeschreibliche Wehmut wirft mich nieder — Verzeih mir diese Schilderung meines Zustandes — ich war sie mir selbst schuldig, und Du bist vielleicht der einzige, der mich mitleidsvoll in seine Arme schließt! — ich bin hier überhaupt in einer sonderbaren Lage — Man kann mich nicht gut leiden, so sehr ich Anfangs zu gefallen glaubte. — Menschen, die mich erst mit Liebe und Zuneigung erdrücken wollten, sind jetzt kalt und fremde gegen mich, 〈…〉
Aller Wahrscheinlichkeit nach sehn wir uns künftigen Frühling nicht wieder. Der Onkel hat Hindernisse aufgefunden, oder vielmehr Hindernisse haben sich ihm entgegengestellt, welche die ganze intendierte Reise vereiteln — Wenn Du nicht lebtest, und mich noch liebtest, wärs mir gleich, denn sie in K〈önigsberg〉 wiederzusehn erfüllt mich mit Entzücken, aber auch mit tötendem Schmerz!
Ich liebe nicht mehr die Musik — es ist wahr, was Jean Paul sagt, die Musik legt sich um unser Herz, wie die Löwenzunge, welche so lange kitzelnd und juckend auf der Haut liegt, bis Blut fließt! — so ungefähr lautet die Stelle — Sie macht mich weich wie ein Kind, alle vergeßne Wunden bluten aufs neue — Neulich war ich mit jenem Mädchen zusammen — in der frohsten Laune — die untergehende FrühlingsSonne warf noch die letzten Strahlen durchs Fenster — alles war so in lieblicher Haltung — ihre Figur schien in den Atomen, welche der Strahl sichtbar machte, zu schweben, und ich fühlte halb zu ihr hinüber gebogen ihren sanften Hauch auf meiner glühenden Wange, — ich war glücklich und wollt’s ihr sagen, — das Wort erstarb mir auf der Zunge, als es sechs schlug, und die FlötenUhr das Mozartsche Vergißmeinnicht in feierlichen Tönen spielte — die lange Wimper ihres Auges senkte sich, und ich fiel in meinen Stuhl zurück — zwei — drei Verse, ich dachte an die Worte
Denk daß ich’s sei, wenn’s laut in Deiner Seele spricht
Vergiß mein nicht! Aller Frohsinn schwand dahin, und ein Fieberfrost kühlte die Glut, welche in mir aufgestiegen war! — Endlich schwiegen die Töne — Es ist vorbei, sagt ich! — Ja — erwiderte sie dumpf — ich wollte ihr zu Füßen stürzen, da dachte ich an 〈…〉 Damit Du mich nicht albern nennst, schick ich Dir mit ehestem ihr Portrait — ich kann es das erste nennen, welches ich in meinem Leben gemalt habe! — Eigentlich bin ich das alles, was mich jetzt oft zerstreut, M〈inna?〉 schuldig! — Es ist verdammt, daß ich Dich in vier Wochen nicht spreche — indessen ist noch ein kleiner Schimmer von Hoffnung — vielleicht! — wenn ich’s durchsetzen könnte, ich liefe zu Fuß nach M〈arienwerder〉, um wenigstens auf eine kurze Zeit der unangenehmen Lage zu entlaufen, die mich hier quält. — Ach teurer Freund, die Stunde ist vorüber — Menschen platzen in mein einsames Zimmer — ich soll fort! — Man nimmt mir mein Portefeuille, man durchstöbert meine Papiere — man will wissen, was und an wen ich schreibe — Die Santa Hermandad verfährt glimpflicher als diese Inquisitoren — Lebe wohl — ewig wohl! Denk an
Deinen
H
Sonntag den 19 t März
Was wirst Du sagen! — Ich öffne heute mein Portefeuille, und der Brief, welcher schon vorigen Mittwoch abgehen sollte, fällt mir in die Hände! Was wirst Du sagen von meiner Saumseligkeit im Schreiben! — Nur noch mit einigen Worten sag ich Dir, daß die Reise nach K〈önigsberg〉 doch wahrscheinlich vor sich gehen wird — übrigens lebe ich jetzt in dieser Hoffnung glücklicher als sonst — Leb wohl — wir sehn uns wieder!
Glogau d. 23 t April 1797
Einziger Teurer Freund! Es scheint, als wenn sich jetzt alles vereinigt mich zur Verzweiflung zu bringen — Zu wem sonst könnte ich Zuflucht nehmen mit meinem geängsteten gepreßten Herzen, als zu Dir — Ich glaube Dir geschrieben zu haben, daß ich mit einem guten Freunde auf 8 Tage eine Fußreise nach Breslau machen wollte — diese Reise ist jetzt der Gegenstand der bittersten Kränkung 〈…〉 Ein kleines Vermögen fiele dann mir zu, und ich flöhe damit zu Dir, — Du gäbst vielleicht gern für mich und meinen Tisch ein Plätzchen her, wo ich frei und los von allen Verhältnissen leben könnte — ich widmete mich allenfalls der Malerei, die ich vielleicht durch die Übung eines Jahrs zu einiger Vollkommenheit bringen könnte, und flöge zuweilen aus mit diesem Talent in die Welt, und kehrte dann wieder zurück in das Asyl Deiner Freundschaft! — Was denkst Du zu diesem Luftschloß? —
Bekäme ich heute oder Morgen einen Brief mit der Nachricht des Todes meiner G〈roß〉M〈utter〉, so sähst Du mich in künftiger Woche — und welche Umarmung wäre die, welche uns einander wieder gäbe! —
Alle jene Pläne, worauf sich sonst meine Zufriedenheit stützte, wären erfüllt — Alle Träume Wahrheiten! — Himmel, warum war gegen mich, nur gegen mich das Schicksal so karg! — Lieber Bester! — hätte ich mich nicht an Dich geschmiegt, wie ich zum ersten mal fühlen lernte, so wagt‘ ich es nicht, Dir den Vorhang zu öffnen, der meine — diese Wünsche jedem Menschen in der Welt verbirgt! — Gott im Himmel, wenn jener Wunsch je in Erfüllung käme! — Alles drängt hier auf mich ein — die widrigsten Verhältnisse zehren meine Kräfte auf — ich bin nicht mehr der, der ich war, aber noch fühl‘ ich Kräfte genug in mir, der wieder zu werden, der ich einst war! —
Es bleibt mir nichts übrig, als mich gewaltsam an Dein Herz zu drücken, und so dem Sturme entgegen zu gehen, der meiner vielleicht wartet! — Vielleicht schlägt endlich die Stunde der Erlösung — vielleicht bald! O mein Freund — mein einziger Freund — soll ich ewig klagen, daß für mich jene glücklichen Stunden des zärtlichen Ergusses unsrer Freundschaft dahin sind — soll ich denn resignieren, so auf Freundschaft wie auf Liebe? Dies Wort schneidet mir durchs Herz, und wirft mich nieder im Schwunge meiner Fantasie — Ich werde geliebt — ich liebe — aber ein Fluch der Natur liegt auf diesem Verhältnisse — Warum mußt ich so spät geboren werden! 〈…〉 Warum wars mir nicht aufbehalten, zuerst das Herz aufzufinden das sich an meins schmiegte! — Nein weg mit diesen unnützen Erinnerungen! — Ach, Du mein Theodor hast wohl gesehn, wie dies Gefühl mich damals in ein Elysium führte, das ich nie zu verlassen glaubte —
Lebe wohl, Theodor, mein Einziger — mein Alles, woran ich noch ungestraft hängen kann — Schreibe bald, Deine Briefe sind lindernder Balsam auf mein krankes Herz — Ewig ewig
Dein
H
Königsberg den 10 ten Mai 1797.
Teuerster Freund!
Mit Vorsatz habe ich den 9 t Mai abgewartet, und dann erst wieder Deinen letzten AnsageZettel (Brief kann ich 10 Zeilen, die eine kurze Nachricht, wo Dich meine Briefe treffen sollen, nicht nennen) zur Hand genommen, um ihm zu Folge Dich mit meinen FreundschaftsHirtenBriefen bis nach L〈eistenau〉 zu verfolgen. — Unsere romantische Zusammenkunft in L〈itschen〉 auf der Schloßtreppe hat mich auf der ganzen übrigen Reise in gutem Schwunge gehalten und eine abscheuliche Laune vertrieben, welche mich, seit ich von G〈logau〉 ausfuhr, für alle Freuden des Wiedersehns gefühllos machte — Ich habe Dich wieder gesehn, Du bist noch der alte gewesen — was kann mich mehr mit allem — selbst mit dem widrigsten Schicksal aussöhnen! — Laß Dir’s mit zwei Worten sagen, daß ich in K〈önigsberg〉 sie wieder fand — daß sie nur für mich lebt, und daß in diesem Wiedersehn alles um mich her versunken ist — daß ich sie mir gedacht — daß ihr Wesen ins meine verschmolzen — ewig in mir leben wird — und daß ich dies nur Dir sage! —
Alles übrige, was ich Dir sonst von meinem Wiedereintreffen in K〈önigsberg〉 sagen könnte, mag höchst uninteressant sein, aus dem Grunde, weil ichs rein vergessen habe! — Ich komme an etwas, worüber ich mit mir selbst nicht einig werden kann, und dieses ist Deine Aufforderung, die letzten 8 Tage meines Urlaubs bei Dir in L〈eistenau〉 zuzubringen — Sollte ich mich aber auch wirklich hier 8 Tage zeitiger losreißen können, so stellen sich doch hundert Schwierigkeiten entgegen, die es fast schlechterdings unmöglich machen — Was könnte mir mehr am Herzen liegen, als endlich einmal Dich wieder zu sprechen und solche glückliche Stunden zu genießen wie ehemals, als wir beide noch ungetrennt täglich unsere Gefühle und Empfindungen austauschten. Damals schienen uns Tage, die uns von einander trennten, Ewigkeiten — und jetzt vergehen Jahre, und wir sehen uns nicht! Ich bin müde, das Schicksal und mich selbst anzuklagen — ich habe verloren durch Konventionen — Umstände — durch mich selbst — Die Vergangenheit war immer schöner als die Gegenwart — an die Zukunft mag ich gar nicht denken, jedes Bild derselben ist mir verhaßt — Du bist nicht mehr frei — von Dir erwarte ich nichts mehr, es ist die Reihe an mir, Dich in Deinem Sitze aufzusuchen, daher will ichs möglich machen Dich künftigen Frühling in L〈eistenau〉 zu besuchen, ich werde mich alsdann auf einige Tage in Deinen häuslichen Zirkel eindrängen, es kommt nur darauf an, daß Du mir eine Lücke zeigst wo ich allenfalls stehn könnte, so lange wenigstens als Du’s willst! — Eben fällt mir ein, daß ich jene Nacht in L〈itschen〉 alles anwandte, um von Dir überwunden nicht alles — Onkel — Extrapost — K〈önigsberg〉 zu vergessen, und daß ich um abzubrechen Dich sogar auf meinen dicken Stock aufmerksam machte, womit ich mich gegen die blutgierigen Bullenbeißer verteidigt hatte, die mich, noch ehe ich Dich gesehn, auffressen wollten — In solchen Fällen ist man recht läppisch! — Deine Braut wirds mir nicht übel nehmen daß ich mich so eifrig dagegen setzte, ihr vorgestellt zu werden — ich hätte mich unter den ungünstigsten Umständen produziert, und der üble Eindruck, den ich auf sie gemacht, hätte mir in der Folge so gar bei Dir schädlich werden können. Wenn Du gerade einmal in ihrer Gegenwart an mich denken solltest, so versichere ihr, daß ich sie auf das innigste hochachte — sie hat Dich glücklich gemacht, und was kann ihr mehr einen Platz in meinem Herzen zusichern — ich bin stolz genug zu glauben, daß ich sie interessiere — die Freunde des Geliebten spielen ja gewöhnlich nicht ganz ungünstige Rollen — Sie sind ein guter Grund um die HauptFigur heraufzuputzen, sage ich ziemlich malermäßig! —
Viele alte Freunde hab‘ ich wiedergefunden — manche kennen mich gar nicht mehr — manche andere fallen aus den Wolken oder glauben, ich wäre herausgefallen — Sonderbare Leute sind es — manche sind so erfroren — sie tauen allmählig auf und gehn nachher in eine unmäßige Wärme über — die mir in der Extase um den Hals fallen, deren Freundschaftsbezeugungen von so vehementer Art sind, daß ich lange an zu weniger Luft leide, sind gerade solche die ich äußerst wenig gekannt — mit denen ich allenfalls etlichemal eine Komödie angesehn — in einer Kolonne getanzt — oder einen gleichen Rock getragen habe — Den letzten Freundschaftsschwur höre ich nur im Echo — oder er trifft mich wie ein Rikoschetschuß — weil er in der dritten Straße ausgestoßen wird, wenn ich noch atemlos auf dem AngriffsPlatz stehe! Indessen wollte ich doch jetzt ungleich lieber in K〈önigsberg〉 bleiben, als nach G〈logau〉 zurückgehn — Dir wäre ich auch näher! — Man lebt in G〈logau〉 in vielem Betracht schlechter, meine Hoffnungen sind gescheitert — man hat Versprechungen unerfüllt gelassen, von denen ich angelockt wurde — doch will ich schlechterdings nicht klagen. Aus K〈önigsberg〉 schreib ich Dir einen längern Brief, wenn Du mir diesen beantwortest —
Lebe wohl, teurer einziger Freund —Ewig Dein H
Mancher ist gestorben im Jahr meiner Abwesenheit z. B. mein Vater!
Glogau den 27 t Junius 1797.
Teuerster Freund! Als ich in G〈logau〉 eintraf, schmeichelte ich mir mit der Hoffnung einige Worte von Dir vorzufinden — und wollte mich mit diesen Worten trösten über Vergangenheit und Zukunft — Du hattest nicht daran gedacht, in welcher SeelenUnruhe ich Dir den letzten Brief schrieb, und daher warst Du karg gewesen mit Deinen Heilmitteln — Dulde mein ungenügsames Herz, das Dich mit Vorwürfen überhäuft, sobald seine ausgelassenen Wünsche nur im geringsten nicht befriedigt zu sein scheinen — Verzeihe auch mir, wenn ich Dir die bittren Seiten meines Verhältnisses fühlen lasse — denke daran, daß niemand, niemand mehr in der Welt und inniger an Dir hängen kann — ich klage Dir das, was sonst kein Geschöpf auf Erden aus meinem gepreßten Busen hervorlocken könnte, und Du kannst es mir nicht verargen, so oft es mir auch ein böser Genius zuflüstert, daß Du jetzt zum ersten mal in Deinem Leben verkannt haben wirst, 〈…〉
Ich glaubte Dich in L〈itschen〉 vielleicht zu finden — als wir Abends durch kamen, war alles hell — illuminiert, und da sank mein Mut Dir mitten im Vergnügen den Verfasser des neulichen Briefes vorzustellen. 〈…〉
Hier habe ich alles so wiedergefunden, wie ich es verließ — eben die gegenseitige Spannung — eben das preziöse Wesen, das mich sonst auf meine Stube jug, entfernt mich auch jetzt — Mich überfällt zuweilen eine tötende Langeweile, wenn man um mich herum lacht, und nach Fliegen und Bonmots jagt — O Freund! — warum behandelte mich das Schicksal so karg, daß ich nicht alle diese unerträglichen Bande abwerfen und in Dein Asyl fliehen kann, wo endlich Ruhe sein würde und Friede auf Ewig! — Ich bin in K〈önigsberg〉 beim Abschied so weich geworden, daß ich weinte wie ein Kind — die Rührung war widernatürlich — meinem Charakter, meiner Art solche Gefühle zu äußern ganz entgegen — vielleicht mischte sich die Ahndung drein, welche mich marterte — ich glaube sie nicht wiederzusehn. Der einzige, der hier oft meine schlummernde Jovialität weckte, dessen Raisonnements oft Kinder einer hellen reinen Imagination waren, ist mir von der Seite gerissen — Eben jetzt schreibe ich den zweiten Brief an dem von ihm nach seiner Abreise geerbten Schreibtisch — seine Bücher und ein alter Überrock sind noch hier — beim letztern dachte ich an Jean Paul, der abgelegte Alltags-Kleider für das sinnlichste Andenken abwesender Freunde hält — er hat recht nach meinem Gefühl und um keinen Preis lasse ich mir des Cousins alten Überrock rauben! — Wenn Du noch etwas Liebe für mich im Herzen fühlst, so schreibe mir so schleunig, als es nur immer möglich ist, und erzähle mir, wie Du lebst — die Zeit Deiner Verbindung! 〈…〉 Ich bitte Dich aufs innigste, daß Du mir mit der nächsten Post schreibst —
Lebe wohl — Einziger Teuerer und denke an Deinen H
Glogau d. 29 t August 1797.
Innigst geliebter teuerster Freund!
Vergib, daß fast jeden Posttag Dich meine Briefe beunruhigen, Vergib, daß ich nicht den ersten Sturm meiner widrigen Verhältnisse ertrug, und mit angenehmern Bildern der Hoffnung auf die Zukunft meine Seele beschäftigte, ehe ich Dir schrieb — Was wirst Du denken, wenn Du mit ruhiger kalter Überlegung meinen Brief durchlesen und Äußerungen — Ideen — finden wirst, die mir in jener Stimmung entschlüpften und welche ich nie hätte laut lassen werden sollen — Wenn ich Deine Teilnahme erregt habe, so bist Du ein seltner Mensch, den man eben so verehren als lieben muß — Du in der glücklichsten Epoche des Lebens, überall umgeben mit dem Genusse der Gegenwart, kannst Dir jetzt wenigstens unmöglich den Zustand eines Menschen denken, der auf alles resignieren muß — auf Freiheit — Vergnügen — Glück — Genuß — Nein so weit ists noch nicht mit mir — dem letzten muß ich widersprechen — Die Natur hat zu viel für den Genuß getan, als daß der unglücklichste Mensch nicht noch immer Anlässe dazu finden sollte, wenn er nur so weit ist, suchen zu können! — Noch gibt es Stunden, die ich in glücklicher Vergessenheit meiner widrigen Verhältnisse der Kunst widme, und hier werde ich volle Befriedigung erwarten können, wenn sich meine Werke selbst belohnen, und ich im Gefühl eines Grades der Vollkommenheit sie werde achten können. Der Musik werde ich entsagen müssen, wenn sie auch sonst am besten im Stande war, mich aufzuheitern — Morgen oder wenns lange dauert übermorgen wird mein Klavier fortgeschafft 〈…〉
Im Grunde ist es mir doch noch immer äußerst schmerzhaft, daß es mir bei meiner letzten Reise von K〈önigsberg〉 nach G〈logau〉 ganz unmöglich gemacht wurde Dich zu sehn, und es gehört mit zu den Eigenheiten, womit mich mein Schicksal quält, daß ich in Preußen gewesen bin und Dich nur 10 Minuten gesprochen, daß nur ein Raum von ohngefähr 10 Schritten mich von Deiner Braut trennte, und ich sie doch nicht kennen lernte! — Jetzt ist’s mir klar, was ich damals hätte tun sollen — Acht Tage bei Dir bleiben, und denn nachgehn nach K〈önigsberg〉! — Vielleicht wäre man in L〈itschen〉 in Rücksicht auf Dich hospital gegen mich gewesen — Es ist vorbei und wenn — wenn werde ich Dich wieder sehn! —
In Kön〈igsberg〉 ist man jetzt so konfus, daß ich die widersprechendsten Nachrichten erhalte, und so wenige, daß man mich am Ende wohl ganz und gar vergessen würde, wenn nicht noch eine Person zuweilen an mich dächte. — Es gibt Menschen, die wirklich kein Gefühl haben, oder die es doch wenigstens ihren Meinungen und ihrem Interesse aufopfern — Du bist vielleicht der einzige, der nichts arges gegen mich im Sinne hatte, und der mich keinen Narren heißt, weil ich es wagte gegen die Konvention zu lieben — Du allein beurteilst mich da mit Schonung, wo andern der VerdammungsSpruch so leicht wird — Dir allein mag ich also nur das anvertrauen, was gegen alle ewig in mir verschlossen bleibt — Man muß geliebt haben — ein Weib, so wie sie war und ist, um es glaublich zu finden, daß ich noch mit all‘ der Schwärmerei der ersten Liebe an ihr hänge, daß meine süßesten — ich muß sagen, meine tröstendsten Augenblicke die sind, die ich bei ihrem Portrait in der Erinnerung an jene goldne Zeit zubringe! — Daß man uns trennen will, daß man mein Herz lieber tausendmal verwundet, als es geschmiegt an das ihrige Linderung suchen läßt, ist mir nichts neues, wenn es auch von einer Vertrauten, die uns einander näher brachte, inkonsequent gehandelt ist — aber die Mittel, welche man jetzt wählt, sind niedrig und erfüllen mich mit Indignation gegen die falsche Spielerin, die jetzt mir meine Karten auf immer zuwerfen will 〈…〉 Erinnerst Du Dich noch der ersten Zeit jener Liebe, als Du mich wenig sahst, und ich so stumm und verschlossen wurde, als ich endlich Dir alles sagte, und Du mich mit unendlicher Schonung auf das Auffallende unseres Verhältnisses aufmerksam machtest? — Denkst Du noch der lustigen Zeit, als wir uns von Deinem KammerHusaren — Jokey — Stallmeister und vorzüglich Leibfriseur so schön kraus und gelockt zu den Rüdigerschen und all den PrivatBällen frisieren ließen? — wie glücklich waren wir da, 〈…〉 und wenn ich denn bei Dir ganze Vormittage blieb und in der Literat〈ur〉Z〈eitung〉 oder in der Bibliot〈hek〉 der sch〈önen〉 W〈issenschaften〉 u〈nd〉 K〈ünste〉 las, und wir nachher zur Motion eine Pantoffeljagd anstellten! — In diese Erinnerung mischt sich kein düstrer Schatten. — Die Stunden der schönsten Schwärmerei, die ich bei ihr verlebte, erhoben mich in ein Elysium, ich atmete nichts als Wollust — ein Blütenmeer von Wonne schlug seine Wellen über mich! — Der Rausch verflog, und ich stieß da an scharfe Ecken, wo ich auf Rosen zu treten glaubte! — Nimm mir das ganze Andenken meines Daseins, nur laß mir die Stunden, die ich mit Dir und mit ihr verlebte — ich werde glücklich von der Vergangenheit träumen können, wenn mich die Gegenwart nieder drückt. —
Abends um 10 Uhr Um 7 Uhr lief ich heute im schönsten HerbstAbende herum und suchte Erholung — Ein unaussprechliches Gefühl der Leere treibt mich umher, und in jedem fallenden Blatte sah ich meine gestorbenen Freuden — H〈ampe〉, der einzige der hier es der Mühe wert findet sich mir anzuschmiegen, ist in Breslau — ich bin also jetzt ganz allein — was ist man elend ohne ein teilnehmendes Herz — So lange Du mir bleibst, werde ich nicht verzweifeln, und Du wirst nicht kaltsinnig werden wegen der vielen Briefe, womit ich Dich bestürme, der SeelenKranke kann nie genug sein Leiden klagen, nicht genug die Quellen seines Übels aufsuchen und seinen Fortgang entwickeln — Ich bin es gewohnt meine Arbeiten Deiner Kritik zu unterwerfen, daher erhältst Du nächstens einen von mir auf Elfenbein skizzierten Kopf — Wenn es nicht so erschrecklich weit wäre, so bäte ich Dich wirklich um die Andacht von der Theerbusch zum kopieren, jetzt würde aber fürs erste die Kiste viel Postgeld kosten, und dann würde ich selbst nicht raten das Gemälde den Gefahren des weiten Transports auszusetzen!
Du wirst mir gewiß die Wohltat erzeigen mich nicht lange auf Antwort warten zu lassen — Seit fünf bis sechs Wochen habe ich nicht eine Zeile gesehn, und doch versicherte mir ein gewisser beim Briefe vom 11 t Juli liegender Zettel, daß ich nach 8 Tagen wieder Nachricht erhalten würde. — In der Unruhe wegen der Post werde ich wohl nicht lange sein — Gott gebe daß meine Erwartungen — mich diesesmal täuschen mögen.Lebe wohl Teurer — Ewig ewig
der Deine
H
Glogau den 25 Februar 1798
Einziger Teuerster Freund! Wie glücklich fühle ich mich Dir wieder schreiben zu können! — Du bittest in Deinem kleinen Briefe, daß ich Dir das lange Stillschweigen verzeihen soll — Du willst meinen Vorwürfen entgehen — sieh‘ dazu kam Dein Brief viel zu spät — Ich hatte mich in die Zeiten unserer Kinderjahre — wo wir als Ritter fochten und unterirdische Gänge gruben — in die Zeiten unseres Akademischen Lebens — wo wir nur zusammen glücklich sein konnten — versetzt — ich hatte alle Deine Briefe vom ersten bis zum letzten gelesen, und mein Herz hatte Dir alles, sogar die Vergessenheit verziehen — Lange machte mich das Schwanken meiner Meinung recht unglücklich — ich bot alles auf um nur Nachrichten von Dir zu erhalten, aber umsonst — Dein Vater, den ich in einer wahren HerzensAngst um Nachrichten von Dir bat, hat mir gar nicht geantwortet — Es gab freilich manche Stunden, wo ich an Dir und an allem verzweifelte. — In dieser entsetzlichen Stimmung erinnere ich mich Dir einige Zeilen geschrieben zu haben, die mich nachher unendliche Vorwürfe kosteten — O mein teurer Einziger — Du hast Dich gar zu sehr an mein Herz geschlossen — ich kann Dich nimmer lassen — die Überzeugung daß Du mich noch liebst, tröstet mich für allen Kummer! —
Mit der Welt in Königsberg habe ich vollkommen abgerechnet. Außer den Schneesäulen der Verwandtschaft, von denen ich zuweilen emballierte Flocken erhalte, höre ich von keinem Menschen etwas, mag auch nichts hören — eine Reise nach Preußen würde nur bis Leistenau gehen — Du frägst ob ich noch in Glogau bin. — Ein Umstand, den ich mit Vorbedacht noch zurückhalte, um nachher desto mehr darüber schreiben zu können, ist die alleinige Ursache, warum ich noch hier bin, und in der Jurisprudenz solchen festen Tritt halte, daß ich glaube, künftigen Winter nach Berlin zu gehen, und mich dort sehr examinieren zu lassen.
Was ist Dein Brief anders, als eine Annonce, daß Du noch da bist, daß man Dir recht gut ein Schreiben adressieren kann u. s. w.
Wie viel — wie viel hast Du mir zu schreiben! — Nimmt jemand mehrern Anteil, oder vielmehr betreffen Deine Schicksale jemanden mehr als mich, bin ich gleich entfernt, und kann ich also bloß einige Tage nachher Empfindungen haben, die Du vorher hattest! — Es ist unfreundlich, daß Du so wenig geschrieben hast, und nur dadurch gut zu machen, daß bald ein recht langer Brief mir erzählen mag, was zum Fragen wirklich zu weitläuftig ist. —
Sind wir nur erst über diese Annoncen — diese Visiten-Karten, wo ein Strohmann im Wagen sitzen kann, wenn der geputzte Bediente das NamenRubrum einreicht, weg, so wollen wir uns wirklich wieder Arnausche Briefe schreiben! — Was soll uns hindern, die beste Laune zu haben, und uns der guten Stimmung des shandyschen Witzes zu erfreuen! — Wir werden uns dann auch einmal wieder sehn — wenn ich nicht mehr von der Taschenuhr des Gubernators in der Kalesche abhänge — wenn ich mich nicht mehr durch 20 grimmige Schloßhunde schlagen darf, um Dich 5 Minuten lang auf der Treppe zu umarmen — kurz wenn ich Stiefeln anziehe, nicht um mit vielem Lärm mich in den Zirkel der RotNasen zu werfen, sondern mich still zu Dir herauf zu schleichen und an Deine Türe zu klopfen! — Im Grunde genommen wohnst Du nicht viel über 50 Meilen von mir.
Sei so gut mir auch unter andern zu schreiben, ob Du schon verheiratest bist — Ich will wahrhaftig an Deine Frau schreiben — das Skelett, oder vielmehr den Karton — Modell — wie Du willst — trage ich schon im Kopfe herum, ordentlich in einer besondern Ecke sitzt es und spinnt sich ein und aus wie ein Seidenwurm — Diese captatio benevolentiae ist die schönste in meinem Leben — ich will zu ihr sprechen, wie einer, den sie schon lange kennt — der nur in dieser oder jener großen Assemblee nicht dazu gekommen ist, ihr heimlich ein paar herzliche Worte zu sagen, und also seine Zuflucht zum Schreiben nehmen muß — Ein Anschlag gegen Dich ist auch dabei auf dem Tapet — der Himmel konserviere mir die guten Weiber, die hin und her, wenn schon lange kein Briefpapier auf dem SchreibTische lag, mit einer gewissen sanften Stimme erinnerten: »Mein Kind — hat Dir der (Hoffm〈ann〉 exempl. grat. ) noch nicht geantwortet?« — oder — »Du wirst wohl heute an H〈offmann〉 schreiben.« — Nimms als Aufrichtigkeit an, daß ichs so mache, wie die Zeitungsschreiber, die alle geheime Anschläge — intendierte Überfälle u. s. w. der Generals im Felde noch vor der Ausführung in ihre Blätter hineindrucken. —
Ich muß auf Ehre schließen, sonst wird meine Visiten-Karte ein Brief!
Lebe wohl, Teuerster — Wenn Deine letzten Versicherungen aufrichtig sind, so schreibst Du mir aufs baldigste! —
H.
Glogau den 1 t April 1798.
Mein teuerster Freund! Wenn ich daran denke, wie oft ich Dir habe schreiben wollen, und wie ich immer die dazu bestimmten Stunden andern Dingen habe aufopfern müssen, so gestehe ich’s mir selbst ein, daß ich länger als recht ist geschwiegen habe. — Sei mit diesem Geständnisse zufrieden — Du weißt, daß die Unterhaltung mit Dir mich oft über manches getröstet hat, und das ist noch ganz der Fall.
Dein Himmel hängt jetzt voll Geigen (laß mir das einfältige Sprichwort), ich werde im gotischen Geschmack dieses Weidspruchs unsrer Großtanten hinzusetzen — Die Engel spielen in Wolken eingehüllt Dir jetzt die lieblichsten Paradestückchen der Hoffnung vor — Öffne nur ja die Ohren um keinen Ton zu verhören! — ad vocem Hoffnung fällt mir ein, daß ich wirklich gehofft habe — eine gewisse Unruhe, die sich wie ein Schlamm (eine materia peccans ) um meine Herzensteile zieht, würd ich ausschwitzen, wenn ich gefesselt an den Schreibtisch Tage, lange Tage hinbringe — oder ausvomieren bei den juristischen Reden — aber es ist alles nichts — Klima — Witterung — alles habe ich verändert deswegen — aber doch brennen mir die Sohlen, bin ich gleich mit Banden an mein Gastnest gefesselt, die ich gern trage, weil sie zu gleicher Zeit mein ganzes Selbst zusammen halten. — Meine Flügel sind beschnitten, sonst flöge ich dieserhalb wirklich einmal übers Gebürge —
Da bin ich hingeworfen an einen Platz, wo alles an einem seidnen Faden hängt — platzt er, so liegt der Herr RegierungsRat in spe im Dr〈..〉k! (Die Damen halten hier den Fächer vor und zischeln sich in die Ohren »Er ist expressiv — à la Goethe im Goetz« — der Hoffnungsrat reinigt sich, nachdem er aufgestanden ist, und spricht weiter)
Der Zufall, teurer einziger Junge, mischt seine Karten wunderlich — Rot und Schwarz — Gewinn und Verlust — Mit K〈önigsberg〉 hab‘ ich wirklich ganz abgerechnet — Aber Du weißt es, mir gehts wie Jorick — die Pausen sind mir fatal — ich bin so gut gefesselt als ehemals — aber jetzt ist’s ein Mädchen — ich studiere mit erstaunenswürdiger Ämsigkeit die trockensten Dinge — begrabe mich in Akten — Alles Unglück ist mir wahrscheinlich, also auch daß ein unvermuteter Schlag des Schicksals das alles wieder vernichtet — siehst Du den seidnen Faden?
Mir fehlt es heute an Geduld Dir mehr darüber zu schreiben, oder vielmehr es ennuyiert mich Dir einen statum causae zu überschicken — Ohnehin hast Du jetzt wenig Zeit zu lesen —
Deine classificatoria taugt nichts — Ist Dein Herz denn insolvent, daß Du die eingetragenen Gläubiger so ängstlich klassifizierst, damit sie sich in die Masse teilen sollen? — Hast Du nicht Vermögen genug uns alle zu befriedigen? — Ich habe mich geärgert als ich las — Meine Braut den ersten — Du den zweiten, die den 3 ten u. s. w. Laß es doch gut sein — Ich will daß Du Deine Braut innig lieben sollst — aber das ist ganz was anders, und nicht besser auch nicht schlechter, was ich von Dir verlange — denke mir nicht mehr ans DistributionsUrtel — Amen!
Eine merkwürdige Bekanntschaft hab‘ ich gemacht! — Die Gräfin Lichtenau ist jetzt hier auf der Festung, und kommt oft zu uns — Ach Himmel, welch ein Gemisch von Hoheit und Niedrigkeit! — Wie viel Bildung — wie viel Verstand — wie viel Ungezogenheit — das Weib ist eine wahre Vexierdose, wo ganz was anders herauskommt, als man erwartete — Der glimmende Docht von dieser ausgelöschten Fackel kann hier in G〈logau〉 noch etwas anzünden. Der Kommandant und das Militair ist kommandiert artig gegen sie zu sein — sie sinds also — so wie überhaupt die bessere Klasse — Der Pöbel achtet kein Kommando — sondern erhitzt sich mit dem WitzFusel, den er aus den elenden schändlichen Broschüren, die über die Gräfin herausgekommen sind, aufsaugt — Der Schneider legt die Nadel aus der Hand um das Leben der Gr〈äfin〉 L〈ichtenau〉 zu lesen, und sein Junge bringt ihm statt des Zwirns ihr Bild in neuseeländischer Manier! — In jedem Scherbeutel stecken die Bekenntnisse der Gräfin L. und um 11 Uhr fliegen noch unfrisierte Köpfe ungeduldig durchs Fenster, um den längst erwarteten Friseur zu ersehn, der ein neues unsinniges Ding über die Gr. L. lesend jetzt um die Ecke schleicht, die er sonst mit geflügelter Eile 3 Stunden früher umsprang — Der Jan Hagel übt wie Du weißt Gerechtigkeit — vox populi vox dei — Daher erhalten die StraßenJungen als Vedetten — Plänkers-Feldwachen und leichte AvantGarde der größern Menge, die sich zusammenzieht, so bald die Gräfin aus oder einsteigt, ein ununterbrochenes Feuer mit Schnee bällen — Wenn der liebe Gott nicht mehr Schnee gibt, so fürcht ich, daß wenn nicht die Polizei als vermittelnde Macht sich darin legt, sie sich gewisser glühender Kugeln bedienen werden, die aus gewissen Formen gegossen immer auf den Straßen zu liegen pflegen. Ist das nicht unsinniges Zeug!
Du hast nur jetzt wegen der Hochzeit nicht Zeit zu lesen, sonst schrieb ich mehr — Aber denken mußt Du an mich, — daß ich Dich liebe, daß es mein sehnlichster Wunsch ist Dich einmal wiederzusehn weißt Du.
Lebewohl, lieber HerzensJunge, und grüße mir schönstens
Deine Braut! —
H
Glogau den 30 Junius 1798
Mein teuerster Freund! Der heutige Nachmittag warf solche heitre Sonnenblicke in meine Seele, daß ich wünschte, ihr Wiederschein hätte in demselben Augenblicke Dein Herz erwärmen, und nach Art einer magischen Palingenesie die Erinnerung unsrer Vergangenheit in Dir erwecken können. Ich war schon seit langer Zeit wirklich an das Treibrad der Justiz geschmiedet, — heute flog der letzte Aktenstoß von meinem SchreibTische, und nun mit dem Gefühl der wiedererlangten Freiheit las ich Deine Briefe — ich hatte sie der Bequemlichkeit wegen einem Buche gleich an einander geheftet — ich habe sie aber wieder auseinander genommen, und jeden wieder in seine Urgestalt geformt — In dem Aufmachen eines jeden liegt ein Genuß — es ist so, als bekäme man sie erst, und ich wollte deswegen gern siegeln — Dein großes WappenPettschaft dürft’s gerade nicht sein — ich habe auch olim welche mit kleinerm Siegel erhalten! Mir war’s heute gerade so, als hätte ich Dich 14 Tage hindurch nicht gesehn, und, als wenn ich den Hut ergreifen müßte um nach A〈rnau〉 zu gehn — indessen ist die Wirklichkeit fatal — ohne den berühmten Meilenstiefel des heilgen Christoph prästier‘ ich’s nicht unter 4 Tagen und eben so viel Nächten Dich einmal mündlich zu fragen, warum Du so stille bist — warum Du Dich für mich in ein Grab mauerst — warum Du nicht wie ehemals herzlich die Hand drückst, die ich Dir darbiete? —
Ich wollt, der größte Hofhund hätte mich ins Bein gebissen, als ich Dich vor 15 Monaten bei Nacht in L〈itschen〉 überraschte — ich hätte mich wenigstens verbinden lassen — Deine Braut gesehn — und es wäre nur ein Jahr her, daß ich dich gesehn hätte en négligé so wie vorzeiten auf dem Lehnstuhl — Indessen — lumpige elende 2 Jahr — ein Zeitraum, dessen Intervall ein Floh überspringt mit einem Satze, wenn man es so berechnet wie ich — elende 2 Jahr sage ich legen sich zwischen uns, und jetzt, schon jetzt — ppp Die Periode kann ich noch lange nicht endigen — vielleicht nie, und das hoffe ich, so lange ich noch gute Augen habe und geschriebenes lesen kann — Deine Briefe nehmlich — vorzüglich die, welche Du mir noch schreiben wirst , denn Freund — Dein Stillschweigen ist lieblos — man könnte es Frost nennen — und in der Stimmung kannst Du wenigstens nicht lange sein. — Du bist mit Deiner Gemahlin (gib mir ein anders Wort für künftig — ich brauch dies ad interim ) in Königsberg zur Huldigung gewesen 〈…〉
Mit meiner juristischen Laufbahn gehts sehr pianissimo . Vorigen Februar meldete ich mich zum zweiten Examen, nach der nur hier üblichen Verzögerung wurde ich aber erst vor 3 Wochen, nachdem ich schon vor 6 Wochen die Proberelation verlesen hatte, mündlich examiniert, und bin daher erst jetzt ins Referendariat eingeschritten. Gegenwärtig verändert sich aber wieder meine Lage. Der Onkel ist Geh. OberTribunalsRat geworden, ich lass‘ mich daher natürlich ans KammerGericht versetzen, und hoffe dort etwas schneller zum Ziel zu gelangen, als es hier geschehen sein würde. Spätstens in 8 Wochen hoff ich in Berlin zu sein, und ein — Nest verlassen zu haben, dessen Einsamkeit mir vielleicht aber hin und her heilsam gewesen ist. Sei daher so gut mir bald auf diesen Brief zu antworten — wenigstens mir zu sagen, ob Du wohl bist, und noch meiner denkst — sonst würden mich diese Nachrichten nicht mehr hier antreffen, und es würde mir überhaupt sehr schmerzhaft sein, nichts von Dir bald zu hören — Vor meiner Abreise schreib‘ ich Dir dann noch, im Fall Du nehmlich mir geantwortet hast, und schicke Dir die Adresse — Es ist eine höchst angenehme Aussicht daß ich Dich nach einem Jahre zu sehen hoffe — Gelingt’s mir nehmlich, daß ichs in dieser Zeit bis zum Assessorat bringe, so ist eine Reise nach Preußen bestimmt, die ich allein und also zwanglos mache — Mit welchen Empfindungen wir uns wiedersehn werden weiß ich nicht — eile mich aus dem Hin und Herschwanken zu reißen — mich aus den Irrgängen der Zweifel zu retten, die mich einem unbekannten Ausgange entgegenzuführen scheinen, wenn ich an Dich denke! — Lebe wohl — Teuerster, und denke daran, daß ich noch mit eben der Innigkeit an Dir hänge als ehemals, und daß mein Herz leicht zu verwunden und schwer zu heilen ist.
Lebe wohl!
Ewig der Deine
H
Glogau d. 26 August 1798
Bester Teuerster Freund! Ich eile, Dir noch am letzten Tage, den ich in Glogau zubringe, zu sagen, daß ich Dich liebe, und daß Dein letzter Brief, der ganz das Gepräge jener Stimmung die uns in K〈önigsberg〉 einst so glücklich machte trägt, mich überaus glücklich gemacht hat. Mein Stillschweigen wird Dir unerklärlich gewesen sein — eine höchst interessante Reise die ich durch einen Teil des schlesischen Gebürges über Liebwerda — Friedland in Böhmen nach Dresden gemacht habe hat mich vom Schreiben abgehalten. — Wie viel neues hab‘ ich gesehn — In Schönheiten der Natur und der Kunst hab‘ ich geschwelgt zwei Wochen lang. Bei mehrerer Muße sag‘ ich Dir viel über diese Reise. Ich könnt’s mir bequem machen, und Dir statt anderer Briefe immer einen Teil meines ReiseJournals schicken, das so schon in Briefen an Theodor eingeteilt ist — Du lebst ja mit und in mir — denn Dir sagte ich jeden Abend — was ich gesehen, was mich besonders gerührt hatte —
Morgen gehe ich von Glogau und Mittwoch den 29 d. M. bin ich in Berlin. Auf das BriefCouvert setze »abzugeben in der ChurStraße im Hause der Madam Patté«, so wird mich kein Brief verfehlen, denn da werd‘ ich wohnen.
Es macht immer Rumor wenn man einen Ort auf immer verläßt — Tausend unvorherbedachte Kleinigkeiten ziehn mich vom Schreibtisch. Nur noch das einzige sag ich Dir, daß mich die Nacht von Correggio in den Himmel gehoben — daß mich die Magdalena von Battoni entzückt hat, und daß ich mit tiefer Ehrfurcht vor der Madonna von Raphael gestanden habe — Vom AntikenSaal, den Statüen aus Antium und Ercolano zieren, muß ich schweigen —
Leb‘ wohl, Einziger — Grüß Deine liebe Gattin, und fliege wenn Du kannst — bald bald zu mir, an meine Brust — Leb wohl
Ewig der Deine
H
Die Kürze meines Briefes bedarf wohl keiner Entschuldigung. Denke daran, wie überhäuft ich mit hundert Dingen werde die bis zum Ekel uninteressant sind, die sich aber unabwendbar aufdringen
Adio
Berlin den 15 t Oktober 1798
Teuerster Freund! Dein lieber Brief vom 13 t September hat mich sehr glücklich gemacht — daß ich Dein gedenke, oder vielmehr — daß ich mit Dir lebe — denn mein Geist trennte sich nie von Dir — wenn ich auch nicht schreibe, weißt Du — Aber auch davon konnte mich nur meine unruhige, ich möchte sagen umherschweifende Lebensart seit vier Monaten abhalten — Hier war mir nun alles neu — eine andere Welt umgab mich, — ich war nicht Herr meiner Zeit. — Die FamilienBriefe — insbesondere die Beantwortung der HirtenBriefe, die mir mein Endymion (erinnere Dich doch jener Zeichnung, die ich nach A〈rnau〉 schickte), wie Du weißt, so gern in alle Welt nachsendet, endlich spannte mich manchmal so ab, daß ich mich wahrhaftig zu armselig fühlte Dir zu schreiben —
Als ich Deinen Brief las, war es mir, als trätest Du in meine Türe, und breitetest Deine Arme aus mich an Dein Herz zu drücken — die Herzlichkeit, womit Du mir Deine Wünsche — Deine Träume mitteilst — der eingeschlossene Brief an Schleinitz, die Art, wie Du mir ihn gibst — Alles — alles hat diesen Brief in mein Herz gedrückt. — Zwei Tage vorher, als der Brief ankam, war S〈chleinitz〉 nach Preußen abgegangen — Du wirst ihn jetzt schon gesprochen haben — und mein Theodor — wie sehr bedarf ich Deiner Empfehlung — Deine Schilderung von S〈chleinitz〉 hat mich an ihn gezogen, und ich wünschte die Aufmerksamkeit, welche er mir vielleicht in Rücksicht Deiner schenken wird, zu verdienen. — Im Anfange bekam ich hier, ob ich gleich schon längst zum zweitenmale examiniert bin, gar keine Arbeiten. Dies veranlaßte mich, den Präsident K〈ircheisen〉 ausdrücklich um Instruktionen und Spruchsachen zu bitten. — Dies hat gewirkt, denn seit dem 11 Okt: habe ich 15 Instr〈uktions〉Term〈ine〉, 2 Spruchsachen, 1 KriminalS〈ache〉 zum Gutachten erhalten und nebenher noch 2 Appell〈ations〉Berichte, 2 Dedukt〈ionen〉 und einen SchlußBericht anzufertigen. Innerhalb 4 oder höchstens 8 Wochen melde ich mich zu ProbeArbeiten, hoffe denn wohl binnen einem halben Jahre die Feuerprobe des großen Examens überstanden zu haben. — Ist es irgend möglich zu machen, so bleibe ich hier in Berlin — Welche Aussicht Dich hier zu sehn! — In Glogau durft ich dies nicht hoffen! — Du mußt Deine Reise hieher sehr bald machen — wie vieles neue wirst Du sehn — Dein Geschmack für schöne Künste wird hier in dem schönen Berlin reiche Nahrung finden. Eben jetzt sind die Kunst-Ausstellungen auf der Akademie der K〈ünste〉 u〈nd mechanischen〉 W〈issenschaften;〉 Du würdest mit mir den Kunstfleiß unserer inländischen Künstler bewundern. Hackert, der jetzt in Neapel lebt, hat zu dieser Ausstellung vier ganz vortreffliche Landschaften nach der Natur in Öl geschickt. — Das schönste Stück ist aber die Familie des Julius Sabinus vom Professor Rehberg in Rom, in Öl (Lebensgröße). Julius Sabinus hat sich vor den Verfolgungen Vespasians in eine Höhle geflüchtet. Vom Schmerz überwältigt liegt er auf der Erde und stützt den Kopf auf beide Hände — sein Sohn steht vor ihm und bittet weinend um Nahrung — die Frau, welche auch auf der Erde sitzt, reicht ihm mit tränendem Auge eine Brodkruste, indem sie das andere jüngere Kind an der Brust nährt — Das Stück hat einen bewundrungswürdig großen schönen Styl, und ist ganz in italiänischer Haltung vortrefflich gemalt. Die letzte Szene aus Schillers Räubern, eine getuschte Zeichnung von Wolf, hat mich auch ihres unnachahmlichen Ausdrucks wegen sehr angezogen. Mehrere Gemälde hätten vor einem Jahre mich zur Bewunderung hingerissen — Jetzt bin ich fast zu verwöhnt durch die Dresdner Galerie, wo ich Meisterstücke aus allen Schulen sah — Ich kann in Enthusiasmus geraten, wenn ich mich zurückversetze in den Saal der Italiäner — denke Dir einen Saal, der gewiß noch einmal so lang ist, wie das Haus Deines Onkels ehemals in K〈önigsberg,〉 dessen ungeheure Wände von oben bis unten Gemälde von Raphael, Correggio, Titian, Battoni u. s. w. decken — bei alle dem sah ich denn nun freilich bald, daß ich gar nichts kann — Ich habe die Farben weggeworfen und zeichne Studien wie ein Anfänger, das ist mein Entschluß.
Im Portrait malen allein glaube ich starke Fortschritte gemacht zu haben — ich schicke Dir gewiß nächstens etwas zur Probe. —
Mein Tagebuch liegt unvollendet da — Zum Glück habe ich den Stoff dazu auf der Reise schon niedergeschrieben. Es ist ein Kokon von 5 Blättchen, den ich zu einem Werk von 15 Bogen ausspinnen muß — Diese Reise — welche ich fast nur einen Durchflug nennen kann — hat mir nicht allein Vergnügen gemacht — sie hat mich auch belehrt — die Art des Glasschleifens — die Art — Vitriol zu bereiten, Papier zu machen — kurz über so manches habe ich mich belehren können — Du weißt, mein T〈heodor〉, daß alle Theorie ein Schatten ist gegen das lebendige der Ausübung — ich vergesse nie alles, was ich auch nur einen Augenblick auf jener Reise sah —
Wie habe ich an Dich gedacht, als ich in jenem FelsenAbgrund stand — zwischen den RiesenMauern, die sich auf beiden Seiten auftürmten — Tannen, höher als die höchsten Masten, schienen mir niederes Gesträuch, Moosartig durch die Steine gewachsen — Vor mir stürzte sich der Zacken 200 Fuß hoch mit furchtbarem donnernden Getöse hinab — Laß mich diese Gegend Dir mit wenig Worten beschreiben — Wir gingen von Schreiberau, einem kleinen Dorfe ohnweit Warmbrun, durch einen Wald der allmählig immer steigt nach der Gegend des Zackens. Wir waren 2 Stunden gegangen, als wir ein ungewöhnliches Rauschen vernahmen — dies war schon der Fall — Immer stärker — immer mehr durch die Felsenklüfte hallend wurde das Geräusch — noch eine halbe Stunde — wir traten aus dem dichten TannenGebüsch, und standen am Zackenfall — eine ungeheure Wassersäule die sich in eine unabsehbare Felsenkluft zu senken schien. Nun kam es darauf an hinabzusteigen, um den Fall in seiner ganzen Riesengröße von unten herauf zu sehn, da aber die Felsen mit Moos bezogen, sehr glatt, und überhaupt der Erdboden durch den Regen sehr schlüpfrig geworden war, das Heruntersteigen überhaupt auch immer sehr gefährlich ist, so war ich von der Gesellschaft der einzige, der es wagte unserm Führer, einem kleinen Jungen, nachzusteigen — Schon eine beträchtliche Höhe war ich mit Mühe herabgeklettert, als ich eine steilherabhängende Leiter von 26 Sprossen erfand — sie wird beim Holzflößen gebraucht — endlich war ich in der Tiefe — quer über den Zacken führte ein schmaler Steig ohngefähr 12 Fuß über dem Wasser — über diesen ging ich, um auf ein in der Mitte des Zackens dicht vor dem Fall hervorragendes Felsenstück zu kommen — hier setzte ich mich hin — Die Größe, die Erhabenheit — das furchtbar Schöne des Anblicks kann ich nicht beschreiben — die Sonne schien auf den Fall — und nun glich er geschmolzenem Silber — In dem Wasserstaube, der die Luft umher über dem Felsenbecken netzte, bildeten sich tausend Regenbogen in den mannigfaltigsten Farben — Nun ein Blick in die Gegend — von beiden Seiten türmen sich perpendikulär die Felsen auf — ihre Wände sind so glatt, daß sie abgemeißelt zu sein scheinen, zwischen diesen Felsen, die eine unabsehbar lange Straße bilden, stürzt sich der Zacken nach dem Falle durch die FelsenUfer fort — In der Ferne entdeckt man die mannigfaltigsten Täler und Berge, die in das BlauGrau des Äthers halb verhüllt in Sonnenblicken hervorschimmern. Um Dir einen Begriff von der Gewalt des Zackenfalls zu geben, füge ich nur noch hinzu, daß zwei Männer ein großes Felsenstück so heranwälzten, daß das Wasser oben es fassen konnte — Wie ein kleiner Ball wurde das Felsenstück geschleudert, daß es in hundert Stücke zersprang — Ich habe auch den Kochelfall gesehn, dieser ist nicht so wild romantisch, aber schön, er verhält sich ungefähr so zum Zacken, wie Emilia Galotti zu den Räubern von Schiller — Den Elbfall, der mit dem Rheinfall die mehreste Ähnlichkeit haben soll und unfern den Schneegruben liegt, konnte ich wegen Kürze der Zeit leider nicht besuchen —
Verzeih, Teuerster, meiner Schwatzhaftigkeit — es ist meine LieblingsMaterie! — Bin ich wieder so glücklich Dich zu sehn — wie vieles werd‘ ich Dir zu sagen haben — Eile — eile, so bald Du kannst, in meine Arme — Der König will ein brillantes Carneval haben — Es werden 12 italiänische Opern gegeben — Wie wär es, wenn Du zur CarnevalsZeit zu mir kämst? Im Winter ist in der Wirtschaft nichts zu tun — ich bitte Dich, überleg‘ es Dir — Du kannst gewiß — denke an mein Entzücken — Leb wohl Einziger — wenn — wenn seh ich Dich!
Soll ich Schleinitz den Brief noch geben, wenn er wiederkommt, oder willst Du dort von mir sprechen? — was soll ich mit dem Briefe machen? Empfiehl mich sehr Deiner lieben Frau
H
Berlin d. 31 t Dezember 1798
Mein Teuerster Freund! Eben komme ich aus einer Gesellschaft, die mir so viel Langeweile verursacht hat, daß ich gern schon zwei Stunden früher geflohen wäre — Es ist ein gutes Zeichen — eine Weissagung des Wiedersehns in den Tagen des kommenden Jahres, daß mir Dein Brief in die Hände fällt noch in den letzten Zuckungen des Jahrs 1798 — denn eben schlagen alle Uhren zwölfe — So viel Wünsche — Hoffnungen — Aussichten — drängen sich zusammen — ich habe so viel zu bereuen — so viel unzuzurechnende Verschuldungen auszusöhnen — daß selbst der Traum meiner Kindheit — ein seliger, beglückender Schatten aus Elisium — mich kaum mehr so glücklich macht, als nur noch voriges Jahr — Auf die zwölfte Stunde der NeujahrsNacht habe ich immer viel gehalten — immer weckte mich da die sanfte Musik von Klarinetten und Hörnern auf dem Schloßturme — ich glaubte kindisch fantasierend — silberne Engel trügen jetzt das neue Jahr einem Sterne gleich am blauen Himmel vorbei — aber ich hatte nicht Mut aufzustehn und zu sehn — ihren Flug hörte ich in jener für mich damals himmlischen Musik. — Du glaubst nicht, wie unbeschreiblich weich mich solche Erinnerungen machen — Ohne jenes Alter der Unbehülflichkeit — der Irrtümer zurückzuwünschen, liebt man dessen fromme Träume —
D. 24 Jan: 〈1799〉
Fast unverzeihlich ist es, daß erst heute ich dieses Blatt weiter fortsetze — Es würde mich wirklich sehr unruhig machen, Dir nicht eher geschrieben zu haben, wenn ich nicht wüßte, daß Dir kein Gedanke einer schuldbaren Vernachlässigung von meiner Seite einkommt. — Ich habe wirklich seit einiger Zeit in einer Art beständigen Verwirrung gelebt, die mich auch schon der Ungewohnheit wegen von so manchem, und vorzüglich vom Briefschreiben abhielt. Ich glaube gewiß, daß nie mehr eine so lange Pause unsern Briefwechsel unterbrechen soll. Das wichtigste was ich Dir zu sagen habe, ist daß ich mich auch seit kurzer Zeit ganz unbeschreiblich nach einer Unterhaltung mit Dir sehne, und daß ich Dich beschwöre, wenns nur irgend möglich ist, so bald die Jahreszeit besser wird, nach B〈erlin〉 zu kommen. — Deiner ganzen Lage würde eine solche Reise sehr vorteilhaft sein — Im Grunde genommen hast Du doch noch wenig gesehn. B. würde Dir so manches neue darbieten. Wenigstens ist es ganz ohne Vorurteil gesprochen ein Ort, der gerade für uns äußerst interessant ist. In den schönen Künsten ist man hier wirklich sehr weit, der gute gebildete Geschmack zeigt sich in den öffentlichen Vergnügungen. Du kannst Dir z. B. keine Vorstellung von der großen italiänischen Oper machen — Der Zauber der Meisterstücke Verona’s — die himmlische Musik — alles vereinigt sich zu einem schönen Ganzen, das auf Dich gewiß seine Wirkung nicht verfehlen würde — Nicht oft genug kann ich mir den schönen Augenblick des Wiedersehens denken! — Du würdest Dich gewiß in unserm FamilienKreise gefallen! — Schreibe mir doch ja bestimmt, ob ich wenigstens hoffen kann, Dich hier wiederzusehn. Denke Dir, welche Stunden — wenn wir uns der Vergangenheit erinnern — wenn wir jede Freude die uns damals so glücklich machte — noch einmal genießen — An nichts werde ich mich so gern erinnern, als an unsere BlüteZeit — der sonderbar romantische Schwung den wir beide gemein hatten — das Zusammentreffen unsrer Ideen, sogar unsrer Bonmots — alles — alles knüpfte uns so fest, daß uns eine Trennung unmöglich schien! — Ich gebe noch nicht die Hoffnung auf mit Dir zusammen zu leben. — Ich kann es mir gar nicht denken daß Du bei Deinem Drange nach Tätigkeit — nach einem Wirkungskreise wirklich in L〈eistenau〉 bleiben solltest — L. sollte Dir nur eine Retirade sein — Was man wünscht hofft man auch, und daher ist auch meine Fantasie so geschäftig mir’s ganz glaublich zu machen, daß Du noch auf diese oder jene Art hieher kommen könntest.
In Deinen letzten Briefen finde ich eine Spur von Mißmut — von nicht gänzlicher Zufriedenheit mit der Gegenwart 〈…〉 Liebst Du mich noch wirklich, so sei aufrichtig gegen mich — Du warst immer zurückhaltender als ich — ich fürchte nicht daß Du meine Absichten verkennen könntest — Du weißt, daß ich vielleicht von allen die sich rühmen Deine Freunde zu sein, am besten Dich verstehe — Eile mir Dein ganzes Herz aufzuschließen! —
Vergilt ja nicht Gleiches mit Gleichem — Schreib mir sehr bald — Nie mehr will ich so lange innehalten.
Lebe wohl, lieber bester Teuerster Freund
Ewig der Deine
H
Berlin den 8 t Julius 1799
Mein bester Teuerster Freund! Unmöglich kann ich Dir den Eindruck schildern, den Dein letzter lieber Brief auf mich machte. So wird denn endlich mein sehnlichster Wunsch erfüllt — So werde ich Dich denn endlich wiedersehn! Aber wie unbestimmt hast Du Deine Ankunft angegeben. Mit schmerzlicher Ungeduld sehe ich einem zweiten Briefe entgegen, der mir es genau bestimmt, wenn Du in Berlin eintreffen wirst. Daß wir uns hier wiedersehn, ist wirklich ein Zufall, womit uns das Schicksal für die lange Trennung schadlos halten will! — Ich war einige Tage verreiset, sonst hättest Du schon eher einen Brief von mir. Ich habe Potsdam und Sanssouci gesehn — jede Schönheit die ich entdeckte erinnerte mich an Dich. Ich dachte Deines KunstSinnes, und alles wurde mir werter bei dem Gedanken, welche Freude es Dir machen würde. Während der Zeit unsrer Trennung habe ich so manches gesehn, so manche Erfahrung gemacht, jetzt ist mir bei dem Gedanken der Mitteilung das alles erst recht wert — Du hast Dich in Deinem Briefe wahr geschildert, und zugleich den Charakterzug angegeben, den wir beide haben, und der uns von jeher verband. — Ein reizbares Herz, ein unruhiger Charakter wird uns nie ganz glücklich sein lassen, aber unserer Bildung, unserm Streben nach größerer Vollkommenheit wohltätig sein.
— Noch bin ich in Berlin — weder Assessor noch Rat — werde es auch nicht so bald werden, weil ich mich erst vor 9 Wochen zu den zum großen Examen erforderlichen ProbeArbeiten gemeldet habe. Meine Karriere geht langsam, und ich bin nicht unzufrieden damit, weil ich jetzt die Zeit sehr nutze, und meinen LieblingsStudien, Musik und Malerei schlechterdings nicht ganz entsagen kann. Ich halte es für zuträglich 〈für〉 Deine Zufriedenheit, daß Du aus dem Land-JunkerLeben wieder in ein mehr tätiges Leben übertrittst — Du warst schon zu sehr an eine mehr um Dich würkende
Arbeit gewöhnt als daß Du hättest ihr ganz entsagen können.
Damit Du mich in Berlin gleich auffindest, so sage ich Dir, daß ich in der Leipziger Straße zwischen der MarkGrafen und Jerusalemmer Straße im Brandtschen Hause bei meinem Onkel wohne. Das Brandtsche Haus ist dem allgemein bekannten großen Henchelainschen Hause gegenüber, 〈…〉 ich wohne eine Treppe hoch in der bel étage . Ich hoffe, daß Du gleich nach Deiner Ankunft zu mir ellen wirst — Alles erspar‘ ich jetzt auf die mündliche Unterhaltung.
Lebe wohl einziger bester Freund, und empfiehl mich
Deiner Frau — Lebe wohl!
Ewig der Deine
H
Posen d 6 Oktober 1800
Teuerster Freund! Ich leide an einer Verhärtung der Leber und habe, ein Feind aller Arzenei und aller Doktoren, einen Arzt annehmen müssen, der mir wieder auf die Beine helfen will, und täglich an meinem Schreibtische die künstlichsten Rezepte abfaßt. — Dies bei Seite gesetzt lebe ich jetzt zufriedner, da wir Gott sei’s gedankt schon Oktober schreiben, und ich mit starken Schritten der Reise nach Berlin entgegeneile — so wie ich mit ziemlichem Grunde alles fatale meiner Versetzung hieher zuschreibe, so kann ich auch die Krankheit bloß der hiesigen Lebensweise, an die sich der Teufel gewöhnen mag, zuschreiben — Die überhäufte Arbeit — die polnische Kost — unverdaulich für den deutschen Magen — der Mangel an jeder Abwechslung, welche eingerechnet in die Ökonomie der Natur dem Geiste Heiterkeit und Ausdauer geben soll, alles dieses kann in die Dauer der festesten Gesundheit schädlich werden — In den Tagen der vorigen Woche habe ich es recht gefühlt, daß man als garçon nicht krank werden muß — Du kannst Dir von dem hülfslosen meiner Lage gar keine Vorstellung machen — Nicht das kleinste Bedürfnis — nicht einen Teller Suppe konnt‘ ich haben.
Jetzt bin ich nun schon aufs Kranksein besser eingerichtet und selbst im Hause nimmt man sich meiner an, da ich das Glück gehabt habe die RegierungsRätin Schwarz, die gute Pflaumenkuchen backt, und nebenher Romane rezensiert für die LitteraturZeitung!! für mich einigermaßen zu interessieren — Er (der RegierungsRat S〈chwarz〉 nehmlich) ist ein gescheuter Kopf — der ein sehr witziges Buch »Grundsätze einer unvernünftigen Polizey« geschrieben hat und Mitarbeiter an der Litt〈eratur〉Z〈eitung〉 ist — Er ist noch einer von den zerstreuten des geistreichen Zirkels, der sich in den Jahren 1779 – 80 — und später in Halberstadt gesammelt hatte — Du kannst denken, daß er mir manche angenehme Stunde verschafft — er will eine sehr witzige Operette und ich eine sehr witzige Musik dazu machen! 〈…〉
In Königsberg können sie sich gar nicht satt wundern, daß ich schon ans Heiraten denke, und so viel ich aus den verblümten Reden und Anspielungen des Onkels schließen kann, meint er — So was rasches und jugendliches könne gar nicht gut gehen. Ich kann Dir nicht helfen, Du mußt mit mir eine Stelle aus des Onkels Briefe lesen, die jeder Postille wert ist, und die eben so, wie damals die Anzeige des Dr. E. in den Zeitungen von dem Tode seiner Schwiegermutter (ni fallor) ganz den Geist und Sinn des Mannes charakterisiert. Er schreibt: »Ei lieber — das allgemeine Sprüchwort sagt wohl von den Theologen ˃so die Pfarre, so die Quarre˂, aber Du machst das Sprüchwort auch wahr von dem Juristen — Die Zeiten sind schlecht und überall hört man nichts als Klagen und Jammer — doch Gott lebet noch und wird alles wohl machen. Ich habe mir jetzt zwei Geistliche zu Freunden zugelegt« ppp Sage mir etwas witziges über diese Stelle und belohne so die Mühe und Geduld des Abschreibens.
Hast Du nicht ehemals in K〈önigsberg〉 einen englischen Juden Lewison gekannt — er war ein großer Freund Hills und in den großen Kaufmannshäusern zu Hause. Er lebt jetzt hier, und ich habe mit ihm einen Abend bei einer Bowle Punsch unter tausend Erinnerungen an Königsberg durchlacht — Er ist witzig und kopiert vortrefflich den alten K〈ant〉 und den alten F〈ischer?〉. Welch ein Genuß würde es für uns sein jetzt, nachdem Jahre vergangen sind, sich so manches geändert hat, und wir mit ganz andern Augen sehen, da wir so manches gesehen haben, in der Nebenstube des Kneiphöfschen Junkerhofs an demselben Tische bei einem Pickenick eine Portion Hasenbraten zu essen und eine Bouteille Champagner zu trinken! — Es wär‘ ein wahrer Schmaus, denn tausend Erinnerungen würden alles bis zur höchsten Leckerspeise würzen! — Es verlohnte wahrhaftig der Mühe bloß deshalb eine Reise von 60 Meilen zu machen 〈…〉
Empfiehl mich Deiner Frau und rechne es meiner Krankheit zu, daß mein heutiger Brief so einfältig aussieht — ich komme mir vor wie der alte Gerhard aus den Erbschleichern —
Leb wohl einziger bester Freund — Ewig ewig
Dein
Hff
1803-1807
〈25. Januar 1803.〉
Mein Einziger Teuerster Freund! Ein ganzes volles Jahr hab‘ ich geschwiegen, wenn Du aber glaubst, daß das Andenken an Dich während dieser Zeit auch nur einen Augenblick aus meiner Seele gewichen sei, so tust Du mir sehr unrecht. — Wenn ich (vorzüglich in dem vergangenen Frühjahr) mich mit allem, was mich umgab, und mit mir selbst überworfen hatte, so nahm ich Deine Briefe vor; vorzüglich die ältern, welche Du mir aus A〈rnau〉 schriebst, versetzten mich dann in jene glückliche Jahre zurück als es nur meine Fantasie war, die mir Höllen und Paradiese schuf, und als noch kein eiserner Zwang der Wirklichkeit mich fesselte, und es gelang mir im Andenken an jene Zeit wieder ruhig zu werden. — Es ist mir oft, als hätt‘ ich alle jene Briefe in einer andern Lage selbst geschrieben, aber konnten auch zwei Menschen gleicher empfinden als wir? —
Du schreibst in Deinem letzten Briefe, unser letztes. Zusammensein in Danzig hätte nicht so, wie vormals, die reine unverdorbene Laune, den Erguß der innigen Freundschaft herbeigeführt, aber Freund — Wein, der eben gärt, hat niemals einen guten Geschmack, und ich war damals wirklich im Gären — Ein Kampf von Gefühlen, Vorsätzen pp, die sich gerade zu widersprachen, tobte schon seit ein paar Monaten in meinem innern — ich wollte mich betäuben, und wurde das was SchulRektoren, Prediger, Onkels und Tanten liederlich nennen. — Du weißt, daß Ausschweifungen allemal ihr höchstes Ziel erreichen, wenn man sie aus Grundsatz begeht, und das war denn bei mir der Fall. — Ich lebte in einer überaus lustigen Verbrüderung, wenn ich so sagen darf — die letzten leuchtenden Blitze, welche wir schleuderten, waren aber solche Geniestreiche, die empfindlichen Leuten, die wir nur für zu unschädlich hielten, Haare und Bart versengten. — Sie nahmens übel und borgten sich von dem Olymp in B〈erlin〉 her solche Gegenblitze, die mich endlich hieher an einen Ort schleuderten, wo jede Freude erstirbt, wo ich lebendig begraben bin.
Ich habe Dir nur die HauptMomente am Anfange und Schluß meines merkwürdigsten Lebensjahres (Kotzebue beschloß es mit einer Befreiung, ich mit einer Verbannung) aufgestellt; um alle Szenen, die in der Mitte fallen, gehörig auszumalen, ist mir mehr nötig als ein Brief, d. h. eine mündliche Unterhaltung, und die will ich mir im künftigen Mai verschaffen. — Daß Du mich vergessen haben solltest, fällt mir nicht ein, willst Du mich daher wiedersehen, so bestimme, wenn und wie ich Dich besuchen soll auf Deinem Rittergute. — Führten Dich etwa aber Deine Geschäfte oder sonstige Zufälle im künftigen Frühlinge nach Thorn, so wäre es ganz herrlich, ich würde alsdann um die von Dir bestimmte Zeit dort eintreffen, und die Reise, da Thorn von hier nur 12 Meilen entfernt ist, mit der ordinairen Post machen, weil ich so sparsam als möglich zu Werke gehen muß. — Wenn Du eben so lebhaft als ich es fühlst, daß wir uns niemals, niemals zu lieben aufhören können, daß wir uns aber wieder von Mund zu Mund sagen müssen was wir jetzt tun und was wir künftig tun wollen, so bin ich sehr glücklich! — Ich habe mich unter der Zeit im Malen und vorzüglich im Treffen ziemlich vervollkommnt — ich werde daher Dich, Deine Frau und kleine Familie auf ein Tableau bringen, wenn ich bei Dir bin, und überhaupt bei Dir nicht als RegierungsRat Hoffmann sondern als MiniaturMaler Molinari auftreten, da ich, wenn ich zehn Schritt von Thorn gehe, vor der Hand meinen Namen verleugnen muß.
Daß ich RegierungsRat geworden bin (seit einem Jahr), siehst Du aus obigem, daß ich aber seit drei ViertelJahren verheiratet bin, kannst Du aus obigem nicht ersehen, daher sage ich es Dir besonders! — Vielleicht hast Du durch Zufall einige Nachrichten von dem tragischen Ende der zweiten Liebesepisode in meinem Leben aus B〈erlin〉 erhalten? — — Jetzt leb‘ ich wie ein Heiliger, der Buße tut, oder eigentlicher wie jeder Christ leben soll, in der Hoffnung des Zukünftigen — Denke Dir Freund, was ich empfinden muß, wenn ich auf alles, was nur meinen Sinn für die Künste 〈anregen kann, vor allem auf〉 den Umgang mit geistreichen Personen, der den Geschmack bildet, gerade hin ganz Verzicht zu leisten genötigt bin? — Ich müßte verzweifeln, oder vielmehr, ich würde längst meinen Posten aufgegeben haben, wenn nicht ein sehr liebes liebes Weib mir alle Bitterkeiten, die man mir hier bis auf die Neige auskosten läßt, versüßte, und meinen Geist stärkte, daß er die Zentnerlast der Gegenwart tragen, und noch Kräfte für die Zukunft behalten kann.
Von Berlin aus tröstet man mich sehr — ich soll in eine neue deutsche Provinz versetzt werden, welches denn nur mein Wunsch ist, an dessen Erfüllung ich aber sehr zweifle. —
Durch Schleinitz, der ein Freund von B〈eyme〉 ist, könntest auch Du zu meiner Erlösung beitragen, indessen ist es hiezu noch nicht Zeit, und wir können darüber sprechen! — Schreibe mir indessen, ob Du auf die Güte jenes Kanals baust? —
Alle Stürme haben zu toben aufgehört, und Du wirst in mir ganz den alten Königsberger, Berliner, Leipziger, Dresdner, Dessauer pp ( ohe — nicht Danziger) wiederfinden! Ich bin schwatzhaft geworden, merk‘ ich! —
Auch geb‘ ich mich wieder mit litterarischen Arbeiten ab. — Willst Du, wenn Du keine oeconomica treibst, d. h. im Winter, wieder rezensieren? —
Ich bin ein Tor gewesen, daß ich Dir nicht längstens schrieb, mir ist so wohl geworden indem ich mit Dir spreche, daß meine Frau, die mir gegenüber sitzt und ein Kindermützchen strickt, schon ein paar mal gefragt hat, warum ich denn in eins fort lächle?
— Liebst Du mich noch, so vergilt nicht gleiches mit gleichem — schreibe mir, ich beschwöre Dich bei dem Andenken unserer herrlichen Jugendzeit in K〈önigsberg,〉 sehr bald .
Unser Briefwechsel soll nicht wieder so schändlich von mir unterbrochen werden — ein merkwürdigstes Jahr kann man doch nur einmal erleben — der Superlativ schließt ja jeden Nebenmann aus! —
Grüße Deine Frau sehr herzlich von mir, und sag ihr, daß ich Dir den Maler Molinari empfohlen habe — es kann ja derselbe sein, der Dich gemalt hat. — Adio — Ich bitte Dich schreib mir bald
Ewig ewig
Dein
Hff
Plock
den 25 Jan (an mein 27 GebT) 1803
〈Frühjahr 1803.〉
Mein teuerster Freund! Als ich den Löwen und die Jungfrau mit der Hippe sah‘, war es mir als hätte ich zwei Jahre zurückgelebt und könnte so unbefangnen Herzens sein als damals. Warum hast Du mich durch Dein unerklärliches Stillschweigen auf einen Brief, der Dir ein zerrißnes Herz, die unaussprechliche Sehnsucht in das Asyl der Freundschaft zu fliehen in jeder Zeile zeigen mußte, wenigstens Augenblicke glauben lassen daß ich auch Dich verloren hätte? — Ich kann es Dir jetzt gestehen, daß ich argwöhnisch wie ich bin nun jeden kleinen Zug Deines Betragens bei unsrer letzten Zusammenkunft auffaßte, daß mir das Souper bei Gott weiß welchem Landstande, den Du in Danzig antrafst und mich sofort verließest, einfiel — kurz daß mein Glaube oder vielmehr mein Zweifel mit jedem Tage zunahm und mein letzter Brief der letzte entscheidende Schritt sein sollte — Es kostete mir Mühe die Spannung in welcher ich ihn schrieb Dir zu verbergen! — Dem Himmel sei Dank — Du bist noch der Theodor, der wie mein Genius mich beständig umschwebte, an den ich schon als Knabe alle meine Wünsche — Hoffnungen — Gedanken richtete, so bald ich sie aufs Papier warf! — Denkst Du noch an die Elegien Eugenio’s an Theodor? — an die VerzweiflungsOden, als der kleine Haubenstock in den ich verliebt zu sein glaubte drei Meilen aufs Land gefahren war? — Wahrhaftig, diese lyrischen DonQuixotterien sind oft in mancher tollen Sache die mich während der letzten zwei Jahre eben so exzentrisch stimmte mein Trost gewesen; ich dachte dann, ob ich nicht als Greis oder schon als Mann von 40 – 50 Jahren über diese Tumulte eben so lachen werde, als ich jetzt über jene Knabenstreiche lache.
Du hast in Deinem Briefe einen Punkt berührt, den ich, wenn ich meine Biographie zur Belehrung, wie man nicht handeln soll, wenn man eine gesunde Stirn und Nase für das Grab konservieren will, schriebe, sehr umständlich abhandeln würde. Ja ja — in meiner ersten Erziehung, zwischen den vier Mauern mir selbst überlassen, liegt der Keim mancher von mir hinterher begangenen Torheit. — Deine gütige Freundschaft nennt die Frucht jener bizarren Einsamkeit Originalität — es ist aber wie ich wohl weiß und empfunden habe nichts als Starrköpfigkeit — Ungeschick! — Das Übersehen der Verhältnisse, die jedem, der als Knabe nachgeben und sich schicken in die Umstände gelernt hat, ins Auge fallen, hat mir einen guten Teil der Ruhe für lange Zeit gekostet. Ich mag die teuflische Geschicklichkeit womit man mich zum Werkzeug einer ausgedachten Rache machte gar nicht berühren, indessen so viel laß Dir gesagt sein, daß der wirkliche Hergang der Sache eine Ansicht gibt die gewiß niemand erwartet. — So viel von der famösen Gillrayade. —
Nachdem ich beinahe zwei Jahre hindurch von allen Menschen recht schief beurteilt worden bin und ich es unter meiner Würde gehalten habe, die nachplappernde Menge überschreien und eines bessern belehren zu wollen, ist mir das Urteil der Welt ziemlich gleichgültig geworden, nur wenigen mag ich so wie ich bin erscheinen, und daß Du unter diesen wenigen oben anstehst versteht sich wohl von selbst — Ich habe schon oben meine Biographie schreiben wollen — hier schreibe ich sie noch einmal zu Nutz und Frommen derjenigen, die da zu lieben — geliebt zu werden glauben und in den Stand der heiligen Ehe treten wollen. Schriebe ich diese SelbstBiographie mit der Gewissenhaftigkeit Rousseaus der mit seinen Bekenntnissen unter dem Arm vor den Richterstuhl des Ewigen treten wollte, so würde Minna D〈oerffer〉 mir die Hand — nicht zur Versöhnung nein — weil ich schuldlos war — als alles mich verwünschte und den treulosen schalt — freundlich bieten. — Ich habe mit Kraft ein Verhältnis vernichtet, welches sie und mich unglücklich gemacht haben würde. — So viel von dieser Geschichte — willst Du das Detail davon um völlig überzeugt zu werden, wie wenig ich Vorwürfe verdiene, so will ich mich hinsetzen, und eine pragmatische Erzählung liefern —
Jetzt zu Dingen, die mir am nächsten liegen. — Herzlich danke ich Dir, daß Du Dich für mich interessieren willst — ich bin indessen sehr voreilig gewesen, welches ich jetzt sehr bereue. Ohne, wie ich es Anfangs Willens war, Deinen Brief abzuwarten, habe ich an Schleinitz geschrieben — während des Schreibens wurde mir als spräche ich persönlich mit ihm — seine Gutheit ergriff mich und ich beging die Torheit oder vielmehr die Unschicklichkeit ihm einen Brief an B〈eyme〉 beizulegen — die Sache ist geschehn, wahrscheinlich erhält S〈chleinitz〉 die Briefe nachgeschickt, und nun bitte ich Dich, wenn Du mein Freund, wenn Du für mein Lebens-Glück tätig sein willst, die Sache so viel möglich ins Geleise zu bringen. Habe die Güte mit S〈chleinitz〉 so bald als es nur in der Welt möglich ist zu sprechen — vielleicht läßt er sich bewegen, wenigstens B〈eyme〉 schriftlich mit ein paar Worten zu sagen, daß ich es nicht verdiene, meinen widrigen Verhältnissen in Plock geopfert zu werden. Ist dieses der Fall, so könnte der Brief an B〈eyme〉, den ich mit gesandt habe, abgehen, ist es nicht der Fall, so bleibt natürlich der Brief zurück und kann, wenn S〈chleinitz〉 oder jemand in der Familie Locken trägt, zu Papillotten verbraucht werden — es ist feines weißes Papier und die Versicherungen von Diensteifer pp müssen das Haar höchlich kraus machen! — Die Hauptsache ist aber, daß ich bald wissen muß was geschieht oder geschehn ist. Noch sind Stellen in den neuen Provinzen vakant und ich bin entschlossen, alles zu tun um mich nur aus dem Exil, welches mein Selbst zerstört, fortzuschaffen — Geht jener Brief an B〈eyme〉 nicht ab, so schreibe ich noch ein mal gerade zu an B〈eyme〉 — Du siehst, mein teurer lieber Freund, daß wenn ich mit meinem VersetzungsGesuch nicht total zu spät kommen will, die Sache eilig betrieben werden muß, daher beschwöre ich Dich, mein tätiger Freund zu sein.
Kann es zu etwas dienen, so sage ich Dir noch, daß ich hier der fleißigste Arbeiter bin und daß der als ein eigner harter Mann bekannte Präsident 〈v.〉 B〈eyer〉 mit mir sehr zufrieden ist, welches mir denn auch die Gnade des H〈errn〉 Großk〈anzlers v. Goldbeck〉 Excell〈enz〉!!! erworben hat welche aber in meiner kritischen Lage nichts hilft. — Von nun an wird unser Briefwechsel nicht mehr unterbrochen — Noch zwei wichtige Worte:
Wie steht es mit unsrer großen Reise nach dem 30 t Jahr? —
Meine Frau eine geborne Rohrer oder vielmehr Trzinska — Pohlin von Geburt, Tochter des ehemaligen Stadtpräsidenten Rohrer 〈alias〉 Trzinski in Posen, 22 Jahr alt mittler Statur — wohl gewachsen, dunkelbraunes Haar, dunkelblaue Augen pp empfiehlt sich Dir sehr und gibt Dir einen herzlichen Kuß! — ich küsse Deiner Gemahlin die Hand, und werde Deine Kinder im Malen und in der Musik unterrichten, wenn wir künftig in Berlin zusammen leben. —
Darf ich Dich denn noch, da die Umstände — meine widrigen Verhältnisse zu Deinem Herzen sprechen müssen, um schleunige Antwort bitten?
Ist S〈chleinitz〉 allen Protektionen oder mir abhold? Lebe wohl —
Ewig Dein
H
Plock den 3 Oktober 1803
Mein einziger teuerster Freund! Du bist seit langer finstrer Zeit der erste, der aufgehen läßt die Sonne der Hoffnung über den Ungerechten! — Es ist über alle meine Erwartung, daß Schleinitz sich so warm für mich interessiert hat, und mir ein neuer bündiger Beweis, daß er der vortreffliche Mann ist für den ich ihn immer hielt. Wäre er dieses nicht, so würde er, ohne weiter das was er sonst gutes von mir wußte zu berücksichtigen, mit dem Strome mitgeschwommen sein und den nicht gehörten verdammt haben. Daß ich freilich meiner eignen charmanten Person allein nicht jene Protektion zuschreibe sondern daß Du dabei sehr ins Spiel kommst, versteht sich wohl von selbst. S〈chleinitzens〉 Einfluß zeigt sich schon, denn S〈chmettau〉 hat dem Cousin D〈oerffer〉 bei Gelegenheit eines Gesprächs über mein Exil cum annexis viel Hoffnung zu meiner baldigen Versetzung gemacht. — Der Onkel in Berlin wird mich nicht mehr sehr empfehlen, er ist, wie Mercutio beim Shakspear sagt, ein stiller Mann geworden; in der Nacht vom 24 auf den 25 t Septb starb er an einer Lungen-Entzündung! —
Werd‘ ich wie ich es wünsche und hoffe jetzt bald versetzt, so wollt‘ ich Dich gern noch vorher besuchen und erwarte von Dir Bestimmung der Zeit und des Wie’s der Überkunft. — Hast Du etwa ein paar Ackerpferde übrig, die Du nach Thorn oder sonst wohin schicken kannst, so wär’s mir lieb. Schwer bin ich nicht wie Du weißt, und wenn ich auch noch drei Schlafmützen, ein paar Pantoffeln und einen Schlafrock mitnehme, so würden doch die ältsten schwächsten Glieder Deines Gestütes, die freilich nicht mit dem Fähnrich Pistol zu reden
»Schindmähren Asiens, die nur des Tags dreihundert Meilen laufen«
mit mir wie der Blitz davon rennen — Du siehst, daß ich darauf erpicht bin Dir einen Besuch abzustatten, und zwar soll diese Zusammenkunft ein FriedensKongreß sein — AllianzTraktate für künftige Operationen sollen geschlossen werden, denn ich schwöre Dir’s, daß ich von unsern alten Plänen nicht ablasse. Im HinterGrunde steht, wie auf Rederns Landgute im Schlesischen Gebürge die Schneekoppe, ich mag hin sehen wo ich will —
Die große Reise!l
Ich bitte Dich herzlich und innig, Dein Augenmerk darauf zu richten, daran zu denken, was wir noch sehen, erfahren, lernen, was wir noch einsammeln können für die ganze Lebenszeit! — Wir werden ja zu gleicher Zeit 30 Jahr alt, und das ist ja Dein terminus , es soll auch der meinige sein!
Du schreibst daß Du unter niedern Gesträuchen wandelst und Dich zu ihnen herabbeugen mußt — ich wandle hier in einem Sumpf unter niederm Dorngesträuch welches mir die Füße wund ritzt — in ehrbarer Gesellschaft kann ich nicht so erscheinen ohne mich vorher entsetzlich zu waschen von wegen des Sumpfes der mir sogar die Hosen naß gemacht hat — Es ist abscheulich! — Welch eine Anstrengung es kostet in diesem Sumpfe nicht totaliter zu versinken, kannst Du Dir denken!
Werde ich nur nicht zu sehr vom Präsidenten qua Pack-Esel behandelt, dem man aufbürdet daß er unter der Last verseufzt — so gehts in meinen vier Wänden ganz gut her. Die Akten werden in die Nebenkammer geworfen, und dann zeichne, komponiere und dichte ich wie’s kommt, freilich alles nur schlecht, aber desto mehr Vergnügen macht mir’s, denn es ist ein psychologisches Phänomen, daß die schlechten Künstler und Dichter sich am allermehrsten über ihre Mißgeburten freuen — den großen Dichtern machen die Amorinos welche sie zur Welt befördern, lange nicht so viel Freude! — Ich sehne mich so herzlich nach Dir, daß ich manchmal ungeduldig werde über den Schneckengang der Angelegenheit in Berlin. — Was haben wir uns alles zu sagen! — Ich wollte Dir erst viel schreiben, aber es geht heute nicht — ich muß diesen Augenblick in die PupillenSession laufen und habe noch nicht einmal alles dekretiert —
Dieser Brief ist eine flüchtige Skizze meines fröhligen GemütsZustandes — es folgt noch baldigst eine zierliche Epistel, — bin ich wirklich versetzt, ein Juchheisa! wo möglich in Jamben, welche mir seit einiger Zeit sehr gut gelingen — Auch Verse — gereimte nehmlich — sonettenmäßig — auch auf einen Endreim, das ist wie Schackespear sagt
der wahre ButterfrauenTrab
wenn sie zu Markte gehen! —
Ich stelle Dir anheim diesen Brief für humoristisch zu halten, weil ich dreimal den Schackespear allegiert habe. — Meine Frau küßt Dich herzlich — meine Kinder sind gesund und vorzüglich still und artig — ich habe sie alle in petto — Adio mein einziger lieber Freund
Ewig ewig
Dein H
Ehrfurchtsvoll küsse ich Deiner Frau die Hand. Empfiehl mich S〈chleinitz〉 sehr wenn er noch da ist.
Plock den 10 Dezember 1803.
Mein einziger teuerster Freund. Jetzt weiß ich’s, daß Du mein Freund im ganzen Sinne des Wortes bist, und dies ist volle Entschädigung für alle Erbärmlichkeiten der trivialen Lebensweise, welche mich schier zu Boden drückt, und der ich mit einem Aufwande von Kräften entgegen arbeiten muß, welcher, geht es noch länger so fort, notwendig den ganzen Vorrat in Kurzem aufzehren muß. — Du kannst mir jetzt nicht helfen, das ist sehr schlimm — es gehört zu den Streichen des bösen Genius, der mich verfolgt, seit ich aus Berlin bin. Ist es indessen mit Deinem Anerbieten, mir das Verlangte in drei Monaten zu schaffen, Ernst, woran ich nicht einen Augenblick zweifle, so ziehst Du mich doch mit einem Ruck aus aller Verlegenheit, und setzest mich in die Lage, daß mir nicht noch das Bißchen armseliger Lebensgenuß, welches ich hier dann und wann mit Mühe erhasche, durch Sorgen der bittersten Art verkränkt wird.
Um einer jugendlichen Sottise willen, von der mein Anteil nicht einmal feststeht, muß ich auf alles, was mir lieb und teuer war, Verzicht tun! — Mein Sinn für die Kunst ist hier so hors de saison , daß ich überall damit anstoße und mich verwunde. — Die Malerei habe ich ganz bei Seite geworfen, weil mich die Leidenschaft dafür, hinge ich ihr nur im mindesten nach, wie ein griechisches Feuer unauslöschlich von innen heraus verzehren könnte — ich würde vielleicht zur großen Erbauung der Umstehenden mit einem Male wie jene Prinzessin im Märchen, die mit dem Salamander kämpfte, der ihr einen unsichtbaren Feuerbrand ins Herz warf, in ein Aschenklümpchen zusammenfallen! — Die Musik mit ihren gewaltigen Explosionen ist mehr ein TheaterDonnerwetter — ein feuerspeiender Berg von Gabrieli (jene Kunst ein Vesuv in natura ) — man kann sich mit ihr ohne Gefahr vertrauter machen, darum habe ich sie zu meiner Gefährtin und Trösterin erkieset auf diesem dornigen, steinigen Pfad! — Im Ernst, lieber Freund, — in dieser Abgeschiedenheit steige ich herab oder lieber hinauf in die unbesuchtesten Regionen, wo die Muse ihren geweihten Jüngern das Buch der Geheimnisse aufschlägt. In Prosa so viel: ich studiere mit Eifer die Theorie der Musik, und dieses Studium, so wie der Umgang mit meiner Frau, die sich, Dank sei es dem Schicksal! meinem AnachoretenLeben ganz anschmiegt, ist das Einzige, was mir zuweilen Augenblicke des Lichts gewährt. — Einen Freund, mit dem ich mich über alles, was mich quälte, hinweghob, hatte ich nur so lange ich mit Dir lebte!
Du bist auch nicht ganz glücklich und hier ist unser Schicksal sich wieder gleich; wir stehen beide nicht auf der rechten Stelle. — Wie, wenn ein Genius erschiene und löste die Ketten, welche uns an unser erbärmliches Alltagsleben fesseln (am Ende sind diese Ketten vielleicht nur das Spiel unserer Einbildung?) — was täten wir? — Ich ergriffe den Wanderstab, ginge nach Italien, bildete mich zum tüchtigen Komponisten aus, und es wäre schlimm, wenn ich, hätte ich mich zu dem gewandt, wozu ich organisiert wurde, nicht ein besseres Schicksal — ein besseres Fortkommen mit meiner Kunst erarbeiten sollte als jetzt! — Doch das sind pia desideria ! — Ich kehre zur Wirklichkeit zurück! — Meine Korrespondenz nach Berlin stockt, — ich bin ohne alle Nachrichten. — Weder Beyme noch Schleinitz haben geantwortet, auch Focke schweigt auf zwei lamentable Sendschreiben; alles dieses sind sehr traurige Aspecten! — Hat Dir wenigstens nicht Schleinitz geschrieben, in wie fern sich Beyme meinen Wünschen geneigt gezeigt hat, oder nicht. — Die wegwerfende Art, womit man mich — laufen läßt, kränkt mich unbeschreiblich, und legt noch ein bedeutendes Gewicht zu den Übeln, die mich hier zu Boden drücken. — Durch Dich kann ich wenigstens erfahren, ob mein Versetzungsplan total gescheitert oder ob noch einige Hoffnung da ist. Lass‘ Dir meine üble Lage zu Herzen gehen, und tue für mich, was Du kannst. —
Ich hätte eher geschrieben, wenn ich nicht vorher, so viel wie möglich für den Moment, meine Angelegenheiten in Ordnung hätte bringen müssen; jetzt ist das vorbei, und ich bin gerade so weit, daß ich mich auf die schwache Stütze, die bis Ostern halten soll, verlassen muß. — Vergelte daher nicht Gleiches mit Gleichem und schreibe mir bald, damit ich endlich ruhig sein kann. Meine Frau empfiehlt sich Dir und Deiner Frau, so wie ich mich auf das Angelegentlichste. —
Lebe wohl, einziger Freund,
ewig ewig
Dein
Hoffmann
〈Płock, 28. Februar 1804.〉
Mein lieber teuerster Freund! Der KreissteuerEinnehmer in Strasburg war über alle Begriffe Freundlich — kaum hatte ich ein Glas Franzwein eingeschlürft, als zwei tüchtige Pferde vor meinem Wagen angelegt waren. Der blauschenklichte Sohn des Tals den der besagte Einnehmer zu meinem Achates gewählt hatte, brachte mich seiner Ordre gemäß ohne zu ruhen und zu rasten um halb sechs Uhr glücklich vor das Posthaus in Sierps, und meine Frau wollte eben den rechten Fuß dem linken, der schon im Bette stand, nachziehen, als ich um 10½ Uhr in die Stube trat. Die meinigen (so schreib ich stolz, seitdem ich in meinem Hause mehrere Köpfe zähle) fand ich gesund und wohl; meine Frau war dem Portrait ähnlicher als je 〈…〉
Plock ist dazu bestimmt mich in einer mißvergnügten Stimmung zu erhalten — Zwei Worte sind hinlänglich Dir alles zu erklären! —
Mein VersetzungsReskript ist noch nicht da, und ich muß arbeiten — arbeiten in der exaltierten Stimmung, worin mich Deine Gespräche, die Reise nach Italien und Deine Hand-Skizzen von Perugino und Raphael gesetzt haben — Ob Dir’s auch so geht weiß ich nicht, — aber auf mich hat unser Beisammensein diesmal mit besondrer energischer Kraft gewirkt; ich fühle mich emporgehoben über die Kleinigkeiten die mich hier umgeben — eine bunte Welt voll magischer Erscheinungen flimmert und flackert um mich her — es ist als müsse sich bald was großes ereignen — irgend ein Kunst-Produkt müsse aus dem Chaos hervorgehen! — ob das nun ein Buch — eine Oper — ein Gemälde sein wird — quod diis placebit — meinst Du nicht, ich müsse noch einmal den Groß-Kanzler fragen, ob ich zum Maler oder zum Musikus organisiert bin? —
Aber — um dem Dinge näher zu kommen — gestern habe ich eine komische Oper gemacht und heute Morgen — es war noch finster — ungefähr 5 Uhr — die Musik dazu — Aufgeschrieben ist noch nichts, das wird auch wohl noch etwas länger dauern. —
Unter andern! — Als ich die PreisAufgabe aufs beste Lustspiel im Freymüthigen las (acht Wochen vor Michael ganz zufällig), fiel es mir ein aus dieser PreisAufgabe selbst den Stoff zu einem Lustspiel herzunehmen; ich schmierte in aller Eil ein Lustspiel zusammen, nannte es den Preis und schickte es den Herrn ein. Daß es den Preis nicht gewinnen würde wußte ich wohl, daß mir die Herrn aber entschiedene Anlage zum LustspielDichter und eine vim comicam zugestehen würden glaubte ich nicht. In dem Freymüthigen (oder Ernst und Scherz) wirst Du die Rezension lesen. Da der Preis mein erstes, in aller Eil zusammengeschriebenes Lustspiel ist, werd ich wohl noch nach Gelegenheit ein ziemlich drolliges Ding von komischer Oper zusammenschmeißen können. — Du mußt alles zuvor rezensieren, die Musik exzipiere ich da Du noch nicht vollkommen gut den Kontrapunkt verstehst und auf Kimbergers Kunst des reinen Satzes wenig hältst. —
Nun ein Plänchen! — Der Riese Gargantua muß ausgearbeitet werden; so bald das VersetzungsReskript hier ist, spendiere ich 2 rth. an eine Flasche Burgunder und fange an. —
Wie wär’s aber, wenn wir noch auf einige witzige Aufsätze dächten, und ein Taschenbuch für 1805 edierten? — es ist nur des Absatzes und der Kupfer wegen. Ad vocem Kupfer — diese müssen durchaus satyrischen Inhaltes sein — denke darauf! — Ein Paar Blätter Köpfe allenfalls so wie Voltaire — Schreibe mir was Du von der Idee hältst — ich würde hoffen (ich zeichne alles selbst) ein gutes Honorar zu erhaschen und die gelehrte Welt ‚mal zu einem Lachkrampf zu reizen. Das TaschenbuchFormat allein begeistert mich schon, wenn ich daran denke, mit allerlei skurrilen Ideen — Die Wahl des Buchhändlers überlasse ich Dir, da Du ein Mann bist der schon manches geschrieben hat, was gedruckt worden ist —
Den Seume hab ich hier vorgefunden und ganz gelesen — er möge die Idee der italiänischen Reise in Dir wach und rege erhalten — er ist wahrlich dazu geeignet.
Lebe wohl mein lieber teurer Einziger Freund, und antworte mir bald — Meine Frau grüßt Dich und die Deinige herzlich — ich küsse Deiner Frau die Hand — Adio
Ewig
Dein
H
Płock
den 28 Febr 1804
〈11. – 14. Mai 1804.〉
Mein Teuerster einziger Freund! Ich bin in Warschau angekommen, bin heraufgestiegen in den dritten Stock eines Pallazzo’s in der FretaGasse No habe den freundlichen Gouverneur, den Präsidenten, der die Nase 1/8 Zoll über den Horizont emporhebt und drei Orden trägt, und ein ganzes Rudel Kollegen gesehen und schwitze jetzt über Vorträgen und Relationen! — Sic eunt fata hominum ! — Schriftstellern und komponieren wollte ich, mich begeistern im Hain von Lazȩki und in den breiten Alleen des Sächsischen Gartens, und nun? — Erschlagen von acht und zwanzig voluminibus KonkursAkten wie von Felsen, die Zeus Donner herabschleuderten, liegt der Riese Gargantua, und der Renegat ächzt unter der Last dreier Totschläger, die zur Festung bereit noch den letzten fürchterlichsten Totschlag begehen. Lebhaft ist es in Warschau erstaunlich, vorzüglich in der FretaGasse, da hier der Mehl, Grütz, Brod und GrünzeugHandel ganz ausnehmend blüht. Gestern am HimmelfahrtsTage wollte ich mir etwas zu Gute tun, warf die Akten weg und setzte mich ans Klavier um eine Sonate zu komponieren, wurde aber bald in die Lage von Hogarths Musicien enragé versetzt! Dicht unter meinem Fenster entstanden zwischen drei Mehlweibern, zwei Karrenschiebern und einem SchifferKnechte einige Differenzen, alle Parteien plaidierten mit vieler Heftigkeit an das Tribunal des Höckers, der im Gewölbe unten seine Waren feil bietet — Während der Zeit wurden die Glocken der PfarrKirche — der Bennonen — der DominikanerKirche (alles in meiner Nähe) gezogen — auf dem Kirchhofe der Dominikaner (gerade über mir) prügelten die Hoffnungsvollen Katechumenen zwei alte Pauken, wozu vom mächtigen Instinkt getrieben die Hunde der ganzen Nachbarschaft bellten und heulten — in dem Augenblick kam auch der Kunstreiter Wambach mit JanitscharenMusik ganz lustig daher gezogen — ihm entgegen aus der neuen Straße eine Herde Schweine — Große Friktion in der Mitte der Straße — sieben Schweine werden übergeritten! Großes Gequike. — O! — O! — ein Tutti zur Qual der Verdammten ersonnen! — Hier warf ich Feder — Papier bei Seite, zog Stiefeln an und lief aus dem tollen Gewirre heraus durch die Krakauer Vorstadt — durch die neue Welt — Bergab! — Ein heiliger Hain umfing mich mit seinen Schatten! — ich war in Lazȩki! — Ja wohl ein jungfräulicher Schwan schwimmt der freundliche Pallast auf dem spiegelhellen See! — Zephire wehen wollüstig durch die Blütenbäume — wie lieblich wandelts sich in den belaubten Gängen! — Das ist der Aufenthalt eines liebenswürdigen Epikuräers! — — Was? — Das ist ja der Commendatore aus Don Juan, der da so in dem dunkeln Laube mit weißer Nase einher galoppiert? — Ach! Johann Sobieski! Pink fecit? — Male fecit! — Was für Verhältnisse! — er reitet Sklaven zu Boden, die sich krümmend die welken Arme gegen das sich bäumende Roß erheben — ein widriger Anblick! — Was? — ists möglich! — der große Sobieski — als Römer mit Wonzen hat einen polnischen Säbel umgeschnallt und dieser ist — von Holz! — lächerlich! — Nun bin ich verloren — Da kommt der R〈egierungs〉R〈at〉 Marggraff — er packt mich mit Gewalt in eine Droschke — der Wagen hält vor einem unförmlichen Gebäude — hinten ein Dach mit wenigstens 12 DampfSäulen, alias Schornsteine, vorne ein ganz kleines winziges Frontispizchen, von beiden Seiten noch winzigere Vorsprünge! — es ist das Schauspielhaus! —
Was wird gegeben? — Der Wasserträger — Musik von Cherubini — Schön! — Das Orchester spielt die feurige rasche Simphonie mit italiänischer Gemächlichkeit! — Graf Armand erscheint mit falscher Nase und Wonzen, seine Händeringende Gemahlin schlägt und singt durchweg einen AchtelTon zu hoch — NationalGarde in russischer Uniform — die Pariser Spaziergänger machen am Tore Padam donnoks und fassen die Wache, die ihre Pässe visitiert, ans Knie — Der Wasserträger kommt an — sein Faß enthält ungefähr drittehalb Eimer, und doch springt, so wie die Wache den Rücken wendet, Graf Armand heraus und entflieht durch’s Tor — Wunder über Wunder! Jetzt singen sie — Sie stehn zu hoch, sagt im Orchester ein Musiker zum andern, Um Vergebung antwortet dieser ganz freundlich, wie soll ich’s auf gleicher Erde anfangen um niedriger zu stehn! —
Wie es mir in Warschau geht, frägst Du, mein teurer Freund? — Eine bunte Welt! — zu geräuschvoll — zu toll — zu wild — alles durcheinander — Wo nehme ich Muße her um zu schreiben — zu zeichnen — zu komponieren! — Der König sollte mir Lazȩki einräumen, da muß es sich ganz gut leben lassen! — Oder ich komme nach L〈eistenau,〉 komponiere in der Eil einige Opern und retourniere zu den Akten.
Vergilt nicht gleiches mit gleichem und antworte mir bald — Denke an die Reise nach Italien und bleibe mein Freund, so wie ich ewig ewig der Deinige mit ganzer Seele sein werde. Meine Frau grüßt Dich und die Deinige, der ich mich auf das angelegentlichste zu empfehlen bitte.
Adio!
Warschau d. 14 Mai 1804
H
〈26. September 1805.〉
Mein Einziger teuerster Freund! Wär‘ ich nicht überzeugt, daß Deine Freundschaft für mich so wie die meinige für Dich unwandelbar ist und nicht verwechselt werden mag mit einer angenehmen Bekanntschaft , die man irgendwo machte und durch Hin und Herschreiben wie ein dürftiges Feuer durch Zuschüren unterhalten muß, so würde der Entschluß endlich einmal wieder zu Dir Brieflich zu sprechen mir Mühe gekostet haben. Meine unbeschreibliche Brieffaulheit kennst Du, aber eben so sehr auch meine Art und Weise mich in der Abwesenheit mit Dir zu unterhalten, indem der größte Teil meiner Beschäftigungen durch die Beziehung auf Dich und unsere Pläne sich mir unaufhörlich im Geiste darstellt! — Während des Jahrs, daß ich Dir nicht schrieb, habe ich ein angenehmes künstlerisches Leben geführt, ich habe komponiert, gemalt und nebenher ziemlich gut italiänisch gelernt, das Romanische verstehe ich vollkommen gut und spreche es ziemlich, dieser Winter ist dazu bestimmt es im Sprechen zur Fertigkeit zu bringen und auch die verschiedenen Dialekte (Venetianisch, Neapolit〈anisch〉 u. s. w.) zu erlernen, allein die Russen werden es wohl nicht erlauben, daß ich hier bleibe. — Dabei habe ich durch vieles Zeichnen nach der Natur aus dem Steggreif eine recht fertige Faust bekommen, und so denke ich der würdige Gefährte zu sein. — Die temporelle Anwesenheit des Geh.Rat Uhden, vormals Resident in Rom wie Du weißt, und des Griechen Bartholdy, mit denen ich viel lebte, hat mich in Feuer und Flammen gesetzt und meine Sehnsucht nach dem Lande, »wo die Zitronen glühn!« stieg bis zu einem Grade, daß es wirklich der bleiernen Gewichte meines Geschäftslebens bedurfte, um mich davon abzuhalten den Stab zu ergreifen und zu wandern —
Hier hast Du den Cyklus meines schaffenden Künstler-Lebens! — Im Dezember v.J. komponierte ich eine äußerst geniale Oper von Clemens Brentano, Die lustigen Musikanten, welche im April d.J. auf das hiesige teutsche Theater gebracht wurde; der Text mißfiel — es war Kaviar für das Volk wie Hamlet sagt, von der Musik urteilten sie günstiger, sie nannten sie feurig und durchdacht, nur zu kritisch und zu wild — in der eleganten Zeitung wurde ich dieser Komposit〈ion〉 wegen ein kunstverständiger Mann genannt!! Vorzüglich nahm man daran einen Ärger, daß sich die komischen Masken der Italiäner darin herumdrehen, Truffaldin, Tartaglia und Pantalone. Aber! — Heiliger Gozzi, was für Mißgeburten wurden hier auch aus den anziehenden Gestalten des jovialen Mutwillens! — Der Frühling gab mir eine Herz und Geiststärkende Muße, ich arbeitete nichts, sondern lag träumend unter den hohen Buchen von Lazenki und Willanow, oder zeichnete höchstens Studien nach der Natur — Im Sommer brach eine Flut von Geschäften und häuslichen Sorgen ein, meine Frau gebar mir im Julius eine Tochter, ich ließ sie Cezilia taufen und legte die letzte Hand an eine Messe, welche ich bis jetzt für mein bestes Werk halte und welche, wenn der Krieg uns nicht vertreibt, am CezilienTage bei den Bernhardinern aufgeführt werden soll. — Eben jetzt habe ich eine kleine Oper aus dem französischen in der Arbeit, in der sich der freie Geist der Franzosen, ihr komischer graziöser Genius ganz ausspricht, sie heißt: Die ungeladenen Gäste oder der Canonikus von Mayland. Ich gedenke sie auf das Berliner Theater zu bringen, da ich anfange jetzt etwas bekannter zu werden —
Hier hast Du, mein einziger Freund, meine Lebensweise und Du wirst finden, daß die Kunst noch immer wie eine schützende schirmende Heilige mich durchs Leben geleitet; ihr habe ich mich ganz ergeben und sie zürnt nicht, wenn unabänderliche Verhältnisse oft nur wenige selige Momente übrig lassen, wo ich meinen Geist zu ihr wenden kann. — Oft, nur zu oft, ist es Künstlers Erdenwallen welches mich niederdrückt , aber nicht erdrückt , neue Umgebungen wie in Plock konnten auf mein beßres Ich wirken und ihm Zerstörung drohen, hier ist Das anders. Mitten unter wüstem unkünstlerischen Pöbel findet der Geist doch Nahrung — Erwidere nur bald meine Herzensergießung mit einer ähnlichen, schreibe mir insonderheit, ob und wenn unsere Reise vor sich geht; bricht auch hier der Krieg aus, so wird es doch in Italien ruhig sein — Der Bankier E. erzählte mir, Du seist 〈…〉 geworden; ist dieses richtig und schadet es in casu quod sic Deiner Freiheit nicht? — Du weißt, daß wir jetzt Revision haben; mich kümmert das wenig, da ich keine Reste habe und gehabt habe; ich muß ja wohl frisch von der Hand wegarbeiten, um nur die Akten mit Partituren verwechseln zu können. Der Revisor hat ein gar grimmiges Gesicht, scheint aber schon ein guter Mann zu sein, warum kriecht ihm die Peinlichkeit und Langeweile in der Gestalt des 〈…〉 nach? — Das dritte Glied der RevisionsDreizahl ist ja ein Verwandter von Scheffner und bei diesem im Hause gewesen! — S〈cheffner〉 hat an Werner geschrieben: ich würde Ihnen meinen neveu empfehlen, wenn er nicht solch ein Erzprosaiker wäre —
Ad vocem Werner fällt mir ein, daß ich oben eine ganze Periode meines Künstlerlebens ausließ, wahrscheinlich weil ich nie ohne Mißbehagen daran denke! — Du wirst in öffentlichen Blättern gelesen haben, daß Werner an einem Trauerspiel »Das Kreuz an der Ostsee« für die Berliner Bühne arbeitete. In dem ersten Teil kommen Chöre der alten Preußen und vorzüglich eine Szene vor, die der Unterstützung der Musik bedurften; diese Szene war folgende:
Stelle Dir einen großen Rittersaal in der Feste Plozko vor, in dem Hintergrunde die Kapelle des heiligen Adalbert, an der Seite eine Treppe die zum Wachtturm führt. Die alten Preußen stürmen die Burg, man hört die Töne ihrer Hörner und ihren Schlachtgesang so wie die Trompeten der belagerten Polen und der Deutschen Ritter, die unter der Anführung Conrads von Landsberg ihnen zu Hülfe gekommen sind. In der Kapelle liegen der Bischof Christian und die Priester auf den Knien und flehen in eintönigem Choral um Hülfe:
Hochbedrängt sind wir in Nöten,
Feind und Hölle will uns töten,
Wollest uns vor Gott vertreten,
Hochgelobter Adalbert!
Der Wächter ruft vom Turm in abgesetzten Pausen die Begebenheiten der Schlacht herunter und bringt so das Gemälde derselben vor Augen.
In dem Vorgrunde des Rittersaals ist ein Zitterspielmann, der die Deutschen Ritter nach Plozko geleitete, beschäftigt, Malgona, die Tochter Conrads von der Masow, welche den gefangenen Sohn Waidewuts, Samo, geheiratet hat, in einen Pilgersmann einzukleiden und sie vor den Feinden zu retten, während Agafia, Conrads Gemahlin, die Belagerten aufmuntert u. s. w. (Jener Zitterspielmann ist der Geist des ermordeten Bischof Adalbert) — Die Feinde dringen ein, alles scheint verloren! — Da erscheint der Zitterspielmann — den Pilger auf dem Rücken tragend — es umstrahlt ihn ein blendender Glanz, die Heiden stürzen erschrocken von der Mauer — werden verfolgt — die Burg ist gerettet.
Diese ganze Szene mußte in Musik gesetzt werden, die Choräle der Priester — die Hörner und Trompeten der beiden Heere schallen auf dem Theater, während das Orchester in abgebrochenen Pausen die Schlacht malt. — Die dumpfe SturmGlocke tönt unabgesetzt fort, bis sich der ganze Sturm in einen sanften Choralmäßigen Marsch der heimkehrenden OrdensRitter auflöst.
So hatte ich, da Werner mich anging die Komposition zu übernehmen, die Szene behandelt und außerdem noch eine starke Ouverture so wie die Chöre der Preußen gesetzt.
Werner ist unerträglich ängstlich, lag mir immer auf dem Halse und quälte mich, daß ich Tag und Nacht arbeiten mußte um zu einem bestimmten Termin fertig zu werden. Als die Partitur denn nun zum Absenden fertig lag, schrieb Iffland einen langen langen Brief an W. dessen kurzer Inhalt war: Das Stück sei für jede Aufführung zu Kolossal.
W. hatte nehmlich schon früher den ersten Teil seines OstseeKreuzes, betitelt: Die BrautNacht, auf Andringen Ifflands, der die Zeit nicht erwarten konnte, nach B〈erlin〉 zur Aufführung geschickt. Sanders Preßbengel arbeiten schon an der Brautnacht, und Du wirst finden, daß viele geniale Züge darin enthalten sind, das ganze aber ein ziemlich rohes, hin und her geschmackloses Produkt ist, welches den ThalsSöhnen nicht gleich kömmt. Der erste Akt ist unerträglich — vielleicht gewinnt aber auch das Werk wenn man es liest — ich habe es nur (ein wenig zu oft) von Werner vorlesen gehört, welcher unsinnig schreit und sich abmartert um nur alle Assonanzen, Alliterationen, alle Terzinen, Sonettformen u. s. w. hören zu lassen, welches eben nicht angenehm ist. Überhaupt wirst Du finden, daß Werners Kreuz einen wirklich mit allen nur möglichen Formen der neuen Schule kreuzigt! — Tiek bedient sich auch dieser Formen, wenn es aber so geschieht wie in der Genofefa und im Octavian so ist das freilich etwas anders. — Hast Du schon Sternbalds Wanderungen von Tiek gelesen? — In casu quod non — lies so bald als möglich dies wahre Künstlerbuch —
Aus allem diesem wirst Du sehen, daß ich mit W. nicht ganz zufrieden bin, und aufrichtig gesagt, W. ist mir ein trauriger Beweis, wie die herrlichsten Anlagen durch eine alberne Erziehung ertötet werden können, und wie die regste Fantasie kriechen lernen muß, wenn sie von niedrigen Umgebungen heruntergezogen wird. 〈…〉
Nächstens, mein lieber Freund, da ich nun einmal in den Zug gekommen bin, mehr von hiesigen interessanten Erscheinungen. Mein liebes herziges Weib grüßt Dich und die Deinige sehr, erlaube mir Deiner Frau die Hand zu küssen.
Ewig ewig
Dein
Hff
Warschau
d. 26 7br 1805.
Warschau, den 6 März 1806.
Mein teuerster, einziger Freund. Der Regierungsrat Siebenhaar hat Dich in Berlin gesehen! Nein, nicht beschreiben kann ich es Dir, welch‘ ein banges Gefühl mich bei dieser Nachricht ergriff; irgend eine dunkle Ahnung lag ihm zum Grunde; als ich im Stande war, ruhiger meinem Ideengange nachzugehn, fand es sich, daß mich der Gedanke, Du könntest mich vergessen haben, Du könntest jetzt von Berlin aus ohne mich die grand tour machen, so gewaltig erschüttert hatte.
Jetzt glaube ich nicht mehr daran, und adressiere diesen Brief nicht einmal nach Berlin, sondern nach Leistenau, wohin Du meines Bedünkens schon zurückgekehrt sein wirst! —
Je älter ich werde, mein Freund, desto bestimmter entwickelt sich mein Selbst dazu, wozu es das höhere Walten, wogegen der Mensch vergebens mit seinen kleinlichen Abund Einsichten einzugreifen wagt, bestimmt hatte.
Mein Geschäftsleben ist die ekelhafte Puppe, welche die schönen Fittiche des Kunstgenius einzuschließen strebt, bis sie gewaltsam durchbrechen! — Der Kunstcyklus, in dem ich mich hier umhertreibe, ist eine Anmahnung zum Nachstreben des Bessern, er übt und stärkt, wiewohl er, als Zweck betrachtet, nur ein Spiel mit hohlen Nüssen um hohle Nüsse sein kann, und ich hiernach auch den Vorwurf, der dem Wilhelm Meister von jenem soi disant Offizier gemacht wird, verdienen möchte! — Du, mein Freund, bist meine einzige Hoffnung, indem ich des festen Glaubens lebe, daß die höhere Macht, deren Einwirken in unserer Zeit selbst blöden Gesichtern blendend erscheint, sich des schönsten, womit sie den Sterblichen beglückt, nehmlich der Freundschaft, als Mittel bedienen wird, mich zu erlösen von dem Übel, das mich mit eisernen, schmerzhaften Banden umstrickt und festhält! — Was ist es anders als unsere Reise, welche unser besseres Selbst einander näher bringen, was, ja, ich sage es, uns Beide dahin stellen wird, wo wir hingehören, und wo wir Beide jetzt nicht stehen! — Wäre es möglich, daß Zeit und Umstände Dich, mein teuerster Freund, hätten vergessen machen können, was wir so oft über diese Angelegenheit in Gesprächen feststellten, so sei Dir meine jetzige Anmahnung ein feuriges Wort, das Dein entschlafenes besseres Ich entflammt! —
Noch eins, mein teuerster Freund! lass‘ uns nicht wie Reiche reisen; meine Finanzen halten es nicht aus, und Deine werden sich wohl dabei befinden, und wo ist mehr Genuß? —
Wäre es möglich, wir allein, höchstens ein Bedienter! —
Wenn reisen wir ab? wo treffen wir zusammen? — Du bist in Berlin von Deiner Familie umgeben gewesen, ich habe keine — Du sollst für den Staat leben und steigen, mich fesselt eine elende Mediokrität, in der ich sterben und verderben kann. — Diese Ungleichheiten, dünkt mich, vermögen nichts über den gleichen Sinn für die Kunst, der uns vereinigte, und den wir nie lassen! —
Ich beschwöre Dich, widerstehe dem Einwirken einer vielleicht nur zu prosaischen Umgebung und Anreizung. Alles hängt von Deiner Erklärung ab. Ich bin ein Spieler, der das Letzte auf eine Hoffnung wagt! — Schreibe mir bald, und verzeihe mir meinen rhapsodischen Brief der beängstigenden Stimmung, die mich quält, und die durch das Peinliche meiner jetzigen Lage nur zu oft erregt wird. —
Antworte mir bald und bestimmt! — Adio!
Ewig
Dein
Hoffmann
Warschau, den 19 Juni 1806.
Welches sonderbare Gerücht in Berlin schickt mich mit einem polnischen Grafen auf Reisen? — Nein, mein teuerster, einziger Freund, meine einzige Hoffnung ist darauf gebaut, daß Ereignisse jeder Art Deinen schönen Entschluß nicht ändern werden, und ich habe den festen Glauben, daß die Ausführung desselben auf Dein Leben, so wie auf das meinige, den entscheidendsten wohltätigen Einfluß haben wird. — Warum willst Du erst auf den Herbst nach Warschau kommen, warum nicht jetzt in der schönsten Jahreszeit? — Wenn Du allein kommst, kannst Du bei mir wohnen, und damit Du Dich gleich zu mir hinfindest, so frage nach der SenatorenStraße, da wirst Du mich im zweiten Stock des Röslerschen Hauses erblicken!
Komme so bald als möglich! Adio!
Dein
Hoffmann
〈20. Oktober 1807.〉
Mein Einziger teuerster Freund! Seit vielen Monaten, seit der schrecklichen Katastrophe, die Dir auch gewiß tausend Ungemach bereitete, haben wir nichts von einander gehört; daß Du Deinen bisherigen Aufenthalt indessen verlassen haben solltest, setze ich nicht voraus, und ich versuche es daher wenigstens Dir nach L〈eistenau〉 hin Nachricht von mir zu geben! Daß gleich nach dem Einmarsch der Franzosen in Warschau die preußischen Offizianten entsetzt wurden, ist Dir bekannt, da indessen die Änderung der Umstände damals wenigstens noch möglich war, blieb ich mit mehreren von meinen Kollegen am Orte, bis man Anfang Junius uns aufforderte entweder eine UnterwerfungsAkte, die einen HuldigungsEid enthielt, zu unterschreiben oder W〈arschau〉 binnen 8 Tagen zu verlassen. Daß jeder rechtliche Mann das letztere wählte, kannst Du Dir leicht denken. Meine Frau hatte ich schon um sie dem Ungemach des nahen Krieges zu entziehen im Januar mit einer sichern Gelegenheit nach Posen zur Mutter geschickt, und nun ging ich selbst, da man mir die Pässe nach Wien, wo ich mein Unterkommen zu finden hoffte, schlechterdings verweigerte, nach Berlin, wo ich mich bis jetzt kümmerlich hingehalten habe. — Du weißt, daß ich kein Vermögen sondern nur Talente habe, die mich erhalten können, diese Talente aber hier in dem menschenleeren geldarmen Berlin wuchern zu lassen, ist kaum möglich! — Meine einzige Hoffnung ist bei irgend einer Kapelle als Direktor unterzukommen, und hiezu habe ich alle Anstalten gemacht, bis jetzt aber vergebens! —
Wäre es mir möglich nach Wien zu gehen, wohin ich die dringendsten Empfehlungen habe, und wo es mehrere PrivatKapellen gibt, so wäre vielleicht mein Glück gemacht, indessen fehlt es mir hiezu durchaus an einen Fonds! 〈…〉
Ist es Dir möglich, so hilf mir mit Rat und Tat, denn ohne weiter in das Detail meiner jetzigen Existenz zu gehen, kann ich Dich versichern, daß ein standhaftes Gemüt dazu gehört nicht zu verzweifeln! — Nur der einzige tröstende Gedanke erhält mich aufrecht, daß meine Kompositionen, habe ich nur erst den rechten Ort gefunden, mich durchaus in eine recht günstige Lage bringen müssen! —
Antworte mir sobald Du kannst 〈…〉
Grüße Deine Frau herzlich — Ewig ewig
Berlin FriedrichsStraße
den 20 Obr No 179 2 Treppen hoch
1807
Dein
Hoffmann
Berlin, d. 12 ten , Dezember 1807.
Mein teuerster einziger Freund! Dem Himmel sei es gedankt, daß das fatale Mißverständnis, welches unter uns obwaltete, jetzt ganz gehoben ist, und daß ich frei mit Dir über mich und meine Existenz sprechen kann. Leider habe ich noch bitter zu klagen, und die Freude war sehr vorübergehend, da indessen wenigstens die drückendste Sorge gehoben ist, so verweise ich mein Klagelied auf’s letzte Blatt und trenne es ganz von dem, was ich Dir über meine Kunst zu sagen habe.
Du hast ganz Recht, mein teuerster Freund! — für verloren, für ganz verloren kann ich die Zeit nicht halten, die ich in der Sklaverei zubrachte. Außerdem, daß ich Zeit genug gewann, die Theorie fleißig zu studieren, gelang es mir auch, in der letzten Zeit praktische Werke zu liefern und zur Aufführung zu bringen. In W〈arschau〉 hat man Messen und Opern von mir aufgeführt, und daß ich nicht bekannt geworden bin, liegt bloß darin, daß W〈arschau〉 kein Ort ist, der einige Konkurrenz hinsichts der Kunst hat. — Vorzüglich aber glaube ich dadurch, daß ich außer der Kunst meinem öffentlichen Amte vorstehen mußte, eine allgemeine Ansicht der Dinge gewonnen und mich von dem Egoismus entfernt zu haben, der, wenn ich so sagen darf, die Künstler von Profession ungenießbar macht. —
Mit Werner habe ich sehr viel in W〈arschau〉 gelebt, und er vorzüglich gab auch Anlaß zu einer sehr schwierigen Komposition von mir, die aber nicht aufgeführt worden ist. Das Kreuz an der Ostsee war für die Berliner Bühne bestimmt und ich setzte die Ouvertüre, Märsche und Chöre dazu; Iffland erklärte indessen, daß das Stück in seiner Urgestalt für die Bühne unausführbar sei, und so blieb die Sache liegen. — Vorzüglich war die Szene der Schlacht hinter dem Theater ganz von Musik begleitet und löste sich auf in einen sanften choralmäßigen Marsch der Ordensritter, welcher in dem Buche abgedruckt ist, und den Du Dir vorspielen lassen kannst. Ohne Zweifel wäre ich längst bekannt geworden, wenn jene Komposition auf’s Theater gekommen wäre, und auch jetzt würde es mir gelingen, bekannt zu werden, wenn die Zeitumstände nicht hier auf alles, was Kunst heißt, so verderbend wirkten, indessen lacht mir ja eine frohe Zukunft entgegen, und diese muß mich stärken für die Gegenwart. Ich glaube Dir schon geschrieben zu haben, daß ich eine Oper und ein Melodram für’s Bamberger Theater setzen soll, von beiden ist der Text vom Grafen Julius von Soden. Die Oper heißt: der Trank der Unsterblichkeit — das Melodram: Joseph in Aegypten. — Da habe ich denn nun den Winter vollauf zu tun, vorzüglich auch, wenn es mir gelingt, die Komposition der MusikPartie eines Wernerschen Schauspiels, das hier auf die Bühne kommen soll, zu erhaschen. Werner, dem es auf seiner Reise sehr wohl ging, der dem Könige von Bayern mit seiner Gemahlin vorgestellt wurde, der mit dem Herzog von Gotha viel lebte, u. s. w., ist jetzt in Jena und wohnt bei Göthe, der ihn auf das freundschaftlichste aufgenommen und der sich über seine Werke sehr vorteilhaft erklärt hat.
Den Bock habe ich in W〈arschau〉 persönlich kennen gelernt und von seinem Mönchtum auch schon früher Kunde erhalten — Von Schroetter und Schenkendorf ist auch in Berlin viel die Rede. —
Fichte und Schleiermacher sind wieder hier, Werner kehrt auch nach Berlin zurück. Varnhagen, Chamisso, Winzer, Robert sind Dir gewiß unbekannte Namen, indessen nenne ich sie Dir, als junge höchst talentvolle Leute, die uns gewiß viel, viel gutes liefern werden. So wird z. B. in Kurzem aus diesem Kreise ein KünstlerRoman erscheinen, der so ziemlich das, was in dieser Art jetzt da ist, in’s Dunkle stellen wird. Nur wenig kann ich den Umgang dieser Leute nützen, da ich wieder tief, tief in das Studium alter Meisterwerke, von denen ich hier die Partituren auftreiben konnte, geraten bin. Du kannst Dir überhaupt nicht denken, mein einziger Freund, was ich hier in B〈erlin〉 für ein stilles zurückgezogenes Künstlerleben führe. In meinem kleinen Stübchen, umgeben von alten Meistern, Feo, Durante, Händel, Gluck, vergesse ich oft alles, was mich schwer drückt, und nur, wenn ich Morgens wieder aufwache, kommen alle schweren Sorgen wieder! —
Erfährst Du etwas näheres über die Absichten des Minister Stein mit uns verjagten Offizianten, so schreib es mir doch, vorzüglich wünschte ich auch zu wissen, ob es wohl ratsam sein würde, sich an ihn oder an den Kanzler Schroetter schriftlich zu wenden. Letztern kennst Du ja persönlich, ich zwar auch, doch nur flüchtig bei Gelegenheit der Justiz-Revision. — Bekäme ich das halbe Gehalt, so würde ich an irgend einem wohlfeilen Orte ganz der Kunst leben.
Noch immer kann ich mich nicht an den Gedanken gewöhnen, daß Du in Deiner jetzigen Lage immer bleiben solltest. Irgend ein unvorhergesehener Stoß bringt Dich gewiß auch in eine Karriere, die ganz Deinem Gemüt zusagt!
Grüße Deine liebe Frau herzlich von mir. Ewig Ewig
Dein treuer Hoffmann
1808-1814
Berlin den 12 April 1808.
Mein einziger teuerster Freund! Auf das angenehmste hat mich Dein Brief vom 4 April, den ich den 10 ten erhielt, überrascht, denn ich hatte mir nun einmal in den Kopf gesetzt, Du würdest meinen Brief mit der Soden’schen Beilage nicht erhalten, wie Du aus meinem letzten Briefe es gesehen haben wirst. — Du hast mich getröstet und mich mit neuem Mut belebt, den Kümmernissen und dem harten Druck der Umstände zu widerstehen. Überzeugt wirst Du von meinem KünstlerEnthusiasm sein, der die Vorstellung, wie ich wohl mich hinaufschwingen werde aus diesem Elende, nie untergehen läßt; indessen glaubst Du es nicht, wie eigentlich unbedeutende Sachen, die nur den Körper betreffen, z. B. schlechte Nahrung, Entbehrungen gewisser Dinge an die man sich in guter Zeit gewöhnt hat, als da sind ein Glas guter Rum des Morgens u. s. w. auf die Seele wirken und nach gerade Dumpfheit und Trübsinn hervorbringen. — Daß Du mich freundlich aufnehmen würdest in Deinem Hause, dachte ich wohl; Du versprichst mir überdem ein ruhiges Plätzchen und ein Klavier, das sind meine Hauptbedürfnisse, und sollte ich daher erst vom 1 Oktober an in Bamberg engagiert werden, so bin ich entschlossen, da Du es erlaubst, ein paar Sommermonate bei Dir zuzubringen und ein paar große Kompositionen, über die ich brüte, zu endigen. Von Dir reise ich dann nach Posen, hole meine Frau und dann fort nach Bamberg. —
Wie sehr ich aber barer Hülfe bedarf, kannst Du Dir wohl denken, kannst Du mir daher um oder nach Ostern noch etwa 100 Rthlr schicken, so machst Du es mir möglich, Berlin zu verlassen, und befreiest mich von Sorgen, die drückender sind, als Du es Dir vorstellen magst. In diesem Augenblick würde ich den drückendsten Mangel leiden an den notwendigsten Bedürfnissen des Lebens, wenn nicht bei Werkmeister (Kunst und Musikhandlung) drei Canzonetten mit italiänischem und deutschemText gestochen würden, auf die ich vorschußweise zwei Friedrichsd’or erhalten habe; denn (kannst Du es Dir denken?) bares Honorar erhalte ich gar nicht, sondern nur 30 freie Exemplare. Aus der Schweiz und aus Bamberg habe ich noch für meine sauere Arbeit nichts erhalten. Auf das Bekanntwerden kommt alles an, und in dieser Rücksicht habe ich gute Hoffnungen, da der Hofrat Rochlitz in Leipzig (er redigiert die musikalische Zeitung) mir versprochen hat, von meinen Sachen Notiz zu nehmen, die er übrigens rühmt und preist (die Sachen nehmlich).
Laß Dir noch, mein teuerster Freund! von einer Arbeit erzählen, die ich unternommen habe und die mir jetzt manche frohe Stunde verschafft. Es ist die Komposition des Calderon’schen Lustspiels: »die Schärpe und die Blume«, von mir selbst unter dem Titel: »Liebe und Eifersucht« zur Oper umgearbeitet. Du kennst gewiß die Schlegelsche Übersetzung der Calderon’schen Schauspiele, und wirst mit mir einig sein, daß es keinen anziehenderen Stoff zur Oper geben kann. Wird diese Oper einst gut gegeben, so kann sie meinen Ruf für immer begründen; und ich werde dann mit einem nicht zu beschreibenden Gefühl an diese Prüfezeit denken!
Mich hat eine Wut befallen, Dir Briefe, die ich von interessanten Personen erhielt, beizulegen. — Ich schrieb Dir doch die Geschichte mit Werner? — Hast Du in irgend einem Blatt von der Aufführung der Wanda in Weimar gelesen? — Die Verse der Chöre sind irgendwo eingerückt, das ganze muß ein höchst fantastisches geniales Werk sein.
Sobald ich bestimmte Nachrichten aus Bamberg habe, schreibe ich Dir Näheres über mein Kommen oder Bleiben.
Ewig bis in den Tod
Dein treuer
H
⟨23. April 1808.⟩
〈…〉 Unser Werner ist vorgestern hier angekommen und ich bin gestern im Puppenspiel mit ihm gewesen, um den Doctor Faust zu sehen. Ich versicherte ihn, daß ich zwar mitunter ein Bißchen an Gott gedacht hätte, an den gemütreichen Weber solle er mich aber schließen, und ich wäre begierig, wie er das machen würde. Mit geheimnisvoller Miene versicherte er mich: er habe sehr viel mit mir vor, wolle sich mit mir zur Ausführung ganz neuer Ideen verbinden, und es sei ihm in dieser Hinsicht eben ganz recht, daß ich ein Unterkommen im südlichen Deutschland gefunden hätte. Er ist noch unentschlossen, ob er diesen Sommer nach Paris, nach Rom, nach Madrid, oder nach 〈…〉 Freienwalde gehen soll. Der Mann hat vieles Geld erworben, und tut so bekümmert, so ängstlich um seine Existenz, als wenn es keine Buchhändler und keine Theater in der Welt mehr gäbe; worüber ich und mehrere Freunde ihn dann tüchtig heruntermachen, welches er duldet und am Ende lacht.
〈…〉
Berlin d. 7 Mai 1808
Mein Einziger teuerster Freund! Wie kommt es, daß ich gar nichts von Dir höre? — Alles schlägt mir hier fehl. Weder aus Bamberg, noch aus Zürich, noch aus Posen erhalte ich einen Pfennig; ich arbeite mich müde und matt, setze fast die Gesundheit zu und erwerbe nichts! — Ich mag Dir meine Not nicht schildern; sie hat den höchsten Punkt erreicht. — Seit fünf Tagen habe ich nichts gegessen als Brod — so war es noch nie! — Jetzt sitze ich von Morgen bis in die Nacht, und zeichne an Szenen für Werners Attila, der in der Realbuchhand〈lung〉 verlegt wird. Noch ist es nicht gewiß ob ich alle Kupfer zu zeichnen erhalte, gelingt mir dies, so verdiene ich etwa 4 bis 5 Fridrichsd’or, die dann auf Miete und kleine Schulden aufgehen. Ist es Dir möglich mir zu helfen, so schicke mir etwa 20 fridr:, sonst weiß ich bei Gott nicht, was aus mir werden soll. — Übrigens ist mein Contrakt mit der Bamberger TheaterDir〈ektion〉 jetzt abgeschlossen und vom 1 t 7br geht mein Officium an, so daß ich im August schon abreisen muß. — Mein Einziger Wunsch wäre es mich jetzt schon von Berlin loszureißen und nach Bamberg zu gehen. Hiezu würde aber mehrers Geld gehören, da ich auch meine Garderobe zur Reise in Stand setzen muß. — Gelingt es mir nur erst Geld zu erwerben, so will ich darauf bedacht sein wenigstens nach und nach meine große Schuld bei Dir abzutragen! — Wäre es Dir wohl möglich, im Fall Du eine bedeutende Summe reponiert habest, mir noch 200 Thlr. zu borgen? In diesem Falle wäre ich nicht allein aus aller Not, sondern könnte auch nach Bamberg abgehen! — Mein Freund! — Verkenne mich Unglücklichen nicht! — Gott weiß es, wie nahe es mir geht so zu Dir sprechen zu müssen! — Antworte mit umgehender Post, darum fleht
Dein treuer bis in den Tod
Hoffmann
Es ist schrecklich den Hafen im Gesichte zu scheitern! — Heute aß ich im Tiergarten auf die gewöhnliche Weise — Mich sprach ein Bettler an — einer den andern! — Mit Talenten mancherlei Art zu darben ist vernichtend!
⟨Etwa 10. – 12. Mai 1808.⟩
Mein Einziger teuerster Freund! Vor wenig Tagen hatte mich der Mangel der notwendigsten Bedürfnisse halbwahnsinnig gemacht, und in diesem Zustande erinnere ich mich Dir geschrieben zu haben! — Eine gute Mahlzeit und eine ziemlich ruhige Nacht haben mich jetzt mehr zu mir selbst gebracht, indessen um mein Elend desto stärker wieder zu empfinden. — Es gehört wirklich eine Stärke der Seele dazu die an Heldenmut grenzt, um all das bittre Ungemach zu ertragen welches mich nicht zu verfolgen aufhört. — Auch aus der Bestellung der Zeichnungen für Werners Attila ist nichts geworden, wovon ich Dir in meinem vorletzten Briefe schrieb. Werner mein Freund!! erklärte nehmlich, es sei ihm denn doch lieber wenn ein gewisser S〈tudy〉 die Zeichnungen machte und nicht ich! — Ob 〈…〉
⟨25.(?) Mai 1808.⟩
Mein einziger, teuerster Freund! Nein! — ich lasse den Mut nicht sinken, da ich auf Dich bauen kann, und die feste, innige Überzeugung habe, daß mit meinem ersten Fußtritt aus Berlin sich all mein Leid enden und in Freude und Wohlsein verwandeln wird. In einer solchen hilflosen Lage, wie die letzten acht Tage über, bin ich noch nie gewesen; zufällig wurde sie von einem meiner Bekannten, dem ehemaligen RegierungsRat Friedrich, welcher mich trostlos im Tiergarten fand, erraten; und selbst in Verlegenheit teilte er doch sein letztes Geld mit mir.
Um nicht einen Augenblick mit der Abreise nach dem Empfang des Geldes zögern zu dürfen, habe ich mir schon im Voraus die notwendigsten Kleider und Wäsche bestellt; Bezahlen und Abreisen wird daher wohl der Akt eines Vormittags sein. —
Du siehst, mein teuerster Freund, daß, nun ich nur der Hülfe gewiß bin, auch meine Mutlosigkeit, die wohl — mit einem Wort gesagt — durch wirklichen Mangel der schrecklichsten Art, durch den Hunger, erzeugt wurde, ein Ende hat, und daß ich nun mein Schicksal preise, welches mich mit einem Ruck dahin versetzt, wohin mich schon längst meine ganze Neigung trieb. Bei der jetzigen Konkurrenz brodlos gewordener Künstler war es wirklich viel, ein Unterkommen zu finden, welches schon zu den bedeutenderen gehört, und für mich um so ersprießlicher sein muß, als ich nun nichts tun darf, als schreiben, um bekannt zu werden. In Warschau konnte ich aber Opern stoßweise komponieren, ohne daß irgend eine Menschenseele davon Notiz nahm.
Wie aber meine Sehnsucht nach dem Orte meiner Bestimmung mit jedem Tage steigt, davon hast Du keine Idee! — Es geht so weit, daß ich nicht mehr ruhig arbeiten kann, sondern unwillkürlich vom Tische aufspringe und Stub‘ auf Stub‘ ab laufe, ehe ich es mir versehe auch wohl auf der Straße und im Tiergarten bin, wo mir seit einiger Zeit die einsamen Partien sehr lieb sind, indem mich Lichtenberg’s Abhandlungen von lichtscheuen Hasen und dergleichen jetzt etwas näher angehen, als sonst. —
Zu keiner Kunst (um sie nehmlich auszuüben) gehört wohl so körperliches Wohlsein, als zum Komponieren, das Gegenteil bewirkt eine große Kränklichkeit, die sich nicht allein in den Ideen, sondern, was in der Komposition ein Hauptmoment ist, auch in ihrer Zusammenfügung ausspricht. Lebhaft habe ich dies Alles jetzt gefühlt, und ein Salve Regina , das ich in diesen Tagen des Unglücks setzte, unerbittlich zum Feuertode verdammt; dagegen nach dem Empfange Deines Briefes Mittags gut gegessen und getrunken und Abends ein neues Salve Regina angefangen, das nun schon ein ganz ander Ding wird. — In kurzer Zeit werden nehmlich von mir drei oder vier vierstimmige Hymnen an die Jungfrau unter dem allgemeinen Titel: La santa Virgine , erscheinen, die bloß von Singstimmen ohne alle weitere Begleitung als höchstens des Pianoforte, welches leise und diskret die Grundakkorde anschlägt, vorgetragen werden.
Daß Dir meine Zeichnung gefällt, freut mich, und ich bin jetzt ganz zufrieden, daß ich sie gemacht habe, weil ich Dir dadurch einen Beweis meiner herzlichen, innigen Zuneigung geben konnte, daß ich sie Dir zusandte. Wärst Du musikalisch, so sollte gewiß jedem Briefe an Dich etwas von meiner Komposition beiliegen; indessen hoffe ich zuverlässig, daß Du noch manches von mir in voller Pracht und vollem Pomp hören sollst, und finden wirst, daß meine Sachen ganz gut klingen. —
Dein Urteil über Werner ist ganz das meinige, jedoch wirst Du finden, daß im Attila es wieder herrliche Züge gibt, wiewohl auch dieses Stück wieder mit läppischen Dingen und Geschmacklosigkeiten durchflochten ist. Zu letztern rechne ich besonders im Kreuz den ganzen ersten Akt, wenig ausgenommen die Szenen der Pregolla »wer wird nun hüten mein Feuerlein«, und die unendlich läppische Szene des Schiffermädchens. Hast Du Werner persönlich gekannt? — ich glaube, ja! Über seinen schmutzigen Geiz, der doch in keiner Künstlerseele wohnen sollte, hat Iffland neulich eine charakteristische Anekdote debitiert. Als die Weihe der Kraft in Berlin aufgeführt werden soll, erhält Werner bloß für die Mitteilung des Manuskripts, welches er gleich darauf drucken ließ, aus der Theaterkasse 500 Taler in Talerstücken — gewiß ein ungeheuer großes Honorar. Im Begriff, sie einzustreichen, neigt er sich, bittersüß lächelnd, zu Iffland und flüstert: »hätte doch gedacht im Golde, mein Herr Direktor!« — Iffland drückte sich sehr pittoresk aus, indem er sagte: »Immer nur sehe ich, wenn ich mit Werner über seine Werke für unser Theater spreche, die Goldfaust hervorragen!« (wie eine Teufelspfote). Übrigens ist das hiesige Theater, da wegen der Gäste Niemand hineingehen mag, so in schlechten Umständen, daß die Schauspieler nicht mehr bezahlt werden konnten, und Iffland dem Comité administratif erklärte, daß er, bekäme er nicht bedeutende Zuschüsse, das Theater schließen müsse. —
Des Brodes wegen, dessen jetziger Preis für Arme unerschwinglich und das zuweilen gar nicht zu haben ist, sind hier einige Tage hindurch unruhige Auftritte gewesen, die aber bald durch starke Patrouillen zu Fuß und zu Pferde gedämpft wurden!
Über die mir zugesagte Hülfe bin ich voll unruhiger Erwartung, und werde meine ganze Seelenruhe nur dann genießen, wenn ich dem Weichbilde Berlins entflohen bin.
Grüße herzlich Deine liebe Frau von mir; ich wünsche, in ihrem Andenken zu leben.
Ewig bis in den Tod
Dein treuer
Hoffmann
Nachschrift. Lass‘ unter keinen Umständen unsere vorige Briefträgheit und Kargheit wieder einreißen! — Von mir sollst Du wenigstens fleißig Briefe erhalten, Du mußt aber auch antworten. Wie wenn es heißen wird: »Bamberg, den — Heute wurde eine Oper: die Schärpe und die Blume, aufgeführt u. s. w.«
Bamberg den 23 Dezember 1808.
Zinkenwörth No 56 beim Schönfärber Schneider.
Mein einziger teuerster Freund! In dem Zeitraum, daß ich Dir nicht geschrieben habe, bin ich endlich nach einer langen stürmischen Fahrt in einen Hafen angelangt, der mir Ruhe und Sicherheit gewährt. — Von Berlin reiste ich wie Du weißt nach Glogau, um dort meine Frau zu erwarten; sie kam nicht, weil die Familie sie förmlich festhielt, und ich mußte nach Posen herüber um sie los zu machen, so daß ich nach einer beschwerlichen Reise endlich den 1. September hier in dem schönen Bamberg eintraf. —
Ich fand alles anders, als ich erwartet hatte; Soden hatte das Theater einem gewissen Cuno abgetreten, und die Gesellschaft so wie die Theaterverhältnisse sind getreu im Wilhelm Meister geschildert ( videatur der Name Melina u. s. w.) Daß mir das nicht behagen konnte, war natürlich, und um so weniger, als meine ganze Zeit aufgeopfert und das Ganze, mit Jarno zu reden, ein Spiel um taube Nüsse war.
Ich wurde dem hiesigen Publikum bald als Komponist und tüchtiger Singmeister bekannt, und so wurde es mir möglich, eine recht gemütliche vom Theater fast ganz unabhängige Existenz zu begründen. Musikdirektor bin ich zwar geblieben, korrepetiere aber nicht mehr, und dirigiere nur höchst selten im Orchester, komponiere aber die Ballette und Gelegenheitsstücke wofür ich 30 fl. monatlich erhalte.
Nun fühle ich aber erst recht, wie durchaus nicht für mich die frühere Karriere war, und wie wohl mir das Künstlerleben tut, wozu die Wiedervereinigung mit meinem lieben, herrlichen Weibe nicht wenig beiträgt! — Und nun, mein teurer Einziger Freund! kannst Du es irgend möglich machen, so reiße dich los! — Komm in das herrliche südliche Deutschland, und Du wirst bald die Wunden, die der verderbliche Krieg auch Dir geschlagen hat, vergessen. Nur ein fixiertes Unterkommen bei irgend einer fürstlichen Kapelle in hiesiger Gegend kann mich von Bamberg, wo es mir so wohl geht, entfernen! —
Ewig bis in den Tod
Dein treuer
Hoffmann
⟨7. Juli 1814.⟩
Teuerster Freund! Endlich erfahre ich, daß die Flut von Geschäften, die Dich in der letzten so ereignisreichen Zeit gewiß überströmte, wenigstens für jetzt nachgelassen; so darf ich wohl hoffen, daß Du einige Augenblicke den Angelegenheiten Deines Jugendfreundes zuwenden kannst, und ich säume daher nicht, Dir jetzt alles das zu sagen, was ich schon längst auf dem Herzen hatte! — Du weißt, daß als im Jahr 1806 der unglückliche Krieg mich um meine RegierungsratsStelle in Warschau brachte, ich bei meinen künstlerischen Kenntnissen es für meine Pflicht hielt, meinen hülfsbedürftigen nur auf ihre Wissenschaft beschränkten Kollegen den Platz zu räumen, und so versuchte ich es, mir durch die Musik meinen Lebensunterhalt zu erwerben. Nicht wiederholen darf ich es aber, was ich Dir schon früher in Dresden klagte, nehmlich, wie sehr ich überall in meinen Erwartungen getäuscht wurde und wie ich bei einem ungewissen ärmlichen Brote noch das wenige Vermögen, was mir übrig geblieben, vollends zusetzen mußte.
Fortwährend trug ich den sehnlichsten Wunsch in mir, wieder im preußischen Staate angestellt zu werden, nie ließ ich aber diesen Wunsch laut werden, denn selbst konnte ich mich ja bescheiden, daß dies damals bei der Konkurrenz so vieler Offizianten, die mit mir in gleichem Falle waren, nicht möglich gewesen sein würde. Jetzt nachdem der so glorreiche Ausgang des Krieges alle Wünsche, alle Erwartungen jedes Patrioten überstiegen, nachdem Preußen mit beispielloser Energie seine Rechte behauptet hat, geht mir die Hoffnung auf, daß auch wohl mir, über den die Bedrängnisse der kriegerischen Zeit so gekommen sind, daß nur ein fester Mut — ein standhaftes Vertrauen auf die zuletzt doch siegende gute Sache mich aufrecht erhalten konnte, ein besseres Schicksal bereitet sein werde. — Mit der Treuherzigkeit, die Du gewiß Deinem ältesten Jugendfreunde gut deuten wirst, bitte ich Dich daher, mir, wenn es möglich ist, eine Anstellung in irgend einem StaatsBureau zu verschaffen, die mich nährt; mit gewissenhafter Treue, mit beharrlichem Eifer will ich jedem Dienst dieser Art vorstehen. Wohl darf ich mich auf meine ehemaligen DienstVerhältnisse berufen, da ich weiß, daß mir meine Vorgesetzten nie das Zeugnis der Fähigkeit und des Fleißes versagt haben, und übrigens kennst Du, teuerster Freund, selbst mich ja so ganz und gar, daß ich nichts mehr hinzufügen darf, um meine Bitte, deren Erfüllung, wenn sie möglich ist, ich Dir recht an’s Herz lege, zu unterstützen.
Ewig
Dein treuester
Hoffmann
Leipzig den 7 Julius 1814.
⟨27. Juli 1814.⟩
Geliebtester Freund! Deine plötzliche Erscheinung war, wie ich es Dir schon in Leipzig sagte, in der Tat ein heitrer Sonnenblick, der in mein Leben fiel und mich wunderbar aufregte. Dieser aufgeregten Stimmung magst Du es verzeihen teuerster Freund! daß ich von einer tödlichen Ungeduld von einem gänzlichen Mißbehagen an Allem was mich hier umgibt, geplagt es nicht erwarten kann, daß Du mir schreibst. — Mir ist es, als wäre schon seit Deinem Hiersein gar lange Zeit vergangen und jeden Posttag habe ich gelauert, ob der kanariengelbe Mann, der bei mir immer mit unglaublicher Schnelligkeit vorüber
rennt, nicht einmal bei mir einsprechen würde, aber vergebens.
So überzeugt ich bin, daß Deine freundschaftliche Bemühungen für die Erfüllung meines Wunsches von dem besten Erfolg sein werden, so werde ich doch, vom bösen Schicksal bis jetzt recht herum getrieben, oft von einer düstern Ahnung heimgesucht, daß man bei meinen gerechten Ansprüchen, doch wohl mir manche Schwürigkeit entgegensetzen und ich abermals brodlos bleiben könne. — Schlimm wäre dies in der Tat, da ich es nun erfahren, was es kostet und wie schwer es hält in der Kunst emporzukommen.
— Meine enzige Hoffnung hatte ich, und habe ich auf Dich gestellt! — Nimm dies Billett für weiter nichts, als für den Ausbruch ein〈e〉s recht im Innersten bewegten und beängsteten Gemüts, und tröste mich bald mit ein Paar Zeilen, sollten sie auch nur von Hoffnungen sprechen können. — Könnte ich doch nur erst Leipzig verlassen — Du glaubst es nicht, wie schwer es hält mich hier durchzubringen da die Teurung mit jedem Tage steigt, so aber mit meiner Kasse in beständigem Gegensatz steht.
— Doch genug von meinen schlechten Lebensverhältnissen, da mir ja doch wohl noch die Hoffnung leuchtet aus diesem wahren Schlamm hervorgezogen zu werden. Ewig ewig
Leipzig FleischerGasse im goldnen Herz
Den 27 t Julius 1814
Der Deine
Hoffmann.
Sei so gütig mir Deine vollständige Adresse mit allen gehörigen Breiten und Formen aufzuschreiben — ich liebe darin pünktlich zu sein, und kann es jetzt in der Tat nicht〈.〉
Leipzig den 20 August 1814.
Habe recht herzlichen innigen Dank, mein teuerster Freund! für Deinen lieben Brief vom 16 t d. M. den ich gestern erhielt. Wohl habe ich geahnet, daß Dein längeres Stillschweigen bloß durch die Ungewißheit meiner Zukunft veranlaßt wurde. Ich kann mir es denken, wie Du Dich bemüht hast, mir eine meinen Neigungen angemessene Stelle zu verschaffen, indessen, wenn mir auch eine Ratsstelle in einem Collegio auf jeden Fall höchst unangenehm gewesen sein würde, so ist mir doch das ganze Justizfach nicht so zuwider, daß ich mich nicht im Bureau des Ministers selbst so ziemlich wohl und zurecht finden sollte! — Was habe ich überhaupt in meiner Lage zu wählen, und muß ich Dir nicht zeitlebens dankbar sein, wenn Du mich endlich in sichern Port bringst? — An Diederichs, den ich sehr genau kannte und dem meine Frau auch von Kindesbeinen an bekannt ist, so wie durch ihn an Kircheisen habe ich heute geschrieben, und ich glaube wohl beinahe, daß ich reüssieren werde, da Du mir doch gute Hoffnung gemacht hast. — Sehr viel verliert nun freilich mein Aufenthalt in Berlin dadurch, daß Du von dannen gehst, indessen sagt mir meine Ahnung, daß Du nach einiger Zeit wiederkehren wirst, und bis dahin werde ich mich nicht mehr wie bisher von Dir trennen, d. h. ich werde Dir öfters schreiben, und Dich Michaelis gar in aller Breite geistig heimsuchen, d. h. Dir den dritten Band meiner Callotts, der zwei sonderbare Erzählungen enthält, zuschicken. Vielleicht gelingt es mir, Dir in Deinem geschäftsvollen Leben manche heitere Stunde zu bereiten, und was kann der Freund Autor besseres und gescheuteres tun. Habe die Güte, mein lieber teuerster Freund! den Diederichs um Beschleunigung meiner Angelegenheit anzugehen, und nimm diesen Brief für nichts als ein in der Eil vor Abgang der Post notitiae causa geschriebenes Billett. Deiner Gemahlin empfehle ich mich so wie meine Frau, die Dein freundschaftliches Andenken in Anspruch nimmt, auf das innigste.
Ewig
Dein treuester Freund
Hoffmann.
⟨1. November 1814.⟩
Geliebtester Freund! Es ist in meinem Leben etwas recht Charakteristisches, daß immer das geschieht was ich gar nicht erwartete, sei es nun Böses oder Gutes, und daß ich stets das zu tun gezwungen werde, was meinem eigentlichen tieferen Prinzip widerstrebt. — So glaubte ich mich auf immer der Justiz entschlagen zu haben, und Du siehst mich in diesem Augenblick von Akten hoch umwallt — dekretieren — referieren und was weiß ich Alles! — Nach Kircheisens Verfügung soll ich bei dem KammerGericht sechs Monate umsonst arbeiten um zu lernen daß es jetzt Wertstempel gibt u. s. w. indessen muß ich rühmen, daß ohne die mindeste Bemühung von meiner Seite mir dadurch eine merkliche Erleichterung Rücksichts meiner kärglichen Subsistenz geschehen, daß ich jetzt Urtels-Gebühren erhalten werde. — Erst hier habe ich recht ausführlich erfahren, wie sehr Du, mein Einziger teuerster Freund! Dich bemüht hast, mir meinem Wunsche gemäß eine meiner Neigung entsprechende Stelle in irgend einem MinisterialBureau zu verschaffen, und nicht versichern darf ich es Dir wohl, wie tief im Innern ich Deine wahrhafte Freundschaft und Liebe fühle. — Daß Deine Bemühungen keinen glücklichen Erfolg hatten, daran ist die feindliche materia peccans Schuld, die durch mein Leben schleicht, und recht verderblich, schon manche frohe Hoffnung weggezehrt hat. — Mein Mut verläßt mich indessen nicht, bin ich auch wieder hingeraten, wo ich durchaus nicht hingewollt, so muß ich doch gestehen, daß seit der entsetzlichen Zeit — 1806 – 7 – 8 sich meine Lage merklich gebessert hat. — Ganz in meinem Wesen und Tun recht feindselig vernichten könnte man mich aber, wenn man mich wieder in das mir verhaßte Polen nach Posen oder Kalisch schickte, indessen glaube ich wohl daß man auf meine dringende Protestationen deshalb Rücksicht nehmen wird. — Mein lebhafter Wunsch ist nun zwar in Berlin zu bleiben, das Schicksal eines KammerGerichtsRats ist indessen wohl nicht beneidenswert. Den p Kircheisen deshalb angehen mag ich nicht, denn außerdem, daß er es für eine ganz besondere nur durch blitzendes JustizBrillantfeuer zu erlangende Auszeichnung hält bei dem JustizGardeNormalBataillon angestellt zu werden, so würde er auch glauben, es sei mir nur darum zu tun recht fleißig in die Komödie zu gehen u. s. w. Davon, daß dem Freunde der Kunst, ich kann wohl in gerechtem Bezug auf mich sagen, dem Künstler, das Leben unter Freunden der Kunst, unter Künstlern, in besonderem Wohlbehagen manches leicht tragen läßt, dem er sonst erliegt, davon hat er wohl keine Idee — daß ich ferner endlich nach wahrem Vagabondieren endlich einmal einen Port finden will, in dem ich nun bleibe, das bedenkt er auch nicht — Genug! — für meine künftige Existenz ist mir in der Tat bange. — Könntest Du mir, bei Deinen vielfachen hiesigen Connektionen, vielleicht einen guten Rat geben, was ich für mein Hierbleiben tun soll und kann, so zeigst Du mir in dem verworrenen Buschwerk, in dem ich jetzt unsicher umhertappe, wenigstens einen Pfad! — Noch in diesem Augenblick nehme ich eine untergeordnetere Stelle als die eines wirklichen Rats ist mit einem auskömmlichen Gehalt mit Freuden an, wiewohl ich bei der Justiz , ohne meinem Ehrgefühl wehe zu tun, nicht herabsteigen könnte. — Genug von diesen Odiosis ! —
Die beiden ersten Tage, als ich in B〈erlin〉 angekommen, lebte ich in der Tat wie in einem FreudenTaumel. — Der herrliche Fouqué kam nehmlich gerade von Nennhausen herein und mit ihm lernte ich bei einem Mahl, das Hitzig angeordnet, Tieck, Franz Horn und Chamisso kennen. Denselben Abend hatte ich Gelegenheit herrliche Stimmen vieles aus meiner Undine (die Oper die Fouqué dichtete und ich komponierte) recht brav vortragen zu hören, und wie ging mir das poetische Leben wahrhaft auf, als Fouqué mir versicherte, nur erst in meiner Musik wären die fantastischen Gestalten — Undine — Kühleborn pp recht lebendig ins Leben getreten. — Wahrscheinlich kommt, sobald nur der Graf Brühl als Intendant angekommen, Undine, jedoch nicht unter meinem Namen, auf das hiesige Theater — wenn ich dann als OberLandesGerichtsRat nach Kalisch müßte! —
Vielleicht hast Du schon etwas in meinen FantasieStücken geblättert, und es hat Dich manches angesprochen; noch habe ich den 3ten Band nicht erhalten, so bald er hier ist, sende ich Dir ein saubres AutorExemplar, denn nichts ist billiger, als daß Du mich auf meiner schriftstellerischen Laufbahn immer im Auge behältst. — Laß Dir ja für Dich und Deine Kinder zum wahren Ergötzen Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte von Chamisso kommen, das Buch hat wenigstens auf mich besonders gewirkt. Dem unglücklichen Schlemihl hat der Teufel seinen Schatten abgekauft und er geht nun schattenlos durch die Welt pp
Deiner lieben Frau und auch Deiner Tochter, der Sängerin, empfiehl mich sehr — bei der Sängerin fällt mir ein, daß wenn Du vielleicht Musikalien brauchst, so gib mir doch den Auftrag, ich will alles pünktlich und treu besorgen —
Meine liebe Frau, der es in Berlin sehr gut gefällt, grüßt Dich und die Deinigen herzlich — Behalte mich nur lieb, mein Einziger treuster Freund!
Ewig
Der Deine
Hoffmann
Berlin, Französische Straße No 28 zwei
Treppen hoch
D. 1 t Novbr: 1814.
1815-1822
12. März 1815
Berlin, Französische Straße No 28
den 12 März 1815.
Mein teuerster geliebter Freund! Rechne es nicht irgend einer Nachlässigkeit oder dem Mangel des steten Andenkens an Dich, mein gütiger Freund, zu, wenn ich so lange schwieg. — Immer und immer hoffte ich Dir Erfreuliches von der Verbesserung meiner Lage schreiben zu können, aber bis jetzt bin ich noch immer in der fatalen Krisis begriffen, die ich nach meiner Rückkehr in den Justizdienst wohl erwarten konnte. — Nun arbeite ich schon über ein halb Jahr bei dem KammerGericht ohne die mindeste Vergütung, und Du kannst denken, wie schwer es mir wird, mich in dem teuern Berlin durchzubringen.
Fort möchte ich nicht gern, und doch ist selbst der Posten des KammerGerichtsRats, dessen Verleihung hier als höchste Gnade angesehen wird, eben nicht sehr erfreulich, noch immer bleibt es daher mein innigster Wunsch, in irgend einem andern Bureau als Expedient angestellt zu werden. Man erwartet noch in diesem Monat den König und Hardenberg. Sollte es Dir nicht vielleicht möglich sein durch Verbindungen, die doch noch nicht aufgehört haben können, mir einen Weg an Hardenberg zuzuweisen? — Sein Bureau muß bedeutend verstärkt werden, und sollte es dann gar nicht möglich sein, dort anzukommen? — Kein Posten, glaube ich, würde besser mit meinem literarischen und künstlerischen Streben zu vereinen sein. Schreibe mir gütigst, was Du darüber denkst, und ob Du mir auf irgend eine Weise behülflich sein kannst. —
Eine zweite Angelegenheit, in der ich mich zutrauungsvoll an Dich wende, ist die von mir gehoffte Zahlung meines rückständigen Gehalts, die mir nach der Verfügung der Kommission, die ich Dir abschriftlich beilege, rund abgeschlagen worden ist. — Du kennst meine Verhältnisse. Ich war gezwungen, von Warschau nach Berlin zu gehen und dort 3 / 4 Jahre in der drückendsten Lage zuzubringen. Auch nicht die mindeste Hoffnung irgend einer Anstellung war vorhanden, überall fanden die verjagten Offizianten eine unfreundliche Aufnahme, die mich wenigstens empörte. So z. B. sagte der Großkanzler Goldbeck zu mir: Es ist mir unangenehm, Sie hier zu sehen. Sie hätten in Warschau bleiben sollen u. d. m. Dafür also, daß ich ein anderes Talent hatte, das mich nährte, so aber dem Staat in der damaligen verhängnisvollen Lage nicht zur Last fiel und die Behörden nicht mit Gesuchen quälte, soll ich einer Wohltat verlustig gehen, die der König ohne alle engherzigen Einschränkungen ausgesprochen hat! — Daß ich im Jahr 1810 nicht im Preußischen war, ist irrelevant, da ich früher zurückkehrte und niemals in andern Staatsdiensten war, meine Reise ins Ausland daher einer Urlaubsreise gleich zu stellen ist, überhaupt der deutliche Sinn der CabinetsOrdre auch nur die ausschließt, die fremde Dienste genommen, und bis zum Jahr 1810 nicht zurückgekehrt waren. Daß es mir übrigens unmöglich war, in Berlin auch durch meine Kunst damals zu subsistieren, daß ich daher notgedrungen fort mußte, darf ich noch versichern. — Ich will mich an den Staatskanzler wenden, ihm kurz und bündig meine bestandenen Verhältnisse auseinander setzen, und um Bewilligung meines rückständigen Gehalts nach den aufgestellten Grundsätzen bitten, und bitte Dich recht herzlich, auf irgend eine Art, wie Du es am besten findest, mein Gesuch zu empfehlen. Bemerken muß ich nur, daß nach eingezogenen sichern Nachrichten der Finanzminister über das Prinzip der Zahlung nicht entscheidet, und also der Staatskanzler unmittelbar wegen Remedur einer von der Kommission erhaltenen Verfügung angegangen werden muß. —
Endlich darf ich Dir nicht verschweigen, daß aus dem tiefsten Hintergrunde mir noch ein Stern der Hoffnung entgegenschimmert, der aber auch leicht wieder ganz in dunkler Nacht verschwinden kann. — Meine Oper Undine , die der Major Fouqué dem p Brühl überreicht hat, kommt höchst wahrscheinlich auf das Theater. Der Text ist ganz herrlich, wie Du wohl von Fouqué es glauben kannst, und ich hoffe ein tüchtiges Stück Arbeit gemacht zu haben, welches auf ganz honorable Weise durchgreifen wird. Fouqué hat der Prinzessin Wilhelm, so wie dem Kronprinzen von der Oper erzählt, beide interessieren sich dafür, und so könnte ich vielleicht, gefällt meine Oper, hohe Protektionen gewinnen, und dadurch in eine angenehme Künstlerlage versetzt werden, d. h. TheaterKomponist oder Kapellmeister werden! — Beide hier offene KapellStellen werden nehmlich vor der Hand nicht besetzt. — Daß dies vor der Hand kaum mehr als ein Traum ist, darf ich wohl behaupten, überdem kommt die Undine vor dem Herbst oder Anfang des künftigen Winters kaum auf die Bühne. Dies Interregnum ist daher auf jeden Fall zu überstehen.
In der Verzweiflung habe ich übrigens Diederichs geschrieben, daß wenn ich durchaus fort müßte, ich nach Posen gehen wollte. Du siehst, daß ich nur Raum und Zeit gewinnen, daß ich den Plänen für mein Lebensglück jedes Opfer bringen will, denn von Posen aus könnte ich ja selbst im schlimmsten Fall immer wieder ohne Aufsehen nach Berlin zurückwandern, und ich würde selbst meine Anstellung als Rat im Collegio nur als ein Interimisticum ansehen. — Von der Kunst kann ich nun einmal nicht mehr lassen, und hätte ich nicht für eine herzensliebe Frau zu sorgen und ihr nach dem, was sie mit mir ausstand, eine bequeme Lage zu bereiten, so würde ich lieber abermals den musikalischen Schulmeister machen, als mich in der juristischen Walkmühle trillen lassen! — Verzeih‘ es nur, mein geliebtester Freund, daß ich Dir wieder so viel vorklage! — Mit meinem zerrissenen Leben trage ich eigentlich die Schuld meiner wenigen Standhaftigkeit, meines Leichtsinns in früheren Jahren. — Als Knabe — als Jüngling hätte ich mich ganz der Kunst ergeben, und nie an etwas anderes denken sollen. Freilich lag es auch an verkehrter Erziehung. — Nun! — Du weißt ja alles! —
So wenig die Juridica anschlagen wollen, so sehr steigt, wider mein Erwarten, mein Ruf in der Litteratur, da die Callotts gar viel Glück gemacht haben. Ich merke dies an den verschiedenen Anträgen, die mir von Buchhändlern gemacht werden, und denen ich nicht einmal recht genügen kann, da meine Arbeiten, die mir der Ungewohnheit wegen schwerer fallen als ehemals, das nicht zulassen. — Doch habe ich in diesen Tagen zwei Erzählungen für das Frauentaschenbuch und für die Urania gemacht. Wenn Du künftigen Herbst die Urania zu Gesicht bekommst, wird Dich meine Erzählung gewiß interessieren, da die Szene nach Danzig verlegt ist. Sie heißt »der Arthushoff.« — Matuszewski kommt darin vor und eine Kriminalrätin Mathesius aus Marienwerder, die eigentlich die Tochter eines wahnsinnigen Malers ist, und früher als poetische Person, Felizitas genannt, auftritt. Das Ganze dreht sich um ein wunderbares Bild im Arthushof, welches in der Seele eines jungen Kaufmanns den Funken der Kunst entzündet, so daß er sich von allem losreißt und Maler wird.
Anliegend schicke ich Dir mein Märchen. — Es sollte sauberer gebunden sein, es ist indessen mein Autorexemplar, und um ein anderes zu besorgen, müßte ich noch einige Tage warten, und der Brief muß durchaus heute fort.
Übrigens fehlt es mir hier nicht an wohlwollenden Bekannten und sehr spaßhaft ist es, daß man hin und wieder den Verfasser der Fantasiestücke pp zu großen Tees einladet, als sei er eine merkwürdige Person! — Auf diese Weise habe ich aber unter recht interessanten Menschen schon recht angenehme Abende verlebt, welches in Posen wahrscheinlich nicht der Fall sein dürfte.
Habe die Güte, mein geliebtester Freund, mir recht bald zu antworten, und mir nach Deiner Sinnesart mit Rat und Tat beizustehen.
Grüße Deine liebe Frau, so wie Deine Tochter, die ich kennen gelernt, recht herzlich. — Meine Frau, die ganz auf Dich baut, und die Deiner erfreulichen Erscheinung in Leipzig noch immer mit innigem Vergnügen erwähnt, empfiehlt sich Dir und Deiner Familie auf das angelegentlichste.
Ewig unverändert
Dein treuester
Hoffmann.
⟨28. April 1815.⟩
Mein teuerster geliebtester Freund! Von Posttag zu Posttag habe ich gehofft, daß Du Dein gütiges Versprechen erfüllen und mir wegen meiner EntschädigungsAngelegenheit eine Empfehlung an den Staatskanzler schicken würdest, da dies aber bis jetzt nicht geschehen ist, fürchte ich beinahe, daß Du vielleicht doch am Ende an dem glücklichen Erfolg gezweifelt haben magst. — In diesem Augenblick nehme ich aber Deine Freundschaft aufs neue und zwar auf das dringendste in Anspruch. — Durch den Staatsrat Nicolovius erfahre ich, daß Expedientenstellen im Bureau des Ministers Schuckmann besetzt werden sollen. Du siehst, lieber teurer Freund, daß auf diese Weise eine Lebenshoffnung mir aufgeht, die aber schnell erfaßt werden muß, um nicht wieder unterzugehen. Daher bitte ich Dich auf das dringendste und inständigste, mir mit umgehender Post eine durchgreifende Empfehlung an den Minister S〈chuckmann〉 zu senden. — Ich wünsche, sollte auch in dem Augenblick kein Posten vakant sein oder gemacht werden, vorläufig um mich im Geschäft zu üben, ohne Gehalt — aber nur gleich — angestellt zu werden. Meine jetzige Lage ist in der Tat sehr übel, denn außerdem daß ich gar keinen Gehalt ziehe und auch keine Aussicht habe versorgt zu werden, da unser JustizGroßmogul mich für ein exotisches Produkt zu halten scheint, das in der Justiz sich nicht einbürgern kann, so steigt auch mein Eckel gegen ein Geschäft, das, so wie es jetzt betrieben wird, nur Unmut und Langeweile erregen kann. Erinnere Dich, teuerster Freund! daß es nie meine Idee war, zur Justiz zurückzukehren, denn zu heterogen ist sie der Kunst, der ich geschworen; hierin und in der gewissen Überzeugung, daß meinem Wunsch nicht einmal nachgegeben sein würde, liegt es, warum ich mich wegen Marienwerder nicht bemühte. — Daß ich Dich in Berlin einst wiedersehen werde, davon bin ich fest überzeugt, und so wird der Nachklang unsers frohen Jugendlebens herrlicher und schöner sein. —
Möge Dir mein Anselmus schon einige frohe Augenblicke gemacht haben; Deine Kinder müssen ja auch das Märchen lesen, selbst die jüngeren, denn ich habe gefunden, daß unerachtet Kinder die tiefere Tendenz unmöglich auffassen können, ihre Fantasie doch durch manche Szene sehr angeregt wird. Sobald ich den vierten Teil der Fantasiestücke, der in dieser Messe erschienen ist, von meinem Verleger erhalten haben werde, sende ich ihn Dir sogleich zu.
Zu sehr bin ich von Deiner Liebe überzeugt, als daß Du meine Hoffnung Rücksichts des gewünschten Empfehlungsbriefes täuschen könntest. — Du siehst, wie tief in mein Leben die Erfüllung meines Wunsches eingreift, und kannst denken, wie aufgeregt ich bin, wie unendlich ich darnach verlange, daß bald alles entschieden sei. — Übrigens will Nicolovius auch meinen Wunsch unterstützen.
Lebe wohl, mein teuerster, innig geliebtester Freund! — empfiehl mich auf das angelegentlichste Deiner lieben vortrefflichen Frau. — Meine Frau empfiehlt sich Dir und
Deiner Familie sehr — sie baut auf Dich und Deine Freundschaft.
Ewig
der Deine
Hoffmann
Berlin, Französische Straße No 28
den 28 April 1815.
Antworte ja mit umgehender Post.
18. Juli 1815
Berlin Taubenstrabe No 31.
Den 18 Julius 1815.
Mein Geliebtester Freund! Ich sende Dir den vierten und letzten Teil meiner Fantasiestücke mit dem herzlichen Wunsche, daß Du manches darin finden mögest was Dich erfreut und nach ernstem, auch wohl langweiligen Geschäft aufheitert. — Auf das innigste danke ich Dir auch für die mir so schnell übersandte Empfehlung an Schuckmann die ganz gewiß gewirkt haben würde, wenn die von mir gestellte Prämisse, nehmlich daß das Bureau vergrößert werden sollte, zu der mich Nicolovius verleitet hatte, nicht falsch gewesen wäre. — Dem Himmel sei es gedankt, daß ich Dir endlich einmal etwas erfreuliches melden kann. Diederichs hat es dahin gebracht, daß der Justizminister von seinem Prinzip abgegangen ist und mich, unerachtet ich Rat gewesen, in seinem Bureau als Expedient anstellen will. Ich expediere wirklich schon seit drei Wochen für den ins Bad gereiseten JustizRat Raebiger und kann nach Diederichs Versicherung in wenigen Tagen dem Reskript entgegensehen, das mich als Expedient mit 800 rth Gehalt seit dem 1 t Julius zu beziehen, anstellt. Nur dieser dieser bescheidene Posten ist meinen Wünschen gemäß, denn:
1 t tauge ich nicht mehr zum Rat, weil ich zu viel versessen, und bei jeder Gelegenheit befürchten muß, daß in der Session, bin ich im ursprünglichen Gesetz auch völlig taktfest, doch ein Gedächtnisstarker Kollege, ein neueres Reskript wie einen versteckten Dolch hervorzieht und mich damit tötet.
- stehe ich sonderbarer Weise in der literarischen und künstlerischen Welt jetzt so , daß ich nicht aufhören kann zu schreiben und zu komponieren. Zu beidem läßt mir der ExpedientenPosten hinlänglichen Raum. Man bekommt die geringe Arbeit ins Haus gesendet, und darf niemals ins Bureau gehen. Ich rechne im Durchschnitt 3 Stunden tägliche Arbeit da ich fix im Styl bin.
- darf ich als Expedient die ad 2 genannten Allotria treiben, die dem Rat verdacht werden. —
Muß sich das Gute ereignen, so trifft Alles zusammen, und so kam es denn auch, daß als ich die Gewißheit der Anstellung erhielt, der Buchhändler Dunker mir für ein nicht zu starkes Manuskript 80 Frid〈richs〉d’or zahlte. Ich konnte ein gutes Logis beziehn, konnte mich notdürftig einrichten und habe noch zu leben, bis neue Gelder eingehen. — So siehst Du mich, mein teuerster geliebtester Freund! nach so vielen Stürmen endlich im Hafen! —
Ich kann es nicht läugnen, daß ich gemütliche Freunde hier um mich versammelt habe, indessen ist es ein eignes Ding damit, wenn man zusammen so recht ins Leben getreten ist, und so wirst Du mir nimmer ersetzt. — Daß Du nicht für das beengte Leben in M〈arienwerder〉 passest ist mir klar, und ich sehe Deinen Aufenthalt dort nur für ein Opfer an, das Du der Notwendigkeit Deine Güter wenigstens einige Zeit hindurch nahe im Auge zu haben, bringst. Du kommst gewiß in hoher Berufung wieder hieher und Gott sei es gelobt, daß ich weiß, wie keine Änderung Dein〈es〉 öffentliche〈n〉 Verhältnisses Deine Gesinnungen gegen mich zu ändern vermag. Du hast mir das genugsam bewiesen.
Was sagst Du zu den neuesten Begebenheiten? — In welcher Glorie erscheint unser Vaterland! — Was waren das hier für herrliche Tage! — Die Einholung der beiden Couriere waren herrliche Volksfeste recht bis ins Innerste hinein gefeiert! — An gemütlichen Volkswitzen fehlte es nicht: Unter dem Brandenb〈urger〉 Tor blickte ein Junge zur Victoria herauf und rief: Na kick man — kick man — Nu hest Du gut kicken, und ein anderer sagte: Na geiht det so fort so hebben wör ever acht Dage den Deuvel dodgeschlan. —
Ergötzlich wird es Dir vielleicht sein, daß der Aufsatz in den freimüthigen Blättern pp »Der Dey von Elba in Paris«, von mir ist, so wie ich auch in die Spenersche Zeitung einrücken ließ, daß nach glaubwürdigen französischen Nachrichten derjenige Übelgesinnte, der in der Schlacht von MontStJean zuerst das den glorreichen französischen Waffen so verderbliche »sauve qui peut« rief, derselbe Korporal war, der bei Leipzig zu früh die Brücke sprengte und dadurch die Schlacht verlieren machte. — So werden Allotria getrieben! —
Erfreue mich, mein geliebtester Freund! bald mit einem Brieflein, mein〈e〉 Frau empfiehlt sich Dir und den Deinigen sehr angelegentlich so wie ich Deiner lieben herrlichen Frau und den Sängerinnen mich sehr — sehr zu empfehlen bitte. Ewig
Der Deine
Hoffmann
Berlin den 30 August 1816.
Mein geliebtester teuerster Freund! Schilt nur nicht zu sehr über meine freilich beinahe unverantwortliche Trägheit im Schreiben. Daß ich auch in der Entfernung recht innig mit Dir lebe, darf ich nicht versichern und eben so trug ich jeden Tag den festen Vorsatz mit mir herum, Dir zu schreiben, aber Du weißt wie es geht, wenn man recht viel reden und erzählen will, man kommt selten zu Worte!
Mein Undinchen wurde in einem Zeitraum von vierthalb Wochen gestern zum sechstenmal bei überfülltem Hause gegeben. Die Oper hat ein allgemeines Gären und Brausen und endloses Geschwätz verursacht, welches lediglich dem Dichter zuzuschreiben ist, der die Opposition sämtlicher Philister wider sich hat. Dem einen ist der Text zu mystisch, dem andern zu fromm. — Der dritte tadelt die Verse, alle rühmen die Musik und — die Dekorationen, die aber auch das genialste der Art sind, die ich jemals gesehen. — Ich habe geflucht, daß Du die Oper nicht sehen konntest, da ich fest in meiner Seele überzeugt bin, daß Du mit wahren poetischen Gemütern übereinstimmend auf eigene Weise von dem Werk angesprochen sein würdest. Merkwürdig ist es, daß die Kritiker beweisen, an der Dichtung sei nichts dran, und doch immer wieder hineinlaufen, welches sie denn freilich mir in die Schuhe schieben, woran mir aber nichts liegt, ich vielmehr fortwährend sehr trocken behaupte, ich müßte in der Tat ein Esel gewesen sein, wenn ich zu solchem Stoff, zu solchen Worten eine lumpichte Sechsdreiermusik gemacht hätte. Wahrscheinlich kommt binnen einem halben Jahr ein Klavierauszug heraus, den verehre ich Deiner singenden Familie. Huray könnte einen epitomatischen Auszug auf der Bühne in Marienwerder geben, doch müßte er, wo möglich, das Theater bis über die Weichsel verlängern und wie in dem berühmten Trauerspiel Pyramus und Thisbe in mondheller Nacht spielen, um so die rauschenden Gewässer und den Mondschein gleich bei der Hand zu haben. — Das einzige gescheute Wort über Undine , das gedruckt wurde, hat übrigens Catel in der Berliner Zeitung gesprochen, sonst ist viel närrisches Zeug auch in den dramaturgischen Blättern geschwatzt, an denen ich übrigens keinen Anteil nehme, da sie nach einem hiesigen sehr poetischen Kunstausdruck mierig worden, so daß sie nur noch Levezows (der jetzt Löwenzopf genannt wird) Primaner lesen, und dieser gezwungene Kurs eben nicht der Sache Vorteil bringt. — Das Kammergericht hat an der Undine großen Anteil genommen, und es geht eine dunkle Sage, daß der große Mann aus der WilhelmsStraße im Hintergrunde der Eckloge bemerkt worden sein soll, und zwar bei der zweiten Darstellung. —
Bei dem Kammergericht fällt mir natürlich mein Geschäftsleben ein, das ich wie den Klotz des Baugefangenen hinter mir herschleppe und glaube, es sei nun einmal die Strafe meiner vielen Sünden, daß ich in der freien Luft nicht ausdauern konnte und in den Kerker zurück mußte, so wie der verwöhnte Stubenvogel, dem das Futter so lange zugereicht wurde, daß er im Freien seine Atzung selbst zu suchen nicht mehr vermag. Alles Unangenehme haben sie mir bisher aufgebürdet — KassenKuratel — DepositalAbnahme — Untersuchungen u. s. w. Dazu kam, daß der KriminalSenat von 8 Mitgliedern bis auf drei herabgeschmolzen war durch Reisen, Krankheit pp, so daß ich meinte, wir wollten unsere Pforten schließen und mit 5 Fuß 6 Zoll hohen Buchstaben darauf schreiben: Wir sind nach dem Bade verreiset, wornach sich jeder Rücksichts der Prozesse und der begangenen und noch zu begehenden Verbrechen zu achten!
Der Präsident Woldermann war auch fort, der Vizepräsident mußte im InstruktionsSenat präsidieren, und Dein gehorsamer Diener führte im KriminalSenat als ältester Rat mit Würde und Energie den Rotstift. Kam noch zu selbiger Zeit hinzu, daß mich meine Nichte aus Posen, die ich erzog, besuchte, und mir ein wahrhaft lebendiges Kind, das sie mit ihrem Mann, dem TribunalsAssessor v. Lekszycki erzielt, vorzeigte, so daß ich an meiner Großonkelschaft gar nicht zweifeln konnte, so magst Du es Dir denken, wie über schwenglich groß und erhaben ich mich fühlte. Nach Niederlegung meines Postens (als Direktor nämlich, nicht als Großonkel) wurde mir als gerechtes Anerkenntnis meiner hohen Verdienste von meinen Freunden in einer außerordentlichen SeraphinenVersammlung ein mit bunten Bändern geschmückter EhrenRotstift überreicht, den ich an festlichen Tagen im dritten Knopfloch meiner rechten Rockklappe trage, so daß er beim Überknöpfen auf meinem Herzen ruht!!
Meine Freunde rühmen sehr, daß mich alle meine Würden nicht stolz und übermütig gemacht, sondern daß ich in
guten Stunden sehr mild und herablassend mit ihnen konversiere!
Verzeih, mein teuerster Freund! — das tolle Zeug — Du weißt ja aber schon, welch ein besonderes Affengesicht als versteckter Poet mich kitzelt! — Daß der Uhland Dich gar sehr erfreuen würde, habe ich gewußt. Hast Du schon Fouqués Sängerliebe gelesen, so wie sein Gedicht aus dem Jünglingsalter? In letzterem ist viel schönes, das erste sehr zart, aber kein Zauberring . — Ich schreibe keinen goldnen Topf mehr! — So was muß man nur recht lebhaft fühlen und sich selbst keine Illusion machen! — Schreibe mir gütigst, ob und mit welchem Buchhändler Du hier in Verbindung stehst, der Dir Werke sendet, damit ich mich, habe ich Dir etwas zu übermachen, an ihn wenden kann.
Meine Frau grüßt Dich und die Deinige, deren Güte und Freundschaft ich mich auf das angelegentlichste empfehle, herzlich. — Ewig ewig unverändert
der Deinigste
Hoffmann
Berlin den 15 Dezember 1817.
Mein geliebtester Freund! Zum Voraus begrüße ich Dich und Deine von mir hochverehrte Frau zum lieben neuen Jahr, und schicke Dir als Weihnachtsgabe den zweiten Teil meiner Nachtstücke, die nun endlich ans Licht der Welt getreten, so wie das zweite Bändchen der KinderMärchen, in denen Du höchst wahrscheinlich wohl mich als den Verfasser des fremden Kindes herauskennen wirst. Habe ich gleich Gneisenau’s Zeugs für mich, daß ich mich im vorjährigen Nußknacker als vortrefflicher Militär ( videatur die große Schlacht) gezeigt, und hätte mich das auch ermutigen sollen auf gleiche Weise fortzufahren, so habe ich doch dergleichen gelassen und bin diesmal wunderbar kindlich und fromm gewesen, wie alle sagen. — Dir insbesondere empfehle ich die ostpreußische Geschichte vom Majorat, die vielen Beifall erhält, und wie mich dünkt, mit Recht. — Erheitere Dich vom ernsten Geschäft und lies meine Allotria wie der Staatskanzler, der ordentlich etwas darauf hält. — Du merkst, daß ich qua Schriftsteller mich aufs hohe Pferd setze und von gigantischen Leuten im Staat spreche wie von —
Übrigens will mich der Staatskanzler bedünken wie ein Löwe, der ein bißchen eingenickt war, da riefen sie: der Alte schläft, und tummelten sich um ihn her in allerlei tollem Gewirr, bis es ihm zu arg wurde und er mit kräftiger Tatze einen Schlag führte, der dem Spiel sofort ein Ende machte! — In der Menagerie, die hier zu sehen, hört das Geschnatter der Papageien, das Gequäck der Affen sofort auf, wenn der Löwe einmal brüllt u. s. w.
Besser, hundert tausendmal besser wäre es doch, wenn Du in andern Verhältnissen hier wärest. — Ich sage das nicht aus purem Eigennutz, weil ich dann meinen besten innigsten Freund wieder gewonnen, sondern auch Rücksichts Deines Lebens und Deines Wohlbefindens. — Mit mir geht es so ziemlich, ja sogar behaglich, da ich mich daran gewöhnt, aus knapp beschränkten Verhältnissen niemals herauszukommen. — Das hochlöbliche Kammergericht mutet mir allerlei und viel Allerlei zu, indessen stehle ich doch manche Stunde zu anderen Dingen, die mir lieber sind und habe sogar den tollen Vorsatz, künftigen Herbst mit einer neuen Oper, deren Text nach dem El galan fantasma des Calderon ausgearbeitet wird, hervorzutreten.
Da mir hiebei das abgebrannte Theater einfällt, so melde ich Dir mit kurzem, daß ich mich in der augenscheinlichsten Gefahr befand, aufs neue ganz ruiniert zu werden. Das Dach des Hauses, in dem ich im zweiten Stock wohne (Tauben und CharlottenStraßenEcke) brannte bereits von der entsetzlichen Glut, die das ungeheure brennende Bohlendach des Theaters verbreitete, und nur der Gewalt von drei wohldirigierten Schlauchspritzen gelang es, das Feuer zu löschen und das Haus, so wie wohl das ganze Viertel zu retten. Ich saß gerade am Schreibtisch, als meine Frau aus dem Eckkabinett etwas erblaßt eintrat und sagte: Mein Gott das Theater brennt! — Weder sie noch ich verloren indessen nur eine Sekunde den Kopf. Als Feuerarbeiter, zu denen sich Freunde gesellt hatten, an meine Türe schlugen, hatten wir mit Hülfe der Köchin schon Gardinen, Betten und die mehrsten Meubles in die hinteren, der Gefahr weniger ausgesetzten Zimmer getragen, wo sie stehen blieben, da ich nur im letzten Moment alles heraustragen lassen wollte. In den vorderen Zimmern sprangen nachher sämtliche Fensterscheiben und die Ölfarbe an den Fensterrahmen und Türen tröpfelte von der Hitze herab. Nur beständiges Gießen bewirkte, daß das Holzwerk nicht vom Feuer anging. — Meinen Nachbarn, die zu eilig forttragen ließen, wurde vieles verdorben und gestohlen, mir gar nichts u. s. w.
Deiner herzlieben Frau und den Deinigen empfiehl mich und meine Frau, die Dich herzlich grüßt, aufs angelegentlichste und beste.
Ewig unverändert
Dein allertreuster
Hoffmann
⟨27. Januar 1819.⟩
Mein teuerster, innigst geliebter Freund! Wohl geht es mir eben so wie Dir, am NeujahrsTage treten mit doppelter Frische und Lebendigkeit die Bilder des vergangenen Lebens hervor und man gedenkt der abwesenden Freunde mit wehmütiger Freudigkeit! — Daher kommt es denn auch, daß ich schon seit mehreren Jahren vermeide, NeujahrsAbend und NeujahrsTag, wie es sonst wohl zu geschehen pflegte, in rauschender Gesellschaft zuzubringen. Ich gebe in dieser Zeit in meinem einsamen Zimmer ganz meinen inneren Gedanken Raum, und Erinnerungen sind es, die wir, meine Frau und ich, uns gegenseitig auffrischen. So haben wir auch Deiner, und zwar wohl als des besten, bewährtesten, unwandelbarsten meiner Freunde gedacht; und nur deshalb mit schmerzlicher Rührung, weil ein böses Verhängnis uns von einander getrennt hat!
Längst würde ich Dir geschrieben haben, hätte ich es mir nicht in den Kopf gesetzt gehabt, Dir ein kleines Buch mitzusenden, das längst unter der Presse, und dessen Erscheinung sich wider alles Vermuten bis jetzt verspätet hat. Du erhältst es jetzt in der Anlage, so wie zwei Taschenbücher, in denen Erzählungen von mir enthalten sind, und die ich Deiner lieben, von mir hochverehrten Frau in meinem Namen zu überreichen bitte. Lies doch den Zinnober, das tolle Märchen wird Dir gewiß, ich darf es glauben, manches Lächeln abzwingen. Wenigstens ist es bis jetzt das humoristischte, was ich geschrieben, und von meinen hiesigen Freunden als solches anerkannt. — Überhaupt gewährt mir meine Schriftstellerei nicht allein Aufheiterung, sondern auch eine Geldzulage, die allein es mir möglich macht, in dem überteuern Berlin zu subsistieren, wiewohl zuweilen meine Einkünfte nicht hin und herreichen wollen, und ich mit manchen Sorgen zu kämpfen habe, die mir unangenehme Augenblicke genug machen. — An Weiterkommen, an Verbesserung ist vor der Hand nicht zu denken, da man von einer großen Justizreform, Einführung des öffentlichen Verfahrens u. s. w. spricht, und bis dahin also wohl jeder an seinem Platz bleiben wird.
Gäbe doch der Himmel, daß irgend eine PräsidentenVersammlung Dich wieder nach Berlin führte, es täte wirklich Not, daß in mein Leben wieder einmal etwas recht Erfreuliches hineinleuchte!
Lebe wohl, mein innigst geliebter Freund, empfiehl mich so wie meine Frau, die Dich auf das herzlichste grüßt, dem gütigen Andenken Deiner Frau Gemahlin.
Ewig mit unveränderter Treue und Liebe
Dein innigst ergebener
Hoffmann.
Berlin den 27 Januar 1819.
Schreibe mir gütigst, wie Dich Zinnoberlein angesprochen hat. Damit sich das Buch als AutorExemplar bewähre, habe ich einige Druckfehler mit Bleistift herauskorrigiert.
Berlin den 24 Junius 1820.
Mein teuerster geliebtester Freund! Du erinnerst Dich des Briefes, den Du mir durch Tettau sandtest, und in dem Du Dich über die jetzige Gestaltung der Dinge aussprachst. Tief in mein Inneres hinein sprach jedes Deiner Worte, und nie habe ich so lebhaft, so innig die Übereinstimmung unserer ganzen Lebensansicht, unsers ganzen Wesens gefühlt. Gerade in jener Zeit wurde ich zum MitCommissarius bei der zur Untersuchung der sogenannten demagogischen Umtriebe niedergesetzten Immediat-Kommission ernannt, und wie Du mich kennst, magst Du Dir wohl meine Stimmung denken, als sich vor meinen Augen ein ganzes Gewebe heilloser Willkür, frecher Nichtachtung aller Gesetze, persönlicher Animosität, entwickelte! — Dir darf ich nicht erst versichern, daß ich eben so wie jeder rechtliche vom wahren Patriotismus beseelte Mann überzeugt war und bin, daß dem hirngespenstischen Treiben einiger jungen Strudelköpfe Schranken gesetzt werden mußten, um so mehr, als jenes Treiben auf die entsetzlichste Weise ins Leben zu treten begann. Aus dem Gießner Verein der Schwarzen ging die Verbreitung des aufrührerischen sogenannten Frag und AntwortBüchleins hervor, aber noch mehr, Sand’s verabscheuungswürdige meuchelmörderische Tat gebar der Fanatismus, den die Grundsätze der sogenannten Unbedingten (»der Zweck heiligt die Mittel« pp), die aus dem Bunde der Schwarzen hervorgingen, entzündeten. — Jenes Büchlein hatte die Unruhen im Odenwalde zur Folge! — Hier war es an der Zeit, auf gesetzlichem Wege mit aller Strenge zu strafen und zu steuern. Aber statt dessen traten Maßregeln ein, die nicht nur gegen die Tat, sondern gegen Gesinnungen gerichtet waren. 〈…〉
Ich schicke Dir nicht allein den zweiten Teil der SerapionsBrüder, sondern auch den ersten Teil der LebensAnsichten des scharfsinnigen Katers Murr, der in der litterarischen Welt eine sehr günstige Aufnahme gefunden hat, trotz der etwas bizarren Szenerie, die in dem Buche herrscht. Es folgen noch zwei Teile, die längst fertig wären, wenn mir nicht aus oben entwickelten Gründen Zeit und Humor fehlte. —
Eine neue sehr interessante Bekanntschaft habe ich an dem als Komponisten wirklich großen Spontini gemacht, dessen neueste Oper »Olympia« ich, weil es der König gewünscht, nolens volens ins Deutsche übertragen muß. Eine ganz verfluchte Arbeit, da im Französischen alle Rhythmen dem Deutschen entgegengesetzt sind, und ich mir in den Kopf gesetzt habe, auch in den Rezitativen nicht ein Nötchen zu ändern und die französischen Schlagwörter durch deutsche volltönende Kraftwörter tot zu schlagen. Das gilt nun in den Abend und NachtStunden als meine Erholung! — Doch ich gerate wieder ins Ächzen! — Koreff sehe ich beinahe gar nicht. Der Staatskanzler, der mir übrigens die Ehre angetan, mich zu seiner Familientafel zu laden, ist ganz umlagert von besonderen Leuten, und ich weiß nicht, welcher Wind jetzt noch weht. — Gäbe doch der Himmel, daß Du ganz Deinen Wünschen gemäß nach Berlin kommen könntest, da würde
wieder ein guter freundlicher Stern meinem Leben aufgehen.
Noch einmal, — Du solltest hier sein, denn Du gehörst eben so wenig als ich in die Provinz, und bist wohl auch nicht Cäsars Meinung: lieber in dem kleinen beengten Kreise der erste sein zu wollen, als in dem großen der zweite oder dritte, vierte. Das lebendige Leben der großen Stadt, der Residenz wirkt doch nun einmal wunderbar auf das Gemüt, und solcher Kunstgenuß, wie er hier doch zu finden, ist das beste RestaurationsMittel für den Geist, den das Einerlei erschlafft, wo nicht zuletzt tötet. Man kann z. B. jetzt einen ganzen halben Tag und länger schwelgen, wenn man bloß in den neuen Theaterbau hineingeht, und dann bloß das Atelier der Bildhauer Tieck, Rauch und Konsorten im Lagerhause besucht. Am Theater arbeiten die ersten Künstler, und man kann ohne Übertreibung sagen, daß die kleinste Verzierung ein wahrhaftes Kunstprodukt ist. Vorzüglich imposant ist die schon fertige Statue Apollo’s (20 Fuß hoch), der auf einem mit Hippogryphen bespannten Wagen daher fährt, aus geschlagenem Kupferblech, wie die Viktoria auf dem Brandenburger Tor. Sie kommt auf dem hohen Fronton zu stehen, in dessen Tympan Amor und Psyche en haut relief in Stuck gearbeitet werden. In dem Tympan des Frontons der Attika wird die Geschichte der Niobe en haut relief in Pirnaer Sandstein gearbeitet zu stehen kommen. Die Figuren sind meistens 10 – 12 Fuß hoch, und ganz meisterhaft nach Tiecks herrlichen Modellen gearbeitet. Den Apollo hat Rauch modelliert. — So viel von den neuesten Kunstprodukten Berlins!
Schreibe mir bald, mein geliebtester Freund, ich bin neugierig, wie Dir der Kater gefallen wird. — Stoße Dich nicht an einigen argen Druckfehlern, die ich übersehen.
Empfiehl mich auf das Angelegentlichste Deiner Gemahlin, meine Frau empfiehlt sich Dir und ihr sehr. Sie wünscht eben so sehr als ich, daß Du in Berlin sein mögest, da sie weiß, wie so gar wohltätig Deine Gegenwart auf mich einwirken würde.
Ewig, ewig unwandelbar
Dein treuester
Hoffmann
⟨22. Mai 1821.⟩
So eben erhalte ich die Eintrittskarte zum neuen Theater für sechs Personen, so daß für Dich, Frau und Tochter nebst dem R〈egierungs〉R〈at〉 Drense gesorgt ist und ich mich mit meiner Frau anschließen kann. Ist es Dir daher gefällig, mich um 11½ Uhr abzurufen so werde ich sogleich mit meiner Frau aus der Höhe hinabhüpfen und Dich nach dem Theatrum et Odeum geleiten.
Den freundlichsten gute〈n〉 Morgen
D. 22 Mai 1821.
⟨8. Februar 1822.⟩
In der Anlage die unterschriebenen Schreiben. Ich habe ziemlich gut geschlafen, nachdem ich eine Anwandelung von Ohnmacht überstanden. Vergiß nicht, mein teuerster, einziger Freund! mein ganzer Hort und Heil, dem Pückler zu sagen, daß ich gern streichen will. — Vielleicht läßt sich in diesem Wege die Sache am besten einlenken und ausgleichen. — Sage nur, der ganze Knarrpanti sollte heraus, wenns
nicht anders wäre. — Noch immer sind die Sachen gut gegangen.
Ich bin noch sehr schwach.
Hoffmann.