Franz von Holbein
⟨Etwa 10. April 1818.⟩
Teuerster Freund!
Vorigen Sonntag, d. h. am 5 t April d〈es〉J〈ahres〉 am Sonntage Miserere Dom: Maximus (Evangel: vom guten Hirten Joh: 10. Neumond nach halb 5 Uhr Nachm: Tageslänge 13 St. 4 Min.) brachte mir Herr Gerber Ihren Brief vom 19 Jan: d. J. (am FerdinandsTage geschrieben) der mich ganz und gar in die schönen Tage unseres Zusammenseins in Bamberg zurückversetzte. »Die schönen Tage von Aranjuez pp Ew. Hoheit verließen es nicht heiter« könnte man mit Schiller von uns beiden sagen, indessen war doch im Ganzen das tolle unstete Treiben in B〈amberg〉 keine üble Episode — Eine Flitter auf dunklem Grunde — eine FastnachtsSzene im komischen Roman des Lebens — die Novelle vom Mohren im Don Quixote u. s. w.
— A propos! — Julchen Mark, die den Negotianten Groepel in Hamburg heiratete ist ganz vergröpelt! cela veut dire — unglücklich — krank — blaß — sans enfans! ppp O Gott! — Bader sagte mir das alles wenige Minuten vorher, ehe er als Tamino von der Schlange verfolgt wurde die die Wurzel oder vielmehr das Zündkraut alles Übels ist das rastlos fortbrennt hier auf Erden. Der Teufel hole solche Geschichten! ich meine die von der Julia die in Ihnen den transzendentalen Romeo ehrte, dessen Cousin germain wenigstens ich zu sein glaubte und daher im, superfeinen Tenor lamentierte: Ombre amene, amiche piante! — So viel merken Sie, Verehrtester! daß unser Bader wirklich hier ist und Gastrollen gibt, Jean de Paris, Tamino, Ottavio, Belmonte. Er macht Furore und wird hier wenn sein Kontrakt in Braunschweig geendet als erster Tenorist mit 2000 rth engagiert! — Aus Kindern werden Leute! — Sic eunt pp In der Tat hat sich aber die viel versprechende Stimme auf das herrlichste ausgebildet und sein Spiel ist durchaus nicht störend. Er ist viel besser als der Wiener Wild, der erstaunlich zahm war in jeder Hinsicht — eine Art von Haustier ( bête de maison ) — Mit Bader zugleich trat Gerber als Papageno auf und entwickelte mit erstaunlichem Glück eine total neue Ansicht dieser Rolle. Er gab nehmlich den Papageno durchaus als feinen, vielseitig ausgebildeten Weltmann, den der Hof der sternflammenden Königin a la hauteur gebracht hat. Vorzüglich die erste Szene mit Tamino wo er nicht zu wissen simuliert, daß hinter den Bergen auch noch Leute wohnen, daß Prinzen von Königinnen geboren werden (hübsche Anspielung auf die Unfruchtbarkeit der Königin der Nacht) war ein Triumph des feinsten gedachtesten Spiels. Ein glücklicher Gedanke war es auch, daß ihm das PanFlötlein jedesmal versagte — das leise ironische Verhauchen mit gespitzten Lippen! — Ohe jam satis! —
Leid tut es mir, daß Gerber gerade in einer bösen Periode gekommen ist. Ich meine bloß Rücksichts meiner da ich eben jetzt mit Arbeiten so überhäuft bin daß ich mich werde um ihn wenig kümmern können. Unser Präsident ist verreiset und ich als ältester und vorsitzender Rat (ich bin nach meinem RatsPatent von 1801 als Kammergerichtsrat in das Kammergericht eingerückt per CabinetsOrdre des Königs zum großen Ärger vieler Leute mit verbrannten Steißen) muß seine Stelle vertreten, habe daher außer meiner gewöhnlichen Arbeit noch die PräsidialGeschäfte — das drückt! — Am dritten Ort sind wir aber schon zusammen gewesen d. h. in einer vornehmen Weinkneipe wo ich ihm diversen Champagner in den Hals gejagt habe. —
Hätten, o hätten Sie, mein teurer Orestes! mich Ihren demütigsten Pylades gesehen wie er höchsteigenhändig FensterGardinen abknüpfte — Tische — Stühle trug und zuletzt mit Adresse und Appointement eine Schlauchspritze die durch seine Wohnung gezogen da wo sie wund worden, in der Eil mit vortrefflichen Ginganschürzen seiner Frau verband und dann dirigieren half! — Unerachtet der Wind abwärts ging zündete doch die HöllenGlut des Theaterdachs das Dach meiner Wohnung zweimal an — die Stuben mußten ausgeräumt werden, ich ließ aber auch nicht ein Stück wegtragen (ich bin jetzt ziemlich artig meubliert) und habe deshalb — keine Teetasse verloren. Die Milder (einen Stock niedriger mehr nach der Mitte hin, gar nicht so in Gefahr) ließ ihre drei BuxbaumTische und sieben Stühle wegbringen — über die Spree nach der Kön〈ig〉St〈adt〉 glaub‘ ich! Auch wurden zur Ergötzlichkeit des wie Sie wissen, erregbaren B〈erliners〉 auf einer langen Stange zwölf P〈aar〉 Strümpfe mit batistnen Hacken herau〈sgetragen.〉 Vorzüglich war 〈Nachschrift zu Nr. 274〉
D. 13 Junius 18
Was ist der Mensch! — Eben heute in meinen Pap〈ieren〉 blätternd finde ich vorstehend〈e〉s Fragment eines Briefes den ich längst abgesendet glaubte — Ich bin beinahe 3 Wochen hindurch an eine〈r〉 Verhärtung im Unterleibe gefährlich krank gewes〈e〉n und liege noch im Bette — es geht aber besser — besse〈r — 〉 bess〈er〉 — die Munt〈e〉rkeit des Geistes hat mich nie verlasse〈n〉 —
Mei〈ne〉 Frau und ich bring〈en〉 der Mad〈ame〉 Renner die herzlichst〈en〉 innigsten Grüße dar —
Mög〈en〉 Sie uns immer in freundschaftlich〈em〉 Andenk〈en〉 erhalt〈en.〉
Ich schrieb〈e〉 ge〈rn〉 mehr ab〈er〉 es geht noch nicht gut
Ewig unverändert
Der Ihrigste
Hoffmnn