Rezeption in Italien
Wissenschaftliche Arbeiten
Nach der enthusiastischen Aufnahme, welche in Frankreich die ersten Übersetzungen der Fantasiestücke in Callot’s Manier[1] sowie der Nachtstücke [2] erfuhren, folgte auch in Italien eine Welle der Hoffmann-Begeisterung[3]. E.T.A. Hoffmann wurde als Genie des genre fantastique, als schöpferischer Dichter fantastischer Figuren gefeiert, und seine Fantasiestücke wurden mehrfach übersetzt. Anfang des 20. Jh.s zeichnet sich jedoch auch ein stetig wachsendes Interesse an seiner Darstellung des Künstlertums, insbesondere bei der Kreisler-Figur[4].
Hoffmanns Leben wird als Inbegriff einer romantischen Künstlerexistenz betrachtet, und sein Werk als Poetisierung der dualistischen Spaltung von Leben und Kunst interpretiert, wie z. Bsp. in der Studie von Bonaventura Tecchi[5]. Tecchis Studie beschäftigt sich überdies mit der Frage der Märchengattung und der Kopräsenz von Wunderbarem und Wirklichkeit in Hoffmanns Märchen.
Ab der zweiten Hälfte des 20. Jh.s wächst zunehmend das Interesse für den ‚unerreichbaren Meister des Unheimlichen’[6] der in seinem Werk wie kein anderer Urängste, verdrängte infantile Komplexe (Der Sandmann) und Persönlichkeitsspaltung (Die Elixiere des Teufels) beschreiben konnte. Erzählungen und Novellen wie Der Sandmann, Vampirismus, Das Majorat, Das Fräulein von Scuderi sowie Romane wie Die Elixiere des Teufels zählen zu den am häufigsten veröffentlichten. Die Forschung über E.T.A. Hoffmann hat sich in den letzten Jahrzehnten unter den unterschiedlichsten Fragestellungen mit all diesen Aspekten – dem Unheimlichen, dem Dualismus von Leben und Kunst, sowie der Ich-Spaltung beschäftigt. Die Elixiere des Teufels dürften nicht nur als literarische Darstellung eines Schizophreniefalls angesehen, sondern auch als mühsamer Prozess der Selbsterkennung gedeutet werden.[7]. Hoffmann hatte auch dank der anthropologischen und psychologischen Erkenntnisse der Spätaufklärung und der Romantik die traditionelle Vorstellung eines absoluten Ichs in Frage gestellt[8]. Eine neue ästhetisch-poetologische Spur verfolgt Michele Cometa in zwei Studien, welche sich mit Hoffmanns ‚Sehweise’ auseinandersetzen. Nach einer Monographie über Bildbeschreibung (Ekphrasis) in den Texten Hoffmanns[9] untersucht Cometa die Wirkung optischer Instrumente auf Hoffmanns literarische Darstellungen[10].
Die psychologisch-pathologischen Züge in Hoffmanns Texten sind weiterhin Gegenstand mehrerer Studien. Die Arbeit von Luciana Furbetta[11] untersucht die dämonische Exaltiertheit der Figuren in Hoffmanns Nachtstücken, und stellt deren Bewusstsein über ihre doppelte, verdrängte Natur fest. Eine aktuellere Arbeit von Sieglinde Cora ergründet Hoffmanns Kenntnisse über medizinische Heilmittel der Zeit, insbesondere über den Magnetismus und dessen Einfluss auf sein literarisches Werk.[12]
Die neuerschienene zweibändige Arbeit von Sandro Moraldo[13] möchte indes – so der Autor in seinem Vorwort – keine neue Themen behandeln oder neue Theorien aufstellen; vielmehr ist diese Studie bestrebt, das gesamte Werk eines der beliebtesten und bedeutendsten Dichter der deutschen und internationalen Literatur in seiner ganzen Komplexität darzustellen und zu erhellen. Die Darstellung von Figuren mit ‚gespaltener Persönlichkeit’ macht Hoffmann zum Vorläufer von Pirandellos Ich-Spaltung[14]
Dr. Tiziana Corda ist Literaturwissenschaftlerin und Fremdsprachenlehrerin. Sie promovierte über „E.T.A. Hoffmann und Carlo Gozzi. Einflüsse der Commedia dell’Arte und der Fiabe Teatrali auf Hoffmanns Werk“. (→ Forscherprofil)
Märchen/Kinderbücher
Von Anfang an waren es aber die Märchen, die auch beim jüngeren Lesepublikum großen Erfolg hatten: Mastro Pulce (Meister Floh), Il Piccolo Zaccheo detto Cinabro (Klein Zaches genannt Zinnober) und vor allem Der Nussknacker sind die beliebtesten. Letzteres wurde seit den 1950er Jahren in unzähligen Editionen, auch Schulausgaben herausgegeben. Beachtenswert ist eine 2011 im Cideb Verlag erschienene Ausgabe, welche mit interessantem Begleitmaterial und kreativen Arbeitsblättern versehen ist. Die schönen Illustrationen stammen von Anna und Elena Balbusso[15]
Noch bevor die Geschichte von Nussknacker und Mäusekönig durch Tschaikowskys Vertonung zu einem der populärsten Ballette der Welt wurde, kannte das italienische Publikum die Geschichte vom kleinen Wechselbalg in Hoffmanns Klein Zaches genannt Zinnober. Eine erste Übersetzung des Märchens lag bereits 1892 vor.[16]
Nach mehr als einem Jahrhundert erlebt das Märchen vom Kleinen Zaches eine sehr schöne Edition, die kürzlich im Verlag Nottetempo erschienen ist.[17] Die Übersetzung stammt von Carlo Pinelli, einem der bedeutendsten Hoffmann-Übersetzer; der bekannte Illustrator und Grafiker Steffen Faust hat die Zeichnungen angefertigt. Die Herausgeberin Ginevra Bompiani interpretiert in ihrem Vorwort das Märchen vom kleinen Wechselbalg, der infolge eines Verwechslungszaubers für jemand anderen gehalten wird, als moderne Lehrfabel unserer Zeit, in welcher das Falsche und das Wahre, das Reale und das Imaginäre nicht scharf voneinander getrennt werden können.
Bibliographie (Eine Auswahl)
Werkausgaben
Eine erste Gesamtausgabe der Romane und Erzählungen Hoffmanns erfolgte erst 1969 bei dem großen Verlag Einaudi.[18] Die Ausgabe war jedoch nicht ganz vollständig; der Erzählzyklus der Nachtstücke erschien erst 1994. Es folgten mehrere Auflagen der einzelnen Werke, aber keine neue Gesamtausgabe in italienischer Sprache. Was lange ein dringendes Desiderat in der italienischen Hoffmann-Rezeption gewesen ist, wird seit 2013 von einem römischen Verlag, L’orma, erfüllt. In der von Matteo Galli – Germanist und Hoffmann-Experte, herausgegeben Reihe „Hoffmanniana“ sind bereits 5 der geplanten 10 Bände erschienen: Notturni (Nachtstücke, 2013), Gli Elisir del diavolo (Die Elixiere des Teufels, 2013), Le Fiabe (Die Märchen, 2014), Il gatto Murr (Kater Murr, 2016), L’uomo della sabbia ed altri racconti (Der Sandmann und andere Erzählungen, 2016). Das Letztere ist auch als Hörbuch erschienen. Sehr aufschlussreich und ausführlich sind die Einleitungen von den Herausgebern und Übersetzern, Matteo Galli und Luca Crescenzi, die bereits in den 1990er Jahren Hoffmanns Werke für andere Verlage übersetzt haben. Ihre neuen Übersetzungen haben mit ihrem fließenden Duktus die ‚Unebenheiten’ Hoffmanns Sprache geglättet.[19]
Einzelausgaben
Automata: tre racconti sulla musica. (Übers. von Cristina Alietti). Milano: Auditorium 2011. 94 S. [Enth: Il consigliere Krespel (Rat Krespel); Gli automi (Die Automate); Il poeta e il compositore (Der Dichter und der Komponist)].
Lo Schiaccianoci: una fiaba di Natale. (Der Nussknacker. Ein Weihnachtsmärchen). Mit 62 Originalzeichnungen von Aurelia Fronty. Roma: Donzelli, 2011. ( Schiaccianoci e il re dei topi / di E.T.A. Hoffmann e Storia di uno schiaccianoci / di Alexandre Dumas. – Übers. von Irene Fantappiè und Camilla Diez).
Der Nussknacker. Bearb. von A. Liberati und M. De Meglio ; illustr. von Anna und Elena Balbusso. Genua; London: Cideb, 2011.
La prima notte dei vampiri: diciotto storie pericolose. Einl. von C. Pagetti. Torino: Einaudi 2010.
La finestra d’angolo del cugino. (Des Vetters Eckfenster) Hg. von M. Cometa. Venezia: Marsilio 2008.
Lo Schiaccianoci; illustr. von R. Innocenti. Cornaredo[Milano]: La Margherita 2008.
Racconti notturni. Eingef. von C. Magris; übers. von C. Pinelli e A. Spaini. Ed. 5. Torino: Einaudi 2005.
Anmerkungen
[1] Contes fantastiques, Bruxelles: Hauman 1830
[2] Contes nocturnes, Hauman, 1831
[3] Racconti, Mailand: Truffi 1835
[4] Kreisleriana: scritti del maestro Giovanni Kreisler; übers. von R. Pisaneschi. Lanciano: Carabba 1923
[5] B. Tecchi: Le fiabe di E. T. A. Hoffmann. Firenze: Sansoni 1962
[6] S. Freud in „Das Unheimliche, 1919
[7] Claudio Magris: L’altra ragione: tre saggi su Hoffmann. Turin: Stampatori 1978, S. 83
[8] Luca Crescenzi: Einl. zu Die Elixiere des Teufels in: I 7 magnifici capolavori della letteratura tedesca. Rom: Newton Compton Ed. 2013
[9] Descrizione e desiderio: i quadri viventi di E.T.A. Hoffmann. Roma: Meltemi 2005
[10] Vedere. Lo sguardo di E.T.A. Hoffmann. Palermo: Duepunti 2009
[11] Esaltazione demoniaca: Hoffmann e i classici. Firenze: l’Autore Libri Firenze 2002
[12] Cora, Sieglinde: Un poetico sonnambulismo e una folle passione per la follia. Florenz: Univ. Press 2013
[13] E.T.A. Hoffmann. Vita e opere. Bd. I. Vita, romanzi, fiabe. Milano: Vita e Pensiero 2015; Bd. 2 im Druck
[14] Vgl. dazu auch Moraldo, S.: Wandlungen des Doppelgängers, Shakespeare – E.T.A. Hoffmann – Pirandello. Frankfurt a. M. [u.a.]: Lang 1996
[15] Der Nussknacker. Bearbeitet von A. Liberati und M. De Meglio; illustriert von Anna und Elena Balbusso. Genua, London: Cideb, 2011; 64 p. (Audio-CD).
[16] Il nano Zaccaria soprannominato Cinabro /di Teodoro Guglielmo Hoffmann. Versione italiana di Luigi Agnes. Milano: Sonzogno 1893
[17] Il piccolo Zaccheo detto Cinabro. Rom: Nottetempo 2016
[18] Romanzi e racconti in 3 Bdn. Hg. von C. Pinelli, mit einem Vorwort von C. Magris. Übers. von C. Pinelli, A. Spaini und G. Vigolo. Turin: Einaudi 1969
[19] Patrizio Collini, „Il diavolo sopra Berlino“, in „L’ Indice dei libri del mese“, 2/2014, S. 7, Rezension
Literatur
Bordoni, Carlo: La dismisura immaginata: Hoffmann e la letteratura fantastica. Chieti: Solfanelli 2009.
Cometa, Michele-Alan Montandon: Vedere. Lo sguardo di E.T.A. Hoffmann. Palermo: Duepunti 2009.
Cora, Sieglinde: Un poetico sonnambulismo e una folle passione per la follia: la romanticizzazione della medicina nell’opera di E.T.A. Hoffmann. Firenze: Firenze Univ. Press 2013.
Furbetta, Luciana: Esaltazione demoniaca: Hoffmann e i classici. Firenze: l’Autore Libri Firenze 2002.
Galli, Matteo: L’officina segreta delle idee: E.T.A. Hoffmann e il suo tempo. Firenze: Le lettere [1999].
Moraldo, Sandro: E.T.A. Hoffmann. Vita e opere. In 2 Bdn. Bd. I. Vita, romanzi, fiabe. Milano: Vita e Pensiero 2015.