Vom Studenten zum Richter
Schon zu Beginn der juristischen Biographie E.T.A. Hoffmanns erweist sich die Beziehung zwischen Künstler- und Juristenexistenz zwar als wechselvoll und spannungsreich, aber doch nicht als so dramatisch unauflösbar, wie sie gerade die frühen Hoffmann-Biographen gezeichnet haben.
E.T.A. Hoffmanns juristische Karriere beginnt weit vor der des Schriftstellers und des Komponisten im Sommersemester 1792. Da schreibt sich der erst 16-jährige für das Studium der Jurisprudenz an der Königsberger „Albertina“ ein und studiert dort bis 1795. Er knüpft damit an die familiäre Tradition an und erfüllt die Erwartungen an ein männliches Mitglied der bürgerlichen Familie.
Hartmut Mangold ist Rechtswissenschaftler und Germanist. Derzeit arbeitet er als Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen zu E.T.A. Hoffmann allgemein sowie zu E.T.A. Hoffmann als Jurist (→ Forscherprofil).
Studienzeit in Königsberg
In seiner Studienzeit findet die Jurisprudenz – bis auf einen Hinweis auf seinen wichtigsten Hochschullehrer – in seiner Korrespondenz überhaupt keine Erwähnung. In späteren Briefen, während seiner praktischen Ausbildung an seinen Jugendfreund Theodor von Hippel klagt er zuweilen, nicht finanziell unabhängig zu sein, zu wenig Zeit für seine Leidenschaft, die Musik zu haben, aber eben auch über die mühseligen Fortschritte seiner juristischen Karriere: „Mit meiner juristischen Laufbahn geht es sehr pianissimo. Vorigen Februar meldete ich mich zum zweiten Examen, nach der hier üblichen Verzögerung wurde ich aber erst vor 3 Wochen (…) examinirt, und bin daher erst jetzt ins Referendariat eingeschritten“ [1].
Schon ein kurzer Blick auf die damals übliche juristische Ausbildung reicht allerdings aus, um zu verstehen, wie gut nachvollziehbar Hoffmanns regelmäßige Anfälle von Frustration angesichts des ausgesprochen drögen pädagogisch-akademischen Konzepts der Albertina waren:
Denn der angehende preußische Jurist des ausgehenden 18. Jahrhunderts hört an der Königsberger Universität zwar auch Vorlesungen über Naturrecht und kantische Philosophie. Vor allem aber wurde er in einem mehr und mehr verschulten Studium mit den Grundzügen des – sehr positivistischen – allgemeinen preußischen Landrechts, des Straf- und des Wechselrechts sowie Institutionen und Pandekten traktiert. Kurz gesagt: An der „Albertina“ wurde in diesen Jahren viel gepaukt und wenig studiert.
Gleichwohl: Hoffmanns Zeugnisse sind ausgesprochen gut, im Jahre 1795 wird ihm von seinem Lehrer Reidenitz bescheinigt, dass er die Lehrveranstaltungen mit „Ausgezeichnetem Fleiße“ besucht habe und „Beweise guter Repetition und vorzüglichstem Fleiße“[2] gegeben habe. Sein Freund Hippel bestätigt in seinen Erinnerungen, dass Hoffmann das Studium pragmatisch und effizient betrieb – eben als unvermeidliche Vorbereitung auf den „Brotberuf“.
Die Frage, ob Hoffmann aus der Paragraphenschinderei so etwas wie ein rechtsphilosophisches Credo mitgenommen hat, ist schwer zu beantworten. Jedenfalls hatte er in seinem wichtigsten juristischen Lehrer Daniel Christoph Reidenitz einen überzeugten Kantianer und Anhänger der kantianisch geprägten Strafrechtslehre Anselm Feuerbachs.
Rechtstheorie
Für die uns interessierende Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft lässt sich Hoffmanns rechtstheoretisches Gerüst in folgenden Sätzen zusammenfassen:
- Der Mensch ist ein freies und selbstverantwortliches Wesen, damit verantwortlich für sein Handeln und dessen Konsequenzen.
- Die Strafandrohung ist ein Appell an die Vernunft, im Wissen um die üble Folge der Tat auf deren Realisierung zu verzichten. Wer diesen Appell überhört, trägt die Verantwortung für die Folgen.
- Einem solchen Menschenbild wird nur eine Gesellschaftsordnung gerecht, die ihren Bürgern Gleichheit vor dem Gesetz, Freiheit und Selbständigkeit eröffnet, ihnen Rede- und Schreibfreiheit gewährt.
Dies soll aber erst Bedeutung gewinnen, als Hoffmann, in seinem juristischen Brotberuf etabliert, in Berlin als Richter an das politische Sondergericht des Königs, die berühmte „Königliche Immediat-Untersuchungs-Kommission“ berufen wird.
Einstweilen besteht er 1795 das Erste Juristische Staatsexamen mit Bravour.
Praxis
Auskultator in Glogau und Referendar in Berlin
Danach folgt für den jungen preußischen Juristen auf die Theorie die Praxis: Hoffmann wird in einer damals noch zweiteiligen praktischen Ausbildung zuerst „Auskultator“ – das bedeutet etwa Zuhörer – in Glogau. Er besteht dort auch erfolgreich sein zweites juristisches Staatsexamen, um dann 1798 mit Unterstützung eines in der Justizverwaltung tätigen Verwandten als „Referendar“ nach Berlin zu gelangen.
Aus der „Großstadt“ Berlin – damals etwa 150.000 Einwohner – berichtet Hoffmann 1798 seinem Freund Hippel enthusiastisch von den Besuchen verschiedener Ausstellungen, seinen Fortschritten in der Portraitmalerei und einem Tagebuch mit literarischem Anspruch, an dem er arbeitet. Mit dem gleichen, durch ironisches Understatement nur leicht kaschierten Stolz schildert er aber auch, dass er seinen Vorgesetzten, weil er sich in diesem Amte nicht ausgelastet fühlte, um mehr Arbeit gebeten habe. Diesem Wunsch kam jener umgehend nach: mit „15 Instruktionsterminen, 2 Spruchsachen, 1 Criminalsache, 2 Appellationsberichten, 2 Deductionen und einem Schlussbericht“[3].
Assessor in Posen
Künstlerischer und beruflicher Ehrgeiz scheinen sich nicht im Wege zu stehen; Hoffmann besteht das Dritte Examen so gut, dass er im Jahre 1800 von seinem Ausbilder für eine Karriere als „Rat“ – also als Richter an einem Obergericht – also für die Spitzenkarriere im Justizdienst – vorgeschlagen zum Assessor in Posen ernannt wird.
Hoffmanns Korrespondenz zeigt: Jus war für ihn das Mittel zum Zweck – und zwar der persönlichen Unabhängigkeit.
Dieser nüchternde Zugang entsprach durchaus dem Ausbildungsziel der preußischen Justiz: Die praktische Ausbildung der preußischen Juristen zielte darauf ab, eine funktionsfähige, angepasste und apolitische Führungselite heranzubilden. Schon die Tatsache, dass der mehrjährige Vorbereitungsdienst nicht bezahlt wurde, sorgte für eine soziale Auslese, die sich auf die „Stützen der Gesellschaft“ beschränkte.
Ernennung zum Regierungsrat – Versetzung nach Plock
Nach seinem dritten Examen im Februar 1800 wurde E.T.A. Hoffmann zum Assessor in Posen „mit eingeschränkter Stimme“ ernannt, am 21. Februar erfolgt seine Ernennung zum Regierungsrat.
Leider aber nicht, wie in der Versetzungsurkunde angekündigt, „zum Rath bey der südpreußischen Regierung in Posen“, sondern bei der neu-ostpreußischen Regierung in Plock. Als Ursache für diese kurzfristige Versetzung gilt die Intervention des Generals des Posener Regiments, Wilhelm von Zastrow in Berlin. Dieser war der Hauptbetroffene der so genannten „Karikaturenaffaire“:
Hoffmann soll – als Reaktion auf die gesellschaftliche Ausgrenzung der bürgerlichen Beamten durch die militärische und adlige Oberschicht der Stadt – gemeinsam mit einigen Kollegen auf einer Fastnachtsredoute selbst gezeichnete Karikaturen der dort Anwesenden verteilt haben; eine dieser Karikaturen muss von Zastrow in wenig schmeichelhafter Weise dargestellt haben.
Hoffmann hat diese zwei Jahre ohne wirkliche intellektuelle und künstlerische Anregungen als eine Zeit der Verbannung empfunden; die Tagebucheinträge dieser Jahre illustrieren dies sehr eindrücklich: So schreibt Hoffmann etwa am 3. Oktober 1803: – „Erbärmlicher Tag in jeder Hinsicht – Vor und Nachmittag bis zehn Uhr gearbeitet wie ein Pferd – gewühlt in staubigten Akten.“ [4]„
Versetzung nach Warschau und vorläufiges Ende der Karriere
Erst nach zwei Jahren kann Hoffmann die Versetzung aus der tristen Provinzstadt nach Warschau erwirken. Die erhaltenen Beurteilungen seines Vorgesetzten, des Großkanzlers von Goldbeck, für die Jahre 1802 und 1803 sind so ausgezeichnet, dass dieser durch eine Eingabe bei Friedrich Wilhelm III. Hoffmanns Versetzung am 21. Februar 1804 als Regierungsrat nach Warschau erreichen kann.
Im damaligen kulturellen Zentrum Westpreußens dagegen gelingt ihm rasch die gesellschaftliche Integration – er komponiert, gründet die „Musikalische Gesellschaft“, organisiert Soireen in dem von ihm eigenhändig mit Wandmalereien dekorierten Mnieszeckschen Palais und lernt dort einen der Freunde seines Lebens kennen, den Assessor Julius Eduard Hitzig.
Er gilt aber – ausweislich der dienstlichen Zeugnisse in der Conduiten-Liste der Jahre 1804 und 1805 – dort als ausgezeichneter Jurist: ein Zeugnis, dass ihm auch Hitzig in seinen Erinnerungen ausstellt:
„Die Anregung Warschaus „wirkte so belebend und stärkend auf ihn, dass er auch die große Last der Dienstgeschäfte, die jedes Mitglied des Collegiums drückte, mit Freudigkeit und Leichtigkeit trug. Er hatte nie Spruchreste, hielt seine Termine gewissenhaft ab, erschien früh auf dem Collegienhause, und arbeitete rasch fort, ohne sich mit Nebendingen zu beschäftigen, so daß er gewöhnlich gegen ein Uhr schon fertig war, während viele andere erst anfingen.[5]“
Ein Brief an Hippel im September 1805 scheint dies zu bestätigen: „Du weißt, daß wir jetzt Revision haben; mich kümmert das wenig, da ich keine Reste habe und gehabt habe; ich muß ja wohl frisch von der Hand wegarbeiten, um nur die Akten mit Partituren verwechseln zu können.[6]“
Die Besetzung der Stadt durch napoleonische Truppen im Jahre 1806 bedeutete mit der Auflösung der südpreußischen Verwaltung und damit auch des Gerichtes für Hoffmann wie für die Mehrheit seiner preußischen Kollegen das vorläufige Ende seiner juristischen Karriere. Hoffmann verliert sein Amt und findet, als er im Januar 1807 in Berlin eintrifft, im politisch und wirtschaftlich schwer angeschlagenen Preußen keine andere Verwendung.
Aufstieg zum Richter am Berliner Kammergericht
Nach wechselvollen Jahren in Berlin, Bamberg, Dresden und Leipzig als Theaterdirektor und Kapellmeister, Musiklehrer und -kritiker lebt diese Karriere erst im Jahre 1814 wieder auf: Der Auslöser ist Hoffmanns zufälliges Wiedersehen im Juli 1814 in Leipzig mit seinem Freund Theodor von Hippel, der mittlerweile zum Kammerpräsidenten in Berlin avanciert ist und Hoffmann offenbar seine Unterstützung beim Wiedereintritt in den Justizdienst zugesagt haben soll. Hoffmann knüpft in einem Schreiben vom 7. Juli 1814 an Hippel an dieses Versprechen an und bittet ihn um die Vermittlung einer Stelle „im preußischen Staate“, um „eine Anstellung in irgend einem StaatsBureau“[7].
Ergebnis der Bemühungen ist das Angebot des Justizministers von Kircheisen an Hoffmann, für ein halbes Jahr ohne Bezahlung beim Kammergericht zu arbeiten, um danach als Rat übernommen zu werden. Am 1. Oktober 1814 tritt Hoffmann die Stelle als „Hülfsarbeiter“, also Beisitzer ohne Stimme an, wurde am 31. Oktober 1814 an den Kriminalsenat des Kammergerichtes versetzt und erhielt am 7. Januar 1815 volles Votum, also Stimmrecht. Bis zum 22. April 1816 arbeitete er für eine Vergütung von zweimal 200 Reichstalern – nur ein Bruchteil des Richtergehaltes; erst dann wurde er zum Wirklichen Mitglied des Kriminalsenates mit 1000 Reichstalern Gehalt ernannt, das in der Folge noch zweimal erhöht wird.
Hoffmann verstand es offenbar sehr bald, die Verpflichtungen der „juristischen Walkmühle“, wie er seine Kammergerichtsratsexistenz am 12. März 1815 in einem Brief an Hippel nannte, ganz pragmatisch mit seinen literarischen Ambitionen zu koordinieren: Sein Brief an seinen alten Verleger Kunz in Bamberg am 24. Mai 1815, den er „während der Session des KriminalSenats dem Präsidenten zur Seite“ zu schreiben angibt, belegt Hoffmanns Willen, diese gesellschaftliche Doppelrolle anzunehmen und so spielerisch-ironisch wie selbstbewusst zu gestalten.
Dies ist ihm offenbar auch gelungen, denn die Zeugnisse, die ihm der Vizepräsident des Kammergerichtes, Friedrich von Trützschler in den Jahresberichten zwischen 1814 und 1821 ausstellt, sind wiederum exzellent. Aus dem am 10. Januar 1819 verfassten Jahresbericht für das Jahr 1818 stammt die oft zitierte Passage:
„Seine schriftstellerischen Arbeiten, denen er zuweilen noch die Stunden der Erholung und Muße widmet, thun seinem Fleiße keinen Eintrag und die üppige zum Komischen sich hinneigende Phantasie, die in denselben vorherrschend ist, kontrastirt auf eine merkwürdige Art mit der kalten Ruhe, und mit dem Ernst, womit er als Richter an die Arbeit geht“[8].
Am 1. Dezember 1821 erfolgte die Beförderung an den Oberappel-lationssenat des Kammergerichtes; dieses Amt hatte er bis zu seinem Tode inne. Im Zuge der so genannten „Demagogenverfolgungen“ am 1. Oktober 1819 wurde er auf Veranlassung von Trützschler zusätzlich zum Mitglied der Immediat-Untersuchungs-Kommission ernannt.
Anmerkungen
[1] Brief an Hippel vom 30. Juni 1798. Zit. nach E.T.A. Hoffmann. Briefwechsel 1. Band. Hg. von Friedrich Schnapp, München 1967, (BW I), S. 132
[2] Zeugnis von Daniel Christoph Reidenitz, Königsberg, 18. Juli 1795. Zit. nach: E.T.A. Hoffmann in Aufzeichnungen seiner Freunde und Bekannten. Hg. Friedrich Schnapp. München 1974, S. 37
[3] Brief an Hippel vom 15. Oktober 1798. Zit. nach: BW I, S. 140.
[4] E.T.A. Hoffmann. Tagebücher. Nach der Ausgabe Hans von Müllers mit Erläuterungen herausgegeben von Friedrich Schnapp. München 1971, S. 54.
[5] Hitzig: Aus E.T.A. Hoffmanns Leben und Nachlaß. Berlin 1822/23. Zit. nach : E.T.A. Hoffmann in Aufzeichnungen seiner Freunde und Bekannten. Eine Sammlung von Friedrich Schnapp. München 1974, S. 95.
[6] BW I, S. 194
[7] BW I, S. 475
[8] E.T.A. Hoffmann. Juristische Arbeiten. Herausgegeben und erläutert von Friedrich Schnapp. München 1973 (JA), S. 34