Die Verleumdungsklage Jahns gegen von Kamptz
Das eindrucksvollste Beispiel für Hoffmanns Standhaftigkeit gegenüber der preußischen Ministerialbürokratie war sein Umgang mit einer Verleumdungsklage F. L. Jahns. Auslöser für diese Verleumdungsklage war ein Artikel, den von Kamptz am 15. Juli 1819, also kurz nach Jahns Verhaftung, in die „Haude-Spenersche“ und in die „Vossische Zeitung“ lanciert hatte: Dort wurde Jahn als Demagoge, Revolutionär und Verführer der Jugend diskreditiert, der sogar den politischen Mord billige.
Jahn klagte zunächst erfolgreich gegen beide Zeitungen mit dem Ziel, den Namen des Verfassers des Pasquills zu erhalten. Als er aber erfuhr, dass von Kamptz der Verfasser war, klagte Jahn diesen am 19.11.1819 beim Kriminalsenat des Kammergerichtes an und forderte Bestrafung mit Festungshaft und öffentliche Verbrennung der Schmähschrift. Die Beweislage war für den verleumdeten Jahn also ausgesprochen gut, denn die Herausgeber beider Zeitungen hatten von Kamptz als den Urheber des Paquills genannt. Die „Vossische Zeitung“ hatte über das Gericht sogar einen Brief von Kamptz´ zur Verfügung gestellt, der seine Urheberschaft bewies. Auch die möglichen Einwände, von Kamptz könne im Amte und auf Anweisung des Staatskanzlers gehandelt haben, konnte Jahn widerlegen: Der Artikel war anonym und ohne Unterschrift, konnte also nicht von Amts wegen veröffentlicht worden sein; die Umstände sprechen im übrigen eindeutig gegen eine dienstliche Anweisung an von Kamptz.
Hartmut Mangold ist Rechtswissenschaftler und Germanist. Derzeit arbeitet er als Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Veröffentlichungen zu E.T.A. Hoffmann allgemein sowie zu E.T.A. Hoffmann als Jurist (→ Forscherprofil).
Hoffmann als Untersuchungsführer
Aus der Perspektive der preußischen Demagogenverfolger muss diese Klage Jahns gegen das schärfste Schwert des preußischen Innenministeriums jedoch eine Infamie gewesen sein. Und der Präsident des Kammergerichtes, Woldermann, vermutete nicht ganz zu Unrecht, dass Hoffmann als Untersuchungsführer nicht das politisch „Nahe Liegende“ – die rasche Einstellung des Verfahrens – sondern das juristisch Angemessene – die Aufnahme der Ermittlungen – verfügen würde.
Recht hatte Woldermann, er war mit seinem Dekret vom 20.11.1819, das Hoffmann mit juristisch fadenscheinigen Argumenten zur frühzeitigen Einstellung des Verfahrens angeregen sollte, nicht erfolgreich: Am 30.11.1819 verfügte Hoffmann mit einem „decretum ex conclusio“ – also einer vom ganzen Kriminalsenat mitgetragenen Entscheidung – die Eröffnung des Beleidigungsverfahrens und lud von Kamptz „in gewöhnlicher Art“ [1] vor.
Dabei kehrte er sogar das Argument seines Präsidenten, von Kamptz hätte als Beamter gehandelt und wäre damit nur dem Disziplinarrecht unterworfen, gegen den Beschuldigten: Hoffmann argumentierte, dass die Bestrafung von Beleidigungen nicht nur unabhängig von der Beamteneigenschaft erfolge, sondern dass das Allgemeine Preußische Landrecht eine in Amtsfunktion begangene Beleidigung sogar als strafschärfend betrachte. Hoffmann stützte sich dabei ausgerechnet auf ein Dekret, das in den vom Beschuldigten von Kamptz herausgegebenen „Jahrbüchern für Preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung“ im Jahre 1815 veröffentlicht und kommentiert wurde.
Eröffnung der Klage
Und konsequenterweise informierte Hoffmann mit einem Schreiben vom 30.11.1819 den Dienstherrn von Kamptz´, den preußischen Innenminister über die Klageeröffnung und fragte an, ob dieser eine disziplinarrechtliche Verschärfung der Strafe für geboten halte.
Man kann davon ausgehen, dass der preußische Innenminister diese Anfrage als noch unverfrorener ansah als die Beleidigungsklage Jahns; die Reaktion erfolgte unmittelbar über Hoffmanns Dienstherrn, den Justizminister von Kircheisen: Er erteilte die Anweisung, das Verfahren unverzüglich zu sistieren, also auszusetzen; von Kamptz sei als Regierungsbeamter wegen seiner Diensthandlungen nicht den ordentlichen Gerichten, sondern lediglich dem König unterworfen; im übrigen müsste zunächst das Verfahren gegen Jahn geführt werden, da erst seinem Ausgang die Frage der Richtigkeit der im Pasquill aufgestellten Behauptungen zu beantworten wäre; das Vorgehen des Kammergerichts führe dagegen zu den „auffallendsten und nachtheiligsten Anomalien“[2].
Das Kammergericht ließ sich von dieser Anweisung jedoch nicht einschüchtern, sondern bewies seinem obersten Juristen, dass er sowohl verfahrens- wie materiellrechtlich im Unrecht war: Die Königliche Kabinettsorder aus dem Jahre 1815 nahm vom Weisungsrecht des Justizministeriums „Entscheidungen durch Urteil und Recht“ – also juristische Sach- und Verfahrensentscheidungen – der IUK ausdrücklich aus.
Im übrigen seien weder der Beamtenstatus von Kamptz´ noch der Ausgang des Verfahrens gegen Jahn von Einfluss auf die Zulässigkeit des Verleumdungsverfahrens. Sie führten nicht zur Straflosigkeit einer Verleumdung. Vielmehr liege „darin ein abnormes, den Gesetzen widersprechendes Verfahren, wenn ein Verbrechen öffentlich bekannt gemacht wird, dessen der Angeklagte weder überführt noch geständig ist <….>.[3]“
Ende des Verfahrens
Zwar hatte das Kammergericht die besseren juristischen Argumente, doch blieb der Justizminister unbeeindruckt und gab die „wiederholte Anweisung“ zur Abweisung der Klage. Die gesamte Kammer verweigerte die Einstellung des Verfahrens erneut, weil „auch die höchsten Staatsbeamte nicht außer dem Gesetz gestellt, vielmehr demselben, wie jeder andere Staatsbürger unterworfen sind“[4]. Nur der König als oberster Richter könne die Beendigung von gerichtlichen Verfahren verfügen.
Deshalb musste schließlich Friedrich Wilhelm III. persönlich dem Verfahren ein Ende machen; mit seiner Autorität als oberster Richter Preußens verfügte er am 13. 3. 1820 die Einstellung des Verfahrens. Der massive Widerstand des Kammergerichts offenbart aber die hohe Bereitschaft der preußischen Justiz, die wenn auch begrenzte Unabhängigkeit gegen die politisch motivierten Interessen der Ministerialbürokratie zu verteidigen.