Auf den Spuren E.T.A. Hoffmanns und Sigmund Freuds
Manfred Purzers Die Elixiere des Teufels (BRD 1976)
Regie und Drehbuch
Nur drei Jahre nachdem der Regisseur Ralf Kirsten erstmals dem spätromantischen Roman Die Elixiere des Teufels filmische Gestalt gab, zog 1976 die Bundesrepublik nach: Unter der Regie des Münchner Filmemachers und Drehbuchautoren Manfred Purzer (geb. 1931) kam eine zweite Filmadaption unter dem gleichen Titel in die Kinos (Abb. 1). Purzers süddeutsche Filmvariante der Elixiere des Teufels war eine Koproduktion zwischen der Roxy/Divina Film, München und dem Bayerischen Rundfunk (BR), der seine Uraufführung am 4. November 1976 in München erlebte. Nach dem Thriller Das Netz (1975) nach Hans Habe war die Hoffmann-Verfilmung für Manfred Purzer, der ab den 1950er Jahren vor allem als Regisseur von kurzen Dokumentar- und Kulturfilmen in Erscheinung trat, die zweite Regiearbeit für einen Kinofilm. Wie schon zuvor in Das Netz schrieb er auch hier das Drehbuch.
Anett Werner-Burgmann ist Kunsthistorikerin und Literaturwissenschaftlerin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Literaturverfilmungen der UFA & DEFA, Filmszenographie und Filmgeschichte der DEFA.
(→ Forscherinnenprofil)
Die Besetzung der Hauptfiguren
Besetzt wurde die Hauptrolle des Kapuzinermönches Franziskus bzw. Medardus mit dem Bundesfilmpreisträger Dieter Laser, der gleich in einer Dreifachrolle brillierte (Abb. 2). Laser bereitete sich vor, indem er selbst eine Woche bei den Kapuzinermönchen in Münster lebte und „alle ihre Exerzitien und Gebete mit[machte]“. [1] Sogar bei der Kostümausstattaung sollen die Mönche selbst Hand angelegt haben: „Bruder Wendelin – der Bruder Schneider – nähte für Laser die Kapuzinerkutte, die er im Film trägt und die auch als Muster für die Anfertigung aller anderen benötigten Kutten diente“. [2] Neben Laser, der laut Purzer die „Idealbesetzung“ war, spielte der Schweizer Peter Brogle den lebhaften Friseur Peter Schönfeld, der den Kapuzinermönch aus brenzligen Situationen rettet (Abb. 3). Die weiblichen Hauptrollen – die junge Aurelie und ihre betörende Stiefmutter, die Baronin Euphemie – wurden von österreichischen Theater- und Filmschauspielerinnen übernommen: Sylvia Manas (Aurelie) und Christine Buchegger (Euphemie). Der Schauspieler und Schriftsteller Christof Wackernagel spielte Hermogen, den Bruder Aurelies. [3] Rudolf Fernau, der sich schon zu UFA-Zeiten in den 1930/40er Jahren einen Namen machte, war in der Rolle des Priors Leonardus zum letzten Mal in einem Kinofilm zu sehen. [4]
Das Filmteam
Zum Filmteam gehörten außerdem der österreichische Kameramann Charly Steinberger (1937–2019), der schon für Das Netz mit Purzer zusammenarbeitete, und der Szenenbildner Peter Rothe (geb. 1935), der in den 1970er Jahren v.a. für die Ausstattung der bundesdeutschen Filmreihe Schulmädchen-Report (1970–1980) tätig war. Für das Kostümbild wurde mit Charlotte Flemming (1920–1993) eine der wichtigsten deutschen Kostümbildnerinnen engagiert. Sie entwarf opulente historisierende Kostüme für diese Literaturverfilmung, die sich einerseits mit Schutenhüten und weit ausladenden Gewändern an der Mode der 1830er Jahre orientierten, andererseits aber mit Kostümelementen wie runden, breitkrempigen Hüten auch ans späte 19. Jahrhundert anknüpften (Abb. 4).
Die Elixiere des Teufels als psychoanalytisches
Bewusstseinsdrama?
Stab „Die Elixiere des Teufels“
Regie: Manfred Purzer
Drehbuch: Manfred Purzer
Kamera: Charly Steinberger
Schnitt: Wolfgang Schacht
Musik: Hans-Martin Majewski
Purzers Filmversion der Elixiere des Teufels orientiert sich auf der Handlungsebene näher an der literarischen Vorlage als die gleichnamige Adaption durch die DEFA und Barrandov, die gerade zu Filmbeginn und -ende ihre eigene Narration entwirft und die Handlung stark kürzt.
Die Handlung
Purzer folgt in allen wesentlichen Punkten den Stationen des Kapuzinermönchs Medardus, der im Kloster die Aufsicht über die Reliquien erhält, unter denen sich auch eine geheimnisvolle Weinflasche befindet, die aus dem Nachlass des heiligen Antonius stammen und die die sagenumwobenen Elixiere des Teufels enthalten soll. Der junge Mönch erliegt der Versuchung und kostet von den Elixieren, die ihm von nun an zu ungeahntem rhetorischem Talent verhelfen. Der Prior des Klosters schickt Medardus zum Papst nach Rom, nachdem sich eine junge Baronesse in den Kapuzinermönch und erfolgreichen Prediger verliebt hat. Auf seiner Pilgerreise erlebt Medardus unerwartete Abenteuer. So begegnet er in einer öden Gebirgslandschaft seinem Doppelgänger, dem Grafen Viktorin, wie Medardus später erfährt, den der Mönch in die Flucht schlägt und dessen Uniform er annimmt. Auf dem Schloss spielt er für die Baronin, die von den vorangegangenen Ereignissen nichts ahnt, den Grafen Viktorin in der Kapuzinerkutte. Sein zweiter Doppelgänger ist ein wahnsinniger Mönch, der ihm ebenso zum Verwechseln ähnelt. Dieser begeht in dessen Namen schreckliche Verbrechen, die Medardus fortan zur Last gelegt werden. Einzig der Barbier Peter Schönfeld ist von der Unschuld des Protagonisten überzeugt und dessen Einfallsreichtum ist es zu verdanken, dass Medardus seinen Kopf aus der Schlinge ziehen kann. Er entkommt seinen Verfolgern und dem Galgen. Angekommen in der heiligen Stadt tut er Buße. Seine öffentliche Selbstkasteiung beeindruckt nicht nur die Armen der Stadt, die Medardus als Heiligen verehren, sondern auch den Papst. Der Dominikanerorden sieht seinen Einfluss schwinden und der Kapuzinermönch wird Opfer einer Intrige.
Eine Verbindung zu Freud
Der kurze Abriss zeigt bereits, dass das Doppelgängermotiv bei Purzer eine zentrale Rolle spielt, wohingegen beispielsweise die Liebesgeschichte zwischen dem Mönch und Aurelie, auf die sich die koproduzierte Vorgängerverfilmung konzentrierte, kaum ausgestaltet wird. Doch wer sind diese Doppelgänger, die dem Kapuzinermönch so täuschend ähnlich sehen? Die Filminszenierung beantwortet diese Frage mit Sigmund Freud und der Psychoanalyse. Schon die Presseinformationsmappe zum Film setzt mit den Worten ein:
„Lange bevor Sigmund Freud den Begriff der Schizophrenie in die Psychiatrie eingeführt hat, schrieb E.T.A. Hoffmann das Bewußtseinsdrama des jungen Mönchs Medardus, dessen Abenteuer in der Reliquienkammer des Kapuzinerklosters von Bamberg beginnen.“ [5]
Darsteller*innen „Die Elixiere des Teufels“
Medardus: Dieter Laser
Aurelie: Sylvia Manas
Euphemie: Christine Buchegger
Peter Schönfeld: Peter Brogle
Prior Leonardus: Rudolf Fernau
Cyrill: Karl Maria Schley
Spiridon: Martin Rosen
Der wahnsinnige Mönch ist hier das ,böseʻ Alter Ego des Filmhelden. Damit greift der Film eine Interpretation auf, die gerade in den Literaturwissenschaften der 1970er Jahre reüssierte. [6] Bereits der Filmbeginn gibt dem Publikum die Leserichtung klar vor, indem erklärt wird, dass E.T.A. Hoffmann bereits 80 Jahre vor Sigmund Freud das Doppelgängermotiv gestaltet habe. In der Tat hatte Freud Die Elixiere des Teufels gelesen, und er führte den Roman auch als Beleg in seinem Essay über Das Unheimliche (1919) an. Purzer sieht beinahe 60 Jahre später direkte Parallelen zu Freuds Psychoanalyse. Er ist überzeugt:
„Hoffmann hat mit seinem Roman den Zustand einer Bewußtseinsspaltung dramatisiert, lange bevor Freud ihn definierte. Ich habe versucht, diese Schilderung möglichst werkgetreu zu übernehmen, die Atmosphäre der ,Poesie des Grauensʼ, die Hoffmanns Werk auszeichnet, auch in den Film einzubringen.“ [7]
Welche Taten begeht Medardus und welche nicht? Verfügt der Filmheld doch offenbar über ein zweites verwahrlostes Ich. Was ist Wahn und was ist Wirklichkeit? Für das Publikum sind diese Fragen schwer zu beantworten, denn mit dem Fortschreiten der Filmhandlung verschwimmen die Grenzen zusehends. Mit diesem Verwirrspiel zeigen sich auch Analogien zum Vorgängerfilm, bei dem ebenso bewusst Traum und Wirklichkeit ineinander übergehen. Dort erscheint der Filmheld Franziskus allerdings als erkennbar unschuldig und v.a. als geistig gesund. Während hier eine intrigante Gesellschaft die Wurzel allen Übels ist, sieht Purzer Medardus eher als Opfer einer schizophrenen Geistesstörung.
Made in Bavaria – Authentizität und Originalschauplätze
Laut dem Regisseur nahmen die Vorarbeiten zum Film etwa sechs Monate in Anspruch. Auf die Frage hin, warum sich Purzer für diese literarische Vorlage entschied, erklärte er gegenüber der Frankfurter Allgemeinen:
„E.T.A. Hoffmann hat mich schon immer fasziniert […]. In meiner Schulzeit, als sich meine Freunde über Karl May oder J.F. Cooper hermachten, habe ich E.T.A. Hoffmann verschlungen. Nun hat sich die Gelegenheit ergeben, aus diesem Jugenderlebnis einen Film zu machen.“ [8]
Die Handlung verortet der Filmemacher in weiten Teilen in Bayern und damit in der eigenen Heimat. So ist das Schloss Eurasburg in Oberbayern ein Schauplatz, wo das Filmteam unter anderem das Filmset für die Räume der Baronin Euphemie einrichtete (Abb. 5). Während der Dreharbeiten in dem Schloss der Spätrenaissance soll es zu einer Verpuffung und infolgedessen zu einem Brand gekommen sein, ausgelöst durch Kunststoffe, aus denen ein roter Vorhang und die Blumen bestanden. [9] Purzer erinnert sich:
„Zum Glück waren die Dämpfe nach oben gestiegen, so daß die Explosion nur im oberen Teil stattfand. Christine Buchegger, die Darstellerin der Euphemie, die ,totʻ auf dem Boden lag, bekam überhaupt nichts mit. Wenn der dünne Seidenfummel, den sie anhatte, Feuer gefangen hätte – nicht auszudenken …Alle anderen Beteiligten jedoch, Schauspieler und Regiestab, waren ,oben herumʻ angesengt: Haare, Augenbrauen, Wimpern. Im Film sieht das Feuer übrigens ausgesprochen echt aus.“ [10]
Der Einsatz von günstigen Materialien wie Kunststoffen war in der Entstehungszeit des Films nicht unüblich. Bei den Drehorten wurde, wo es möglich war, auf Authentizität gesetzt und on location gedreht. In seinem Streben nach Originalschauplätzen statt Studiowelten sind Purzers Elixiere des Teufels mit Ralf Kirstens Filminszenierung durchaus vergleichbar, auch wenn in verschiedenen Klosterkirchen gedreht wurde. Suchte Kirsten mit seiner Filmcrew lange nach einem originalen Klosterbau für die Dreharbeiten, das sie schließlich im Kloster Unser Lieben Frauen in Magdeburg fanden, war es auch für Purzer wichtig, das Klostermilieu möglichst glaubhaft auf die Leinwand zu bringen. Der Filmemacher suchte daher den Kontakt zum Kapuzinerorden:
„Das gehörte ja zu meinen Vorbereitungen. Die Münchner Kapuziner allerdings haben mir, nachdem sie das Drehbuch gelesen hatten, die Türe vor der Nase zugeschlagen. Ein Kapuziner – so wurde mir klargemacht – sei niemals unkeusch, auch nicht in Gedanken, ergo wurde jede Hilfestellung verweigert. Ganz anders reagierten die Kapuziner von Münster. Sie haben meinen Hauptdarsteller Dieter Laser als Gast ins Kloster aufgenommen und ihm erlaubt, mönchische Mentalität und den Rhythmus des Klosterlebens eingehend zu studieren.“ [11]
Trotz der Vorbehalte glückte letztlich das Unternehmen und auch die Dreharbeiten erfolgten in Oberbayern und zwar in der Klosterkirche in Seeon. [12] Die Aura des Originalen war Purzer offenbar ebenso wichtig wie Kirsten. Hier zeigt sich einmal mehr, dass der Dreh an Schauplätzen außerhalb eines Atelier- bzw. Studioraumes in den 1970er Jahren eine stilistische Strömung ist, die von ost- wie westdeutschen Filmemachern gleichermaßen umgesetzt wurde.
Zeitgenössische Rezensionen
„Nicht ausgereiftes Grusical“
Wie wurde die westdeutsche Inszenierung der Elixiere des Teufels, die nicht in den Kinos der DDR lief, aufgenommen? [13] Die Elixiere des Teufels entwickelten sich nicht zu einem Publikumserfolg, und die zeitgenössische Filmkritik verriss den Film meistenteils, was die folgenden Presseberichte zum „dramaturgisch nicht ausgereifte[n] Grusical“ eindrücklich zeigen können. [14] So sind die Besprechungen in der Süddeutschen Zeitung oder der Frankfurter Allgemeinen wenig enthusiastisch.
Frankfurter Allgemeine
Der Feuilletonist und Kritiker der Frankfurter Allgemeinen Siegfried Diehl urteilte:
„In den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren hätte dieser deutsche Film als deutscher Film nicht besser gemacht werden können. […] Heute aber darf man glücklicherweise auch hierzulande von einem Lichtspiel, das sich mit einem berühmten Titel aus der Literaturgeschichte schmückt, mehr erwarten als die platte Umsetzung von inneren Vorgängen in äußere Spukerscheinungen, die Ausbeutung von willkürlich zusammengesetzten Kino-Effekten für einen lächerlichen Gespenster-Naturalismus. […] Wahrscheinlich hat auch der Regisseur zuviel von dem ,Syrakuserʻ des heiligen Antonius getrunken.“ [15]
Süddeutsche Zeitung
Vergleichbar negativ bewertete die Süddeutsche Zeitung die Literaturadaption: „Handwerklich […] hat Purzer mit einer etwas kühlen Glätte gearbeitet, ohne nennenswerte Einfälle oder Hilflosigkeiten; man sieht auch, wie er gegen das Überspielen seiner Darsteller, die immer wieder agieren, als müßten sie die oberen Ränge des Olympiastadions überzeugen, kontinuierlich einzuschreiten versucht. Daß daneben einige ambitionierte Ansätze zur Montage fehlschlugen, fällt nicht so ins Gewicht: hier artikuliert sich wenigstens ein bißchen Mut zum Risiko für den man zu diesem Zeitpunkt längst dankbar ist, weil er den Konfektionszuschnitt des Films unterbricht. Mit E.T.A.-Hoffmann hat das nicht mehr gemein als dessen Roman mit jenem ,Mönchʻ von M.G. Lewis, der den ,Elixierenʻ als Vorlage diente. Und als deutscher Horrorfilm, als Antwort auf den ,Exorcistʻ mitsamt seinen Nachfolgern […] ist Purzers Adaption einfach zu zaghaft und vordergründig.“ [16]
Deutsche Zeitung Christ und Welt
Einzig der Kritiker Eckhard Schmidt rezensierte Purzers Literaturverfilmung wohlwollend:
„Manfred Purzer […] brilliert in den ,Elixieren des Teufelsʻ mit einer handwerklichen Perfektion, wie sie im deutschen Film rar geworden ist: Da stimmt jeder Effekt, da sitzt jede Szene, da ist man im Bann eines Films, der es mit dem Unterhaltungsfilm-Niveau der Amerikaner, Engländer oder Franzosen durchaus aufnehmen kann. Nur Roland Klick (,Supermarktʻ) oder Volker Schlöndorff haben bei uns in letzter Zeit bewiesen, daß sie imstande sind, Kino so gekonnt zu machen wie dieser junge Regisseur.“ [17]
Rheinischer Merkur
Kritiker lasteten dem Film zudem die Konzentration auf die männlichen Filmcharaktere an sowie den zögerlichen Umgang mit Erotik und Sexualität, allesamt Elemente, die für den Roman kennzeichnend sind:
„Zum bisherigen Mißerfolg des Films trug bei, daß er fast ausschließlich mit Männern besetzt ist; da die wichtigsten Figuren Ordenslaute sind, kann der Kuttenträgerfilm einem ganz schön auf die Nerven gehen. Die höfischen Elemente werden beschnitten, die erotischen werden verdrängt. Man braucht kein Anhänger der pornographischen Welle zu sein. Aber wenn Hoffmann, im ,Nachtragʻ des Paters Spiridion, Bibliothekar des Kapuzinerklosters in Bamberg, erklärt, die Mönche hätten in der Nacht vor Medardusʼ Tod von einer widerwärtigen Stimme die Worte vernommen ,Komm mit mir, Brüderchen Medardus, wir wollen die Braut suchenʻ, dann hätte dies Motiv attraktivere Bilder hergegeben als schreiende und tobende Partres, die der Teufel geholt hat. Hoffmanns Thema war moderner als dieser Film: Spaltung des Menschen zwischen Geist und Sexualität, wobei durchaus nicht gesagt werden sollte, daß ein eitler Prediger besser sei als eine unglücklich liebende Frau.“ [18]
Vergleich zu Kirsten
Im Gegensatz zu Manfred Purzer setzte Ralf Kirsten in Die Elixiere des Teufels durchaus auf starke Frauencharaktere wie die junge Aurelie, die bewusst zeitgenössisch wirkt. Angesichts der expliziten erotischen Darstellungen, was den tschechoslowakischen Koproduktionspartner verstimmte, wirkt die bundesdeutsche Variante weniger mutig. [19] Das bedeutet allerdings nicht, dass der Münchner Filmemacher gänzlich auf Sinnlichkeit verzichtete (Abb. 6). Ob sich Purzer mit der Vermeidung allzu eindringlicher erotischer Szenen bewusst von dem Vorgängerfilm abgrenzen, oder ob er in Zeiten bundesdeutscher Filmförderungspolitik keinen Skandal riskieren wollte, um mögliche kommende Filmprojekte nicht zu gefährden, muss an dieser Stelle offen bleiben.
Kritik an der Finanzierung
Die Filmförderungsanstalt nahm Siegfried Diehl in der Frankfurter Allgemeinen allerdings ebenso ins Visier der Kritik:
„Manfred Purzers erster Spielfilm […] ,Das Netzʼ wurde von der Projektkommission der Filmförderungsanstalt, deren Vorsitzender Purzer ist, mit 600 000 Mark unterstützt. Der Wirbel, der diese merkwürdige Entscheidung begleitete, ist an den Beteiligten wenigstens nicht ganz spurlos vorübergegangen. Zwar soll der Produzent nun auch das zweite Purzer-Werk zur Förderung eingereicht haben, aber die Projektkommission versagte diesmal demonstrativ ihre finanzielle Hilfe.“ [20]
An finanzieller Unterstützung mangelte es dem Filmprojekt gleichwohl nicht, denn durch die bekannten Produzenten Luggi (Ludwig) Waldleitner und Ilse Kubaschewski waren Die Elixiere des Teufels gut ausgestattet. [21]
Fazit
Mit Die Elixiere des Teufels ist eine Verfilmung entstanden, die – wie die Rezensionen zeigen – durchaus umstritten war. Purzers Verfilmung nimmt zwar Elemente des Grusel- und Horrorfilms publikumswirksam auf, ohne jedoch, wie zeitgenössische Kritiker dem Film vorwarfen, ein „gewöhnliches Horrorspektakel“ zu drehen. [22] Die Adaption richtet vielmehr den Fokus auf das Bewusstsein und das komplexe Seelenleben des Protagonisten, womit sie sich nicht nur auf die Spuren E.T.A. Hoffmanns, sondern ganz ausdrücklich auch auf die eines Sigmund Freuds begibt. [23] Damit partizipiert Purzer durchaus am literarhistorischen Diskurs der 1970er Jahre. Rückte die erste Verfilmung durch Ralf Kirsten die tragische Liebesgeschichte des jungen Franziskus (respektive Medardus) in den Mittelpunkt, dessen Schicksal mit vielen Änderungen und Kürzungen filmisch neu erzählt wird, setzte das Filmpendant der Bundesrepublik auf ,Werktreueʻ, verstanden in dem Sinne, dass nicht nur der Titel und die Romanidee übernommen werden, sondern auch das Figurenpersonal sowie die Narration, die mit sehr wenigen Abweichungen auf der adaptierten Vorlage fußen. Die Verfilmungen sind keineswegs bloße Illustrationen der Romanhandlung, sondern legen unterschiedliche Schwerpunkte. So unterscheidet sich grundsätzlich die Auffassung des Hauptprotagonisten, die sich von einem passiven zu einem aktiven Helden wandelt. Beide Filmversionen legen mit Außen- und Originalschauplätzen Wert darauf, ein gewisses Maß an historischer Glaubwürdigkeit im fiktiven Spielfilm einzulösen, erheben aber nicht den Anspruch, historisch absolut korrekt zu sein. Beide Filmadaptionen zeugen somit von der neu entfachten Aufmerksamkeit für die Romantik in Ost und West der 1970er Jahre, die in beiden politischen Systemen und im Falle der DDR durchaus in Opposition zur Kulturpolitik entstand.
Anmerkungen
[1] Constantin-Film (Hg.): Presse-Informationen zu „Die Elixiere des Teufels“, o.J., unpaginiert.
[2] Ebd.
[3] Wackernagel schloss sich 1977 der RAF (Rote Armee Fraktion) an und wurde 1980 wegen Mordversuchs und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Christof_Wackernagel, 13.3.2019). Nach der Haftentlassung 1990 setzte Wackernagel seine Schauspielkarriere fort (vgl. Christina Bylow: Christof Wackernagel war Terrorist – und bäckt heute in Mali Brot. Sein Neffe Jonas Grosch ist Regisseur. Für einen Film haben sie sich gefunden Besuch beim Onkel, in: Berliner Zeitung, 19.6.2008, online unter: https://www.berliner-zeitung.de/christof-wackernagel-war-terrorist—und-baeckt-heute-in-mali-brot–sein-neffe-jonas-grosch-ist-regisseur–fuer-einen-film-haben-sie-sich-gefunden-besuch-beim-onkel-15626556, 13.3.2019).
[4] Rudolf Fernau (eigentlich Andreas Rolf Neuberger) war nicht nur NSDAP-Mitglied, sondern wurde darüber hinaus vom Reichsministerium für Volkaufklärung und Propaganda protegiert, denn so stand sein Name u.a. auf der sogenannten Gottbegnadeten-Liste von Adolf Hitler und Joseph Goebbels (vgl. Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war wer vor und nach 1945, Frankfurt a.M. 2007, S. 150 und vgl. den Wikipedia-Artikel, online unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Fernau, 13.3.2019).
[5] Constantin-Film (Hg.): Presse-Informationen zu „Die Elixiere des Teufels“, o.J., unpaginiert.
[6] Vgl. z.B. Karin Cramer: Bewußtseinsspaltung in E.T.A. Hoffmanns Roman „Die Elixiere des Teufels“. In: Mittelungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft, Nr. 16, 1970, S. 8–18 oder auch Dietrich Raff: Ich-Bewußtsein und Wirklichkeitsauffassung bei E.T.A. Hoffmann. Eine Untersuchung der „Elixiere des Teufels“ und des „Kater Murr“. Rottweil: 1971.
[7] Constantin-Film (Hg.): Presse-Informationen zu „Die Elixiere des Teufels“, o.J., unpaginiert.
[8] Ebd.
[9] Vgl., ebd.
[10] Ebd.
[11] Ebd.
[12] E.T.A. Hoffmann benennt das Kloster in seinem Roman nicht, doch geht die Forschung davon aus, dass Hoffmann das Bamberger Kapuzinerkloster vor Augen hatte.
[13] Die gleichnamige Koproduktion Die Elixiere des Teufels der DDR und ČSSR wurde im August 1978 im Fernsehen der Bundesrepublik ausgestrahlt.
[14] o.A.: Hoffmann-Film ein „Grusical“. In: Westfälische Rundschau, 18.11.1976.
[15] Siegfried Diehl: Karl May für Gänsehäutler. In: Frankfurter Allgemeine, 13.11.1976.
[16] H.G. Pflaume: Purzers Erzählungen. Zur Verfilmung der „Elixiere des Teufels“ von E.T.A. Hoffmann. In: Süddeutsche Zeitung, 18.11.1976.
[17] Eckhart Schmidt: Zwischen Wahn und Wirklichkeit. Manfred Purzers „Die Elixiere des Teufels“. Eine geglückte E.T.A. Hoffmann-Verfilmung. In: Deutsche Zeitung Christ und Welt, 12.11.1976.
[18] Kurt Hohof: Alles im dunkeln. Anmerkungen zu Manfred Purzers „Die Elixiere des Teufels“. In: Rheinischer Merkur, 3.12.1976.
[19] Vgl. Anett Werner-Burgmann: Mut zum Experiment – Die Elixiere des Teufels (1973) zwischen Mystik und Moderne. In: Filmblatt, 23. Jg., Nr. 67/68, 2019, S. 99-114.
[20] Siegfried Diehl: Karl May für Gänsehäutler. In: Frankfurter Allgemeine, 13.11.1976.
[21] Vgl., ebd.
[22] Ebd.
[23] Constantin-Film (Hg.): Presse-Informationen zu „Die Elixiere des Teufels“, o.J., unpaginiert.
Literatur
- Constantin-Film (Hg.): Presse-Informationen zu „Die Elixiere des Teufels“, o.J., unpaginiert
- Cramer, Karin: Bewußtseinsspaltung in E.T.A. Hoffmanns Roman „Die Elixiere des Teufels“. In: Mittelungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft, Nr. 16, 1970, S. 8–18.
- Diehl, Siegfried: Karl May für Gänsehäutler. In: Frankfurter Allgemeine, 13.11.1976.
- Hohof, Kurt: Alles im dunkeln. Anmerkungen zu Manfred Purzers „Die Elixiere des Teufels“. In: Rheinischer Merkur, 3.12.1976.
- o.A.: Hoffmann-Film ein „Grusical“. In: Westfälische Rundschau, 18.11.1976.
- Pflaume, H.G.: Purzers Erzählungen. Zur Verfilmung der „Elixiere des Teufels“ von E.T.A. Hoffmann. In: Süddeutsche Zeitung, 18.11.1976.
- Raff, Dietrich: Ich-Bewußtsein und Wirklichkeitsauffassung bei E.T.A. Hoffmann. Eine Untersuchung der „Elixiere des Teufels“ und des „Kater Murr“. Rottweil: 1971.
- Schmidt, Eckhart: Zwischen Wahn und Wirklichkeit. Manfred Purzers „Die Elixiere des Teufels“. Eine geglückte E.T.A. Hoffmann-Verfilmung. In: Deutsche Zeitung Christ und Welt, 12.11.1976.
- Werner-Burgmann, Anett: Mut zum Experiment – Die Elixiere des Teufels (1973) zwischen Mystik und Moderne. In: Filmblatt, 23. Jg., Nr. 67/68, 2019, S. 99-114.