Französische Illustrationen im 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert verbreitete sich E.T.A. Hoffmanns Ruhm in Ländern wie Frankreich, England, Schottland, Amerika und Russland infolge engagierter Übersetzer und Verlage sehr schnell. Er war nach seinem Tod im Ausland berühmter als in Deutschland. In Werken von Victor Hugo, Alfred de Musset, Théophile Gautier, Gérard de Nerval, Honoré de Balzac, Auguste Villiers de l’ Isle-Adam, Alexandre Dumas und Charles Baudelaire, Gogol und Dostojewskij, H.W. Longfellow und Edgar Allan Poe kann sein Einfluss in der Motivik, Erzählhandlung und Figurenzeichnung, teils sogar in der Namensgebung, nachgewiesen werden.
Elke Riemer-Buddecke beforscht seit vielen Jahren Hoffmanns Illustrationsgeschichte. 1976 publizierte sie das inzwischen als Standardwerk geltende Buch E.T.A. Hoffmann und seine Illustratoren (Gerstenberg Verlag). Aktuell beschäftigt sich Riemer-Buddecke mit Hoffmann-Porträts. (→ Forscherprofil)
Französische Künstler im 19. Jahrhundert
Bertall
Bouisset, Firmin
Chambellan, Victor Armand
Combe, Charles
David, Etienne
de Curzon, Alfred
Delacroix, Eugène
de Lemud, Aimé
Devéria, Achille
Dupont, Louis Henriquel
Foulquier, Valentin
Gavarni, Paul
Gigoux, Jean
Johannot, Tony
Lalauze, Adolphe
Ofterdinger, Carl O.
Pilaraud
Rogier, Camille
Ziegler, Jules-Claude
‚Contes fantastiques‘
In Frankreich machten seine Werke unter dem Titel Contes fantastiques durch Übersetzer wie Loève Veimars schon in den 1830er Jahren Furore und er wurde als d e r Romantiker Deutschlands gefeiert. In Künstlerkreisen, in Salons und Ateliers wurde er zitiert, wurden seine Künstlergestalten und sein Lebensstil imitiert – oder besser das, was man dafür hielt, da übersehen wurde, wie hart, oft am Rand des Existenzminimums Hoffmanns Leben tatsächlich verlaufen ist. Das genre fantastique machte Schule. Zahlreiche französische Künstler und Illustratoren widmeten sich seinem Werk, selbst Eugène Delacroix. Viele von ihnen sind zwar nicht Künstler ersten Ranges gewesen, aber damals durchaus bekannte und heute nicht selten aufgewertete Künstler. Gavarni, Bertall, Rogier, Chambellan, Combe, de Curzon und Lalauze wären in diesem Zusammenhang zu nennen. Bis tief ins 20. Jahrhundert hinein haben die Illustrationen von Paul Gavarni (1804–1866), Bertall (1820–1883, eigentlich Charles Albert Vicomte d’Arnoux) und Camille Rogier (ca. 1800–1850) nachgewirkt. Sie wurden für zahlreiche Editionen des 20. Jahrhunderts übernommen und erscheinen sogar wieder in Reprints des 21. Jahrhunderts.
Eugène Delacroix (1798–1863)
Delacroix, der berühmteste französische Maler der Romantik, schuf 1831 eine Sepiazeichnung zu Don Juan, auf der Donna Annas Besuch in der Loge des reisenden Enthusiasten dargestellt ist, den er deutlich mit Zügen E.T.A. Hoffmanns ausstattete. Da in Frankreich das Interesse vor allem Hoffmanns Entwürfen eines der Musik geweihten Künstlerlebens galt, wählte Delacroix diese musikalische Novelle und illustrierte ihren entscheidenden Höhe- und Wendepunkt. Der reisende Enthusiast wird durch Donna Annas Präsenz (eigentlich die der Schauspielerin) so in das Operngeschehen (aufgeführt wird Mozarts Don Giovanni) einbezogen, dass er sich mit Don Juans und Donna Annas Schicksal identifiziert und sich selbst in ihnen widergespiegelt sieht.
Delacroix verdeutlichte die tiefe innere Bewegung bzw. Spannung zwischen dem reisenden Enthusiasten und Donna Anna durch eine die Komposition beherrschende fallende Diagonale in der Figurengruppierung und durch gegenläufige Diagonalen bei den Einzelfiguren. Überraschung und Erschrecken, Anziehung und Abwehr prägen die schicksalhaft miteinander verbundenen Menschen. Die Darstellerin der Donna Anna wird noch in der Nacht sterben und die Vorahnung kommenden Unheils steht in den Gesichtern geschrieben. Intensive Gefühlsspannung wird so deutlich. Und dies gelingt Delacroix mit sparsamsten Mitteln. Die Loge ist nur mit wenigen Linien angedeutet.
Paul Gavarni (1804–1866)
Der als Lithograph berühmt gewordene Paul Gavarni wird häufig als Honoré Daumier (1808–1879) der Illustrationskunst bezeichnet. Er hat 200 Zeichnungen zu Hoffmanns Contes fantastques geschaffen und dies zum ersten Mal selbstständig. Die meisten Holzstiche nach seinen Zeichnungen sind eher flüchtig hingeschrieben und in den Text eingestreut, aber zehn sind ganzseitig und besonders sorgfältig ausgeführt. Sie sind dem Text mit Deutungsanspruch gegenübergestellt und von beachtlicher Qualität.
Das gilt ganz insbesondere für den Holzstich von 1843 zum Majorat: La porte murée. Dargestellt ist der alte Hausverwalter Daniel, der besessen an einer vermauerten Tür kratzt, als wäre dahinter ein fürchterliches Geheimnis verborgen. Seine gekrümmte, bis in jede Muskel erregte Gestalt ist die Verkörperung eines schlechten Gewissens, böse und zugleich erbarmungswürdig. Denn Daniel ist ein Mörder, der immer wieder an den Schauplatz seines Verbrechens zurückkehrt und seines Lebens nicht mehr froh wird. Grelles Licht fällt auf die Gestalt, ihr riesiger Schatten zeichnet sich an der Mauer ab. Die Kerze ist das einzige Requisit, nichts lenkt von ihr ab. Eine kongeniale Illustration! Karl Blechen hat ähnlich radikal psychologisiert (vgl. Illustrationsgeschichte Deutschland).
Panthéon Populaire
Wirklich volkstümlich wurde Hoffmann durch die Ausgaben des Panthéon populaire. Diese Ausgaben waren preiswert durch ein billiges Reproduktionsverfahren auf billigem Papier und waren serienhaft ausgestattet, bebildert wie Illustrierte, zweispaltig, mit Holzstichen auf jeder Seite. Alle Werke Hoffmanns erschienen so in Fortsetzungsform mit insgesamt über 350 Holzstichen nach Zeichnungen von Valentin Fouquier, Gustave Staal und Etienne David.
Französische Illustrationen im 20. Jahrhundert
Französische Künstler im 20. Jahrhundert
Alexeieff, Alexandre
Beltz, Robert
Boucher, Lucien
Boudal, Jean
de Maleville, Lucien
Eggmann, Rose-Marie
Garnier, Claude
Haroux-Métranger, Etianne
Jordic-Pignon, Georges
Laboccetta, Mario
Lagarriques, Jean
Lambert, André
L’Héritiers, Gilbert
Mar, René
Medgyès, Ladislaus
Molenaar, Hans
Ribera, J.
Salvat, Francois-Martin
Ségur, Adrienne
van Wätjen, Otto
Gegen Ende des Jahrhunderts erlosch das Interesse an Hoffmann, um ab 1910 wieder aufzublühen, jedoch in deutlich geringerem Maße als in Deutschland. Von einer wahren Hoffmann-Renaissance konnte nicht die Rede sein. Jordic-Pignon hat 1912 Hoffmanns Erzählungen wie Die Abenteuer der Silvesternacht, Klein Zaches genannt Zinnober, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Der Sandmann, Spielerglück illustriert.
Ab 1921–1932 erschienen regelmäßig ein bis zwei illustrierte, meist bibliophile Ausgaben mit anspruchsvollen, überwiegend ganzseitigen Originalgraphiken, handsigniert, mit sorgfältigem Layout und in exquisiter Papierqualität in begrenzter Auflage von bis zu 500 Exemplaren. Die individuelle Handschrift des Künstlers, Einflüsse verschiedener Kunstrichtungen, vor allem des Symbolismus, des Fauvismus, des Kubismus, der Pittura Metafisica und des Surrealismus sind ähnlich wie in der deutschen Hoffmann-Illustration zu erkennen. Das bibliophile Buch wurde zum Kunstgegenstand und Sammlerobjekt. Junge, unbekannte Künstler bekamen eine Chance: Lucien Boucher (1889–1971, Surrealist), Lucien de Maleville (1881–1964), André Lambert (1884–1967), Ladislaus Medgyès (1892–?), Otto van Wätjen (1891–1942, Deutscher, der in Paris lebte), Francois-Martin Salvat (1892–1974) und Mario Laboccetta (1899–1988).
Mario Laboccettas Illustrationen sind schon vorgestellt worden. Die 21 Radierungen von André Lambert (1884–1967) von 1924/25 zu den Contes fantastques d’Hoffmann[1] sind das besondere Highlight der französischen Hoffmann-Illustration dieser Jahre. Sowohl die Berliner als auch die Bamberger Staatsbibliothek besitzen inzwischen die exquisite bibliophile Ausgabe des Pariser Verlages Briffaut.
Illustrationen ab 1942
Ab 1942, vor allem zwischen 1950–1975, ist das Interesse an Hoffmann zwar nochmals angewachsen, aber im Vergleich zur Entwicklung in Deutschland und Russland in eher bescheidenem Ausmaß. Immerhin erschienen anspruchsvolle bibliophile Editionen mit Originalgraphiken oder Aquarellen (wenigstens ein Originalaquarell als Beigabe) zu Hoffmanns Werken, oft in Kombination mit einer Mappe. Künstler, die hier tätig wurden, waren: René Mar, Jean Boudal (1914–?), Claude Garnier, Hans Molenaar, Alexandre Alexeieff (1901–1982), Robert Beltz und Gilbert L’Héritiers (1932–2014). Die Kinderbuchillustrationen zu Nussknacker und Mausekönig und Klein Zaches genannt Zinnober wie die von Adrienne Ségur, Rose-Marie Eggmann, J. Ribera, Etianne Haroux-Métranger überzeugen durch Qualität. Besonderes Interesse verdienen Jean Lagarriques großformatige, surreale Aquarelle zu Hoffmanns Sandmann und den Bergwerken zu Falun von 1991 des Pariser Verlages Hatier.[2]
René Marund und Jean Boudal
Beachtung verdienen die kolorierten Federzeichnungen von René Mar zum Goldenen Topf und dem Sandmann von 1944, weil sie den Comic-Stil vorwegnehmen, und Jean Boudals lockere Aquarelle von 1946 zu Rat Krespel und zu Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, die stilistisch Henry Matisse verwandt und in malerischer Hinsicht sehr reizvoll sind. Sie vermitteln, was in der Hoffmann-Illustration ungewöhnlich ist: Lebensfreude und Diesseitsbejahung. Man würde sie kaum mit E.T.A. Hoffmann in Verbindung bringen, wären da nicht ihre textbezogenen Bildmotive, wie z.B. bei der Illustration zu Rat Krespel die Geige als Attribut Krespels und Krespels singende Tochter Antonie, die wegen eines Herzfehlers eigentlich nicht singen darf.
Gilbert L’Héritiers und Jean Lagarriques
Interessant sind auch L’Héritiers zwölf Aquarelle von 1973 zu den Contes fantastiques, d.h. in diesem Fall zum Sandmann, zu Rat Krespel, zum Goldenen Topf und Öden Haus. Ein Exemplar dieser exquisiten bibliophilen Edition mit Originalaquarellen befindet sich in der Berliner Staatsbibliothek. L’Héritiers Aquarelle können wegen ihrer malerischen Verve ihre fauvistische Herkunft nicht leugnen, haben aber auch surreale und phantastische Züge. Durch diese Mischung erscheinen sie als besonders geeignet für die Hoffmann-Illustration, was die Illustration zum Sandmann, zur Figur des Coppelius alias Coppola, verdeutlichen mag. Lagarriques Aquarell zu der Szene aus dem Nachtstück Der Sandmann, die Spalanzanis und Coppolas Kampf um den Automaten Olimpia gilt, ist ein Beispiel für des Künstlers Fähigkeit, mit surrealen Mitteln Unheimliches so sichtbar zu machen, dass das Grauenvolle nicht überzogen wirkt und zum Schauerkitsch verkommt (wie bei etlichen anderen Illustrationen zum Sandmann).
Alexandre Alexeieff (1901–1982)
Als Höhepunkt französischer Illustration könnten die 1960 entstandenen Radierungen von Alexandre Alexeieff, eines gebürtigen Russen, der schon 1921 nach Paris emigrierte, gewertet werden. Alexeieff hat zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin und Malerin Alexandra Grinevsky (1899–1976), neue graphische Techniken und mit seiner zweiten Frau Claire Parker, einer amerikanischen Künstlerin (1910–1981), innovative filmographische Formen entwickelt. Beides ist seinen Radierungen zu Hoffmanns Erzählungen, zu Rat Krespel, zur Jesuiterkirche in G. und zum Sandmann[3] zugutegekommen.
Radierung zu Die Jesuiterkirche in G.
Zum Beispiel bei seiner eindrucksvollen Radierung zu dem Nachtstück Die Jesuiterkirche in G. Dargestellt ist, was Napoleons französische Truppen in Neapel mit ihrer furchtbar zerstörenden Revolution angerichtet haben. Der König von Neapel hat mit seiner Gemahlin Neapel verlassen, manche Palastangehörige können, um der Wut des rasenden und mordenden Volkes zu entgehen, noch rechtzeitig fliehen, andere Bediente und der Herzog werden ermordet, der Palast brennt und die vom Maler Berthold heimlich geliebte Prinzessin Angiola T., das Idealbild seiner Gemälde, befindet sich in Todesgefahr: „Ein Weib ringt mit einem Lazzarone, der es mit starker Faust erfaßt hat, und im Begriff ist ihm das Messer in die Brust zu stoßen – Es ist die Prinzessin – es ist Berthold’s Ideal! . – Bewußtlos vor Entsetzen springt Berthold hinzu – den Lazzarone bei der Gurgel nehmen – ihn zu Boden werfen, ihm sein eigenes Messer in die Kehle stoßen – die Prinzessin in die Arme nehmen – mit ihr fliehen durch die flammenden Säle – die Treppen hinab – fort, fort…“[4]
Alexeieff hat diese dramatischen Ereignisse in einer eigenartig stillen Bildszene in der Manier der Pittura Metafisica gebündelt. Das Schreckliche des Vorgangs wird durch den starken Kontrast von Licht und Schatten deutlich sichtbar, auch durch den umgestürzten Stuhl und die Frauenleiche auf der Treppe, die Fliehenden oben im brennenden Palast und vor allem durch den überdimensionale Schatten der Bronzeplastik mit ihrer mörderischen Aussage. Es ist die Bronzeplastik des Benvenuto Cellini: Perseus mit dem Medusenhaupt aus der Mitte des 16. Jahrhunderts (Florenz). Perseus hat Medusa das Haupt abgeschlagen und hält es triumphierend in die Höhe. Alexeieff lässt nur den Schatten der Plastik wirken, so, als habe die Enthauptung der Medusa gerade stattgefunden. Ein raffinierter Schachzug. Seine mit Mitteln des Films gestaltete Komposition ist vor allem eines: unheimlich. Und damit sehr textnah.
Anmerkungen
[1] Übersetzer: Loève-Veimar, bibliophil, die ersten Ausgaben mit Originalradierungen und je einer Originalzeichnung. Insgesamt eine Auflage von 500 Exemplaren. Die Berliner sind als Erben der Sammlung Michael Duskes in den Genuss dieser Ausgabe gekommen, die E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft hat sie 1994 für die Staatsbibliothek Bamberg 1992 (?) erworben.
[2] Auf Jugendliche zugeschnitten, aber so anspruchsvoll auch in Größe und Layout, dass auch Erwachsene als Adressaten in Frage kamen.
[3] Titel: Hoffmann. Contes: Le violon de Crémone, L’église des Jesuites, Le marchand de sable. Eaux-fortes originales de Alexandre Alexeieff. Paris, Club du Livre, Pierre Bouchet, 1960.
[4] HSW, Nachtstücke, S. 135f.