Rezeption in Deutschland
Krank geschrieben. Wie Ärzte und Poeten Hoffmanns Bild vom pathologischen Künstler prägten
Pressestimmen
Obwohl E.T.A. Hoffmann schon zu Lebzeiten und in den Jahren nach seinem Tod zu den beliebtesten und meistgelesenen deutschen Schriftstellern zählte, war ihm das damalige Feuilleton nicht immer wohlgesonnen. Andreas Olbrich hat Dutzende Rezensionen zu Hoffmanns Literatur in Zeitschriften und Anzeigeblättern der Jahre 1814 bis 1823 – vom Erscheinen der Fantasiestücke bis kurz nach Hoffmanns Tod – untersucht und stellt eine große Spannbreite von Stellungnahmen fest: „Von der enthusiastischen, eine gesamte Heftnummer umfassenden Besprechung […] über eine konzis argumentierende ausführliche Betrachtung […] bis zur polemischen Auseinandersetzung reicht das Spektrum der Beiträge.“ (Olbrich 2008: 243).
Dr. Claudia Lieb ist Germanistin und Privatdozentin an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen neben der Romantik und der literarischen Moderne in den Bereichen Literatur- und Medientheorie, Geschichte der Philologie, Literatur und Wissenschaftsgeschichte sowie auf dem Feld Law and Literature. (→ Forscherprofil)
Fake News
Insgesamt ist die zeitgenössische Kritik in den Rezensionsorganen als wenig niveauvoll einzustufen. Die meisten Rezensenten verkannten Hoffmanns Literatur und sahen darin kein literarisches Werk von Weltrang, sondern lehnten es aufgrund der phantastischen Prägung ab. 1823 erschien z. B. in Hermes oder Kritisches Jahrbuch der Literatur ein Beitrag zu Hoffmanns Nachtstücken von dem Literaturkritiker Konrad Schwenck, der jede einzelne Erzählung mit einer niederschmetternden Wertung versah. Nach dem Erscheinen von Julius Eduard Hitzigs Biografie Aus Hoffmannʼs Leben und Nachlass (1823) verschob sich der Fokus der Rezensionen jedoch vom literarischen Text auf Hoffmann selbst, der als öffentliche Person sowohl streitbarer Jurist, Musiker und Schriftsteller in Personalunion war. Moralische Verurteilungen des jüngst Verstorbenen waren nicht selten.
Kollegenschelte
Nicht nur von Literaturkritikern, auch von den Kollegen aus der literarischen Welt hagelte es Kritik. Allen voran schritt im deutschsprachigen Raum Johann Wolfgang von Goethe. Er las die vernichtende Rezension von Walter Scott, On the Supernatural in Fictitious Composition; and particularly on the Works of Ernest Theodore William Hoffmann (1827), wo Hoffmanns Literatur als nicht interpretierbar und ihr Autor als Fall für den Psychiater gehandelt wurden: Es sei unmöglich, Hoffmanns Erzählungen literaturkritisch zu untersuchen, so Scott, da sie nicht die Visionen eines poetischen Geistes, sondern Fieberträume eines umnebelten Patienten seien (vgl. Scott 1827: 97).
Gesunder Klassiker, krankhafter Romantiker
Goethe schloss sich Scotts harschem Urteil über Hoffmann und dessen Werke an. Zwar kam Goethe nicht umhin, Hoffmanns „talentreiches Naturell“ zu erwähnen, doch brachte er seinen Abscheu gegen die „krankhaften Verirrungen“, ja die „krampfhaften Äußerungen eines vorzüglichen auf den Tod gefolterten Wesens“ deutlich zum Ausdruck. Wer, so fragte Goethe, „hat nicht mit Trauer gesehen daß diese krankhaften Werke des leidenden Mannes lange Jahre in Deutschland wirksam gewesen und solche Verwirrungen als bedeutend fördernde Neuigkeiten gesunden Gemütern eingeimpft worden“? (Goethe 1996: 95f.) Damit nicht genug, dokumentierte er 1827 in seinem Tagebuch, wie schlecht ihm der Goldene Topf gefiel: „Den goldnen Becher angefangen zu lesen. Bekam mir schlecht; ich verwünschte die goldnen Schlänglein (Schnapp 1974: 744).
Gespenster-Hoffmann
Nicht viel besser beurteilte der romantische Schriftsteller Ludwig Tieck seinen Kollegen. „Hoffmann war eine merkwürdige Erscheinung“, mit diesen Worten beginnt Tiecks kuriose Würdigung von Hoffmann. Ein kleines, unruhiges Männchen „mit dem beweglichsten Mienenspiel und stechenden Augen“ sei Hoffmann gewesen. „Er hatte etwas Unheimliches“, fährt Tieck fort, „und fürchtete sich zuletzt selbst vor seinen eigenen Gespenstern. Die Dichtung ist bei ihm zur Caricatur geworden, und obgleich er manches gut zu erzählen weiß, sind seine Erzählungen doch fast alle fratzenhaft.“ (Köpke 1955: 206).
Hoffmanns vermeintlicher Irrsinn
Scott, Goethe und Tieck: Sie alle führten den Verdacht des wahnsinnigen Dichters gegen Hoffmann ins Feld, brachen jedoch mit der althergebrachten positiven Verbindung zwischen Dichtung und Wahnsinn. Denn Hoffmann erscheint bei ihnen gerade nicht als wahnsinnig im Sinne eines ekstatischen furor poeticus, der den Dichter ereilt und ihm durch Inspiration zur Erkenntnis verhilft. Ganz im Gegenteil wurde Hoffmann samt seiner literarischen Texte abgewertet, indem man ihn zum pathologischen Fall stilisierte. Er geriet als psychisch kranker Mensch ins Visier, dem die Möglichkeiten von Erkenntnis und hoher Literatur verwehrt bleiben mussten.
Hoffmann vor dem Vater der Psychoanalyse
Diese Diagnose machte Schule, sei es, dass sie auf Hoffmann selbst angewandt wurde, sei es, dass sie seine literarischen Figuren betraf. 1919 steuerte Sigmund Freud den Befund von der Psychoanalyse her an: In seinem Essay Das Unheimliche bezog er Hoffmann und dessen Nachtstück Der Sandmann auf seine Theorie kindlicher Kastrationsangst – die Vorstellung, der Augen beraubt zu werden, sei als Ersatz für die Katrationsangst aufzufassen, so Freud. Denn die Erzählung werde erst dann „sinnreich, sowie man für den Sandmann den gefürchteten Vater einsetzt, von dem man die Kastration erwartet.“ (Freud 1986: 243f.). Womit Nathanael im Handumdrehen zum Neurotiker geworden wäre.
Radikale Psychoanalyse
Indessen war es Otto Rank, ein Schüler Freuds, der dieser Form der Pathologisierung des Autors ein monumentales, an Radikalität kaum zu übertreffendes Denkmal gesetzt hat. In seinem 1914 erschienenen Buch Der Doppelgänger. Eine psychoanalytische Studie durchforschte er Hoffmann und andere Schriftsteller des 19. Jahrhunderts nebst deren Werken. Ohne einen Unterschied zu machen zwischen Schriftsteller und literarischer Figur oder Realität und Fiktion, suchte Rank den phantastischen Texten dieser Zeit und den Biographien ihrer Verfasser Merkmale von psychischen Krankheiten zu entnehmen. Diese betreffen aber weniger die jeweiligen Figuren, sondern ganz exklusiv den Autor:
„Es muß auffallen, daß so viele von den hier in Betracht kommenden Dichtern an schweren Nerven- oder Geisteskrankheiten zugrunde gingen, wie Hoffmann, Poe, Maupassant […]. Wenn wir diese Tatsache, zunächst nur im Sinne einer besonderen dispositionellen Anlage betrachten, darf doch nicht übersehen werden, daß diese sich eben oft schon vor dem Ausbruch des zerstörerischen Leidens und auch in anderer Form zu äußern pflegt.“
(Rank 1993: 59)
Damit meint der promovierte Philologe Rank die schillernden und mannigfaltigen Formen des literarischen Textes, ansonsten aber auch biographische Aspekte. Über Hoffmann schreibt er, ganz im Sinne der zeitgenössischen medizinischen Forschung zu Nervenkrankheiten und Neurosen:
„Von Hoffmann, der von einer hysterischen Mutter stammt, ist bekannt, daß er nervös, exzentrisch und Stimmungen strak unterworfen war, ja, daß er an Halluzinationen, Wahnideen und Zwangsvorstellungen litt, die er in seinen Dichtungen darzustellen liebte. Er hatte Angst, wahnsinnig zu werden […]. Die Doppelgänger und Schauergestalten sah er, wenn er sie beschrieb, wirklich um sich und weckte deshalb bei nächtlicher Arbeit oft in Angst seine Frau, um ihr die Gestalten zu zeigen […]. Er ging mit siebenundvierzig Jahren an einer Nervenkrankheit zugrunde, die Klinke als Chorea diagnostiziert, die aber auch als Paralyse aufgefaßt wurde und die jedenfalls auf seine neuropathische Konstitution schließen läßt.“
(Rank 1993: 49f.)
Abnorm, degeneriert und pathologisch
Rank führt an dieser Stelle den Psychiater Otto Klinke an, der schon 1903 eine medizinische Abhandlung zu Hoffmann und dessen Literatur vorgelegt hatte, nämlich E.T.A. Hoffmanns Leben und Werke. Vom Standpunkte eines Irrenarztes (1903). Darin fragt Klinke: „Ist nun Hoffmann, obwohl romantisch und abnorm, ohne weiteres als degeneriert und pathologisch zu beurteilen?“ Seine Antwort lautet: „Ja, meinetwegen, aber, so füge ich gleich hinzu, ohne die sonderbare Abweichung vom Typus wäre Hoffmann eben nicht der, der er uns ist und der der Betrachtung wert und interessant erscheint“ (Klinke 1903: XIXf.).
Symptome von Persönlichkeitsspaltung
Weitaus geringschätzender als Klinke ging Rank zu Werke. Das Hoffmann’sche Motiv des Doppelgängers interpretierte er dahingehend, dass der Dichter zu Lebzeiten ein hohes Maß an Persönlichkeitsspaltung aufwies. Gepaart mit einer besonderen Betonung des Ichkomplexes, dem ein abnorm starkes Interesse an der eigenen Person und ihren seelischen Schicksalen entspreche, führte dies zu einer gestörten Beziehung des Schriftstellers zur Welt, zum Leben und zum „Liebesobjekt, zu dem kein harmonisches Verhältnis gefunden wird: direkte Unfähigkeit zur Liebe oder eine – zum gleichen Effekt führende – übermäßig hochgespannte Liebessehnsucht kennzeichnen die beiden Pole dieser krassen Einstellung zum eigenen Ich.“ (Rank 1993: 66).
Paranoia und Erotomanie
Um dies zu beweisen, zitierte Rank neben Hitzigs Biographie auch Hoffmanns Romane und Erzählungen, so Die Elixiere des Teufels, Lebens-Ansichten des Katers Murr, Der Sandmann und Die Doppeltgänger. Die literarischen Figuren darin fasste er als psychisch Kranke auf. So heißt es über Medardus und Viktorin, die Hauptfiguren aus den Elixieren des Teufels, sie seien vom Vater erblich belastet und daher an seelischen Störungen erkrankt; Medardus sehe paranoische Bilder und habe Verfolgungsideen, während er gleichzeitig an Erotomanie, die sich an ein nur flüchtig geschautes Bild des Liebesobjekts knüpft, leide. Zu all dem habe Hofmann „zweifellos starke persönliche Antriebe“ gehabt, lautet Ranks Resümee. (Rank 1993, 19-21).
Paradoxe Interventionen
Angesichts solcher Einschätzungen verwundert es nicht, dass Hoffmanns Texte für Kinder verboten und vom Unterricht ausgeschlossen waren – „Der Meister des Absonderlichen, Amadeus Hoffmann, ist nicht schulfähig“, heißt es schon 1906 (Goldschneider 1906, 175). Umgekehrt erweisen sich Verbote jedoch als gute Bedingungen für Interesse. In diesem Sinn räumt Walter Benjamin in Berliner Kindheit um Neunzehnhundert ein, dass Hoffmanns Werk für ihn unwiderstehlich gewesen sei, weil ein elterliches Verbot ihn lockte: „Verboten nämlich waren mir die Schriften, von denen ich mir reichlich Ersatz für die verlorene Märchenwelt versprach. Zwar blieben mir die Titel – ‚Die Fermate‘, ‚Das Majorat‘, ‚Heimatochare‘ – dunkel. Jedoch für alle, die ich nicht verstand, hatte der Name ‚Gespenster-Hoffmann‘ und die strenge Weisung, ihn niemals aufzuschlagen, mir zu bürgen.“ (Benjamin 1991, 284).
Thomas Mann und Hoffmann als „Verfallsmenschen“
Um 1900 wandte sich auch der damals 22-jährige Thomas Mann sichtlich fasziniert dem Werke Hoffmanns zu. Er berichtet davon in einem Brief an Otto Grautoff, geschrieben im Juli 1897 in Rom. Dabei ruft er den alten Verdacht vom pathologischen Künstler auf, scheint Hoffmann aber in einer positiven Wendung einen inspirierenden furor poeticus zuzuschreiben – er spricht von Hoffmann als „diesem sonderbaren und kranken Menschen mit der Phantasie eines hysterischen Kindes, von dem ich Alles mir Erreichbare gelesen habe.“ Bei Hoffmann nämlich handele es sich um einen „sehr anderen, uns Verfallsmenschen verwandteren Geiste“ als Goethe, welcher den zeitgenössischen Lektürekanon in diesen Jahren mit anführte. (Mann 1975, 97f.).
Hoffmann auf der Spur
Die Hoffmann-Lektüre hat deutliche Spuren in Thomas Manns Frühwerk hinterlassen. Die Serapions-Brüder tauchen in Thomas Manns Roman Die Buddenbrooks auf, wo sie Toni Buddenbrook als Lesestoff dienen. Außerdem weisen Manns frühe Erzählungen Vision, Der Kleiderschrank und Gladius Dei Bezüge zu Hoffmanns Motiven des erotischen Traums und der unerreichbaren Geliebten auf. Auch optisch motivierte Ereignisse, die Überbetonung optischer Medien wie Fenster und Spiegel, die physiognomische Beschreibung der Figuren sowie das Motiv des Kleiderschranks als Ort einer phantastischen Animation dürften dem Vorbild Hoffmanns zu verdanken sein – man denke an Hoffmanns Erzählungen Don Juan und Nußknacker und Mausekönig, wo diese Aspekte ausgestaltet sind (vgl. Lieb/Meteling 2003, Lieb 2011).
Literatur und Psychiatrie: Oskar Panizza
Zu den Psychiatern, die Hoffmann nachweislich gelesen und zu ihm gearbeitet haben, zählt nicht zuletzt Oskar Panizza. Er sollte seinen medizinischen Beruf zugunsten einer literarischen Karriere aufgeben. Psychische Störungen blieben jedoch für den promovierten Mediziner zeitlebens ein wichtiges Thema. In diesem Kontext mag er auf Hoffmann gestoßen sein, an dessen Literatur er in vieler Hinsicht anknüpfte. Panizzas erste Erzählsammlung Dämmrungsstücke. Vier Erzählungen aus dem Jahr 1890 spielt schon vom Titel her auf Hoffmanns Nachtstücke an, während Panizzas zweite Sammlung Visionen. Skizzen und Erzählungen von 1893 dem Andenken Hoffmanns gewidmet ist.
Erzählen à la Hoffmann
Anstatt Hoffmann und dessen Figuren zu pathologisieren, wandte Panizza Hoffmanns Erzähltechnik an: Da er wie Hoffmann über ausgezeichnete medizinische Kenntnisse verfügte, benutzte er diese zur Gestaltung seiner Literatur. Zudem variierte er Themen und Motive, die er von Hoffmann kannte. So erweist sich Panizzas 1893 erschienene Erzählung Der Korsetten-Fritz als Fortschreibung des Sandmanns unter Berücksichtigung der zeitgenössischen Psychiatrie. Wo Hoffmann die Spannung zwischen Realistik und Phantastik auf der Folie einer romantischen Psychiatrie entfaltet hatte, die Irrsinn als Wahrnehmungstrübung mit Ideenverwirrung auffasste, da verwandte Panizza die zeitgenössische Vorstellung von Schizophrenie als Spaltungsirresein. (vgl. Lieb 2011).
Die Handlung des Korsetten-Fritz
Der Titel Korsetten-Fritz ist Programm. Als Jugendlicher verliebt sich der Titelheld Fritz jäh und heftig in ein Korsett, als er es im Schaufenster eines Wäschegeschäfts erblickt. Dessen erotische Attraktion verführt ihn dazu, nicht nur eine ideale Geliebte phantasmatisch zu beleben, sondern gleich eine ganze Frauenrasse, die zu den ausgestellten Korsettagen keinen Bezug aufweist: Es sind weibliche Mischwesen aus Vögeln, Fischen, Fledermäusen, Vampiren und menschlichen Mumien. Sie zeugen von dekadenter Sexualität und einer repressiven Sexualmoral. Diese wird mit der Flucht nach vorn in eine Welt der erotisch entfesselten Phantasie beantwortet. Das realistische Kontrastprogramm dazu ist der öde Alltag als Gymnasiast und, später, als Theologiestudent. Als Fritz nach seinem Studium in sein Elternhaus zurückkehrt, kommt es zur Katastrophe: Bei seiner ersten Predigt in der Kirche seines Vaters bricht eine so gewaltsame Wahnvorstellung in ihm aus, dass er postwendend in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wird. Hier schreibt er seine Lebensgeschichte nieder, da er den Ursprung seiner Geisteskrankheit sichtbar machen will. Eine Rückübersetzung in geordnete Verhältnisse, wie der Sandmann sie am Ende bietet, findet hier nicht mehr statt.
Der Sandmann als Vorbild
Trotzdem erweist sich Hoffmanns Sandmann als direkte literarische Quelle für Panizzas Korsetten-Fritz. Panizza zitiert die narrativen Hauptstränge des Textes, nämlich die katastrophisch endende Animation der künstlichen Frau und die Präfiguration dieses Geschehens durch ein kindliches Trauma. Auch die Poetik des Textes, die eine weltstiftende ästhetische Tätigkeit betont und innere Bilder dafür verantwortlich macht, greift eng auf Hoffmann zurück. Einige Aspekte sind radikalisiert, allen voran der Fetisch der weiblichen Automate, den Panizza in drastischer Zuspitzung durch ein seit jeher fetischisiertes Kleidungsstück ersetzt. Dabei folgt er der Liebesgeschichte von Nathanael und Olimpia, übersteigert jedoch deren pathologische Elemente (vgl. Panizza 1997).
Provokante Schreibexperimente
Oskar Panizza und Thomas Mann sind frühe Beispiele für die Faszinationsgeschichte des Hoffmann’schen Werks, die um 1900 im deutschsprachigen Raum neu anhob und bis in die Literatur der Gegenwart nachwirkt (vgl. Kremer 2009, Lubkoll / Neumeyer 2015). Mehrere Faktoren begünstigten seit der Jahrhundertwende Hoffmanns literarische Rezeption. Dass sein Werk im späten 19. Jahrhundert entweder vergessen war oder als minderwertige Unterhaltungsliteratur galt, erwies sich als günstige Voraussetzung für eine wirksame Renaissance – gerade für solche Autoren, die sich von der naturalistischen Strömung absetzen wollten und stattdessen eine exotische, phantastische Literatur favorisierten. Dass Hoffmann darüber hinaus als pathologischer Künstler galt, mag ein weiterer willkommener Anlass zur Provokation gewesen sein.
Literatur
Benjamin, Walter (1991): Berliner Kindheit um Neunzehnhundert. In: ders.: Gesammelte Schriften, hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt / M. 1972 ff., darin Bd. IV.1: Kleine Prosa. Baudelaire-Übertragungen, hg. v. Tillman Rexroth. Frankfurt / M., 235-304.
Freud, Sigmund (1986): Das Unheimliche. In: ders.: Gesammelte Werke, hg. v. Anna Freud u.a.. Frankfurt / M., Bd. XII, 227-268.
Goethe, Johann Wolfgang von (1996): The Foreign quarterly Review. In: Ders.: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Bd. 18.2, hg. v. Johanns John u.a. München, 94-97.
Klinke, Otto (1903): E.T.A. Hoffmanns Leben und Werke. Vom Standpunkte eines Irrenarztes. Braunschweig / Leipzig.
Köpke, Rudolf: Ludwig Tieck. Erinnerungen aus dem Leben des Dichters nach dessen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen von Rudolf Köpke. Zweiter Teil. Leipzig 1855.
Kremer, Detlef (Hrsg., 2009): E.T.A. Hoffmann. Leben – Werk – Wirkung. Berlin.
Lieb, Claudia (2011): „Ein Geschlecht läuft neben uns her, seltsam gebildet, die Blicke dunkel und verzehrend“. Oskar Panizzas Hoffmann-Rezeption und die Münchner Neuromantik. In: E.T.A. Hoffmann-Jahrbuch 19 (2011), 90-112.
Lieb, Claudia u. Arno Meteling (2003): E.T.A. Hofmann und Thomas Mann. Das Vermächtnis des „Don Juan“. In: E.T.A. Hoffmann-Jahrbuch 11 (2003), 34-59.
Lubkoll, Christine u. Harald Neumeyer (Hrsg., 2015): E.T.A. Hoffmann Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart.
Mann, Thomas (1975): Briefe an Otto Grautoff 1894-1901 und Ida Boy-Ed 1903-1928, hg. v. Peter de Mendelssohn, Frankfurt / M.
Olbrich, Andreas (2008): Das literarische Werk E.T.A. Hoffmanns in der zeitgenössischen Kritik. Fallstudien anhand zentraler Elemente der Rezeption. Diss. Paderborn, http://digital.ub.uni-paderborn.de/hsmig/content/pageview/1565132 am 19.10.2016.
Panizza, Oskar (1997): Der Korsetten-Fritz. In: ders.: Ein skandalöser Fall. Geschichten. München, 112-143.
Rank, Otto (1993): Der Doppelgänger. Eine psychoanalytische Studie. Wien. Nachdr.d. Ausg. Leipzig u.a. 1925.
Schnapp, Friedrich (Hrsg., 1974): E.T.A. Hoffmann in Aufzeichnungen seiner Freunde und Bekannten. Darmstadt.
Scott, Walter (1827): On the Supernatural in Ficticious Composition; and particularly on the Works of Ernest Theodore William Hoffmann. In: Foreign Quarterly Review 1 (1827), 60-98.
Schlagwörter
News
- Neu erschienen: Elke Riemer-Buddecke: E.T.A. Hoffmann – Porträts und Illustrationen
- Neu erschienen: Sahib Kapoor: E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann (1816) und seine Darstellung in expressionistischen Buchillustrationen
- Von Flöhen, Katzen, Affen und der Literatur. Franz Kafkas und E.T.A. Hoffmanns Bestiarien