E.T.A. Hoffmanns finale Krankheit
Über E.T.A. Hoffmanns tödliche Krankheit ist viel spekuliert worden. Ein unsteter, aufreibender, ungesunder Lebenswandel, der allnächtliche Wein- und Punschgenuss, gar eine Alkoholkrankheit, intensives Pfeiferauchen wurden angeschuldigt, aber auch eine Syphilis oder, besonders abwegig, die Nervenkrankheit amyotrophe Lateralsklerose. Die dazu verfügbaren schriftlichen Hinweise wurden deshalb noch einmal aus dem Blickwinkel eines Neurologen sorgfältig studiert und neu interpretiert.
Roland Schiffter studierte Medizin an der Humboldt-Universität zu Berlin und hatte ab 1972 an der Freien Universität Berlin eine Professur im Fach Neurologie inne. Er ist Vorsitzender der Sektion Berlin-Brandenburg der Heinrich Heine-Gesellschaft, Vorstandsmitglied der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin (1773), Mitglied der Viktor von Weizsäcker-Gesellschaft und Pianist der Jazz-Band Call of New Orleans (→ Forscherprofil).
Krankengeschichte bis 1820
Krankengeschichte
E. T. A. Hoffmann durchlitt 1806 in Warschau eine offenbar bedrohliche fieberhafte Erkrankung („Nervenfieber“) und ansonsten im Laufe seines kurzen Lebens allerlei Infekte und lästige Unpässlichkeiten, die aber ohne erkennbar bleibende Folgen waren. Ernstlich krank wird er nochmals im Frühjahr 1819. Er schreibt am 1. Mai 1820 an den befreundeten Arzt Dr. Speyer: „ … dass ich in dem Frühling des vorigen Sommers zum Tode erkrankte, und zwar an den Folgen zu großer Anstrengung in der Arbeit und einer enormen Erkältung…“ Freund Hitzig teilt später mit, es habe sich dabei um ein „Unterleibsübel mit gichtischen Zufällen“ und mit „heftigsten Fieberanfällen“ gehandelt (Hitzig 1823). Hoffmann macht danach mit Mischa eine Erholungsreise und schreibt dann: „Nach dieser Reise bin ich auf eine beinahe unanständige Weise gesund!“. Alles spricht dafür, dass er hierbei wieder eine fieberhafte entzündliche Erkrankung mit Gelenkschmerzen und Stuhlverstopfung durchgemacht hat. Symptome, die für eine Rückenmarkserkrankung sprächen, finden sich hierbei nicht (Schiffter 2008).
Hoffmanns letzte Monate
1820/21 ist Hoffmann sehr aktiv und produktiv (Kater Murr, Prinzessin Brambilla, Serapionsbrüder, Meister Floh, Beförderung beim Kammergericht). Er verliebt sich in die Sängerin Johanna Eunike. Er muss also bei ziemlich guter Gesundheit gewesen sein, klagte aber zuweilen über „Rheumatismus“ und sich ausbreitende Rückenschmerzen.
Erste Anzeichen der Krankheit
Das Jahr 1822 wird das letzte seines Lebens. Um die Jahreswende 1821/22 muss er laut Hitzigs Hoffmann-Biografie relativ plötzlich erkrankt sein, ein präzises Datum für den Beginn der neurologischen Krankheit haben wir aber nicht. Heinrich Heine hatte ihn noch im Café Royal beobachtet und im März 1822 in seinem 3. „Brief aus Berlin“ geschrieben, dass Hoffmann an einem „schlimmen Nervenübel“ leide (Pissin und Valentin, ohne Jahresangabe). Im Frühjahr hatte sich Hoffmann in einem Brief an Freund Hitzig als „matt und elend“ beschrieben, in einem kurz danach folgenden Brief sagt er: „…die Geschwulst in meinen Füßen fällt, aber noch keine Spur von Bewegung, welches abscheulich ist“. Er hat also schon eine Schwellung oder ein Schwellungsgefühl, vor allem aber Lähmungen in den Füßen. Am ersten Mai 1822 berichtet er in seinem letzten, sehr liebevollen Brief an Johanna Eunike: Er sei schlaflos und träume von ihr. „Dies tröstet mich für die namenlosen Leiden, welche mich schon seit viertehalb Monaten nicht von dem Siechbette frei lassen. Gelähmt an Händen und Füßen, bin ich außerstande, Ihnen beikommenden Meister Floh selbst zu überreichen“ (zit. nach Ginzkey 1922). Demnach wäre er sogar schon seit Mitte Dezember 1821 bettlägerig und an den Füßen gelähmt, während er Ende November 1821 noch „in völliger Kraft der Gesundheit“ stand und Heine ihn Ende Dezember 1821 oder Anfang Januar 1822 noch im Café Royal gesehen hat.
Rapide Verschlechterung des Zustands
In Günzels Hoffmannbiografie findet man auf Seite 505 (Günzel 1979) vermerkt: „1822, um den 18.1.: Beginn von Hoffmans letzter Krankheit“. Der gleiche Tag wird auch von Roters genannt (Roters, ohne Jahreszahl). Wenn diese Angaben alle richtig sind, hat sich bei Hoffmann um die Jahreswende 1821/22 eine von den Füßen rasch aufsteigende Lähmung entwickelt, die schon nach 6 Tagen die Hände erreichte. Am 24. Januar, bei seiner Geburtstagsfeier, sitzt er „an den Lehnstuhl gefesselt“ und am 26. Januar 1822 ist er schon „an den Flügeln gelähmt“ (Hitzig 1823). Er klammert sich gleichwohl heftig an das Leben und hofft bis zum Ende auf Besserung. In einem Gespräch mit Freund Hippel, in dem a la Schiller die Rede davon war, dass das Leben nicht „der Güter höchstes“ sei, ruft er aus: „Nein, nein, leben, leben, nur leben – unter welcher Bedingung es auch sein mag
Hitzig über die Krankheit von Hoffmann
Den finalen Krankheitsverlauf schildert Hitzig ausführlich (Hitzig 1823, Schiffter2008):
Hitzig über Hoffmann
„Mit jedem Tage, möchte man sagen, versagte ein oder das andere Glied seines Körpers mehr und mehr den Dienst; Füße und Hände, Folge der sich ausbildenden Rückenmarksdarre (tabes dorsalis) starben sie ganz ab, ebenso einzelne Teile des inneren Organismus, und den Tag vor seinem Tode, wo die Lähmung bis hinauf an seinen Hals getreten war, glaubte er sich völlig genesen, weil er nirgend Schmerz mehr verspürte“.
Zu Hitzig meinte er gar: „er wolle sich schon gefallen lassen, dass er an Händen und Füßen gelähmt bleibe, – wenn er nur die Fähigkeit behielte, fort und fort dictando zu arbeiten“. Hitzig berichtet weiter: „Etwa den 20. oder 21. Juni zeigten sich die Vorboten des nahen Todes in der Unfähigkeit, etwas zu genießen, einer größeren Neigung zum Schlaf … Am 24. abends war er … schon erstarrt bis zum Halse und fühlte bis in diese Region des Körpers keinen Schmerz mehr“.
Hoffmann selbst hielt diese nun auch sensible Komplettierung der hohen Querschnittslähmung für ein Zeichen von Besserung. Am 25. Juni sagt er, er fühle sich nun wohl (weil schmerzfrei?) und er wolle seine letzte Erzählung „Der Feind“ weiterdiktieren.
„Seine Frau suchte es ihm auszureden, er ließ sich im Bette umdrehen, mit dem Gesicht zur Wand gekehrt, verfiel in Todesröcheln, und als zwischen 10 und 11 Uhr morgens nach Hitzig geschickt wurde, und dieser herbeistürzte, – fand er schon den Freund nicht mehr“.
Hier ist noch einmal zu betonen, dass Hoffmann in seiner finalen Krankheit immer wieder heftige, sich ausbreitende Rückenschmerzen erlitt, es ist von „Qualen“ und „rheumatischen Anfällen“ die Rede. In seiner Erzählung „Des Vetters Eckfenster“ vom April beschreibt er ja sein eigenes Leiden und berichtet von Schluckschmerzen: „Das kleinste Stückchen des verdaulichsten Fleisches verursacht mir die entsetzlichsten Schmerzen und raubt mir allen Lebensmut …“
Fazit
Todesursache
Alles in allem kann kein Zweifel daran bestehen, dass Hoffmann an einer hohen Querschnittslähmung gestorben ist. Wahrscheinlich hat sich eine bösartige Geschwulst aus dem Bereich von Schlund oder Speiseröhre (Schluckschmerzen) zur unteren Halswirbelsäule hin ausgebreitet (Rückenschmerzen, Querschnittslähmung) und verblieb einige Zeit lang in Höhe der Wirbelkörper 7 und 8, sodass er an Beinen und Armen gelähmt und gefühllos wurde, aber keine Atemlähmung hinzukam, weil die Zwerchfellnerven (in Höhe Wirbelkörper 4 und 5) noch intakt waren. Erst zum Schluss stieg die Halsmarkschädigung weiter aufwärts und zerstörte auch die Zwerchfellnerven, sodass dann die Atemlähmung („Todesröcheln“) das Leben beendete. Alle anderen bisher vermuteten Todesursachen (Alkoholfolgen, Syphilis, amyotrohe Lateralsklerose) lassen sich allein aus dieser Symptomanalyse weitgehend oder vollständig ausschließen (weitere Einzelheiten siehe Schiffter 2008).
Literatur
- Hitzig, J. E. : Hoffmanns Leben und Nachlass. Inselverlag, Frankfurt a. M. 1986.
- Schiffter, R.: Vom Leben, Leiden und Sterben in der Romantik. Neue Pathografien zur romantischen Medizin. Königshausen und Neumann, Würzburg 2008.
- Pissin, R. und V. Valentin (Hrsg.): Heines Werke, 12. Teil. Deutsches Verlagshaus Bong und Co., Berlin, Leipzig, Wien, Stuttgart (ohne Jahreszahl).
- Ginzkey, F. K. (Hrsg.): Romantik der Weltliteratur. E. T. A. Hoffmann, Briefe. Eine Auswahl. Rikola Verlag Wien, München Leipzig 1922.
- Günzel, K.: E. T. A. Hoffmann. Leben und Werk in Briefen, Selbstzeugnissen und Zeitdokumenten. Claassen, Düsseldorf 1979.
- Roters, E.: E. T. A. Hoffmann. Preußische Köpfe. Literatur. Stapp Verlag Berlin (ohne Jahreszahl).