Hoffmann als Komponist der romantischen Oper
Ich mag mich nicht nennen, indem mein Nahme nicht anders als durch eine gelungene musikalische Composition der Welt bekannt werden soll.
Hoffmann, E.T.A.: Briefwechsel, Bd. 1, Hans von Müller, Friedrich Schnapp (Hg.). München 1967, S. 399.
Diau-Long Shen studierte Kunstgeschichte und Musikwissenschaft an der Taipei National University of the Arts und erwarb seinen Magister in Musikwissenschaft an der National Taiwan Normal University in Taipei. Er war Stipendiat des DAAD und wurde 2014 an der Freien Universität Berlin in Musikwissenschaft promoviert. 2015 bis 2017 lehrte er als Assistant Professor am Music Department von Taipei National University of the Arts in Taiwan. Seit dem September 2017 lehrt er als Associate Professor Musikwissenschaft und Musikgeschichte am College of Music and Dance an der Quanzhou Normal University in China (→ Forscherprofil).
Während E.T.A. Hoffmann die Publikation seiner Fantasiestücke in Callot’s Manier vorbereitete, schrieb er am 20. Juli 1813 an seinen Verleger Carl Friedrich Kunz die oben zitierten Worte, die tatsächlich sein zentrales Lebensziel zum Ausdruck bringen: Er wollte sich als Komponist, vor allem als Opernkomponist, Ansehen erwerben und hatte bis dahin bereits acht Opern komponiert:
- Die Maske (1799, Singspiel; Librettist: E.T.A. Hoffmann)
- Scherz, List und Rache (1801, Singspiel; Librettist: Johann Wolfgang von Goethe; verschollen)
- Die lustigen Musikanten (1805, Singspiel; Librettist: Clemens Brentano)
- Die ungebetenen Gäste, oder Der Kanonikus von Mailand (1805, Singspiel; Librettist: Rohrmann; verschollen)
- Liebe und Eifersucht (1807, Singspiel nach der spanischen Komödie La Banda y la Flor von Pedro Calderón de la Barca in der deutschen Übersetzung von Wilhelm August Schlegel, bearbeitet von Hoffmann)
- Der Trank der Unsterblichkeit (1808, „romantische Oper“; Librettist: Julius von Soden)
- Aurora (1811–1812, „große romantische Oper“; Librettist: Franz von Holbein)
- Undine (1816, „Zauberoper“; Librettist: Friederich de la Motte Fouqué)
An diesen von Hoffmann vertonten Libretti sieht man einerseits seine Präferenz für die Texte besonders von bedeutenden zeitgenössischen Dichtern und andererseits die deutliche Entwicklung seines Interesses an der Literatur der damals aufgehenden Romantik. Es ist kein Zufall, dass Hoffmann im Jahr 1813 in seinem als Dialogerzählung gehaltenen Aufsatz Der Dichter und der Komponist sein Ideal der romantischen Oper ausformuliert: „Allerdings halte ich die romantische Oper für die einzig wahrhafte, denn nur im Reich der Romantik ist die Musik zu Hause.“ Die Musik kommt jedoch aus dem Text, denn in solch einer Oper sollte die „Musik unmittelbar und notwendig aus der Dichtung entspringen“.[1] So suchte Hoffmann in diesen Libretti die romantische Stimmung und den romantischen Geist, die er in seinen Opern musikalisch umsetzte.
Die Maske
Hoffmanns doppelte Begabung als Dichter und Komponist zeigte sich bereits bei seinem ersten Singspiel Die Maske von 1799: er verfasste eigenständig das Libretto und vertonte es. In der bis dahin relativ schlicht gefassten Gattung Singspiel zeigt er auch seine Kreativität und Sensibilität für die zeitgenössischen Opernströmungen, indem er in seinem ersten Opernwerk nicht nur Arien, Chöre, Ensembles und Finali nach der Opera buffa gestaltete, sondern auch eine umfangreiche szenische Nummer (Nr. 15) mit Chor, Tänzen und Ensemble. Damit wollte Hoffmann sein Singspiel offenbar der damals beliebten Balletteinlage der Berliner Hofoper anpassen, denn er widmete sein Libretto sowie die Partitur der kunstsinnigen Königin Luise von Preußen, in der Hoffnung auf eine Aufführung, die allerdings schließlich nicht zustande kam. Schon in diesem ersten großen musikalischen Bühnenwerk fasst Hoffmann eine wilde, unberührte Landschaft[2] und empfindsame Emotionen als romantisch auf[3]; diese Elemente besitzen für Hoffmann eine Wirkung, das Geschehen von der realen Welt als entrückt erscheinen zu lassen, was in Die Maske die Motivation für die Musik ergibt.
Die lustigen Musikanten
Hoffmanns Berühung mit der Strömung der zeitgenössischen literarischen Romantik in der Oper zeigt sich zum ersten Mal deutlich in seinem Singspiel Die lustigen Musikanten, das 1805 in Warschau uraufgeführt wurde. Die Reaktionen auf die Produktion waren gemischt. Die im Libretto von Brentano eingesetzten phantastischen Maskenfiguren aus der italienischen Commedia dell’arte, die für das künstlerische Ideal der deutschen Frühromantiker sehr bedeutend waren, erschienen dem Warschauer Publikum ungewohnt und nicht verständlich, Hoffmann bezeichnete angesichts der dortigen Rezeption Brentanos Text als „Kaviar für das Volk“; demgegenüber sei seine Vertonung jedoch als „feurig und durchdacht“ positiv angenommen worden. Hoffmann freute sich besonders darüber, dass er in der Eleganten Zeitung als „kunstverständiger Mann“ bezeichnet wurde. [4] Für Hoffmann war die Vertonung von Die lustigen Musikanten trotz des geringen Erfolgs des Werkes eine Bestätigung seines musikalischen Könnens. Auch als er 1809 in Bamberg war, versuchte er immer noch, dieses Singspiel wieder aufführen zu lassen, und datierte von dieser Komposition an seine „bessere Periode“.[5]
Liebe und Eifersucht
Im November 1806 wurde die preußische Verwaltung Warschaus von Napoleon Bonaparte aufgelöst, und damit endete auch Hoffmanns Arbeitsverhältnis. Diese Umwälzung gab Hoffmann die Gelegenheit, von der juristischen Laufbahn zu einer künstlerischen Karriere zu wechseln. Mit diesem Ziel vor Augen komponierte er 1807 das Singspiel Liebe und Eifersucht. Das Libretto ist Hoffmanns eigene Bearbeitung von August Wilhelm Schlegels deutscher Übersetzung Die Schärpe und die Blume der spanischen Komödie La Banda y la Flor von Pedro Calderón de la Barca. Hoffmann pries das Komische in Die Schärpe und die Blume als »höchst poetisch« und hatte die Absicht, dieses Singspiel nach den Vorbildern von Mozarts Opere buffe Così fan tutte und Le nozze di Figaro zu vertonen.[6] In der älteren Forschung liest man nicht selten die Kritik, dass Hoffmann Mozarts Epigone sei. Gerhard Allroggen hat darauf hingewiesen: „Jeder seiner Zeitgenossen – Beethoven nicht ausgenommen – war von Mozart beeinflusst“.[7] Für Hoffmann lag jedoch der Sinn solch einer Aneignung des Stils von Mozart nicht in der blinden Nachahmung des Vorläufers, sondern vielmehr im Streben nach der Romantik in der Kunst. Mozarts Opern, vor allem seine Opere buffe, wurden wegen ihrer komischen und humoristischen Elementen im Sinn der „romantischen Ironie“ um 1800 als romantische Opern rezipiert. [8] Hoffmann teilte diese Ansicht und rühmte im Jahr 1821 Mozart sogar als „unnachahmlichen Schöpfer der romantischen Oper“[9].
Romantische Opern: Der Trank der Unsterblichkeit und Aurora
Nachdem Hoffmann 1808 das Libretto der „romantischen Oper in vier Akten“ Der Trank der Unsterblichkeit aus der Feder des Bamberger Theaterleiters Julius von Soden vertont hatte, erhielt er die Stelle als Musikdirektor in Bamberg. Mit dieser Oper schlug er in seinem Opernschaffen eine neue Richtung innerhalb der Romantik ein: Statt der komisch-ironischen Seite der Romantik behandelte er das Märchenhafte und Übernatürliche. Die Handlung dieses orientalischen Zaubermärchens gab Hoffmann Gelegenheit, in seiner Partitur exotisches Kolorit (z. B. durch den Einsatz türkischer Instrumente) und eine düstere Atmosphäre zu kreieren.[10] Ähnliche Möglichkeiten bot auch die nächste Oper, Aurora auf ein Libretto von Franz von Holbein: Das antike Sujet mit dem wunderbaren Handlungsmoment, dass Aurora, die Göttin der Morgenröte, mit ihren Strahlen die Memnon-Säule zum Klingen bringt, lässt Hoffmann mit Tonmalerei und spezifischen Instrumentalfarben neue Klänge ausprobieren. Das Sinnbild der durch Aurora zum Klingen gebrachten Memnonsäule als Phänomen der Vermischung von Sinneseindrücken zählt zu den zentralen poetischen Metaphern der deutschen Frühromantiker.[11] Dementsprechend bezeichnete Hoffmann selbst in seiner Abschrift des Librettos Aurora als „eine große romantische Oper“[12].
Undine
1812 lernte Hoffmann die Erzählung Undine (1811) von Friedrich de la Motte Fouqué kennen. Die geheimnisvolle Natur und die wunderbaren Erscheinungen darin haben ihn so angezogen, dass er nach der Lektüre sofort anfing, diese Erzählung in Zusammenarbeit mit dem Autor zu einem Libretto zu bearbeiten. Hoffmann schrieb dem mit der Verfassung eines Librettos unerfahrenen Fouqué, wie dieser die „Musik, welche mit ihren wunderbaren Tönen und Akkorden dem Menschen recht eigends das geheimnisvolle Geisterreich der Romantik aufschließt“[13], durch seine Textgestaltung evozieren sollte. Mit dem fertigen Libretto komponierte Hoffmann zahlreiche tonmalerische Effekte und neuartige Klangfarben in bis dahin nie gehörten Instrumentenkombinationen[14] sowie auch Männerchöre, um die Wassergeister und gleichzeitig eine unheimliche Stimmung darzustellen. Darüber hinaus haben in Undine klangfarbliche Elemente die Funktion von Erinnerungsmotiven, die die gesamte Oper durchziehen und eine ahnungsvolle, schicksalhafte Atmosphäre erzeugen.
1814 übersiedelte Hoffmann nach Berlin und wurde beim dortigen Kammergericht als Staatsbeamter eingestellt. Er kehrte zwar zu seiner juristischen Laufbahn zurück, hatte aber in Berlin die Chance, seine Oper auf die Bühne zu bringen. Undine wurde 1816 in Berlin uraufgeführt und war Hoffmanns einzige Oper, die zu seinen Lebzeiten auf der Bühne großen Erfolg hatte. Von 1816 bis 1817 wurde Undine in Berlin vierzehn Mal aufgeführt. Nach dem Besuch einer der Aufführungen rühmte Carl Maria von Weber 1817 in seiner Rezension Undine als eine Oper, „die der Deutsche will: ein in sich abgeschlossenes Kunstwerk, wo alle Theile und Beiträge der verwandten und benutzten Künste ineinanderschmelzend verschwinden, und auf gewisse Weise untergehend – eine neue Welt bilden“[15]. Undine kam nach 1817 wegen des Brandes im alten Berliner Schauspielhaus, bei dem die gesamte Ausstattung vernichtet wurde, damals zwar nicht mehr auf die Bühne. Jedoch bringt sich Hoffmann mit dieser Zauberoper letzten Endes in die Operngeschichte als Komponist ein, der für die Entwicklung der deutschen romantischen Oper im 19. Jahrhundert sehr bedeutend ist.
Romantisches Opernschaffen
Hoffmanns Vorstellung des Romantischen in seinem Opernschaffen offenbart eine Mannigfaltigkeit, die die romantischen Strömungen um 1800 widerspiegelt. Diese Mannigfaltigkeit verleiht Hoffmann in seinen Kompositionen eine musikalische Reichhaltigkeit, die es ihm ermöglicht, den romantisierten Stil Wolfgang Amadeus Mozarts zu etwas auszuprägen, das später für die deutsche romantischen Opern Carl Maria von Webers und Richard Wagners eine große Bedeutung haben sollte. Mit seinem Opernschaffen entwickelte Hoffmann zahlreiche Ideen für die differenzierte Zusammenwirkung von Musik und Text und übertrug diese Überlegungen und Motivationen für den dramatischen Einsatz von Musik auch in seine eigenen literarischen Werke, die ihrerseits die Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts immer wieder inspirierten, Instrumentalwerke, Ballette und Opern zu schaffen.
Anmerkungen
[1] Hoffmann, E.T.A.: Die Serapions-Brüder. München 1963, S. 84
[2] Shen, Diau-Long: E.T.A.Hoffmanns Weg zur Oper. Von der Idee des Romantischen zur Genese der romantischen Oper. Frankfurt am Main 2016, S. 75-80.
[3] Ibid., S. 70–73.
[4] Hoffmann, E. T. A.: Briefwechsel, Bd. 1., S. 193–194.
[5] Hoffmann, E.T.A.: Briefwechsel, Bd. 1., S. 274.
[6] Ibid., S. 204.
[7] Allroggen, Gerhard: E.T.A. Hoffmanns Kompositionen. Ein chronologisches Verzeichnis seiner musikalischen Werke mit einer Einführung. Regensburg 1970, S. (23).
[8] Vgl. Shen, Diau-Long: E.T.A.Hoffmanns Weg zur Oper., S. 25–33.
[9] Hoffmann, E.T.A.: Schriften zur Musik. München 1978, S. 363.
[10] Vgl. Shen, Diau-Long: E.T.A.Hoffmanns Weg zur Oper, S. 151–154.
[11] Ibid., S. 174–176.
[12] Hoffmann, E. T. A.: Aurora. Große romantische Oper, Hermann Dechant (Hg.). Wiesbaden 1984, S. XXXVIII.
[13] Hoffmann, E.T.A.: Briefwechsel, Bd. 1, S. 347.
[14] Schmidt-Garre, Helmut: Auf dem Wege zur romantischen Oper. In: Neue Zeitschrift für Musik 10 (1962), S. 447.
[15] Weber, Carl Maria von: Über die Oper »Undine« (1817). In: Georg Kaiser (Hg.), Sämtliche Schriften von Carl Maria von Weber. Berlin 1908, S. 129.