Interaktiver Kunz’scher Riss
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Berlin war einer der beiden zentralen Wirkungsorte E.T.A. Hoffmanns. Drei Mal hat Hoffmann versucht, in der preußischen Hauptstadt Fuß zu fassen, erst beim dritten Versuch ist es ihm geglückt. Auf diesen Seiten erfahren Sie, was Hoffmann in Berlin erlebt hat, welche Orte mit ihm in Verbindung stehen und wo heute noch seiner gedacht wird.
„Die Menge alter Freunde und Bekannten, die ich vorfand, das freie gemütliche Leben, die mannigfachen Anregungen der Kunst und der Wissenschaft, das alles hielt mich fest. Nie war ich heitrer, und meiner alten Neigung, oft allein durch die Straßen zu wandeln und mich an jedem ausgehängten Kupferstich, an jedem Anschlagzettel zu ergötzen oder die mir begegnenden Gestalten zu betrachten, ja wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu stellen, hing ich hier mit Leidenschaft nach.“[1]
E.T.A. Hoffmann: Gespenster in der Friedrichstadt
Michael Bienert ist freier Autor, Journalist und Stadtführer. Von 2015 bis 2017 war er Lehrbeauftragter am Center for Metropolitan Studies der TU Berlin. Er führt regelmäßig literarische Stadtrundgänge zu Erinnerungsorten Hoffmanns durch. 2014 veröffentlichte er den Band E.T.A. Hoffmanns Berlin (→ Forscherprofil).
In diesen Sätzen Theodors aus der Erzählung „Das öde Haus“ benennt Hoffmann die wichtigsten Motive seiner intensiven Beziehung zur Stadt Berlin: das rege Kultur- und Straßenleben der preußischen Hauptstadt, die um 1800 bereits über 150.000 Einwohner zählte, und ein dichtes Netzwerk persönlicher und literarischer Bekanntschaften. Zu ergänzen ist, dass Berlin als Verwaltungszentrum Preußens dem Juristen Hoffmann und die Verlagsstadt dem Schriftsteller eine ökonomische Basis für seine Existenz bot.
[1] E. T. A. Hoffmann: Gespenster in der Friedrichstadt. Berlinische Geschichten. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Günter de Bruyn. Berlin 1996, S. 111.
„Ist es irgend möglich zu machen, so bleibe ich hier in Berlin“, heißt es gleich im ersten langen Brief, den Hoffmann als frisch gebackener Referendar am Kammergericht am 15. Oktober 1798 an den Freund Hippel in Königsberg adressiert. Er besucht die Oper, das Nationaltheater und die Kunstausstellungen in der Akademie der Künste, wohnt zunächst in der Kurstraße 15, dann von Juni 1799 in Haus seines Onkels und seiner Verlobten Minna Doerffer in der Leipziger Straße 66. Nach bestandenem Assessorexamen muss Hoffmann seine juristische Laufbahn in der Provinz fortsetzen.
Als 1806 die Truppen Napoleons in Warschau einmarschieren und Hoffmann aus dem Staatsdienst entlassen wird, versucht er im von den Franzosen besetzten Berlin sein Glück als Komponist und Zeichner, hat jedoch keinen Erfolg. Im Juni 1807 quartiert er sich zunächst im Gasthof „Zum goldenen Adler“ am Dönhoffplatz ein, dann in der Friedrichstraße 179. Geldnot und Hunger überschatten diesen zweiten Berlin-Aufenthalt. Hoffmann wird Zeuge von Straßenunruhen wegen der hohen Brotpreise. Die Berufung als Kapellmeister nach Bamberg rettet ihn im Juni 1808 aus größter Verweiflung.
Die Niederlage Napoleons und der Wiederaufbau der preußischen Verwaltung ermöglichen im Herbst 1814 die Rückkehr Hoffmanns ans Berliner Kammergericht, wo er jedoch erst 1816 eine regulär bezahlte Anstellung als Mitglied des Kriminalsenats erhält. Er bezieht mit seiner Frau Mischa eine Wohnung in der Französischen Straße 28, ab Juli 1815 bis zu seinem Tod wohnt er im Eckhaus Taubenstraße 31 mit Blick in die Charlottenstraße und auf den Gendarmenmarkt. Überliefert ist ein Grundriss der großen Wohnung auf dem Kunzischen Riss, einem mit realen und imaginären Figuren bevölkerten Stadtplan, den Hoffmann im Juli 1815 für seinen Verleger Kunz in Bamberg zeichnet.
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Gleich bei seinem Eintreffen in Berlin wird Hoffmann bei einem von seinem Kollegen Julius Eduard Hitzig organisierten Festessen in einen literarischen Freundeskreis eingeführt, zu dem Adelbert von Chamisso, Friedrich Baron de La Motte-Fouqué, David Ferdinand Koreff und Karl Wilhelm Contessa zählen. Innerhalb dieses Zirkels findet eine reger Austausch statt: Man schmiedet Pläne für einen Kollektivroman und aus „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ von Chamisso schöpft Hoffmann zentrale Motive in seine Berliner Erzählung „Die Abenteuer einer Silvester-Nacht“. Der „Seraphinen-Orden“ genannte Freundeskreis inspiriert Hoffmann zur Rahmenhandlung und dem Titel seiner Erzählungssammlung „Die Serapions-Brüder“. Sie erscheint bei dem Berliner Verleger Georg Andreas Reimer, den Hoffmann mehrfach bittet, ihm mit Vorschüssen über finanzielle Engpässe hinwegzuhelfen.
Schon bald nach der Rückkehr nach Berlin erfährt Hoffmann durch die Uraufführung seiner Oper „Undine“ im Nationaltheater am Gendarmenmarkt am 3. August 1816 höchste öffentliche Anerkennung als Komponist, doch künstlerisch produktiv ist er in dieser Zeit vor allem als Schriftsteller – in dieser Phase entsteht fast sein gesamtes literarisches Werk. Das Familienleben im Hause seines Freundes Hitzig inspiriert ihn zu dem Weihnachtsmärchen „Nussknacker und Mäusekönig“, eine alte Chronik zu der phantastischen Berliner Erzählung „Die Brautwahl“ und der Ausblick von seinem Arbeitszimmer auf den Gendarmenmarkt zu „Des Vetters Eckfenster“. Hoffmann schreibt diesen Text 1822 für eine neu gegründete Zeitschrift mit dem programmatischen Titel „Der Zuschauer“. Als Auftragsarbeiten für die Jahrgänge 1820 bis 1822 des „Berlinischen Taschenkalenders“ entstehen neben „Die Brautwahl“ die beiden Erzählungen „Die Irrungen“ und „Die Geheimnisse“, in denen Hoffmann die damalige Stadtgesellschaft mit satirisch porträtiert.
Über die Berliner Salonkultur um 1820 hat sich Hoffmann in „Die Serapions-Brüder“ und „Die Geheimnisse“ lustig gemacht. Als bekannter Musiker und Schriftsteller war er zu Teegesellschaften eingeladen, doch war es ihm unangenehm, sich dort bestaunen zu lassen. Wohler fühlte er sich in der derben Atmosphäre der Berliner Weinlokale um den Gendarmenmarkt. Als Zechkumpan des Schauspielers Ludwig Devrient im Weinhaus Lutter und Wegner an der Französischen, Ecke Charlottenstraße wurde Hoffmann zur Berliner Legende. Bis heute schmückt sein Konterfei die Etiketten der gleichnamigen Sektmarke. Auch durch Jacques Offenbachs Oper „Hoffmanns Erzählungen“, die zum festen Repertoire des internationalen Operbetriebs gehört, bleibt Hoffmann als mitteilungsfreudiger Zecher in Lutters Weinkeller im kollekiven Gedächtnis. Bis zur Zerstörung des Lokals im Zweiten Weltkrieg war es die zentrale Hoffmann-Gedenkstätte in Berlin. Zwei Straßenecken weiter finden Literaturtouristen heute gleich mehrere Wegmarken: 1997 eröffnete im Nachfolgebau des Hoffmannschen Wohnhauses an der Taubenstraße 31, Ecke Charlottenstraße, ein neues Lokal mit dem Namen „Lutter & Wegner“. An der Fassade hängen ein Porträtmedaillon und die Replik einer 1890 von der Stadt Berlin gestifteten Gedenktafel für Hoffmann. Schräg gegenüber weihte die E.-T.-A-Hoffmann-Gesellschaft 1998 die Bronzereplik eines älteren Hoffmann-Denkmals ein. Die Originalfassung aus Sandstein stammt von der Künstlerin Carin Kreuzberg, stand seit 1979 an der Spree in der Nähe des Doms und ist nach mehrfacher Beschädigung und Restaurierung heute im Foyer des Bezirksamtes Mitte in der Karl-Marx-Allee 31 zu finden.
Weitere Erinnerungsorte sind Hoffmanns Grab auf dem Gemeindefriedhof der Jerusalems- und der Neuen Kirche vor dem Halleschen Tor und das ehemalige Kammergericht an der Lindenstraße, heute Jüdisches Museum (Lindenstraße 9-14). Hinweise auf Hoffmanns Tätigkeit als Richter im barocken Altbau und den Einfluss, den sein Werk auf Daniel Libeskinds Planung für den Museumsneubau ausübte, sucht man dort allerdings vergebens. Der von Libeskind geplante „E.-T.-A.-Hoffmann“-Garten“ wurde zwar gebaut, trägt jedoch seit dem Jahr 2000 den Namen „Garten des Exils“.