Kunst als Motiv. Ein Ausblick
Ausgehend von Zeichnungen, die die Ausübung von Kunst thematisieren, soll hier ein Perspektivwechsel vollzogen werden und Spuren der bildenden Kunst im literarischen Werk Hoffmanns betrachtet werden. Dieses weite Feld kann hier nur sehr grob skizziert werden, da sonst der Rahmen des Beitrags gesprengt würde.
Hoffmann zeichnete sich selbst als Zeichner. Als Dr. Pfeufer spontan sich ein Geschwür an der Zunge des Weinhändlers Kunz ansah, griff Hoffmann rasch zu Feder und Papier.[1] Die Szene vor ihm erscheint erkennbar auf dem gezeichneten Blatt Papier. Dieses Motiv korrespondiert im literarischen Werk mit Rahmenerzählungen.[2] Ein bereits abgebildeter Bestandteil der Wirklichkeit wird ihrem verkleinerten Abbild gegenüber gestellt, bei dem der Zeichner nicht mehr Motiv ist. Dafür ist auf dem dargestellten Stück Papier kein Platz. Das ganze Blatt stellt natürlich auch eine Karikatur der ärztlichen Untersuchung dar.
Fiktion und Wirklichkeit
Eine fürs literarische Werk typische Verschmelzung von Fiktion und Wirklichkeit führt ein Aquarell vor Augen. Der Kapellmeister Kreisler steht als fiktive Figur bei einem Spinett, auf dessen Notenpult die Partitur von E.T.A. Hoffmanns Oper Undine liegt. Das Blatt ist mit Erasmus Spikher signiert, einem fiktiven Protagonisten aus E.T.A. Hoffmanns Abenteuern der Silvesternacht (s.o.). Natürlich hat Hoffmann das Blatt gezeichnet. Literarisch und zeichnerisch „spiegelt“ sich Hoffmann in Spikher und Kreisler. Hier kommt deutlich die Identitätsproblematik in Hoffmanns literarischem Werk zum Ausdruck
Jacques Callot
Karikaturen von Salongesellschaften und Virtuosen, wie dem Kontrabassisten Antonio Dall’Occa (1763-1846), korrespondieren mit Motiven der Kreisleriana aus den Fantasiestücken in Callots Manier.[3] „In Callots Manier“ ist das Stichwort für den angekündigten Perspektivwechsel in diesem Abschnitt. Jacques Callot war ein Radierer und Kupferstecher, für den sich Hoffmann ein Leben lang begeisterte. Die Druckgraphiken zeichnen sich durch Detailreichtum, starken Realismus mit Tendenz zur Karikatur, die durch groteske und phantastische Elemente bewirkt wird.
Typische Callot-Motive werden in verschieden literarischen Werken aufgegriffen. Bei der folgenden Aufzählung werden einige Beispiele bei Hoffmann in Klammern angegeben: die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges (Vision auf dem Schlachtfelde bei Dresden), Gnome (Klein Zaches genannt Zinnober), Jahrmarkt (Des Vetters Eckfenster), Versuchung des Antonius (Elixiere des Teufels) und Rollentypen der Commedia dell’arte (Prinzessin Brambilla).[4] In letzterem Fall lässt Hoffmann sogar seinen Text mit leicht überarbeiteten Callot-Figurinen als Reproduktion ausstatten.[5]
Ästhetisch spielt die Callot-Rezeption für die Fantasiestücke eine große Rolle. Die intensive Betrachtung der Kupferstiche Callots kann die Fantasie anregen – und innere Bilder erzeugen, die erzählenswerte Geschichten in der Imagination entstehen lassen. Dies funktioniert auch mit anderen Medien und Aufführungen von Opern bzw. Schauspielen auf der Bühne. Der Leser soll durch die Fantasiestücke des Autors selbst in seiner Fantasie wie durch Callot-Grafiken angeregt werden. Mit dem serapiontischen Prinzip, das zu Beginn der Serapionsbrüdern als ästhetische Prinzip vorgestellt wird, wird das wie auch immer entstandene innere Bild als Quelle der schriftstellerischen Produktion verlangt.[6] Von der Güte der Verschriftlichung der inneren Bilder hängt die Anschaulichkeit der literarischen Werke und ihrer Qualität ab.
Salvator Rosa
Fast genauso wichtig wie Callot ist Salvator Rosa (1615-1673) für das Schaffen E.T.A. Hoffmanns.[7] Der italienische Maler (auch Dichter und Schauspieler) ist bekannt für wildromantische Landschaftsbilder, die durch Wetterphänomene und dramatische Verteilung von Licht- und Schatten, sowie vereinzelten Reisenden, Eremiten, Räubern und Hexen belebt werden.[8] Als literarische Figur tritt Salvator Rosa in der Erzählung Signor Formica in den Serapionsbrüdern in Erscheinung.[9]
Künstlerfiguren bei Hoffmann
Damit sind wir bei einem Phänomen angelangt, dass kennzeichnend für Hoffmanns literarischen Schaffen ist. Fast jede Erzählung beschäftigt sich mit Künstlerfiguren. Neben Malern treten Goldschmiede, Kalligraphen, Komponisten, Musiker, Instrumentenbauer, Festdekorateure, etc. auf. Wegen seiner Prominenz muss Albrecht Dürer als literarische Figur in Hoffmanns letzter, unvollendet gebliebener Erzählung Der Feind erwähnt werden.[10] Oft finden Vergleiche mit Bildern von Rembrandt, Mieri, etc. statt.[11] Das Problem, innere Bilder auf Leinwände oder in anderen Medien festzuhalten, wird besonders deutlich im Artushof.[12] Der alte Maler Berklinger sitzt jahrelang vor einer leeren Leinwand, auf die er seine Imaginationen projiziert, aber nicht mehr umsetzen kann. Zu einem ganzen Erzählband lässt sich Hoffmann von Nachtstücken anregen, einer Motivgruppe, die in der Kunstgeschichte ähnlich etabliert ist wie die allgemein bekannten Stillleben.[13] Es handelt sich um nächtliche Szenerien, die von Mond oder Flammen spärlich erleuchtet sind – und unheimlich wirken. Die oben besprochene Alchemisten-Küche im Sandmann, die explodiert, könnte als Gemälde ausgeführt ein Nachtstück sein – und tatsächlich befindet sich die Erzählung als eröffnendes Stück der Nachtstücke. Direkt aus Bildmotiven hat Hoffmann zweimal Erzählungen konstruiert: Doge und Dogaresse, basierend auf Karl Wilhelm Kolbes gleichnamigen Gemälde (1816), und Die Fermate, basierend auf Johann Erdmann Hummels Szene in einer römischen Locanda (1814).[14] Auf den Punkt gebracht: Hoffmanns Gesamtwerk ist hochgradig intermedial.
Volkmar Rummel studierte 2004-2010 die Fächer Deutsch und Geschichte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Nach dem 1.Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien promovierte er in Neuerer Deutscher Literaturwissenschaft über Erzählungen von E.T.A. Hoffmann, Jean Paul und Adalbert von Chamisso (→ Forscherprofil).
Anmerkungen
[1] Vgl. ders., 153ff.
[2] Dazu auch Göbel 1992, 149-166, hier 160.
[3] Vgl. Ponert 2012 (Text), 347ff. Das Original ist inzwischen aufgefunden. Vgl. Latifi und Mattuschek 2015.
[4] Vgl. Brandl-Risi, Bettina: Bild/Gemälde/Zeichnung. In: Christine Lubkoll, Harald Neumeyer (Hgg.): E.T.A. Hoffmann Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2015, 356-362.
[5] Vgl. Ponert 2012 (Text), 346.
[6] Überblick dazu vgl. Barnickel, Claudia: Serapiontisches Prinzip/›Prinzip der Duplizität‹. In: Christine Lubkoll, Harald Neumeyer (Hgg.): E.T.A. Hoffmann Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2015, 395-399.
[7] Vgl. Bromhoff 1999, 129ff.
[8] Vgl. Helen Langdon, Xavier F. Salomon, Caterina Volpi (Hgg.): Salvator Rosa. London 2010 und Bromhoff 1999, 130, 135, 150f.
[9] Vgl. Bromhoff 1999, 147ff.
[10] Vgl. Illi, Manuel: Der Feind. Eine Erzählung (postum 1823). In: Christine Lubkoll, Harald Neumeyer (Hgg.): E.T.A. Hoffmann Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2015, 195-197.
[11] Anhand von Hoffmanns Vergleichen und Bildbeschreibungen bestimmt Ricarda Schmidt Gemälde und Grafiken, die Hoffmann gekannt haben kann. Vgl. Schmidt, Ricarda: Wenn mehrere Künste im Spiel sind. Intermedialität bei E.T.A. Hoffmann, Göttingen 2006.
[12] Vgl. Bergemann, Christian: Der Artushof (1816). In: Christine Lubkoll, Harald Neumeyer (Hgg.): E.T.A. Hoffmann Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2015, 93-96.
[13] Vgl. Leopoldseder, Hannes: Groteske Welt. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des Nachtstücks in der Romantik, Bonn 1973, 18ff.
[14] Vgl. Brandl-Risi 2015, 356-362.