Die Brautwahl
Diese „Berlinische Geschichte“ mit ihren zahlreichen topografischen und auch biografischen Details existiert in zwei Fassungen. Der Erstdruck im „Berlinischen Taschen-Kalender auf das Schaltjahr 1820“ ist reich an Lokalkolorit und Anspielungen, die Hoffmann dann für den Buchdruck im dritten Band der „Serapions-Brüder“ stark reduzierte.
Als Hauptquellen dienten ihm die märkische Chronik des Peter Hafftitz, Shakespeares „Der Kaufmann von Venedig“ sowie Kotzebues Lustspiel „Die deutschen Kleinstädter“.
Das Unheimliche in den Personen der Wiedergänger aus dem 16. Jahrhundert, Thurnhäuser und der Ahasver-Figur Manasse alias Lippold, kontrastiert mit den biederen Berliner Bürgern Tusmann, Lehsen und Voßwinkel.
Der Maler Edmund Lehsen, dessen Vorbild der Maler und Grafiker Wilhelm Hensel war, der später die Komponistin Fanny Mendelssohn, Schwester von Felix, heiratete, erobert gegenüber den Mitbewerbern Dümmerl und Tusmann, dank der Kästchenwahl, die geliebte Albertine Voßwinkel. Tusmanns Wohnung liegt in der Spandauer Straße, in der sich auch das Wohnhaus Moses Mendelssohns befand.
Auffallend am Handlungsverlauf dieser Geschichte ist die Einbeziehung der jüdischen Mitbürger Berlins.
Der alte Manasse und sein Neffe, der Baron Dümmerl, gleichen in ihrer Typenhaftigkeit antijüdischen Karikaturen. Aber auch der Kommissionsrat Melchior Voßwinkel, der nicht explizit als Jude dargestellt wird, ähnelt doch dem Klischee des getauften Juden und erfolgreichen Geschäftsmann, dessen Vorbild vermutlich der Bankier Abraham Mendelssohn, der Vater von Fanny und Felix, war.
E.T.A. Hoffmanns angebliche Abneigung gegenüber den Juden hat sich vermutlich erst durch den Verkehr mit Ludwig Devrient und ehemaligen Offizieren als Tischgenossen im Lokal Lutter & Wegner verstärkt.
Die frauengeprägte Salonkultur wurde durch eine von Männern geprägte Wirtshausgeselligkeit abgelöst, die antijüdischen Vorurteilen Raum verschaffte (Günter Oesterle).

Jörg Petzel hat nach langjähriger Arbeit als Buchhändler und Antiquar Germanistik, Geschichte und Kommunikationswissenschaften in Bamberg studiert. Er ist Vize-Präsident der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft und Mitherausgeber sämtlicher Werke E.T.A. Hoffmanns im Deutschen Klassiker Verlag; Arbeiten zu E.T.A. Hoffmann, Friedrich de la Motte-Fouqué, Arno Schmidt und Franz Fühmann
(→ Forscherprofil).
Literatur
Oesterle, Günter: Juden, Philister und romantische Intellektuelle. Überlegungen zum Antisemitismus
in der Romantik. In: Athenäum – Jahrbuch für Romantik (1992), S. 55-89, hier S. 78.