Johann Ludwig Hoffmann
10. Juli 1817
Berlin Taubenstraße No 31.
Den 10 t Julius 1817.
Geliebtester Bruder!
Dein Brief vom 21 t Junius d. J. überraschte mich auf ganz besondere Weise, weil ich Dich — für tot hielt und Deinen Verlust auf das innigste betrauert hatte. — Das hängt nehmlich so zusammen. Im Anfang des vorigen Winters erschien bei mir ein junger Mensch von etwa 17, 18 Jahren von ziemlichem Ansehen, halb militairisch gekleidet, welcher mich sogleich pathetischer Weise anredete: Ich bin Ihres Bruders Sohn! (Ich bin deines Vaters Geist! — wie im Hamlet) Du kannst es denken, daß ich sogleich nach Dir frug, was Du machtest, wo Du lebtest — wie es Dir ginge u. s. Darauf sprach der junge Mensch mit gesenkter Stimme, indem er mit einem TaschenTuch sich was weniges über die Augen fuhr: Mein armer Vater ist vor sechs Wochen gestorben! — Nun kannst Du es Dir wieder denken, daß mich diese Nachricht um so mehr erschütterte, als ich mir Vorwürfe machte mich nicht mehr nach Deinem Aufenthalt erkundigt und so wenigstens noch einige Worte von Dir erhalten zu haben. Ich brach daher das Gespräch kurz ab indem ich es dem jungen Menschen freistellte mich ferner zu besuchen. Dies tat er denn auch, indessen zu unbequemen Stunden, in denen er mich nicht sprechen konnte. Endlich wandte er sich schriftlich an mich, sprach mich um Geld an und legte, wie er sagte, zu seiner Legitimation ein Portrait von mir bei, auf eine Spielmarke gemalt mit grünen Haaren und etwas dem Kaiser Hadrian ähnlich, das ich aber, wie ich mich erinnere, selbst vor langer Zeit verfertigt. Bedeutende Unterstützungen zu reichen, das läßt meine Lage durchaus nicht zu, indessen packte ich einige Taler ein und schrieb ihm zugleich, daß ich bereit wäre, für sein Unterkommen auf irgend eine Weise zu sorgen, nur müsse er sich über sein bisheriges Wohlverhalten durch glaubhafte Atteste legitimieren. — Seit der Zeit hat er nichts mehr von sich hören lassen. — Er nannte sich Ferdinand Hoffmann und Du wirst vielleicht am besten den näheren wahren Zusammenhang der Sache wissen oder wenigstens erraten können.
Es ist wahr, liebster Bruder! daß Jahre hindurch uns das Schicksal ganz auseinander geworfen hat, und es scheint auch als wenn Dir meine DenkungsArt ganz fremde geworden ist, denn sonst würdest Du nicht von dem Mantel des Hochmuts sprechen, den ich mir umgehängt haben soll, und der, wie ich wohl versichern kann, nach meiner Art zu sein, mir ein durchaus unbequemes ungewohntes Kleidungsstück sein würde indem ich mich darin nicht zu regen und zu bewegen wüßte. Ferner, liebster Bruder! würdest Du irren, wenn Du glaubtest, daß ich durch die Beerbung meiner Erzieher in irgend eine günstigere Lage, als sie sich gerade aus meinen Dienstverhältnissen ergibt, gekommen sein sollte. Vielleicht wäre dies der Fall gewesen, wenn nicht der unglückselige Krieg mich im Jahre 1806 Dienstlos gemacht hätte. Ich weiß nicht ob es Dir bekannt ist, daß ich seit dem Jahre 1807 mich im südlichen Teutschland (Bamberg, Würzburg pp) als TheaterMusikDirektor notdürftig nährte daß ich dieselbe Stelle später in Dresden hatte, auch hier alles Elend des Krieges überstehen mußte und erst im Jahre 1815 wieder eintreten konnte in das KammerGericht, wiewohl nach der Anciennität die mir mein Ratspatent vom 2 t Febr: 1802 gab, welches denn nun wohl gar keine Entschädigung sein kann. Das bis zum Tode des sehr wackern, uns wohl bekannten JustizRats bis zur Unbedeutenheit geschmolzene Vermögen, das noch überdies mancherlei Legate zersplitterten, reichte gerade hin mich hier anderthalbe Jahre hindurch, die ich ohne Gehalt durchbringen mußte, zu ernähren und mich dann häuslich einzurichten. Jetzt lebe ich in dem überteuern Berlin lediglich von meinem Gehalt und dem, was ich sonst etwa durch Schriftstellerei verdiene. — Vielleicht ist der literarische Ruf des Verfassers der Fantasiestücke in Callots Manier, der Elixiere des Teufels, der Nachtstücke u. s. w. bis nach Brieg oder gar bis nach Constadt gedrungen, und es ist vielleicht sogar möglich, daß man wenigstens in Brieg von dem Komponisten der Fouquéschen Oper: Undine, die mit vorzüglicher Pracht (Dekorationen und Costum kosteten gegen 12000 rth) auf dem hiesigen Theater seit Jahresfrist dreißigmal gegeben wurde, etwas weiß. Solch ein Verfasser und Komponist bin ich nun selbst, und Du siehst, liebster Bruder, daß ich trotz der finstren und sattsam langweiligen Juristerei auch meine künstlerischen Anlagen tüchtig zu kultivieren nicht unterlassen. Das Dichten ist bekanntlich Familiensünde väterlicherSeits, aber in der Musik haben, so viel ich weiß, unsere Altvorderen nicht sonderlich viel geleistet. So viel ich mich erinnere spielte Papa Viola di Gamba worüber ich einmal als drei oder vierjähriger Knabe in ein entsetzliches Weinen ausbrach und nicht zu beschwichtigen war, nisi durch einen schicklichen PfefferKuchen. Papa hatte aber keinen Takt und böse Verläumdung behauptete, er habe einmal eine Menuett nach einer Polonoise getanzt die der schlaue Justizrat auf dem wohl bekannten rotlackierten Flügel spielte, den wir, wenn Du Dich noch daran erinnerst, in späterer Zeit einmal mit dem hohen Bücher, Kleider, Stiefel pp Schrank des J〈ustiz〉R〈ats〉 den wir umstülpten beinahe eingeschmissen hätten.