Commedia dell’arte und Callot
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Signor Formica. Eine Novelle erschien im September 1819 im «Taschenbuch zum geselligen Vergnügen auf das Jahr 1820» und im Jahre 1821 in der Sammlung Die Serapionsbrüder. Es handelt sich um den einzigen in italienischer Sprache betitelten Text der Sammlung. Die Handlung lässt sich anhand der sechs Teile der Novelle zusammenfassen:
Raul Calzoni, Prof. Dr. Phil., ist Professor für Neuere Deutsche Literatur und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Bergamo (Italien). Seine Forschungsschwerpunkte sind: Die deutsche Klassik und Romantik und die deutsche Kultur des 20. Jahrhunderts. (→ Forscherprofil)
In diesem Teil der Novelle trifft der Maler Salvator Rosa aus Neapel in Rom ein, wo er in der Straße Bergognona bei einer Witwe Unterkunft findet. Salvator scheint aber todkrank zu sein und der Sohn der Signora Caterina geht den berühmten Doktor Signor Splendiano Accoramboni, einen Obelisken auf dem Kopf tragenden Gemälde-Liebhaber und deswegen als Pyramiden-Doktor bekannt, holen. Es gelingt Accoramboni, sich ein nicht vorhandenes Gemälde des Kranken als Honorar versprechen zu lassen, doch kuriert der Doktor wie ein Quacksalber und deshalb wird er durch den heilkundigen Pater Bonifacio ersetzt. Der Geistliche entscheidet sich, den jungen Wundarzt und Barbier Antonio Scacciati herbeizurufen.
Der Barbier ist auch ein Maler, nämlich ein Schüler Annibale Caraccis und Guido Renis, und er möchte sich ganz der Malerei widmen und seinen Beruf aufgeben. Der Wundarzt rettet Salvator das Leben und dieser besucht Antonios Werkstatt, wo er das Talent des Barbiers wahrnimmt. Insbesondere ist Salvator von dem Porträt einer Magdalena fasziniert und der Neapolitaner trifft die Entscheidung, das Gemälde in der Akademie San Luca in Rom als das Werk eines früh verstorbenen jungen Malers zu präsentieren. Die Akademie ist nach Meinung Salvators von intriganten und neidischen Malern bewohnt – er nennt Alessandro Tiarini, Francesco Gessi, Mattia Preti, Gian Giacomo Sementi Giovanni Lanfranco und den Domenichino als Opfer von missgünstigen Bösewichten (wie Belisario und Ribera). Das Porträt wird in ganz Rom berühmt und sobald Salvator den Wundarzt als Schöpfer des Kunstwerkes entlarvt, wird Antonio zu einem Mitglied der Akademie. Antonio ist aber schwermütig, weil er sich nach dem Magdalena-Modell, der 16-jährigen Marianna, sehnt. Der Onkel der schönen porträtierten Marianna, Signor Pasquale Capuzzi di Senigaglia, ist ein typischer schmutziger, dürrer Geizhals und ausgemachter Geck der italienischen Commedia dell’Arte und will mit Hilfe einer päpstlichen Breve seine Nichte heiraten.
Capuzzi ist sehr zornig, weil das Porträt Mariannas von ganz Rom mit gierigen Blicken beleidigt wurde. Der Diener des alten Geizhalses ist ein Zwerg namens Pitichinaccio, der sich in Frauenkleidern um Marianna kümmern muss. Dafür wird er von Capuzzi beschenkt und abends auf Händen nach Hause getragen.
Signor Pasquale trifft Salvator und verkauft ihm ein altes Spinett, doch muss sich der Maler «gräulichste Rezitative» und «höllische Arien» aus Francesco Cavallis letzter Oper während des Geschäftes anhören. In der darauf folgenden Nacht greift ein von Antonio und Salvator bezahlter und «besoffene[r] Kerl» den alten Capuzzi und Pitichinaccio an. Der Barbier rettet die zwei Überfallenen und trägt sie in Salvators Wohnung, wo Marianna erscheint. Der neapolitianische Maler ist von ihrer Schönheit beeindruckt und beschließt, sie vor dem alten Onkel zu retten.
Nach dem ersten Anschlag ist Capuzzi wieder gesund. Marianna hat den Wunsch frei, das «kleine Budentheater» des Nicolo Musso vor der Porta del Popolo aufzusuchen und dort ein Possenspiel erleben zu dürfen. Es geht um das Stück des Signor Formica und sobald Salvator und Antonio vom Mariannas Wunsch erfahren, beginnen sie einen Entführungsplan vorzubereiten. Auf dem Nachhauseweg vom Theater kommt es zu einem erneuten Anschlag auf den Signor Capuzzi, der sich allerdings Marianna nicht entreißen lässt. Antonio will Marianna in Capuzzis Haus entführen, aber Salvator überredet ihn, auf eine andere Gelegenheit zu warten, und zwar auf eine neue Aufführung im Theater des Nicolo Musso vor der Porta del Popolo.
Nicolo Musso und Salvator stehen in geheimem Einvernehmen. Der Direktor des Theaters vor der Porta del Popolo spricht Capuzzi an und sagt, dass er sein Haus aufsuchen möge. Da Signor Formica einige seiner Arien singen wird, kann Capuzzi nicht widerstehen. Die Theateraufführung beginnt und sie stellt das Leben Capuzzis auf der Bühne dar. Der Doppelgänger vom Signor Pasquale sagt, er möge seine Nichte dem guten Wundarzt und Maler Antonio hergeben. Der wirkliche Capuzzi kann diese Theateraufführung nicht ertragen und tritt mit gezogenem Degen auf die Bühne. Daraufhin wird er von der päpstlichen Garde verhaftet, indes Antonio die schöne Marianna entführt und mit ihr nach Florenz flüchtet.
Im letzten Abschnitt der Novelle erfüllt sich das Schicksal der Haupt- und Nebenfiguren des Signor Formica: Der Zwerg Pitichinaccio erstickt an einem Mandelkern, durch einen Schreibfehler auf einem Rezept nimmt sich Splendiano Accoramboni das Leben, wegen den Skandalen um seine letzten Gemälde erreicht Salvator Marianna und Antonio in Florenz, wo er an die Accademia dei Percossi geht und dort Künstlern und Gelehrten wie Evangelista Toricelli, Valerio Chimentelli, Battista Ricciardi, Andrea Cavalcanti, Pietro Salvati, Filippo Apolloni, Volumnio Bandelli und Francesco Rovai begegnet. Diese Akademiker werden eine wichtige Rolle bei der Versöhnung von Marianna, Antonio und Salvator mit Capuzzi spielen. Der alte Geizhals ist in Florenz mit einem Haftbefehl gegen Antonio angekommen. Salvator und den Akademikern gelingt es, Signor Pasquale zu einer weiteren und privaten Theateraufführung einzuladen. Gerne nimmt Capuzzi die Einladung der Accademia dei Percossi an und erscheint dort, um eine weitere Aufführung des Signor Formica und seines Doppelgängers zu erleben. Der Capuzzi oben auf der Bühne erlebt den Tod und die Bestattung der traurigen Marianna nach einer inszenierten Hochzeit mit dem Alten. Der Capuzzi unten im Publikum ist davon schockiert. Er versteht, dass er sich wahnsinnig benommen hat, und verzichtet einsichtig auf Marianna. Indessen hat sich der von den Akademikern als «vortreffliche[r] Künstler» besänftigte Signor Formica als Salvator Rosa erwiesen. Am Ende der Novelle beschließt Capuzzi mit Antonio und Marianna zusammenzuleben und seine liebe Nichte Marianna dem braven jungen Antonio Scacciati zur Frau zu geben.
Signor Formica. Eine Novelle ist ein wahrhaft einzigartiges Beispiel einer pädagogisch-ästhetischen Prosa, die sowohl von der Struktur als auch von der Thematik her einen Nachweis für den komplexen Schreibstil der Berliner Romanik liefert. Wie bereits in den Fabeln Der goldne Topf (1814), Kleines Zaches, genannt Zinnober (1819), Prinzessin Brambilla (1820) und Meister Floh (1922), so verwendet Hoffmann, was die Struktur betrifft, auch in seiner Novelle Zwischentitel, mit der Intention, dem Leser die erzählte Handlung in jedem Kapitel des Werkes vorwegzunehmen. Dabei verstärkt er den „Effekt des Wirklichen“ bei allem Erzählten, wobei er dem Erzähler ein ständig wachsendes Vertrauen von Seiten seines Lesers zukommen lässt. Auch die häufigen Anreden gegenüber Letzterem mit einem regelrechten Gefallen an den captationes benevolentiae, verfolgen bei Signor Formica diesen Zweck, ganz im Gegensatz zu den Fabeln, in denen sich sowohl die Allokutionen als auch die Zwischentitel vielmehr als Vehikel des «wunderbar» als des «wunderlich» erweisen, was einen Salvator Rosa kennzeichnet, dessen Name in der Novelle oft mit diesem Adjektiv einhergeht.[1]
Daneben verdient der explizite Verweis auf die Gattung (»Novelle«), zu der Il signor Formica gehört, unser Augenmerk. Hierbei handelt es sich um die einzige ausdrücklich als Novelle ausgegebene Erzählung der Serapionsbrüder. Indessen spielt E.T.A. Hoffmann mit jener Belehrung vor allem auf eine ganz besondere literarische Tradition an, nämlich auf die des Decameron von Giovanni Boccaccio, an welcher sich das gesamte Werk der Serapionsbrüder inspiriert. Dies geht aus den theoretischen Überlegungen rund um die Novelle in der Rahmenerzählung des Signor Formica hervor, die Hoffmann bereits vor 1827 erwähnt, dem Jahr, in dem Johann Wolfgang von Goethe während eines Gesprächs mit seinem Sekretär Johann-Peter Eckermann die kanonisierte Definition der deutschen Novelle liefern sollte, verstanden als «eine sich ereignete unerhörte Begebenheit».[2] Der elegische Ton in Goethes Novelle bringt also die Melancholie angesichts einer verloren gegangenen Vergangenheit zum Ausdruck, die mittels der Beschreibung einer nunmehr unerreichbar gewordenen kosmischen Harmonie und Totalität mythisiert wird. Ganz anders wiederum ist Hoffmanns Ansatz, welcher mit dem in Rom angesiedelten Signor Formica tief in Boccaccios Schuld steht, als auch in der der italienischen Commedia dell’Arte von Carlo Gozzi und des daraus folgenden, die Erzählung kennzeichnenden, Geschmacks an Schwank und Posse.
Die mit Hoffmanns Novelle verfolgte Absicht ist es, anhand der Erzählung eines Lebensausschnittes von Salvator Rosa (1615-1673) die Laster und Tugenden vom Rom des 17. Jahrhunderts, von denen die in der Novelle beschriebenen Bilder des Malers selbst ausgiebig erzählen, aufzudecken und zu kritisieren. In Zusammenhang mit dieser Kritik, die für Hoffmann auch im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts von Bedeutung ist, können auch die ästhetischen Auseinandersetzungen jener Zeit zwischen den Geschichtsmalern und den Landschaftsmalern als auch die Kontraposition zwischen der Manier der Anhänger der Akademie San Luca in Rom und dem Stil von Rosa und dessen Schüler Antonio Scacciati gesehen werden, um dessen Liebe zu Marianna sich die ganze Erzählung entwickelt. Marianna ist die Nichte des Geizhalses Signor Pasquale Capuzzi, der sie mit Hilfe des monströsen Dieners Pitichinaccio im Haus isoliert, in Erwartung auf die päpstliche Verfügung, sie heiraten zu können. Sie ist aber gleichzeitig auch die Frau, die Antonio in seinem erfolgreichsten Gemälde portraitiert hat, eine «Magdalena zu des Heilands Füßen»[3], welche im weiteren Handlungsverlauf dieser «Künstlernovelle» eine Hauptrolle bekleiden wird.[4]
Im Mittelpunkt dieser «Künstlernovelle» stehen folglich der Lehrling Antonio Scacciati und dessen parthenopeischer Meister – in der Malerei und im Leben – Salvator Rosa während des zweiten römischen Aufenthaltes und der Jahre in Florenz (1650-1673) –eine eklektische Figur des italienischen Spätbarocks, die nicht nur Maler, sondern auch noch Dichter, Musiker und Schauspieler war.
Was Hoffmann von Salvator Rosa erzählt, stammt aus verschiedenen Quellen, auf die die Literaturkritik eingehend verwiesen hat und die der romantische Autor einer Verdichtung unterzogen und in verschiedenen Fällen gemäß dem «serapiontischen Prinzip» auch bewusst verändert hat. Dies geht aus dem incipit der Novelle hervor, denn kein Biograph von Salvator Rosa hat jemals dessen kriminelles Verhalten im Jugendalter in Zweifel gezogen, während es Hoffmann von den ersten Zeilen der Novelle an um eine völlige Rehabilitierung des Künstlers geht, wobei daher gerade die vollkommene Anerkennung von Salvator Rosa als Künstler seitens der Dichter, Musiker und Maler seiner Zeit ein Thema ist.[5] Dennoch ist die Freundschaft von Salvator Rosa mit einem Kurpfuscher, der zugleich auch Maler war, eine historische Tatsache. Hoffmann allerdings leitet dessen Namen aus dem Künstler-Lexikon der Füßlis ab, in dem der florentinische Maler Andrea Scacciati (1642-1710) erwähnt wird. Hoffmann verändert den Namen mit dem Verweis auf das Kapitel Der Schüler und Raffael der Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (Effusioni di cuore di un monaco amante dell’arte, 1797) von Wilhelm Heinrich Wackenroder, in dem sich der Lehrling des Urbinate Antonio nennt, jedoch keinen Nachnamen hat. Somit versetzt Hoffmann den jungen Lehrling nicht nur in die Position des Schülers, sondern leitet auch die Reflexion über die Malerei ein, worauf Rosa in der Novelle sofort eingeht, indem er die Kunst von Antonio Scacciati in das Umfeld von Sanzio stellt, dessen bereits in Der Schüler und Raffael enthaltene Argumentation bezüglich Imitation und Inspiration er keinesfalls nur durch Zufall wieder aufnimmt.
Verschiedene Aspekte führen zu der Annahme, Hoffmann habe eigentlich recht wenig über das Leben von Salvator Rosa gelesen. Ein noch während der Niederschrift der Novelle an den Freund Adelbert von Chamisso (1781-1838) geschickter Brief bezeugt dies. In diesem bat der Autor Letzteren ihm irgendein beliebiges Werk über den parthenopeischen Maler zu besorgen, da er keine Zeit habe, selbst eine Bibliothek aufzusuchen[6]. Somit kommt der mehr als nur berechtigte Verdacht auf, dass sich Hoffmann zum Verfassen seiner Novelle vorwiegend Auflistungen oder Verzeichnissen von Werken über Salvator Rosa, den Barock und über das Rom der Päpste bedient haben dürfte, eher noch als der Lektüre all der Studien über Kunstgeschichte und, allgemeiner gesprochen, der Quellen, die in der Novelle mehr oder weniger direkt angeführt werden.
Die Überfülle der anscheinend von Hoffmann gelesenen Werke an sich, wie auch der übertriebene Zugriff in der Novelle auf Namen von Schriftstellern, Malern und Sängern jener Zeit enthüllen im Grunde, dass der Schriftsteller zum Verfassen des Signor Formica sich vielmehr der Quellen, «die er schon lange „metabolisiert“ hatte und die die Grundlage seines Italienbildes darstellten»,[7] also die Commedia dell’arte und die Werke Jacques Callots und Carlo Gozzis, bedient hat als sie zu konsultieren.
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In der Beschreibung der Figuren der Novelle lassen sich somit die Masken der italienischen Commedia dell’arte wiedererkennen, wozu der Pyramiden-Doktor, Pitichinaccio, Signor Capuzzi und Signor Formica gehören, die den Signor Formica inspiriert haben und dank derer die Novelle zur Sedimentation des «ambivalenten Mythos eines Italien [beigetragen hat], welches nach dem Schwarzweiß-Prinzip nicht nur der Projektionsraum seiner eigenen Ängste oder die Bühnenkulisse typisierter Übeltäter ist, sondern auch das Vaterland der Commedia dell’arte, somit der ideale, metamorphe Ort, um dem humoristischen Lachen freien Raum zu gewähren»[8]. Mit einem Notbehelf, den Hoffmann aus Shakespeares Hamlet wohl kennt, und zwar dem Theater im Theater, ist es dem Autor sehr wohl gelungen, den Gegenspieler von Capuzzi, mit dem sich der echte Signor Pasquale auf der Bühne auseinandersetzen wird, zwei Mal gut in Szene zu setzen, während der Erstere ihn mit all seinen Lastern, Schwächen und seiner Erbärmlichkeit bloßstellt.
Es ist interessant festzustellen, dass die Quellen, aus denen der Autor für die Beschreibung Roms schöpft, dieselben sind, die Hoffmann dann kurz danach beim Verfassen der Prinzessin Brambilla verwendete.[9] Neben den Beschreibungen des römischen Karnevals, die Goethe bereits 1789 veröffentlicht hatte und die dann im dritten Teil der Italienischen Reise (1816) zusammenfließen sollten, bediente sich Hoffmann der Beschreibung der im Reisebericht in Briefform erwähnten Städte von Karl Philipp Moritz, Reisen eines Deutschen in Italien in den Jahren 1786 bis 1788 (1793) – ein Werk, aus dem nicht nur die Namen der Straßen und Plätze sowie die Beschreibung der auf diese gehenden Häuser und Gebäude entnommen sind, wie der Palazzo Doria Pamphili, erbaut zwischen 1644 und 1650 (in den Jahren, in denen sich in der Novelle die Ankunft von Rosa in Rom abspielt). Aus dem Bericht von Moritz übernahm Hoffmann auch die in der Erzählung vorkommenden italienischen Redewendungen der Witwe Caterina, welche ihm in der Via Borgogna ein Zimmer vermietet. Diese verleihen der Novelle einen folkloristischen Touch, der ansonsten dem deutschen Leser unmöglich zu vermitteln wäre und der dennoch in einer anderen, für den Signor Formica verwendeten Quelle des Römischen seine Bestätigung findet, nämlich im Sitten- und Kulturgemälde von Rom (1802) von Karl Ludwig Fernow. Darüber hinaus hat sich Hoffmann bezüglich der Topographie von Rom gar eines regelrechten Breviers des deutschen Reisenden zu Zeiten der Grand Tour bedient, und zwar des Reiseführers von Johann Jacob Volkmann, Historisch-kritische Nachrichten von Italien.
E.T.A. Hoffmann war von Rosas typisch italienischer Vielseitigkeit fasziniert, insofern er nicht nur einen Maler vor sich hatte, sondern einen Künstler, der malen, spielen, Gedichte und Satiren schreiben und sogar in die Rollen von Coviello/Formica schlüpfen konnte,[10] eine Gestalt, mit der er auch am römischen Karneval teilnahm.
Indem er sich mit den historischen und biographischen Quellen über den Künstler und durch seine Faszination von Rosas geistiger Vielseitigkeit in einen offenen Kontrast wagte,[11] betont Hoffmann in seiner Novelle mehrmals seinen Widerwillen, Salvators Teilnahme an der Revolte der Neapolitaner gegen die Spanier anzuerkennen, welche das Königreich Neapel nach dem Tod von Friedrich von Aragon, den Masaniello (eigentlich Tommaso Aniello d’Amalfi) vom 7. bis zum 16. Juli 1647 unterstützte, durch einige Vizekönige regierten. Hoffmann erinnert außerdem in seiner Novelle an Angelo Falcone, dessen Schüler Salvator Rosa am Anfang seiner Laufbahn in Neapel als berühmter Maler von Kriegsschlachten gewesen war. Falcone, Schüler von Jusepe de Ribera, genannt «lo Spagnoletto» („der kleine Spanier”), hatte während Masaniellos Aufstand die sogenannte «Kompanie des Todes» gegründet, um sich mit dem Schwert an der Ermordung eines Freundes zu rächen, und nicht an der eines Verwandten, wie Hoffmann erzählt. Neben Falcone gehören noch weitere Maler dieser Zeit jener geheimen Gesellschaft an, z.B. Domenico Gargiulo, bekannt als Micco Spadaro, und Mattia Preti[12] und, entgegen Hoffmanns Behauptung, Salvator Rosa.
Wie so oft in Hoffmanns Werk, stecken hinter diesen historischen Bezugnahmen Verweise auf die geopolitische Situation zu Zeiten des Autors, welcher durch diesen Anachronismus auf das Deutschland unter der Herrschaft Napoleons anspielt.[13] Signor Formica ist daher nicht nur eine Künstlernovelle, sondern auch eine Apologie von Salvator Rosa, verbunden mit der Absicht, ihn von jeglichem Verdacht der Teilnahme an Masaniellos Verschwörung freizusprechen und auch mit dem Ziel einer Rehabilitierung des Bildes vom neapolitanischen Dichter und unter anderem um die Kunst gleichzeitig zum Mittel des politischen Widerstandes und der sozialen Emanzipation zu erheben.
In der ganzen Novelle geht es daher ebenfalls um das Thema des «Doppelgängers» und des Traumhaften in der Duplikation des Ich. Außer der Tatsache, dass Rosa als Doppelgänger von Hoffmann selbst verstanden wird, welcher einen komplexen Moment als Politiker und Künstler durchlebt, ist die Novelle schon von ihrem Titel her auf den Doppelgänger des neapolitanischen Malers begründet, das heißt auf Signor Formica, der sich als Salvator selbst erweist, welcher in der Rolle der Maske und mit seinen Gemälden die Laster des Roms jener Zeit verurteilt.[14]
[1] Zum Kontrast zwischen «wunderbar» und «wunderlich» in Hoffmann, vgl. Gisela Vitt-Maucher, Die wunderlich wunderbare Welt E.T.A. Hoffmanns, in «Journal of English and Germanic Philology», 75 (4)/1976, S. 515-530.
[2] Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. 1823-1832, hrsg. von Christoph Michel unter Mitwirkung von Hans Grüters, DKV, Frankfurt am Main 1999, S. 221.
[3] Zum Thema der Magdalena und zu den Hypothesen über «Magdalena zu des Heilands Füßen«, gemalt von Scacciati und über die Ekphrasis des von Salvator Rosa in Signor Formica dargebotenen Bildes, vgl. Michele Cometa, Descrizione e desiderio. I quadri viventi di E.T.A. Hoffmann, Meltemi, Roma 2005, S. 99 ff.
[4] Zur Novellengattung bei Hoffmann und insbesondere zu Signor Formica, eine «Kunstnovelle» und «Künstlernovelle» zugleich, was noch bis zu Tonio Kröger (1903) von Thomas Mann und darüber hinaus Schule machen sollte, vgl. Detlef Kremer, Künstler/Außenseiter, in Detlef Kremer (hrsg. von), E.T.A. Hoffmann-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, De Gruyter, Berlin 2009, S. 508-511.
[5] Über die Verdichtung der literarischen und künstlerischen Quellen in Signor Formica seitens Hoffmann, vgl. Katrin Bomhoff, Bildende Kunst und Dichtung: Die Selbstinterpretation E.T.A. Hoffmanns in der Kunst Jaques Callots und Salvator Rosas, Rombach, Freiburg im Breisgau 1999. Zwecks einer ersten Orientierung über die Rezeption von Salvator Rosa in den verschiedenen Kunstformen in Deutschland vgl. Achim Aurnhammer, Günter Schnitzler, Mario Zanucchi (hrsg. von), Salvator Rosa in Deutschland. Studien zu seiner Rezeption in Kunst, Literatur und Musik, Rombach, Freiburg im Breisgau 2008.
[6] Vgl. E.T.A. Hoffmann, Briefwechsel. Zweiter Band. Berlin 1814 – 1822, gesammelt und erläutert von Hans von Müller und Friedrich Schnapp, Winckler, München 1968, S. 195.
[7]Matteo Galli, »Die Schrecken der entsetzlichen Zeit«: Signor Formica, in Sandro M. Moraldo (hrsg. von), Das Land der Sehnsucht. E. T. A. Hoffmann und Italien, C. Winter, Heidelberg 2002, S. 169.
[8] Vgl. Stefania Acciaioli, Italia anelata, Italia straniata, Italia ironizzata. E.T.A. Hoffmann e Wilhelm Hauff, in «LEA. Lingue e letterature d’Oriente e d’Occidente», 2/2013, S. 411.
[9] Vgl. Klaus Detering, E.T.A. Hoffmann: Erzählungen und Romane, Bd. 2, Königshausen & Neumann, Würzburg 2008, S. 124.
[10] Man beachte die Bezeugung in der Biographie in zwei Bänden der Künstlerin Lady Morgan, The Life and Times of Salvatore Rosa, Henry Colburn, London 1834, Bd. 1, S. 194.
[11] Vgl. Armin Schäfer, Signor Formica. Eine Novelle (1819), in Detlef Kremer (hrsg. von), E.T.A. Hoffmann-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, a.a.O., S.134-137
[12] Hoffmann verfügte über die Informationen zur «Kompanie des Todes» dank Christian Joseph Jagemann, Das Leben des berühmten Malers Salvatore Rosa, gezogen aus den Notizie apparenti alla vita di Salvator Rosa, welche der Florentinischen Herausgabe seiner Satyren von Jahr 1770 vorgesetzt sind, in «Magazin der italienischen Literatur und Künste», 4/1780, S. 1-17. Eine weitere Quelle, der Hoffmann nützliche Informationen über das Leben des Malers und dessen Zugehörigkeit zur «Kompanie des Todes» entnommen hat, wird von der Literaturkritik im sechsten Abschnitt des zweiten Teils des Allgemeinen Künstlerlexikons, oder: Kurze Nachricht von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Kunstgießer, Stahlschneider [et]c. [et]c.: nebst angehängten Verzeichnissen der Lehrmeister und Schüler, auch der Bildnisse, der in diesem Lexikon enthaltenen Künstler, anerkannt, unter Herausgabe von Johann Rudolf Füßli e Heinrich Füßli, Orell, Zürich 1812. In der Novelle bezieht sich Hoffmann außerdem in verschiedenen Schritten explizit auf die Observations sur quelques grands peintres dans lesquelles on cherche à fixer les caractères distinctifs de leurs talents, avec un précis de leur vie (Duminil-Lesueur, Paris 1807) von Jean-Joseph Taillasson (1745-1809).
[13] Zu dieser Hermeneutik von Hoffmanns Gesamtwerk vgl. Matteo Galli, L’officina segreta delle idee. E. T. A. Hoffmann e il suo tempo, Firenze, Le lettere 1999.
[14] Vgl. Walter Regel, Rasa auf der Bühne, in Walter Regel, Hartmut Köhler (hrsg. von), Hoch gerühmt, fast vergessen, neu gesehen: Der italienische Maler und Poet Salvatore Rosa. Studien zur Neubewertung, Königshausen und Neumann, Würzburg 2007, S. 310-317.
Acciaioli Stefania, Italia anelata, Italia straniata, Italia ironizzata. E.T.A. Hoffmann e Wilhelm Hauff, in «LEA. Lingue e letterature d’Oriente e d’Occidente», 2/2013, S. 403-422 (http://www.fupress.net/index.php/bsfm-lea/article/view/13833).
Aurnhammer Achim, Günter Schnitzler, Mario Zanucchi (hrsg. von), Salvator Rosa in Deutschland. Studien zu seiner Rezeption in Kunst, Literatur und Musik, Rombach, Freiburg im Breisgau 2008.
Bomhoff Katrin, Bildende Kunst und Dichtung: Die Selbstinterpretation E.T.A. Hoffmanns in der Kunst Jaques Callots und Salvator Rosas, Rombach, Freiburg im Breisgau 1999.
Cometa Michele, Descrizione e desiderio. I quadri viventi di E.T.A. Hoffmann, Meltemi, Roma 2005.
Detering Klaus, E.T.A. Hoffmann: Erzählungen und Romane, Bd. 2, Königshausen & Neumann, Würzburg 2008.
Detlef Kremer (hrsg. von), E.T.A. Hoffmann-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, De Gruyter, Berlin 2009.
Hemmerich Gerd, Vereidigung des »Signor Formica«. Zu E.T.A. Hoffmanns Novelle, in «Jahrbuch der Jean Paul-Gesellschaft», 17/1982, S. 113-127.
Galli Matteo, »Die Schrecken der entsetzlichen Zeit«: Signor Formica, in Sandro M. Moraldo (hrsg. von), Das Land der Sehnsucht. E. T. A. Hoffmann und Italien, C. Winter, Heidelberg 2002, S. 167-177.
Galli Matteo, L’officina segreta delle idee. E. T. A. Hoffmann e il suo tempo, Firenze, Le lettere 1999.
Hoffmann E.T.A, Briefwechsel. Zweiter Band. Berlin 1814 – 1822, gesammelt und erläutert von Hans von Müller und Friedrich Schnapp, Winckler, München 1968.
Lady Morgan, The Life and Times of Salvatore Rosa, Henry Colburn, London 1834.
Regel Walter, Hartmut Köhler (hrsg. von), Hoch gerühmt, fast vergessen, neu gesehen: Der italienische Maler und Poet Salvatore Rosa. Studien zur Neubewertung, Königshausen und Neumann, Würzburg 2007.
Vitt-Maucher Gisela, Die wunderlich wunderbare Welt E.T.A. Hoffmanns, in «Journal of English and Germanic Philology», 75, 4, 1976, S. 515-530.