Julius Graf von Soden
⟨23. April 1808.⟩
Ganz unendlich freut es mich nunmehr die gewisse Aussicht zu haben Ew. Exellenz noch vor Ablauf des Sommers meine innigste Hochachtung persönlich bezeigen zu können. — Hrn. Cuno’s Anerbietungen habe ich unbedingt angenommen unerachtet mir die jährliche Gage von 600 f sehr geringe vorkommen muß und ich nur ein halbes Benefiz erhalte; ich rechne darauf bei meinem Posten noch Zeit zu NebenArbeiten zu gewinnen und mir so durch Komposition und allenfalls auch Unterricht im Gesange mein Einkommen zu verbessern. Hr. Cuno sagt mir nehmlich, daß es in Bamberg an geschickten Musiklehrern mangle unerachtet sie sehr gut bezahlt würden und sollten dies Ew. Exellenz bestätigen, so würde es mir mehr Mut geben, da ich bei dem mir zugesicherten sehr spärlichen Gehalte doch zuweilen wegen meines Auskommens etwas ängstlich bin. —
Sollten Ew. Exellenz noch den Joseph ausarbeiten wollen, so würde ich die Komposition ohne weitern Anspruch übernehmen und nur um die Erlaubnis bitten den Text mit der Partitur im Manuskript an irgend ein Theater verkaufen zu dürfen. — Erlauben mir Ew. Exellenz nur über die Form dieser Melodramen in so fern die Musik dabei mitwirkt, einige Worte; ich kleide meine Bemerkungen in eine Beurteilung des Quaisinschen Salomons ein.
Das Stück fängt mit einer Ouverture an die feierlich gehalten sein soll, und nach Endigung derselben malt eine leichte frohe Musik der Gärtner lustiges Leben. — Die Idee ist gut; jedes wichtige Stück sollte mit einer dazu geschriebenen Overture, die den Zuhörer in die dem Stück zusagende Stimmung versetzt, anfangen, und auch eine Introduzzione würde in so fern von Wirkung sein, als diese nun den ersten Szenen näher tritt und so den Übergang von der Ouverture, die die Tendenz des Stücks im Allgemeinen aussprach, zu den ersten Szenen, deren Charakter sie trägt, machen kann.
1. Bei dem Auftreten der wichtigsten Personen des Stücks ertönt eine Musik. — Dies Mittel das Interesse der Zuschauer noch mehr aufzuregen ist gerade nicht verwerflich indessen die weiseste Ökonomie dabei zu beachten. Nur höchst selten und dann nur so kurz als möglich darf man meines Bedünkens hier Musik anbringen. Geschieht es oft, so wird der Zuhörer nicht mehr von dem Gefühl des Außerordentlichen, auf das man rechnete, ergriffen werden. Ist die Musik länger als die Person gerade zum Auftreten Zeit braucht, so entsteht ein Ruhepunkt in der Handlung, und die Personen sind genötigt, wie es im Salomon oft geschieht, sich erst eine Weile anzusehen ehe sie zu sprechen anfangen, welches lächerlich ist; deshalb verwarf schon Gluk mit Recht in der Oper die langen Ritornelle.
2. Manche Reden werden von Musik begleitet. — Es läßt sich denken, daß irgend ein Motiv da ist während der Rede Musik ertönen zu lassen und dann kann es von großer Wirkung sein, ohne ein solches Motiv ist aber jene Einrichtung höchst geschmacklos und ungereimt. Z. B. in der Octavia schlummert Antonius in einem reich geschmückten Zelte und während Harfen und Flöten, die ihn in den Schlaf einlullten, in dem Zelte lispeln, begeht Cleopatra im Vorgrunde des Theaters den Verrat an ihm. Eben so ist es mit dem berühmten Monolog der Jungfrau; in den Bergen ertönt die Schalmei, der Hirte singt sein muntres Lied, und schwerer wird ihr der Abschied von dem friedlichen IdyllenLeben, da die heimatlichen Töne sie sehnsuchtsvoll zurückrufen! — In beiden Fällen steht die Musik keinesweges mit der Rede in unmittelbarer Berührung, sie ist vielmehr ein zufälliges Ereignis von der Rede unabhängig, wird von dem Zuhörer als solches beachtet und, in so fern es die romantische Stimmung des Augenblicks erhöht, seine Wirkung nicht verfehlen. Selbst im gemeinen Leben hört man solche Fälle zB. »Denken Sie Sich mein Gefühl, gerade als meine Gattin starb, stimmten vor meinem Hause, die Chorschüler den Choral: ˃Wie sie so sanft ruhen˂ an«; oder »ich hatte mich gestern auf dem Balle von der Untreue meiner Geliebten überzeugt und gerade als ich das Billett siegelte das uns auf ewig trennen sollte, kam die Wachtparade vorbei und die Hoboisten spielten einen Walzer« ppp
Was soll man aber nun sagen, wenn Salomon hinkniet und den lieben Gott um genugsamen Verstand bittet und nun wird mit einem mal auf Bassethörnern dazu geblasen. Hier steht die Musik mit der Rede in unmittelbarer Berührung weshalb der Deklamator genötigt ist seine Rede den Rhythmen der Musik genau anzupassen, wodurch denn die Rede selbst einen rhythmischen Verhalt bekommt der an die Grenze des Gesanges anstreift ohne die Bedingnisse des Wohllauts durch den Tonfall zu erreichen. Musik und Rede beides verliert durch einander und neben einander, weil man es gedrungen als zusammen existierend, wie Gesang und Instrumentalbegl〈eitung〉 beachten muß. Ist nun noch diese Musik vollends so vorgreifend und doch so leer wie im Salomon so kann der Effekt nicht anders als höchst widrig sein. Selbst Ifflands herrliche Deklamation vermochte hierin nichts zu ändern, und unter den echten Kennern der Kunst war hierüber nur eine Stimme.
4. Der Zug mit dem Salomons Braut erscheint, geht mit einem Marsche vorüber und im letzten Akte sind zwei Chöre eingewebt. — Ich komme auf einen HauptPunkt, und auf die Auseinandersetzung einer Idee die ich Ew. Exellenz längst vortragen wollte. —
Schon längst hatte man Trauerspiele mit Chören, die aber eine von dem Stück getrennte musikalische Masse formierten. Z. B. In Racinens Athalia versammeln sich am Schlusse jedes Akts die Leviten und singen eine Kantate; denn etwas anders sind die Chöre mit eingewebten Solos, Duetts u. s. w. nicht. Es entsteht dadurch nicht allein ein geteiltes Interesse, sondern auch eine Einförmigkeit die Langeweile erregt, ist die Musik auch so herrlich, wie eben die Schulzische zur Athalia . In Herrmann von Unna ist die Einrichtung opernmäßig, und nur der ernste hohe Kirchenstyl Voglers entschädigte für jenen Fehler. — Man hat noch etwas anders getan, man hat den Chor der griechischen Tragödie herbeizuführen gesucht, und mehrere Personen haben Strophen zusammen deklamiert; ich halte dies für einen großen Miß-Griff; musikalische Ohren wenigstens halten jenes Zusammensprechen, was ganz abscheulig klingt, nicht aus und diese neue Idee taugt nichts. Neu ist die Idee, denn die Griechen dachten nicht daran den Chor sprechen zu lassen. Er sang vielmehr und wurde von Instrumenten begleitet. Aus mehreren Autoren läßt sich dies beweisen, und mir ist gerade eine Stelle aus dem Seneca gegenwärtig welche entscheidet: »Non vides, quam multorum vocibus chorus constet? — unus tamen ex omnibus sonus redditur. ( Unser Unisono) Aliqua illic acuta, aliqua gravis, aliqua media. Accedunt viris feminae, interponuntur tibiae, singulorum illic latent voces, omnium apparent.«
Wie wäre es, wenn man die Idee des Chors der Griechen beibehielte, unsere Musik aber, wie sie jetzt gestiegen ist, auf ihn anwendete? — Die Begleiter der Helden teilnehmend an der Handlung äußern ihre Bewunderung, ihr Erstaunen, ihren Schmerz, ihr Entsetzen in kräftigen Strophen in den wichtigen Momenten des Stücks und zwar singen sie diese Strophen ab; wobei denn aber der Dichter sowohl als Komponist kräftig und kurz sein müßte. Nach beliebter jetziger Form ausgeführte Chöre würden ein Mißgriff sein und es würde klingen wie eine Oper, worin die Hauptpersonen wegen Heiserkeit oder sonst ihre Rollen absprechen. — Es versteht sich, daß von der innern poetischen Form und Einrichtung des griechischen Chors nicht die Rede sein könnte, sondern daß die Form der jetzigen Musik angepaßt werden müßte und nur allenfalls Strophe und Gegenstrophe beibehalten werden könnten. — Auf großen Theatern wo ein wohl eingesungener Chor von wenigstens 40 Personen zu haben ist, müßte der Chor durchaus keine InstrumentalBegleitung (vielleicht nur Violons) haben und so von der größten Wirkung sein. — Der Chor ist überdem schon als Masse von den Personen des Stücks unterschieden und um so weniger dürfte es auffällig und störend sein daß nur er singt. — So wie es in einem Briefe möglich ist, nur skizziert habe ich Ew. Exellenz meine Idee; sollten Sie wohl geneigt sein nach derselben den Joseph zu bearbeiten? — Auf einen Versuch dies neue Genre einzuführen und die jetzigen sogenannten Melodramen vielleicht etwas auf die Seite zu drängen käme es doch wohl an. —
Hrn. Cuno habe ich die Oper der Trank pp für ein von ihm selbst zu bestimmendes Honorar überlassen und nur gebeten mir dieses Honorar jetzt gleich anzuweisen, welches ich denn doch für billig halte. Wenn Ew. Exellenz Sich für die Erfüllung dieser Bedingung gütigst interessierten, würden Sie mich ganz außerordentlich verbinden.
Mit der innigsten Hochachtung habe ich die Ehre zu sein
Ew. Exellenz
untertänigster
Hoffmann
Berlin
den 23 April 1808