Stanisław Lem
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Seminars „E.T.A. Hoffmann und Europa“, das das Team E.T.A. Hoffmann Portal im Sommersemester 2019 am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin angeboten hat. Insgesamt 16 Studierende hatten sich in diesem Seminar einerseits mit Autoren aus dem europäischen Ausland beschäftigt, die E.T.A. Hoffmanns Werk beeinflusst haben, und andererseits mit Zeitgenossen und späteren Autoren, die sich von E.T.A. Hoffmann inspirieren ließen. Die besten Arbeiten, die zum Teil von den Studierenden selbst webgerecht aufbereitet wurden, konnten im Portal veröffentlicht werden.
Kalina Hauser wurde 1997 in Berlin geboren. Sie studiert seit 2016 Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Italienisch an der Freien Universität Berlin. (→ Forscherinnenprofil)
Biografie
1921 – Stanisław Lem wird in Lemberg (polnisch: Lwów, heute Ukraine) geboren
1940 – er beginnt ein Studium der Medizin an der Universität Lemberg
1944 – nachdem Lemberg an die Sovietunion fällt, muss Lem nach Krakau umziehen
1946 – schreibt seinen ersten Roman Człowiek z Marsa (dt. Der Mensch vom Mars, 1989)
Lem arbeitet nach dem Medizinstudium in der Forschung. In den 50er und 60er Jahren erlangt er außerdem internationale Berühmtheit für seine Science-Fiction-Romane, darunter Dzienniki gwiazdowe (1957, dt. Die Sterntagebücher des Weltraumfahrers Ijon Tichy, 1961), Solaris (1961, dt. 1972), Eden (1959, dt. 1961) und Cyberiada (1965, dt. Kyberiade, 1983). Einige seiner Romane, darunter Solaris und Die Sterntagebücher des Weltraumfahrers Ijon Tichy, werden verfilmt oder inspirieren Filme und Serien.
2006 – Lem stirbt im Alter von 84 Jahren in Krakau
Der Science Fiction-Autor
Stanislaw Lem ist für seine Science-Fiction-Romane weltberühmt. Er war gelernter Mediziner und bewandt in Kernphysik, Mikrobiologie, Mathematik und Philosophie. Seine Romane und Erzählungen haben deshalb einen „ernstzunehmenden futurologischen Anspruch“[1] und befassen sich auf wissenschaftstheoretischer Art und Weise mit möglichen Zukunftsproblemen.
Nikolchina identifiziert in ihrem Essay „Love and Automata: From Hoffmann to Lem and from Freud to Kristeva“[2] die inhaltlichen Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen E.T.A. Hoffmanns Sandmann und Stanislaw Lems Maska.
Hoffmann-Bezüge: Das Automaten-Motiv in Lems „Maska“
Im Mittelpunkt von Stanisław Lems Science-Fiction-Erzählung Maska (1976) (deutsch Die Maske) steht das Motiv der Liebe zwischen Mensch und Automat. Diese Thematik spielt auch in E.T.A. Hoffmanns Sandmann eine tragende Rolle. Darauf aufbauend wird in beiden Erzählungen der Konflikt zwischen Realität und Traum beziehungsweise zwischen Vernunft und Fantasie behandelt. Außerdem beschäftigen sich die Protagonisten jeweils mit der Frage, inwiefern sie in ihrem Handeln frei sind und ob sie überhaupt auf den Verlauf ihres Daseins Einfluss nehmen können.
Inhaltsangabe Maska
Freiheit
Moral
künstliche Intelligenz
In Die Maske ist der Automat gleichzeitig auch der Protagonist, aus dessen Perspektive die Handlung erzählt wird. Eine komplexe, heuschreckenähnliche Maschine erwacht in Gestalt einer schönen Frau. Sie untersucht ihre Umgebung und führt Handlungen aus, die sich im Laufe der Handlung als vorprogrammiert entpuppen. Ihre Aufgabe ist es, das Vertrauen eines Anhängers des Königs zu gewinnen und ihn letztendlich zu töten. Durch die Fähigkeit, sich selbst zu reflektieren, erkennt die Maschine im Laufe der Handlung, dass sie auf den Mord dieses Hofgetreuen programmiert ist und in ihrem Handeln nur vorgegebenen Mustern folgen kann. In einer Prozedur, die an einen Kaiserschnitt erinnert, streift sie daraufhin ihren menschlichen Körper ab, gebärt dadurch jedoch die Tötungsmaschine, die in ihrem Inneren versteckt war. Die Tötungsmaschine beginnt, ihr Opfer zu verfolgen.
Während der Hetzjagd werden die Zweifel der künstlichen Intelligenz an ihrer Handlungsweise lauter. Sie erforscht die Grenzen ihrer persönlichen Freiheit und stellt sich die Frage, ob auch sie die menschliche Fähigkeit besitzt, aus ihrem Wissen, ihrer kognitiven Flexibilität und ihrem Verständnis von Logik eine eigene Moral zu entwickeln.
Lems Erzählung stellt Fragen in den Raum, die im Hinblick auf die Entwicklung der künstlichen Intelligenz aktuell sind: Kann eine künstliche Intelligenz eine Moral entwickeln, und wenn ja, mit welchen Voraussetzungen? Kann eine Maschine ihren eigenen Willen haben und danach handeln?
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Maska und Der Sandmann
Perspektive
In beiden Erzählungen verliebt sich ein Mann in einen Automaten und wird so ins Verderben gestürzt. Auch wird in beiden Texten erst über die Verstümmelung des Automaten seine wahre Identität preisgegeben.
Ein grundlegender Unterschied zwischen der Erzählung Hoffmanns und der Erzählung Lems ist jedoch die Perspektive, aus der erzählt wird. Im Sandmann wird die Handlung aus Sicht des Studenten Nathanael, der sich in den Automaten Olimpia verliebt, erzählt. Im Gegensatz dazu ist in Maska der Automat selbst der Erzähler. Aus diesem Grund stehen in den Erzählungen unterschiedliche Aspekte im Vordergrund: In Maska stellt sich die Protagonistin hauptsächlich Fragen über ihre Fähigkeit, moralisch und frei vom Willen ihres Programmierers handeln zu können; im Sandmann spielt die Idee des Unheimlichen und des Schicksals eine größere Rolle.
Anmerkungen
[1] „Stanislaw Lem 1921 – 2006“. URL: https://german.lem.pl/. Zuletzt besucht am 13. Juli 2019.
[2] Nikolchina, Miglena: „Love and Automata: From Hoffmann to Lem and from Freud to Kristeva“, in: Joe Sanders (Hrsg.): Functions of the Fantastic: selected essays from the Thirteenth International Conference on the Fantastic in the Arts. Westport, Connecticut/London: Greenwood Press 1995. S. 77-81.
Literatur
Hoffmann, E.T.A.: Der Sandmann. Ditzingen: Reclam Verlag [1986] 2001.
Lem, Stanisław: Maska. Krakau: Wydawnictwo literackie Kraków 1976.