Friedrich Speyer
Dresden den 13 t Juli 1813.
So wie Sie in Bamberg wie im tiefsten Frieden leben, so habe ich in Leipzig wie mitten im Kriege selbst jetzt während des Waffenstillstandes gelebt, und zum ersten Male in meinem Leben ein nicht unbedeutendes blutiges Gefecht aus geringer Entfernung, vertrauend auf meine Schnellfüßigkeit, angesehen; es war die Affaire, welche am 7 t Juni Vormittags 9 Uhr vor den Toren von Leipzig statt fand. Die späteren Auftritte zwischen den Preußen und Franzosen, die durch ganz eigene Mißverständnisse erzeugt wurden, Leipzigs Belagerungszustand u. s. w. übergehe ich, da sie aus den Zeitungen bekannt sein werden. —
Ich komme zu meinen DienstVerhältnissen. — Den Seconda habe ich ganz so gefunden, wie ihn mir Rochlitz schilderte — ein lieber ehrlicher dummer Mann, der 25 Jahre hindurch die Maschine gedreht hat, wie der Esel die Walkmühle; er strich seine 4 bis 5000 rth monatlich ein und gab sie wieder aus — so wie aber das Ding etwas aus dem Geleise kommt, verliert er den Kopf und weiß sich nicht zu helfen. — In jener so unruhigen Zeit blieb natürlicherweise das Theater leer, ja wir konnten nicht einmal spielen, da oft plötzlich vor der TheaterZeit der Generalmarsch geschlagen und die Tore gesperrt wurden. Hr. Seconda erklärte daher am 5 t Juni ganz kaltblütig: er müsse das Theater schließen und wir könnten alle hingehen, wohin wir wollten. Sie können denken, daß uns alle dies wie ein Donnerschlag aus heiterer Luft traf, da wir überzeugt waren, daß es so weit durchaus nicht mit dem Theater gekommen war und sich allerdings Auswege finden müßten, die böse Zeit zu überstehen und die Sache zu erhalten; alle Vorstellungen, ja selbst das durch die Vermittelung unseres Komikers Hrn. Kellers — eines in Leipzig durchaus geschätzten Mannes — von einem Kaufmann angebotene Darlehen von 1000 rth fruchteten nichts. Hr. Seconda blieb bei seinem Vorhaben. — Nun trat die Gesellschaft zusammen und beschloß, nach möglichster Verringerung des AusgabeEtats wenigstens 14 Tage hindurch auf eigene Rechnung zu spielen und Hrn. Seconda die Buchführung über Einnahme und Ausgabe zu überlassen. Der Leipziger Rat erlaubte dies nicht nur, sondern war so billig die Miete des Hauses merklich herabzusetzen. Die hohen Gagen wurden beinahe auf die Hälfte reduziert, und so fingen wir getrost an, in der Hoffnung uns vielleicht den Sommer durchzubringen, da gar keine Aussicht vorhanden im Linkischen Bade in Dresden außerhalb der Verschanzungen spielen zu können. — Das Glück wollte uns wohl; denn mit den beiden nichts weniger als neuen Opern: Sargino und Figaro, die aber exzellent gingen und mit rauschendem Beifall aufgenommen wurden, so daß jede dreimal bei vollem Hause wiederholt werden konnte, nahmen wir so viel ein, daß alle Ausgaben — diese betragen nach der Herabsetzung jeden Tag 123 rth!! — bestritten und unsere herabgesetzten Gagen ohne weitern Abzug gezahlt werden konnten. — Schon präparierten wir uns auf die Fortsetzung unseres Unternehmens und gedachten keck und kühn die Vestalin einzustudieren, als Hrn. Seconda ganz unerwartet ein Glücksstern aufgegangen war. (Für Hansen ist mir gar nicht bange, der kommt durch seine Dummheit fort!) Durch Vermittelung seines Bruders Franz hatte er nehmlich die Erlaubnis erhalten, in Dresden auf dem Hoftheater, und zwar auch Sonntags , spielen zu dürfen — etwas in Dresden ganz unerhörtes und nur seit der Zeit möglich, da der König von Sachsen einen großen Hut mit Federbusch und Sturmband trägt. — Nun übernahm Hr. Seconda natürlicherweise, das Steuer wieder in die Hand, und wir richteten unsern Lauf am 24 t Juni in neun Halbwagen gen Dresden. — Eine lächerliche Reise — die mir Stoff zu der humoristischten Erzählung geben würde. — Vorzüglich war ein Hamburger Stuhlwagen, auf dem sich der Unterstab nebst überflüssigen Mägden, Kindern und Tieren befand, mir so merkwürdig, daß ich nie versäumte mich beim Ein- und Ausladen gegenwärtig zu finden. Nach richtiger Schätzung und Zählung befanden sich darauf: 1 TheaterFriseur, 2 TheaterGehülfen, fünf Mägde, neun Kinder, worunter zwei neugeborene und drei annoch säugende; ein Papagoy, der unaufhörlich und sehr passend schimpfte, fünf Hunde, worunter drei abgelebte Möpse, vier Meerschweinchen und ein Eichhorn. — Ich hatte mit meiner Frau einen Halbwagen für mich, den mir Hr. Seconda meiner verwundeten Frau wegen großmütiger Weise gemietet, und war immer weit voraus, konnte aber nicht unterlassen, an jedem Frühstücks- und MittagsOrt auf die Caravane zu warten. In Oschatz wurde übernachtet, und da es, Gott sei es gedankt! bei unserer Gesellschaft recht gebildete und dabei joviale Menschen gibt, die von dem KomödiantenTik nicht heimgesucht werden, so können Sie denken, daß der Abend recht angenehm zugebracht wurde; ich schlug vor, ob es nicht rätlich sei, des augenblicklichen Imponierens wegen eine Art Triumphzug in Dresden hinein zu veranstalten, worin jener Hamburger Stuhlwagen die Hauptrolle spielen sollte — das wurde mit großem Beifall aufgenommen, und die Rollenverteilung gab Anlaß zu manchem Scherz. Hr. Seconda selbst — er war nicht zugegen, sondern schon in seine Stube gekrochen — sollte in römischer Tracht — er ist ein kleiner alter gebückter Mann mit einem entsetzlich dicken Kopfe und hervorstehenden Glasaugen — als Triumphator auf dem Bocke seines Halbwagen stehen, und durch eine von den Theatergehülfen zu besorgende künstliche Vorrichtung der Papagoy über seinem Kopfe schweben wie der Adler über dem Germanicus. Möpse und Meerschweinchen sollten, wie aus fernen Landen mitgebrachte seltene Tiere, mit köstlichen Blumen geschmückt, von den Mohrensklaven aus dem Axur nachgetragen werden, als Präsent an den König für die erhaltene Erlaubnis u. s. w. Genug von diesen Allotriis !! —
Hr. Seconda hat nun nicht allein das Hoftheater, sondern auch den freien Gebrauch der Dekorationen, Requisiten und der königlichen Garderobe; Sie können daher denken, liebster Doktor! daß es unsern Darstellungen an äußerm Glanz nicht fehlt. Wir haben bis jetzt Don Juan, den Wasserträger, Iphigenia in Tauris, die Entführung aus dem Serail, Joseph, Cendrillon, Helene von Mehul, Sargino gegeben. Vorzüglich waren die Dekorationen zum Joseph in dem edelsten Styl, und, obwohl nicht dazu besonders bestimmt, sehr passend, da sich ein ganz herrlicher egyptischer Saal vorfand, der vielleicht 15 Jahre alt und, wie mir der HofDekorateur Winkler sagte, höchstens zweimal gebraucht worden ist. Die Chöre werden von dreißig Choristen und Kreuzschülern gar rein und fest gesungen, und daß das Orchester sehr brav ist, können Sie wohl denken, wie wohl mir, was insonderheit die Violinen betrifft, das Leipziger Orchester besser gefällt. In Leipzig gibt es aber auch bei der ersten Violine die gefeierten Namen: Campagnoli, Matthaei, Lange pp. Wir wechseln mit den Italiänern, die zweimal spielen, ab, und nur dann und wann läßt der Kaiser von seinen Schauspielern — Talma, die Georges pp sind hier — für sich und die eingeladenen Zuschauer eine Vorstellung geben. Bei den Italiänern haben wir, so wie sie bei uns, freien Zutritt, und bei den Franzosen öffnet sich auch dem artiste allemand die Theatertüre. — Ich habe die Phaedra und den Barbier von Sevillen gesehen — um mich darüber auszusprechen, müßte ich den Brief zur Broschüre und Ihnen Langeweile machen — nur so viel, daß im Barbier von Sevillen der Kaiser oft und recht innig gelacht hat. Unsere Vorstellungen werden mehr besucht, wie die der Italiäner, welches darin liegt, daß diese mit vier, höchstens fünf Opern beständig wechseln, und wir immer Neues auftischen. Das richtige Urteil des französischen und italiänischen Publikums ist, daß bei den Italiänern im Einzelnen besser gesungen würde, bei uns hingegen Chöre und Ensembles, worauf die Italiäner weniger Fleiß verwenden, besser gingen. Wir leben überhaupt mit den Italiänern auf einem freundschaftlichen Fuß, und seit der Zeit, daß die Sandrini mit Benelli ein kleines Duett von mir gesungen hat — in der Scelta dello Sposo — hat sich Morlachi in den Kopf gesetzt, eine teutsche Arie für unsere Krahmer zu komponieren, welches er nimmermehr zu Stande bringt, da er so gut teutsch versteht, wie ich chinesisch, und sich bei Gerardi auslachen läßt, wenn er ein: Klasken Süßkemaktes Brandewin, trinken will. — Es ist mir nicht wenig merkwürdig, daß ich hier den Sargino an demselben Platz, auf demselben rotbeschlagenen Lehnstuhl, vor demselben Pianoforte dirigiert habe, wo Paer ihn, als er zum ersten Mal gegeben wurde, dirigierte. — Übrigens waren, wie ich es voraus wußte, alle Tempo’s in 8 falsch, wie so manches andere. Seconda’s Gesellschaft war vor meiner Ankunft sehr brav, hat aber durch den Abgang von drei Sängerinnen, von denen sich zwei in Leipzig an Kaufleute verheirateten und die dritte eine ehrbare Organistenfrau wurde (Schneiders Frau), einen bedeutenden Stoß erlitten. Unsere prima donna Mad. Krahmer hält das Mittel zwischen der Koehl und der Heunisch. Die zweite Sängerin singt, mit einer dünnen Stimme und ohne alles Gefühl wie ein Haubenstock, alles — das schwierigste prima vista vom Blatt, spielt aus der Partitur u. s. w. und ist, von 16 Jahren und bei ziemlich hübscher Bildung, mir doch höchst odios — die übrigen helfen aus. — Mit zwei ganz besonders guten, ja vortrefflichen Tenoristen, so wie mit einem ganz herrlichen Bassisten hat uns der Heiland gesegnet, und unter den übrigen gibt es nur zwei, die nur schwach musikalisch sind; sonst wird gut und fertig vom Blatt gesungen, und Sie können daher denken, daß mein Amt eben nicht schwer ist. Der Umstand, daß wir bis jetzt nur schon einstudierte Opern geben, setzt uns in den Stand, merklich vorzuarbeiten und für den Herbst und Winter ein ganz neues Repertoir zu schaffen. — Auch dies habe ich alles genau so gefunden, wie Rochlitz mir es schrieb! — Zu andern Dingen! —
Sie haben in der Tat Recht, liebster Doktor! daß ich aus dem stillen friedlichen Lande in Tumult und Krieg gezogen, und in gewisser Art damit geeilt, ja mich auf den ersten Blick übereilt habe. Allein so froh, so gemütlich ich mich in manchem glücklichen Augenblick unter meinen lieben Freunden befand, so selten ich mich an irgend einem andern Orte auf diese herzliche innige Weise angesprochen fühlte, so war ich doch im Innersten überzeugt, um nicht auf immer verloren zu sein, Bamberg so schnell als möglich verlassen zu müssen. — Erinnern Sie Sich nur lebhaft an mein Leben in Bamberg vom ersten Augenblicke meiner Ankunft, und Sie werden gestehen, daß alles wie eine feindliche dämonische Kraft wirkte, mich von der Tendenz — oder besser von der Kunst, der ich nun einmal mein ganzes Dasein, mein Ich, in allem Regen und Bestreben geweiht habe, gewaltsam wegzureißen. — Meine Lage bei Cuno, selbst das aufgedrungene fremde Fach bei H〈olbein,〉 welches noch dazu so viel verführerisches hatte, aber vorzüglich die nie zu vergessenden und zu verwindenden Auftritte mit D, die armseligen dümmlichen Plattituden des alten Mannes; in anderer Hinsicht, aber doch verderblich wirkend, die fatalen Auftritte mit K und ganz zuletzt mit dem S., der mir wie ein ganz neugebackenes aber mißratenes Teufelchen vorkam — kurz — die ganze Opposition gegen alles bessere Tun, Wirken und Treiben in dem höhern Leben, wo der Mensch sich mit regem Fittig über den stinkenden Pfuhl seines armseligen BrodbettelLebens erhebt, erzeugte in mir eine innere Entzweiung, einen innern Krieg, der mich viel eher vernichten konnte, als jeder Tumult um mich von außen her. — Jede unverdiente harte Kränkung, die ich erleiden mußte, vermehrte meinen innern Groll, und indem ich mich immer und immer mehr an Wein als Reizmittel gewöhnend das Feuer nachschürte, damit es lustiger brenne, achtete ich das nicht, daß auf diese Art nur aus dem Untergange das Heil ersprießen könne. — Mögen Sie in diesen wenigen Worten — in dieser Andeutung den Schlüssel zu manchem finden, was Ihnen, wo nicht rätselhaft, doch widersprechend schien! — Übrigens transeant cum caeteris ! —
Eine größere Antipolarität in wissenschaftlicher und künstlerischer Hinsicht als Bamberg und Leipzig kann es wohl in der Welt nicht geben. Ja ich möchte sagen: ist es in Bamberg des Guten zu wenig, so ist es in Leipzig beinahe des Guten zu viel. Aber so viel ist doch gewiß, daß man sich wie ein Fisch im Wasser, im rechten Elemente, froh und frei bewegen kann. Mein Empfang war überall über alle Maßen herzlich und gemütlich; Rochlitz und Haertel begrüßten mich wie den alten Freund, und die Herrn des Orchesters behandelten mich mit einer Artigkeit, ja mit einer Art von Submission, die mich in gewisser Art verlegen machte. Ich sah‘ wohl ein, daß das kleine Samenkorn, was ich gestreuet, (ich meine die Musik〈alische〉 Zeit〈ung〉) hier aufgeschossen und geblüht habe. — Die ganz eigene Empfindung hierbei kann ich nicht beschreiben, da mir alle Eseleien in Bamberg einfielen. — Wir verstanden uns gleich, und der weise Hr. D mag herkommen, um sich zu überzeugen, ob es möglich ist, am Flügel zu dirigieren, und ob ich das Dirigieren verstehe oder nicht. — Das Leben in Leipzig ist sehr angenehm und gar nicht so teuer wie man es ausgeschrien. Man würde noch wohlfeiler leben, wenn nicht eine ganz fatale Einrichtung statt fände, die manchen Gulden kostet. Auf dem Markte und in der Petersstraße gibt es nehmlich sogenannte italiänische Keller: Marinoni, Treiber, Rossi u. a. m. Geht man nun vorüber, so ist die Straße vor der Türe so abschüssig, daß man ganz unversehens die Treppe hinunterstolpert; ist man unten, so befindet man sich zwar in einem sehr artig meublierten Zimmer, aber die verdammte Kellerluft — gegen diese muß man ein Glas Bischof oder Burgunder trinken, und einen SardellenSalat mit Muscheln, CervelatWurst, Oliven, Kapern, Luccheseröl u. s. w. essen — ja diese Einrichtung kostet manchen Gulden! —
Sagen Sie doch dem Kunz, daß Rochlitz die Witwe des Bankier Winkler mit 150000 rth Vermögen geheiratet hat, ein ganz herrliches Landhaus in Connewitz besitzt, in der Stadt fürstlich eingerichtet ist u. s. w. Er macht ein gar angenehmes gemütliches Haus, und ich habe mich bei ihm sehr gut befunden. —
In Dresden wohne ich — auf dem Lande! — d. h. vor dem schwarzen Tore auf dem Sande in einer Allee, die nach dem Linkischen Bade führt. Aus meinem mit Weinlaub umrankten Fenster übersehe ich einen großen Teil der herrlichen Elbgegend, d. h. jenseits des freundlichen Stroms einen Teil der sächsischen Schweiz, Königsstein, Lilienstein u. s. w. Gehe ich nur zwanzig Schritte von der Türe fort, welches ich so oft ich will in Mütze und Pantoffeln mit der Pfeife im Munde tun kann, so liegt das herrliche Dresden mit seinen Kuppeln und Türmen vor mir ausgebreitet, und über denselben ragen die fernen Felsen des Erzgebirges hervor. Will ich weiter gehen, so wende ich mich nach der bretternen Saloppe — der stillen Musik — dem lustigen Winzer — dem spanischen Kragen — lauter possierliche Namen von nah gelegenen Weinbergen an der Elbe, wo man Erfrischungen bekömmt und Gesellschaft findet. Diese große Annehmlichkeit muß ich mit der Beschwerde erkaufen, wöchentlich dreimal eine Meile, und viermal eine halbe Meile zu wandern, denn so weit habe ich hin und her zur Probe und Vorstellung, nehmlich ½ Stunde jeder Gang. Das tue ich aber gern, es ist gesund, und Essen und das Glas Landwein schmecken trefflich — Das Bier ist seit einiger Zeit nicht mehr trinkbar, da, läge ein Frosch darin, Sie ihn unmöglich entdecken würden. —
Erst hier in Dresden ist die bedeutende Kopfwunde meiner Frau zugeheilt; sehr lange wird sie aber wohl eine schmerzliche Empfindung und lebenslang die Narbe behalten. Sie hat recht oft und dringend sich Ihre Gegenwart gewünscht, da sie von einer innern durch Sie angeordneten Kur viel eher zu genesen hoffte, als sonst. Übrigens ist sie
sehr heiter und froh und empfiehlt sich Ihrem gütigen Andenken.
Dem Kunz lege ich ein Briefchen nebst Manuskript bei. Es ist die erste Abteilung einer Erzählung, betitelt: Der Magnetisirer. — Wie ich glaube wird Ihnen dieser Aufsatz nicht uninteressant sein, da er eine noch unberührte neue Seite des Magnetismus entwickeln soll; wenn Sie wollen, so lesen Sie das Manuskript.
D. 18 Julius 1815
Berlin Taubenstraße No 31 ( videatur der Kunzische Riß 〈Abb. 8〉) D. 18 Julius 1815
Teuerster Freund! Unerachtet meine Zeit gar knapp zugemessen, kann ich doch den Brief an Kunz unmöglich abgehen lassen ohne Ihnen wenigstens mit ein Paar Worten recht sehr für Ihr freundliches Erinnern zu danken. Kunz wird Ihnen allerlei specialia aus meinem Leben mitteilen und ich darf nur hinzusetzen, daß der Aufenthalt in Berlin an Interesse mehr und mehr gewinnt. In so fern doch die Hauptstadt der Brennpunkt des Staats bleibt, kann es nicht fehlen, daß man wohl gewahr wird, wie diese seltene Kraft, die durchdringende Intelligenz, welche in der neuesten Zeit beinahe fabelhaft von Preußen aus gewirkt hat von hier aus ihre entzündenden Strahlen schießt. Was der an sich doch arme Staat in diesem Kriege wieder für Mittel dargeboten hat, ist unglaublich! — Was für Tage es hier gab, als die erste Sieges-Nachricht und dann die Kapitulation von Paris kam, können Sie Sich denken. Ganz unbekannte Leute umarmten sich auf den Straßen und schüttelten sich die Hände — Mitten im Volk die vornehmsten Frauen — mitjubelnd — mitrufend singend — schreiend — Dabei fehlte es nicht an recht gemütlichem Volkswitz — So sagte ein Schusterjunge: Na geht et so fort so schlagen wir über 8 Dage den Deuvel dod — und ein anderer zur Victoria auf dem Brandeb〈urger〉 Tor aufblicken: »Na kik man, kik man herunter Nu hest Du gut kicken« 〈kucken〉 — Überaus vortrefflich ist überhaupt der Berliner Straßenjunge bei solchen Festen, der es sich gar nicht nehmen läßt die Kanonen zum Viktoria schießen aus dem Arsenal in den Lustgarten und wieder zurückzuschleppen — Als bei dem Rückzuge der Franzosen Czernitschew vor Berlin stand, warfen die Straßenjungen am hellen Tage den Fr〈anzosen〉 3 Pulverwagen in die Spree! — Sie sagten mir einmal, daß Sie wohl nach Berlin reisen würden, führen Sie doch diese Idee aus, daß Sie Sich hier wohl befinden würden, dafür glaube ich einstehn zu können. — Auf den Herbst kommt Fouqué so wie Tiek und Contessa wieder her, dagegen hat uns Chamisso auf lange Zeit verlassen, aber auch unter den weniger gefeierten Namen werden Sie hier gar gescheute geniale Menschen finden, die einen geistreichen Zirkel bilden. — An meiner Oper wird schon studiert, doch wird wohl vor Dezember nichts aus der Aufführung werden weil es eine Haupt- und StaatsAktion ist. — Was macht die Konsulin, welche Nachrichten hat man von Julchen? — Weder in Leipzig noch hier weiß unter den Bankiers jemand etwas von Groepel, ich mußte daher voraussetzen, daß das Haus nicht eben bekannt ist, sonst hätte ich Fouqué gebeten Julchen aufzusuchen der ihr doch eine interessante Erscheinung gewesen sein müßte, da sie sein Undinchen wert hält. — Als Arzt sage ich Ihnen noch, daß ich mich jetzt einer ununterbrochenen Gesundheit erfreue und ordentlich anfange stark zu werden — komischer Weise setze ich hinzu, daß die Welt verliert, wenn ich meinen Leib — wenigstens physisch mäste und kein psychisches Opium mehr brauche — Doch das findet sich von selbst — so lange ich meine Fühlfäden nicht ganz einziehe. Grüßen Sie die Freunde
Der Ihrigste
Hoffm
D. 1 t Mai 1820
Berlin Taubenstraße No 31. D. 1 t Mai 1820
Geliebtester Freund! Da Sie ein solider Mann sind von den vortrefflichsten Grundsätzen, so hegen Sie gewiß auch die richtige Meinung, daß an einander schreiben und an einander denken gar was verschiedenes ist. Versichern darf ich daher nicht erst mit vielen Worten, daß, unerachtet ich lange genug schwieg, das lebhafteste Andenken an Sie auch nicht einen Moment aus meiner Seele wich oder auch nur verblaßte. Wohl kann ich es sagen, daß unser gemütliches Zusammensein in B〈amberg〉 das einzige ist, dessen Erinnerung aus jener bösesten Zeit aller bösen Zeiten, durchaus mir hell und rein, ohne Makel und auch ohne auf diese jene Weise die vernarbten Wunden wieder aufzureißen; erscheint. Legte mir aber auch damals das Schicksal solch harte Prüfungen auf, daß ich noch nicht begreife, wie ich sie überstanden, zwang es mich oft, wie in heillos gewagtem Spiel Ehre, Ruf, Leben einzusetzen (Sie verstehen mich daß hier mehr vom innern Leben die Rede ist als vom äußern) so ist doch bald darauf, ich möchte sagen, in dem Augenblick als ich den Fuß in Berlin hineingesetzt, die Versöhnung erfolgt mit all‘ den feindlichen Mächten, die mich zu Tode hetzen wollten! —
Ich weiß, Liebster! daß Sie Teil nehmen an meinem Treiben und Tun und freuen wird es Sie daher gewiß zu hören, daß mein Standpunkt im Geschäftsleben wirklich von der Art ist, wie ich ihn nur wünschen kann. — Man erzeigte mir die Wohltat, mich nach meinem Ratspatent vom Febr〈uar〉 1801 in das Kammergericht einrücken zu lassen und diese Anciennität bringt mir den Vorteil, daß ich jetzt schon zum ältesten mithin vorsitzenden Rat, der in vorkommenden Fällen den Präsidenten vertritt, hinaufgealtert bin und ein Gehalt von 2300 rth Cour 〈 ant 〉, zur Hälfte Gold, beziehe. — In Berlin ist das nicht so sehr viel, aber doch hinlänglich um nicht hinter dem Ofen sitzen zu dürfen. Klagen könnt‘ ich über viele Arbeit, zumal, wie Sie vielleicht aus öffentlichen Blättern wissen werden, mich des Königs Majestät zum Mitgliede einer ImmediatJustizUntersuchungsKommission ernannt haben, die sich ausschließlich mit der Untersuchung geheimer staatsgefährlicher Verbindungen beschäftigt, indessen arbeite ich gern und dem Himmel sei es gedankt! — leicht und frisch von der Hand weg! —
Von meinem litterarischen Treiben nehmen Sie doch wohl dann und wann Notiz! — Ich empfehle Ihnen den höchst weisen und tiefsinnigen Kater Murr, der in diesem Augenblick neben mir auf einem kleinen Polsterstuhl liegt und sich den außerordentlichsten Gedanken und Fantasien zu überlassen scheint, denn er spinnt erklecklich! Ein wirklicher Kater von großer Schönheit (er ist auf dem Umschlage seines Buchs frappant getroffen) und noch größerem Verstande, den ich auferzogen, gab mir nehmlich Anlaß zu dem skurrilen Scherz, der das eigentlich sehr ernste Buch durchflicht. — Übrigens zahlen mir jetzt die Buchhändler Honorare vor deren Klang Hr. Kunz — sofort rücklings über in Ohnmacht sinken würde — Ja! — Hr. Kunz! — Der gute Mann hatte sich darauf gesetzt, mir von Zeit zu Zeit, die unzartesten unangenehmsten Dinge die mein Verhältnis mit ihm als Verleger betrafen, zu schreiben und mich dadurch lebhaft in jene heillose Periode zurück zu versetzen, in der mancher glaubte, dem Verlassenen, Bedürftigen, alles bieten zu können. Der letzte Brief enthielt witzige Variationen über das Thema: Teurer Freund! — Z. B. ja! Sie sind wirklich ein teurer Freund denn Sie kommen mir teuer zu stehen — Und nun folgte eine Apotheker-Rechnung des ungeheuern Schadens, den ihm der Verlag meiner Fantasiestücke verursacht, dann aber — mirabile dictu — die Aufforderung, ihm ferner Werke im Verlag zu geben!! que pensez vous mon cher! — Natürlicherweise habe ich gar nicht geantwortet! —
Als mir innig befreundeter Arzt wird es Sie ferner interessieren, daß ich in dem Frühling des vorigen Sommers zum Tode erkrankte und zwar an den Folgen zu großer Anstrengung in der Arbeit und an einer enormen Erkältung die noch dazu die erbärmliche Ursache hatte, daß ich im Winter nach einer feierlichen Cour bei Hofe, der auch die Dikasterien beiwohnten, in der Uniform (Schuhen und Strümpfen) ohne Überrock auf dem eiskalten von allen möglichen Passatwinden durchstrichenen Korridor des Schlosses wohl eine halbe Stunde auf den Wagen warten mußte. — Verhärtung im Unterleibe — gichtischer Zustand ppp Diese Krankheit hatte aber die angenehme Folge, daß es mir vergönnt war vorigen Sommer von Julius an bis in den September hinein mich cum uxore in dem herrlichen schlesischen Gebürge (Warmbrunn, Flinsberg, Landek) aufzuhalten und auch eine PuffFahrt nach Prag herüber zu machen. — Seit dieser Reise bin ich auf eine beinahe unanständige Weise gesund! —
So viel von meinem psychischen und physischen Zustande, jetzt zu Bambergianis die mich auf das höchste interessieren —
Sagen Sie — sprechen — schreiben Sie, ist es wahr? — Doch was? — Also! — Vor zwei Tagen hörte ich in einer Gesellschaft eine Nachricht die mich tief bis in das Innerste hinein erschütterte, so daß ich lange an nichts anders denken konnte.
Fanny Tarnow (die bekannte Schriftstellerin) erzählte mir von Hamburg kommend, daß Julie von ihrem Mann geschieden und nach Bamberg zurückgekehrt sei. — Das wäre nun an und vor sich selbst nicht so was außerordentliches, aber die Schilderung von Juliens Verhältnissen in H〈amburg,〉 der namenlosen Leiden die sie erduldet, der zuletzt schamlos ausgesprochenen Bestialität des verhaßten Schwächlings, die war es, die mein ganzes Inneres aufregte. Denn schwer fiel es in meine Seele wie tief die Ahnung alles Entsetzlichen damals aus meinem eignen Ich aufgestiegen, wie ich mit der Rücksichtslosigkeit, ich möchte sagen mit dem glühenden Zorn eines seltsamen Wahnsinns alles laut werden ließ, was in mir hätte schweigen sollen! — wie ich in dem Schmerz eigner Verletzung andere zu verletzen strebte! — Und nun! —
Sie können denken, daß ich viel mit F〈anny〉 Tarnow über J〈ulien〉 sprach, leider nahm ich aber deutlich wahr, was sie verschleiern wollte, nehmlich, daß der bittre Hohn des mißverstandenen Lebens, die Schmach vergeudeter Jugend, Juliens inneres Wesen auf das grausamste zerstört hat. — Sie soll nicht mehr sanft — mild — kindlich sein! — Vielleicht ändert sich das, nachdem sie den Kirchhof voll zerknickter Blüten, begrabener Lebenslust und Hoffnung verlassen.
Finden Sie es geraten und tunlich meinen Namen in der Familie M〈ark〉 zu nennen oder überhaupt von mir zu reden, so sagen Sie in einem Augenblick des heitern Sonnenscheins Julien, daß ihr Andenken in mir lebt — darf man das nehmlich nur Andenken nennen, wovon das Innere erfüllt ist, was im geheimnisvollen Regen des höheren Geistes uns die schönen Träume bringt von dem Entzücken, dem Glück, das keine Ärme von Fleisch und Bein zu erfassen, festzuhalten vermögen — Sagen Sie ihr, daß das Engelsbild aller Herzensgüte, aller Himmelsanmut wahrhaft weiblichen Sinns, kindlicher Tugend, das mir aufstrahlte in jener Unglückszeit acherontischer Finsternis, mich nicht verlassen kann beim letzten Hauch des Lebens, ja daß dann erst die entfesselte Psyche jenes Wesen das ihre Sehnsucht war, ihre Hoffnung und ihr Trost, recht erschauen wird, im wahrhaftigen Sein! 〈…〉
Bamberg wird wohl in der ziemlich langen Zeit in der ich Nachrichtslos blieb, manche Veränderungen erlitten haben. Vorzüglich wünschte ich zu wissen:
1. ob Weiß sich einen neuen Oberrock angeschafft hat und von welcher Farbe, so wie ob Sutow noch zuweilen sich seiner Mütze bedient statt des Nachttopfs?
2. ob der Generall〈ieutenant?〉 v〈on〉 St. noch lebt und Holzbauers Oper: Gunther v. Schwarzburg noch sehr schätzt und das Lied von der Rose daraus deklamiert?
3. ob der Pater Michel noch seinen Spitz besitzt und die alte Kauer noch als gespenstisches Bettelweib von Locarno die Zimmer durchschlarrend, die Gäste ängstigt?
4. ob der Dr. Ziegler sich im letzten Carneval als Don Juan maskiert hat?
5. ob Hr. Seeligmann (jetzt Baron glaub‘ ich) noch alles teuer findet und den Achilles singt?
6. ob Hr. Striegel noch »’n bißchen Käse!« reicht und gutes Bier kredenzt? pp
(Sagen Sie mir, was um des Himmelswillen ist das mit Wezels Bekehrung vor seinem Tode?)
Das sind alles höchst interessante Hauptsachen, doch bitte ich noch recht viel Nebensachen hinzuzufügen.
Daß unser Bader bei der hiesigen großen Oper mit 3000 rth. Gehalt ( ni fallor ) engagiert ist, werden Sie vielleicht schon wissen. Er debutiert künft’gen Mittwoch als Tarar.
Der Mann hat sich eine allerliebste kleine Frau angeschafft von 3 Fuß 6 Zoll, die tragische Heldinnen spielen will, hier aber wahrscheinlich ins Fach der komischen Mütter gewiesen werden wird. Wollen Sie wissen wie die Dame aussieht so können Sie dieselbe sehr leicht plastisch darstellen. Nehmen Sie von dem Stoff, den Prometheus zur Bildung des Menschen anwandte (OfenLehm — Wasser und Erde was bildsamen Dr-k gibt, so wäre der Mensch potenzierter Dr-k der Schöpfung) und formen Sie daraus eine ziemlich dicke Kugel, stülpen Sie diese Kugel auf eine kleine Biertonne und Mad〈me〉 B〈ader〉 steht Ihnen leibhaftig vor Augen.
Es ist doch besser, ich zeichne Ihnen das liebe Ding seitwärts hin. Nun können Sie Sich unsern Bader, der noch beinahe eben so jung aussieht wie vor zehn Jahren und wo möglich noch dünner geworden ist, denken neben diesem Wesen! Und das kleine Ungetüm schüttet ein kleines Baderchen übers andere heraus als wären es Zahlpfennige! — So was ist hart!
Könnten Sie es doch, Geliebtester Freund, möglich machen einmal herüber zu kommen nach B〈erlin〉 — Sie finden mich in einer kleinen bescheidnen Wohnung aber in dem besten schönsten Teil der Stadt, am GensdarmesMarkt gerade über dem neuen Theatergebäude und ganz hübsch eingerichtet. Meine Stellung würde es mir erlauben Sie, mit den interessantesten Männern bekannt zu machen und Rücksichts der leiblichen Bedürfnisse würden sie wohl auch ganz zufrieden sein. Was Eleganz der Einrichtung und Feinheit und Fülle der Speisen betrifft wetteifern wir mit den Parisern und viele gibt es die, ächte Schmecker, die Restauration bei Jagor unter den Linden noch der bei Verry in P〈aris〉 vorziehen. Auch würde Ihnen Ihr gehorsamer Diener einen kleinen aber exquisiten Weinkeller öffnen können, der sich noch neuerdings auf eine angenehme Weise vermehrt hat. — Aus reiner Dankbarkeit dafür, daß das Taschenbuch für Lieb〈e〉 und Fr〈eundschaft〉 der Scudery halber sehr gut gegangen ist, schickten mir die Gebrüder Willmanns aus Frankfurt, nachdem sie die Erzählung gar reichlich honoriert, eine Kiste mit 50 Bout〈eillen〉 Hinterhäuser Eilfer der ganz köstlich ist — Nicht einmal erfahren hab‘ ich, an was für ein Haus der Wein adressiert war. Die Kiste wurde mir an einem guten Morgen vors Haus gefahren und mit vieler Mühe war dem Knecht ein Trinkgeld aufzudringen. — Ich schlug an mein Herz und
sprach: Solch einen Glauben hab‘ ich in Israel nicht funden! —
Nun das nenne ich doch geschwatzt — Aber es war mir so sehr gemütlich wieder zu Ihnen zu sprechen, daß es mir unmöglich sein mußte nicht manches einfließen zu lassen, was Ihnen vielleicht nicht sehr bedeutsam vorkommen wird.
Fassen Sie nur rasch den schönen Entschluß mir zu antworten und führen Sie ihn fein auf der Stelle aus. Auf die Nachrichten von J〈ulien〉 bin ich sehr gespannt — Ich habe zu Ihnen, Teuerster, recht aus vollem Herzen gesprochen — gewiß, ganz gewiß werden Sie das nicht verkennen.
Meine liebe Frau, die sich gar wohl befindet, grüßt Sie auf das herzlichste und innigste. Behalten Sie mich ja lieb. Recht aus inniger Zuneigung und Freundschaft
der Ihrigste
Hoffmann
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