- Einführung
- Anthologische (und metaleptische) Filme
- Ballett als Stufe zwischen Erzählung und Film: Nuitters und Delibes’ Coppélia
- Ballett als Stufe zwischen Erzählung und Film: Petipas und Tschaikowskijs Schtschelkuntschik
- Verfilmungen von Einzelwerken Hoffmanns
- Drehbücher bzw. Szenarien, die nicht realisiert worden sind
Leben und Werk E.T.A. Hoffmanns im Spielfilm
Einführung
Die Adaptation von E.T.A. Hoffmanns Werk durch den Film hat ihr Profil anfangs ganz wesentlich durch Jacques Offenbachs Oper Les Contes d’Hoffmann (1881) erhalten, in der bereits vor der Erfindung des Kinos eine äußerst erfolgreiche mediale Transformation das Œuvre des einzelgängerischen Romantikers und widersprüchlichen Realisten vor Augen und Ohren gebracht hatte. Die Oper, ursprünglich ein gar nicht für die Vertonung vorgesehenes Theaterstück (1851) von Jules Barbier und Michel Carré und bekanntlich zur Hauptsache ein Zusammenschnitt von Handlungsstücken aus Hoffmanns Erzählungen Der Sandmann, Rat Krespel und Die Abenteuer der Silvester-Nacht, deren dramaturgische Kohäsion erst durch die Einführung des Schriftstellers als Hauptfigur der Handlung und aller Episoden hergestellt wird, gewann ihren Einfluss sofort zu Beginn der Geschichte des Kinos, obwohl zu diesem Zeitpunkt ihr eigentlicher Trumpf, die Musik, dem neuen Medium nur auf medienfremde Weise nutzbar gemacht werden konnte.
Prof. Dr. Günter Dammann (1941-2021) hat Germanistik und Romanistik studiert, war Literaturwissenschaftler und lehrte lange Jahre an der Universität Hamburg Neuere deutsche Literatur. Er war seit 2006 emeritiert und seine Forschungsschwerpunkte waren das 17. und 18. Jh. sowie der Unterhaltungsroman (→ Forscherprofil).
Einfluss auf filmische Adaptationen
Die Wirkung von Les Contes d’Hoffmann auf die filmische Adaptation von Hoffmanns Werk ist in ihrer Gänze auch eher gattungssystematischer denn substantieller Art: Vorbildlich wird, statt einer einzelnen Erzählung gleich ein Bündel von Geschichten zu nehmen und sie durch eine Verbindung mit der Person des Autors in dieser oder jener Weise zu ‚biographisieren‘. Der Befund, den man in den Fällen anderer Romanciers und Novellisten sehr viel seltener finden wird, ist in besonderer Weise typisch für einen Schriftsteller, der einem breiteren Publikum mehr als durch sein literarisches Werk durch einzelne seiner fiktionalen Figuren oder auch über frei flottierende Motive und Stimmungen sowie nicht zuletzt durch seine sich vor sein Œuvre (und seine reale Person) schiebende Persona als literaturgeschichtliche Größe bekannt geworden ist. Daher darf man die durch Les Contes d’Hoffmann initiierte Art und Weise der Adaptation vielleicht deren Königsgenre nennen.
Hoffmann im Ballett:
Eine weitere Grundlage für filmische Adaptationen
Coppélia und der Nussknacker
Gewiss nahm der Weg des Werks ins Kino auch andere Pfade. Erstaunlich aber bleibt, dass selbst hier zunächst der vorkinematographischen Bühnenmusik eine Schlüsselstellung als Vermittlerin zukommt. Bekanntlich hatten zwei weitere Tonsetzer des späten 19. Jahrhunderts Werke Hoffmanns höchst erfolgreich für die Bühne vertont: Léo Delibes mit Coppélia ou La Fille aux yeux d’émail (1870) nach dem Nachtstück Der Sandmann und Pjotr Tschaikowskij mit seinem dem serapiontischen Märchen Nußknacker und Mausekönig folgenden Ballett (1892). Während Delibes’ Librettist Charles-Louis-Etienne Nuitter [d.i. Etienne Truinet] sich auf den Handlungsstrang um den weiblichen Automaten und seinen Schöpfer konzentriert, deshalb auch den neutralen Namen „Olimpia“ durch den der „Coppélia“ ersetzt und so die Person des diabolischen Konstrukteurs Coppola / Coppelius in der weiblichen Titelfigur von Anfang an präsent hält, greift Tschaikowskij auf eine von Alexandre Dumas d.Ä. stammende Kinderbuchversion des Märchens als Vorlage für sein Ballett zurück. Die wirkungsgeschichtlichen Linien, die sich hier anschließen, erweisen sich auch strukturell als so unterschiedlich, dass sie nicht gemeinsam, sondern als zweite und dritte Weise der Adaptation Hoffmanns durch das Kino dargestellt seien.
Verfilmungen einzelner Werke
Es bleibt ein vierter Komplex, denn selbstverständlich verdanken wir dem umfangreichen Œuvre Hoffmanns auch immer wieder Filme, die auf ein einzelnes Werk zurückgehen und die unter das fallen, was konventionell als ‚Literaturverfilmung‘ bezeichnet wird. Immerhin zeigt noch dieses Korpus im Falle unseres Autors seine besondere Nuance, wenn es chronologisch gerahmt wird von ‚Verfilmungen‘, die keine sind, sondern lediglich als Drehbücher das Licht des literarischen Marktes erblickt haben: 1914 Der Sandmann als Abdruck innerhalb eines Lehrbuchs von Peter Paul für künftige Filmautoren, 1984 Das öde Haus im Rahmen der (postumen) Publikation von Franz Fühmanns Arbeiten für den Film. Masse machen hier freilich die in den letzten Jahrzehnten angefallenen (und vermutlich weiterhin anfallenden) Bearbeitungen des Œuvres für die gehobenen Sparten in den Programmen des öffentlich-rechtlichen (deutschprachigen) Fernsehens.
Definition von Adaptation
Ein von der Sache her vierfach geteilter Zugang zu E.T.A. Hoffmann im Kino soll hier einen approach ersetzen, der statt sorgfältiger Differenzierung von Typen der Adaptation sogleich ein holistisches Bild bevorzugt, das nicht die Vielfalt des Autors und der aus ihm gewonnenen Filme zeigt, sondern nur das unstrukturierte Nebeneinander einiger idiosynkratischer Motive, Topoi, Handlungstypen und Figuren. Ausgerechnet Klaus Kanzog, der sich in zwei vorbildlichen Arbeiten, denen ich für die hier vorgelegte Darstellung in vielerlei Hinsicht verpflichtet bin, dem Medienwechsel im Falle Hoffmanns gewidmet hat, hielt es für richtig, in diesem Zusammenhang den Begriff des ‚Hoffmannesken‘ einzuführen.[1] Dabei hätte das parallele ältere Beispiel des ‚Kafkaesken‘, das keine Fortune hatte, Warnung sein können, dass derartige Begriffsprägungen der akademischen Diskussion niemals dienlich sind. In einer holistischen Sicht wird Hoffmann überall wiedererkennbar.[2]
Adaptation
Umarbeitung eines literarischen Werkes mit der Absicht, es den Erfordernissen einer anderen literarischen Gattung oder eines anderen Kommunikationsmediums (z.B. Film, Fernsehen) anzupassen
1. Kriterium
2. Kriterium
Sonderfälle
Kriterien für eine Adaptation
Um den Begriff der Adaptation nicht gänzlich sinnlos zu machen, seien deshalb zwei Kriterien vorgeschlagen, mit denen die Zurechnung eines Films zum Korpus der Hoffmann-Verfilmungen klarer bestimmt werden kann.
Zum einen müssten in den Filmen, die in Erwägung gezogen werden, Personennamen verwendet worden sein, die sich entweder bereits in der Vorlage selbst oder an erklärbarer anderer Stelle im Œuvre des Autors finden.
Erwartet werden darf dann – zweites Kriterium – in der Regel auch, dass Themen und Motive sowie ihre Verknüpfung zum Plot in Analogie oder sogar Homologie zum präsumtiven Vorbild stehen.
In Fällen, bei denen nur eines der beiden Kriterien erfüllt wird, stünde die Frage, ob es sich hier um eine Adaptation handelt, nicht mehr innerhalb einer vorgängigen Prüfung, sondern wäre als Frage selbst bereits das wesentliche Thema. Jedenfalls liegt keines der Kriterien vor in Ernst Lubitschs Film Die Puppe (1919, D), im übrigen auch nicht im gleichfalls gern für Hoffmann reklamierten Film Der Student von Prag (1913; nochmals 1926 und 1935, jeweils D). Gerade in den ersten Jahrzehnten der Filmgeschichte lesen wir den expliziten Bezug auf E.T.A. Hoffmann, mit dem eine noch skeptisch beäugte neue Branche ihren Drang nach Höherem zeigen wollte, öfter im Vorspann; entsprechend skeptisch sollten wir mit ihm umgehen.[3]
Die Puppe
Weitere Daten zu diesem Film finden Sie in unserer Filmografie
Begrenzung des Korpus
Trotz dieser seiner strikten Beschränkung hat der hier unternommene Weg eine (mich selbst überraschende) Menge an Material erbracht. So wurde das Korpus – das hier unbedingt in einer Weise vorgestellt werden sollte, dass man bei jedem einzelnen Beispiel in der Lektüre den Eindruck gewinnen sollte, tatsächlich eine Bekanntschaft zu machen – für eine Bildschirmpräsentation am Ende derart umfangreich, dass ich mich entschließen musste, auf das Medium des Fernsehens zu verzichten. Diesem pragmatischen Entschluss liegt kein Werturteil über das Medium zugrunde. – Aufgenommen habe ich dagegen jene (nicht zahlreichen) Beispiele, in denen ein Filmprojekt nur bis zum Drehbuch oder zum Szenario gekommen, aber nicht realisiert worden ist, jedoch in gedruckter Form vorliegt. Diese Fälle werden gesondert in einem eigenen letzten Kapitel vorgetragen.[4]
Anmerkungen
[1] Klaus Kanzog: Reflexe der Werke E.T.A. Hoffmanns im Film. In: E.T.A.-Hoffmann Jahrbuch 17 (2009), S. 149–165 und ders.: Reflexe der Werke E.T.A. Hoffmanns im Fernsehen. In: Ebd. 20 (2012), S. 139–155. Da beide Beiträge grundlegend für jede Befassung mit dem Thema sind, wird eine Bezugnahme auf sie in den Fußnoten unnötig sein, sofern diese nicht über eine bloße Referenz hinausgeht. Eine gute Übersicht gab vorher bereits Stefan Ringel: E.T.A. Hoffmanns Werke im Film. In: Ebd. 3 (1995), S. 84–94. – Zum Begriff des ‚Hoffmannesken‘ siehe Kanzog: Reflexe im Film, S. 149 und 164f.
[2] Regelrechtes Misstrauen erzeugt das Bestreben, einen holistischen Zugang zum ‚Hoffmannesken‘ zu gewinnen, wenn es mit besonders großen Gesten daherkommt, die einmal schnell und beiläufig noch „exemplarisch Alfred Hitchcocks […] Familien- und Wahlverwandtschaftschaftskonstruktionen wie in Rebecca (US 1940), Psycho (US 1960), The Birds (1963) oder Marnie (US 1964), die pathologisch aufgeladenen Doppelgängerkonstruktionen wie in Shadow of a Doubt (US 1943) und Vertigo (US 1958) sowie die […] Inszenierung eines männlich phantasmatischen Beobachtungsszenarios in Rear Window (US 1954)“ zu den „Transkriptionen der Literatur Hoffmanns“ rechnen; so Arno Meteling: E.T.A. Hoffmanns Wirkung im Film und in der Literatur nach 1945. In: E.T.A. Hoffmann. Leben – Werk – Wirkung. Hg. von Detlef Kremer. 2., erw. Aufl. Berlin u. New York 2010, S. 581–591, 589f. Kein Wunder, dass derart eingängige Devisen sogleich auf Resonanz gestoßen sind und vielleicht den Eindruck erweckt haben, mit ihnen sei das Thema erschöpfend erfasst; jedenfalls ist der Raum, der für „Hoffmanneske (!) Motive und Topoi im Film“ und „Die Literaturverfilmung zwischen Aktualisierung und Historisierung“ noch benötigt wird, bei Ruth Neubauer-Petzoldt in: E.T.A. Hoffmann Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Hg. v. Christine Lubkoll u. Harald Neumeyer. Stuttgart 2015, S. 429f. auf zweieinhalb Spalten geschrumpft…
[3] Zusätzlich zu den bereits verzeichneten Arbeiten zum Thema (Ringel, Kanzog, Meteling), die allesamt der Inanspruchnahme Hoffmanns durch die frühen Filmemacher etwas zu gutgläubig begegnen, sei noch genannt Gerald Bär: Das Motiv des Doppelgängers als Spaltungsphantasie in der Literatur und im deutschen Stummfilm. Amsterdam u. New York 2005 (Internationale Forschungen zur Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft 84); Bär, der S. 601–606 über „E.T.A. Hoffmanns Werke als Filmvorlagen“ handelt, sieht 604–606 die Hoffmann-Nähe von Lubitschs Film zurückhaltend.
[4] Die Darstellung all jener russischen Filme, die nicht auch in einer Version westlicher Sprache vorlagen, wäre mir unmöglich gewesen ohne die Unterstützung durch Dr. Galina Potapova (St. Petersburg und Hamburg). Für diese Hilfe bin ich zu großem Dank verpflichtet.