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  • Vergleich der Handlung von Hoffmanns Märchen und dem Ballett
  • Filmische Adaptationen der Erzählung: Animation
  • Filmische Adaptationen der Erzählung: Realverfilmung
  • Fazit
  • Anmerkungen

Leben und Werk E.T.A. Hoffmanns im Spielfilm

  1. Einführung
  2. Anthologische (und metaleptische) Filme
  3. Ballett als Stufe zwischen Erzählung und Film: Nuitters und Delibes’ Coppélia
  4. Ballett als Stufe zwischen Erzählung und Film: Petipas und Tschaikowskijs Schtschelkuntschik
  5. Verfilmungen von Einzelwerken Hoffmanns
  6. Drehbücher bzw. Szenarien, die nicht realisiert worden sind

Ballett als Stufe zwischen Erzählung und Film:

Petipas und Tschaikowskijs Schtschelkuntschik

Zur Handlung von Hoffmanns Märchen und dem Ballett

Unser zweites Beispiel für das Ballett als eine Brücke zwischen einer Erzählung Hoffmanns und ihrer Adaptation durch den Film weist ein gänzlich anderes Profil auf: Nicht am Beginn der Geschichte des Films, sondern erst Jahrzehnte später machte sich das aus dem Märchen der Serapions-Brüder erwachsene Ballett einen Namen im Kino, dann aber mit zunehmender Präsenz. Da in diesem Fall die Handlung, anders als im Falle der Coppélia, nicht weitgehend distinkt neben der originalen Erzählung Hoffmanns steht, ist es zur klareren Demonstration der Filiationen vonnöten, sowohl das Märchen Nussknacker und Mausekönig als auch das Ballett, das nur das Wort ‚Nussknacker‘ (russ. Schtschelkuntschik) im Titel führt, hinsichtlich ihrer Plots schematisch zu kontrastieren. Erst vor der Folie dieser Konstellation können die Verfilmungen des Stoffes angemessen erfasst werden.

Dateiname: profilbild_no_avatar.jpg. Public Domain. Quelle: http://images.google.de/imgres?imgurl=https%3A%2F%2Fcdn.pixabay.com%2Fphoto%2F2012%2F04%2F26%2F19%2F43%2Fprofile-42914_960_720.png&imgrefurl=https%3A%2F%2Fpixabay.com%2Fen%2Fprofile-man-user-home-human-42914%2F&h=720&w=775&tbnid=Xufgi3NW_XYxTM%3A&vet=1&docid=IDLg4_hhyYLwMM&ei=edtXWIemI4KJaaPUhugN&tbm=isch&iact=rc&uact=3&dur=156&page=1&start=42&ndsp=65&ved=0ahUKEwjHxq_FqYDRAhWCRBoKHSOqAd0QMwh_KFcwVw&bih=994&biw=1920

Prof. Dr. Günter Dammann (1941-2021) hat Germanistik und Romanistik studiert, war Literaturwissenschaftler und lehrte lange Jahre an der Universität Hamburg Neuere deutsche Literatur. Er war seit 2006 emeritiert und seine Forschungsschwerpunkte waren das 17. und 18. Jh. sowie der Unterhaltungsroman (→ Forscherprofil).

Günter DammannAUTOR

Handlung des Märchens von E.T.A. Hoffmann

Der Weihnachtsabend und die erste Schlacht gegen den Mausekönig

Maries Krankheit und der Sieg über den Mausekönig

Das Puppenreich

Hoffmanns an Weihnachten spielendes Märchen zeigt uns eine Kleinfamilie Stahlbaum des verbeamteten Bürgertums aus Eltern und drei Kindern, von denen das jüngste, die Tochter Marie, gerade sieben Jahre alt geworden ist; für die Sprößlinge kooptiert hat man den Juristen Droßelmeier, dessen Erscheinen zum Fest habituell geworden ist. Die Kinder erhalten geschlechtsspezifische Geschenke, der Sohn Fritz eine stattliche Ergänzung seiner Armee von Soldaten, das Mädchen Marie Puppen und ein Kleid für sich, Luise, die älteste und bald aus der Erzählung ausscheidende Tochter, zieht das ihr bescherte Kleid auf Bitten der Mutter gleich an. Unter dem großen prächtigen Tannenbaum findet sich ferner ein Nussknacker, der für alle Kinder zur Verfügung stehen soll, aber dann Marie zugesprochen wird, weil sie spontan eine große Anhänglichkeit an die eigentlich wenig spektakuläre Nürnberger Holzpuppe an den Tag legt. Am späten Abend, als Marie noch die Erlaubnis erhalten hat, ein wenig aufbleiben zu dürfen, zeigen sich kurz vor Mitternacht überall Mäuse im Prunkzimmer, die sich alsbald dem aus dem Boden hervorbrechenden siebenköpfigen Mausekönig zuordnen. Es kommt zu einer veritablen Schlacht zwischen den Mäusen und der zugleich sich unter dem Nussknacker formierenden Armee aus ebenfalls lebendig werdenden Spielzeugsoldaten, die mit einer Niederlage von Nussknackers Armee endet, deren vollständiges Debakel nur durch einen abrupten Eingriff Maries, die einen Schuh auf den Mausekönig wirft, abgewendet werden kann.

Die Nachwirkungen dieser fantastischen Geschehnisse nötigen die Siebenjährige zu etlichen Tagen Bettruhe, während welcher der Pate Droßelmeier mittels eines Märchens über die Hintergründe der in der Schlacht zum Ausdruck gekommenen Feindschaft berichtet. Aus dieser Erzählung erfährt Marie, dass der Nussknacker ein bereits zum Prinzen aufgestiegener, durch eine zukünftige Tötung des Mausekönigs erlösungsfähiger junger Mann sei, der seinerseits auch aus einem Zweig der Droßelmeier-Familie stammt. (Hoffmann vermeidet es sorgfältig, eine Verwandtschaft dieses Nürnberger Zweigs mit dem Paten zu postulieren; das zu behaupten, überlässt er Marie – sowie den meisten der filmischen Adaptationen von Nussknacker und Mausekönig.) Nach der Rekonvaleszenz hört und sieht das Mädchen sich erneut in die Umtriebe des Mausekönigs verstrickt. Eine Zeitlang erpresst der Widersacher Marie mit Drohungen gegen das Leben des Nussknackers, der indessen bald erneut an der Schwelle zur Verlebendigung steht und dann auch noch auf Veranlassung seiner Wohltäterin mit dem ihm nötigen Schwert ausgestattet wird. Am darauffolgenden Morgen präsentiert sich der kleine Mann mit der Vollzugsmeldung vom Tod des Gegners, in der Hand dessen sieben goldene Kronen.

Nach den elf vorhergehenden Kapiteln führen noch zwei weitere Marie an der Hand Nussknackers in das „Puppenreich“. Es geht zauberisch durch den heimischen Kleiderschrank geradewegs in ein Land diverser Süßigkeiten, das sich als witzige Version eines ancien régime aus Miniaturlebewesen und Zuckerwerk präsentiert. Aus diesem Reich erwacht Marie auf einen Schlag in der Wirklichkeit des Hauses Stahlbaum. Über dem künftigen Leben des Mädchens schwebt die Zweideutigkeit von Realität und Märchen, als der junge Droßelmeier sich ihrer Familie vorstellt und, ein ansehnlicher, aber kleiner junger Mann, ihr Reich und Krone anbietet, da er jetzt König im Puppenreich sei und im Marzipanschloss residiere.

Das Ballett „Nussknacker“

Der Autor des Schtschelkuntschik ist Marius Petipa, 1818 geborener Sohn einer französischen Tänzerfamilie, der seit 1847 in St. Petersburg lebte, wo er in enger Bindung an den Zarenhof zum jahrzehntelangen Herrscher über das russische Ballett aufstieg. Das Szenario sieht zwei Akte und drei Szenenbilder vor, von denen das mittlere, formal noch zum ersten Akt gehörig, als eine Art Scharnier fungiert.[1] Die damit gegebene übersichtliche Zweiteilung der Handlung, die sich nicht auf Hoffmanns Original berufen kann, setzt sich hingegen in den Verfilmungen des Stoffes zunehmend durch. Die gesamte action der Erzählung, also die Entfaltung eines aus der Vergangenheit herrührenden Konflikts zwischen dem Nussknacker, der auf Spielzeugsoldaten zurückgreifen kann, zum einen und dem Mausekönig mit seinem Heer von Mäusen zum andern, wickelt Petipas Ballett bereits im ersten Akt komplett ab. Für den zweiten, der bei Hoffmann nur mehr zwei Kapitel gegen elf vorhergehende umfasst, aber hier nahezu die Länge des ersten hat, bleibt daher nur die Idylle der Sieger im Reich der Puppenwesen und der Süßigkeiten.

Die Handlung des Balletts

1. Akt: Der Weihnachtsabend im Hause der Familie Stahlbaum

2. Akt: Im Puppenreich

Im ersten Szenenbild des ersten Aktes dominiert der Weihnachtsbaum im Prunkzimmer des Hauses die Bühne; um ihn versammelt sich indessen nicht nur der intime Kreis der Familie, vielmehr erscheint eine größere Gesellschaft aus dem Bürgertum, die Zug um Zug musikalisch und choreographisch porträtiert wird. Es kommt auch der Pate Drosselmeier, der anfangs etwas unheimlich wirkt, aber sehr bald als maître de plaisir mit den zusätzlichen Qualitäten eines Mystifikators und Zauberers die Menge der Anwesenden beherrscht.[2] Anders als in Hoffmanns Märchen, in dem der Nussknacker eher beiläufig als Geschenk offenbar der Eltern ins Spiel kommt, ist es bei Petipa ausdrücklich Drosselmeier, der diese folgenreiche Gabe für die Kinder aus der Tasche zieht. Nach dem Abschied der Gäste und mit dem Beginn der Nachtruhe im Haus sieht sich Clara in das traumatisch-fantastische Erlebnis der Schlacht zwischen dem Mausekönig mit seinen Massen und dem von Drosselmeier ihr geschenkten Nussknacker verstrickt. Die Schlacht endet wie im Märchen, zugleich aber markiert dieses Ende – anders als im Märchen – auch schon das definitive Ende des Mausekönigs. Mit der zweiten Szene des ersten Aktes hat sich der Nussknacker in einen attraktiven Prinzen verwandelt; es verwandelt sich auch das Bild, der Weihnachtsbaum macht einem Tannenwald Platz, über den Schnee zu fallen beginnt.

Um die Welt des zweiten Aktes zu charakterisieren, sei aus seinem Beginn wörtlich zitiert:

„Folgende Personen sind beim Aufziehen des Vorhangs auf der Bühne: Karamelbonbons, Marzipan, Pfefferkuchen, Nougat, Dragées, […] gebrannte Mandeln, Korinthen, Pistazien, Makronen und kleine silberne Soldaten, die das Schloß bewachen. […] Die Fee Dragée erscheint mit ihrem Gefolge. […] Alle Süßigkeiten verneigen sich.“[3]

In diese Welt zieht nun Clara mit ihrem Prinzen, dem ehemaligen Nussknacker, ein. Hoffmanns Virtuosität in der Beschreibung einer ereignislosen Welt aus lauter Süßigkeiten setzen Petipa und Tschaikowski zunächst um in Kompositionen und Tänze, mit denen die Herkunftsländer verbreiteter Leckereien codiert werden, und sodann in eine Reihe von Pas de deux, in denen die Fee Dragée und ihr Prinzgemahl als die Eltern des Titelhelden sich ausgiebig zur Geltung bringen können.

Unterschiede zwischen Hoffmanns Märchen und Petipas Ballett

Petipa hat, wie man sieht und wie es naheliegt, den im Original Hoffmanns umfänglichen Bedingungskomplex aus der Vergangenheit praktisch gänzlich gestrichen. So ist es auch konsequent, obschon unbefriedigend, dass sich in dem hier herangezogenen szenischen Plan kein Wort der Auflösung findet. Ob Clara in der Heimat des Prinzen bleibt oder in ihrer eigenen aufwacht und welchen ontologischen Status die Welt des Zaubers überhaupt hat, bleibt offen; in diesen Punkten bessern üblicherweise die Inszenierungen nach und beantworten die Fragen, auch jene nach möglichen familialen Verbindungen des Nussknackers zu Drosselmeier, freilich auf unterschiedliche Weise. In diesen Zusammenhang gehört auch das für ein Ballett heikle Problem des Alters von Hoffmanns siebenjähriger Protagonistin. In der Uraufführung gab man die Rolle der Clara einer zwölfjährigen Elevin, deren Bewegungsrepertoire naturgemäß begrenzt war. „Die Glanzlichter höchster tänzerischer Virtuosität“ aber, „auf die selbstverständlich nicht verzichtet werden konnte“, wurden deshalb vom eigentlichen Protagonistenpaar auf andere Rollen „gleichsam verschoben“, vor allem für den großen Pas de deux im zweiten Akt auf die Fee Dragée und ihren Prinzgemahl.[4]

Filmische Adaptationen der Erzählung: Animation

Die Adaptationen von Nußknacker und Mausekönig sind, was bei dem Stoff nicht verwundern mag, oft Animationsfilme.

Schtschelkuntschik (1973, RUS ) von Stepanzev

Ich beginne mit einem russischen Film, der zwar nur eine Länge von ca. 25 Minuten hat, aber bereits 1973 und damit rund zwanzig Jahre vor der größeren Gruppe von abendfüllenden Kinofilmen erschienen ist. Das Werk trägt den tschaikowskijschen Titel Schtschelkuntschik („Der Nussknacker“; RUS, 1973),[5] für die Regie zeichnet Boris Stepanzev verantwortlich, ein seinerzeit in der Sowjetunion recht bekannter Animationsfilmer.

Die Handlung des Films

Der Film setzt wie Petipas Ballett ein mit einer ausgelassenen Schar (hier: von Kindern) um den großen Weihnachtsbaum. Bald aber macht diese tradierte Sicht auf die Herrschaft des Hauses dem Fokus auf eine vom Nebenraum durch die geschlossene Glastür mitfiebernde Aschenputtelfigur Platz. Die Figur schließt beim Saubermachen den beschädigt liegengebliebenen Nussknacker ins Herz und erfährt dessen Geschichte als im Konflikt zwischen dem elterlichen Königspaar und dem Mausekönig verwandelte Holzpuppe. Krieg, Schlacht, Sieg und Rückverwandlung mittels des geworfenen Schuhs machen die einzige Handlungslinie dieses auf jeden Dialog verzichtenden Kurzfilms aus, an dessen Ende die Holzschuhe ‚Aschenputtels‘ sich in goldene verwandeln und eine kleine Magd durch ihre den Prinzen erlösende Liebe zur Prinzessin des vom Mausekönig zerstörten, aber nun restaurierten Königreichs aufsteigt.

Kurumiwari Ningyô (1979, JAP) von Takeo Nakamura

Gleichfalls den Siebzigern verdanken wir noch ein sehr viel gewichtigeres Werk, das gleich eine ganze Reihe von Alleinstellungsmerkmalen aufweist, darunter vor allem das, eine japanische Produktion zu sein. Kurumiwari Ningyô, (JAP 1979, international geführt als Nutcracker Fantasy) von Takeo Nakamura ist erneut ein Animationsfilm, freilich einer, der seine Herkunft aus dem Umfeld der ‚Animes‘ nicht verleugnet. Damit ist er für den westlichen Blick fremd – vor allem insofern fremd, als die weiblichen Hauptfiguren mit ihrem Augenausdruck und ihrer Größe eher Kindern ähneln und als Partnerinnen des männlichen Protagonisten, der beim Kniefall mit Handkuss so groß ist wie seine (aufrecht stehende) Angebetete, nicht richtig ernst zu nehmen sind. Dieser Aspekt allerdings, für dessen begründende Darstellung und Diskussion ein Spezialist des Genres erforderlich wäre, sei hier ausgeklammert.

Nutcracker Fantasy ohne Weihnachtsfest

Bezugnahme auf Der Sandmann

Puppe statt Nussknacker

Puppentheater

Die Handlung des Films

Die Nutcracker Fantasy unterscheidet sich von Hoffmanns Märchen und auch von allen anderen Adaptationen, als in ihm, wohl weil es einem dem Christentum fernen Kulturkontext seine Entstehung verdankt, das Weihnachtsfest nicht vorkommt. Da mit dem Christfest praktisch alle Platzhalter entfallen sind, an die Hoffmann seine Entwicklung einer Welt voller Geheim- und Schrecknisse koppelte, muss hier Neues erfunden (oder gefunden) werden. Die Autoren von Nakamuras Film greifen zur Eröffnung auf das Nachtstück Der Sandmann zu: Noch vor dem Titel hören wir im Off die Stimme von Claras Amme, die ihrem Zögling zur Warnung das Schauermärchen vom unheimlichen Lumpensammler erzählt, der Kinder, die partout nicht ins Bett fänden, in Mäuse verwandle, was auch gleich ad oculos exemplifiziert wird. Die Eröffnung der Filmhandlung selbst zeigt uns Clara, wie sie sich aufgeregt auf den für den folgenden Tag angekündigten Besuch des Cousins Fritz freut, der gerade, wie die Amme kundtut, von der Universität Nürnberg mit besten Noten zurückgekommen sei und den Clara seit drei Jahren nicht gesehen hat. Unversehens drängt jetzt noch jemand ins Zimmer, der „Uncle Drosselmeyer“ genannt wird, was auch in diesem wie bei allen Filmen (und bei Hoffmann selbst) nicht im streng familienrechtlichen Sinne zu verstehen ist. Onkelchen Drosselmeyer (Klappe auf dem linken Auge) weist eine zunächst erschreckende Ähnlichkeit mit dem Lumpensammler auf, kommt aber just von der Reparatur einer sehr alten Uhr nach Hause. Aus der Tasche des Ingenieurs und Künstlers fällt zusammen mit einem Wust von metallenen Federn gleich noch eine (ebenfalls von Drosselmeyer hergestellte) Puppe, kein eigentlicher Nussknacker, wohl aber ausgestattet mit vorstehenden Zähnen und Stielaugen, wie sein Konstrukteur, der über die gleichen Merkmale in noch stärkerem Maße verfügt, der sogleich in die Holzfigur verliebten Clara mit desillusionierender Absicht erläutert. Nehmen wir noch das kleine Puppentheater hinzu, das neben dem Bett des Mädchens steht und ihm offenbar nicht selten Gelegenheit gibt, zum Ärger der Amme den Schlaf zu vergessen, dann haben wir alle Motive beisammen, die sich im Kopf unserer künftigen Heldin drängeln, als Clara sich endlich zur Nachtruhe begibt, die in einer ersten Partie vom Vorabend des Fritz-Besuchs bis zum nächsten Morgen geht; die zweite setzt unmittelbar anschließend ein, wenn die nach unruhigem Schlaf nicht Ausgeruhte und jetzt auch Fiebernde sogleich erneut das Tagesbewusstsein verliert, und endet am selben Abend, als Fritz eingetroffen ist. Bemerkenswert ist und ausdrücklich zu verzeichnen, dass der Nussknacker, der bereits mit der ersten Partie in die Welt Claras eintritt, alsbald von Mäusen entführt wird und damit nach einer guten Viertelstunde aus den Augen sowohl der Protagonistin als auch des Films verschwindet, und das für sehr lange Zeit.

Verschiedene Filmversionen

Benutzter Überlieferungsträger: DVD. Die DVD enthält den Film in zwei unterschiedlich langen Versionen, zum einen das japanische Original mit englischen Untertiteln (94 min.), zum anderen eine englische Synchronfassung (82 min). (Die gegenwärtig im Netz zu findende Version des synchronisierten Films ist übrigens nochmals knapp zehn Minuten kürzer.) Für die Darstellung habe ich die Version OmeU zugrundegelegt, da die auf der DVD enthaltene englische Synchronfassung nach Stichproben offenbar unzuverlässig ist.

Traum-Phantasmagorie

Doppelgängerin

Kompromissloser als von allen noch folgenden Verfilmungen wird der Nussknacker-Plot in Nakamuras Film als Traum-Phantasmagorie eines jungen Mädchens ausgelegt. Es bedarf denn auch keiner Vergangenheits-Erzählungen von dritter Seite wie bei Hoffmann oder in der Mehrzahl der sonstigen Verfilmungen, um der Handlung eine Grundlage zu geben. Das Material für Claras Phantasien hat die Introduktion bereitgestellt. Die Schwarze Pädagogik der Geschichte vom Lumpensammler bringt die Mäuse als Schreckfiguren ins Spiel, als deren Herrin eine hässliche zweiköpfige weiße Königin Mauslynx in Erscheinung tritt; Claras Puppentheater liefert das Königreich, dessen Herrscher und Minister mit ihren unverwechselbaren Physiognomien wir dort schon kennenlernten und in das es für die Protagonistin alsbald durch die große Standuhr im Salon auch geht. Dass die Heldin sich selbst und ihre Welt träumt, wird am deutlichsten aber wohl darin, dass sie in der Prinzessin des Königreichs auf ihre veritable Doppelgängerin trifft. Allerdings ist der Prinzessin Mary das tatsächlich zugestoßen, wovor Clara lediglich Angst eingeflößt wurde. Mary ist nämlich in eine schlafende Maus verzaubert worden – nicht vom Lumpensammler, sondern von der Königin Mauslynx, die damit die Heirat ihres ältesten Sohnes Shunururu mit der Königstochter durchsetzen will. Die Mäuse haben in der jüngeren Vergangenheit einen militärischen Sieg über das Königreich erlangen können und führen sich als dessen Herren auf. Schließlich tritt noch der (wohl einzige) Gardeoffizier des Königs auf, dessen Name Franz dem des erwarteten Verwandten Fritz überaus ähnlich ist und der mithin gleichfalls in enger Beziehung zur phantasmagorischen Welt Claras steht.

Krieg zwischen Mäusen und Soldaten

Offizier Franz‘ Verwandlung zur Puppe 

Eine vom König als dem unglücklichen Vater der zur Maus gewordenen Prinzessin einberufene Konferenz der einschlägigen Koryphäen aus aller Welt endet in Lächerlichkeit. Erst als Clara die Sache der unglücklichen Doppelgängerin zu ihrer eigenen macht, zeichnet sich das Happy-End ab. Der Weg führt über eine wahrsagende Zigeunerin. Nötig sei, so die Weise Frau, die Schutzgottheit der Mauslynx-Familie zu zerstören, nämlich die alle Materien der Welt an Härte übertreffende Nuss „Krakatoke“. Die Nutcracker Fantasy folgt, wie man sieht, bei aller Änderung der Erzählstruktur doch dem von Hoffmann vorgegebenen Verlauf recht getreu. So kommt es denn nun auch vor der Exekution des Motivs von der harten Nuss zunächst zu einem Krieg gegen die Mäuse, dessen Führung der Gardeoffizier Franz übernimmt. Der Film setzt genussvoll auf den Kontrast zwischen den in geschlossenen Reihen diszipliniert aufmarschierenden Soldaten des Königs und den chaotisch-anarchisch umherschwärmenden Mäusen, bei denen von Guerilla-Taktik die Rede ist. Am Ende aber haben auch diesmal die Soldaten der Regierung keinerlei Chance auf einen Sieg, weil das sie jeweils antreibende und zu Beginn der Schlacht einmal aufgezogene Uhrwerk abläuft. Dem Gardeoffizier indessen gelingt es, mit dem gleichfalls von der Wahrsagerin an Clara gelieferten Schwert die Nuss entzweizuschlagen, was den Tod der Königin und die Rückverwandlung der Prinzessin Mary in eine schöne Königstochter bewirkt; ein letzter Bannfluch der sterbenden Mauslynx metamorphosiert allerdings den heldenhaften Offizier Franz seinerseits in einen Nussknacker, der nun aufs Haar jener Puppe gleicht, die Clara eingangs von Drosselmeyer erhalten hatte. Anders gesagt, die nach einer Viertelstunde scheinbar komplett abgezogene Holzfigur kommt zum Zeitpunkt, da der Film bereits eine Stunde Spielzeit hinter sich hat, erneut im Arm Claras wieder auf die Bühne, und zwar jetzt des königlichen Palastes. Der ist darauf nicht vorbereitet, insbesondere seine Bewohnerin Prinzessin Mary nicht, für die Franz bereits als Gattin ausgemacht war, die ihn nun aber hochmütig ablehnt.

Motiv der selbstlosen Liebe

Erneut sind wir sehr dicht an Hoffmanns Märchen, wie man merkt. Das Thema der echten und selbstlosen Liebe als Voraussetzung für die Wiederherstellung des verunstalteten Gardeoffiziers steht im Mittelpunkt der Schlussepisoden, die nochmals recht komplex sind. Clara zieht mit ihrer Puppe auf der Suche nach der Wahrsagerin wieder durch den Wald, ohne ihr Wissen verfolgt von dem letzten überlebenden, aber invaliden und stark humpelnden Mitglied der Mauslynx-Dynastie. Sie trifft erneut – wie schon bei der Wahrsagerin – auf Personen an der Grenze zum Jenseitigen, zunächst einen Puppenspieler, sodann einen Drosselmeyer entfernt ähnlichen Mann, die ihr die Richtung weisen.

Traum im Traum

Erwachen

Wenn der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt vergessen haben sollte, dass alles, was er seit geraumer Zeit gesehen hat, ein Traum Claras war, bekommt er vielleicht zunächst nicht mit, dass Nakamura nun zu einem kleinen selbständigen Spiel mit romantischen  Topoi ansetzt: Er lässt seine Heldin mit ihrem Nussknacker im Arm einschlafen, der Traum, in den sie nun verfällt, ist ein Traum im Traum, ein Traum zweiter Potenz, Franz ist wieder Gardeoffizier, Clara besucht an seiner Seite sein heimatliches Reich der Süßigkeiten, Hoffmanns zwei späte Kapitel liefern hier das Material. Aus ihrem angenehmen Traum zweiter Potenz erwacht die Protagonistin zur ‚Wirklichkeit‘ des Traums der ersten Potenz durch den Angriff des Letzten der Mauslynx-Dynastie, mit dem es nun zu einem brutalen Kampf um den Nussknacker kommt, der durch höheren Eingriff beendet wird, als und weil Clara sich an Stelle der Puppe zum Opfer anbietet. Mit der Rückverwandlung des Gardisten Franz endet zugleich auch der Basis-Traum. Die Amme und Drosselmeyer begrüßen die nach ihrem langen Fiebertraum Erwachte. Vor der Tür steht und wartet der Cousin Fritz, über den sich nun zugleich die Franz-Persona legt. Clara wird im Marzipan-Palast residieren.

Fazit

Mit Nakamuras The Nutcracker Fantasy haben wir eine sich trotz ihres Verzichts auf das Weihnachtsfest recht eng an Hoffmanns Märchen haltende, sehr ambitionierte Adaptation von großer Komplexität, die aber offenbar keinerlei Wirkung auf die knapp zwei Jahrzehnte später einsetzende Serie westlicher Verfilmungen des Märchens ausgeübt hat.

The Nutcracker Prince (1990, CAN) von Schibli

Der erste von fünf seit 1990 herausgekommenen Filmen in mehr oder weniger kompletter Spielfilmlänge ist dann The Nutcracker Prince (1990, CAN) von Paul Schibli, 70 Minuten lang.[6]

Der Weihnachtsabend und die Schlacht gegen den Mausekönig

Im Puppenreich

Ende

Die Handlung des Films

Auch dieses Werk hält sich noch eng an Hoffmanns Original. Einige Züge entstammen freilich dem Ballett, so neben dem Namen Clara für die weibliche Protagonistin (die hier übrigens elf Jahre alt ist) gleich anfangs wieder die Einladung zahlreicherer Gäste, ferner das Engagement von Musikern, die denn auch sofort den „Blumenwalzer“ für die Tanzwilligen intonieren. Schnell biegt der Film in die entscheidende Bahn von Hoffmanns Erzählung ein, die dem Szenario Petipas vollständig fehlte: Drosselmeier, hier „Uncle Drosselmeier“ für die Kinder, „Drossel old boy“ für den Hausherrn, enthüllt vor Clara die Geschichte des Nussknackers als die seines Neffen Hans mitsamt der Metamorphose der Prinzessin Pirlipat. Erst nachdem auf diese Weise noch in der ersten halben Stunde der Erzählzeit sowohl Clara wie dem Zuschauer die Welt des Wunderbaren vertraut gemacht worden ist, kommt es zur nächtlichen Schlacht zwischen den feindlichen Armeen, die vom Zauberer Drosselmeier überhaupt erst physisch ermöglicht, ja, initiiert, wird. Sie endet wie bei Hoffmann just vor der Niederlage des Nussknackers, indem Clara im Fallen verzweifelt einen ihrer Schuhe auf den Gegner wirft. Am anderen Morgen, jetzt dem Weihnachtsmorgen, geht es (gegen die Vorlage) schon mit frischen Kräften weiter.[7] Schließlich findet der Mausekönig von der Hand seines Gegners den Tod.

Als „prince of the dolls“ reist der Nussknacker mit Clara unverzüglich in das Land seiner ‚Untertanen‘. Der Weg ins Puppenreich führt – ein schöner Einfall der Filmemacher – durch das von Drosselmeier als Weihnachtsgeschenk für Stahlbaums Kinder erbaute Schloss, setzt allerdings voraus, dass Clara sich auf Puppengröße verkleinern lassen muss. Dieser Punkt ist denn auch, nachdem man die friedliche Idylle im Land des Spielzeugs und der Süßigkeiten kennengelernt hat, das Motiv für den Verzicht auf den geliebten kleinwüchsigen Prinzen des Landes und die Rückkehr ins elterliche Haus. Claras Entschluss entzieht dem ganzen Land der Puppen, in dem sich auch der Mausekönig noch wieder eingefunden hat, auf einen Schlag alles Leben.

Aufgewacht in der Realität ihrer Familie, trifft das Mädchen beim „Uncle Drosselmeier“, den sie verzweifelt um Sicherheit in dem Spiel von Illusion und Wirklichkeit anfleht, (verschämt) auf dessen Neffen Hans… Das gesamte Personal der eigentlichen Märchenebene ist am Ende dieses charmanten und auch stellenweise witzigen Films erloschen.

Barbie in the Nutcracker (2001, US) von Hurley

2001 gliederte sich dem Korpus ein Opus an, das die Wissenschaft, die auf sich hält, nur mit einem in Klammern gesetzten Ausrufzeichen abtun kann:[8] Barbie in the Nutcracker (2001, US). Der von der Firma Mattel, die über die Lizenzrechte an der Barbie-Puppe verfügt, hergestellte, 76 Minuten lange Film (Regie: Owen Hurley) wurde mittels Computeranimation erzeugt und ist der erste einer bis heute angeblich jährlich um mindestens einen Film wachsenden Reihe. Trotz des Kontextes seiner Entstehung hat das Opus in gewisser Hinsicht in der kleinen Serie der Verfilmungen von Hoffmanns serapiontischem Märchen so etwas wie Epoche gemacht. Hatten wir in Nussknacker und Mausekönig und auch noch in Schiblis Adaptation einen (über)großen ersten Hauptteil, der im Stahlbaum-Haus spielte, und einen kurzen zweiten Teil in der Heimat des Nussknacker-Prinzen, so kehren sich in Barbie in the Nutcracker die Gewichte um. Damit ähnelt dieser Film in seiner Gesamtstruktur eher dem Ballett als Hoffmanns Märchen. Freilich musste man sich für den Teil ‚außer Haus‘ mehr an action einfallen lassen, als sich im zweiten Akt Petipas fand…

Die Handlung des Films

Rahmenhandlung

Der Weihnachtsabend und die Schlacht gegen den Mausekönig

Damit zum Referat der Handlung, an dessen Beginn noch vermerkt werden sollte, dass wir es hier mit einer – allerdings wenig ausgeprägten – Rahmenerzählung der Balletteuse Barbie vor einer sehr jungen Ballettschülerin zu tun haben.[9]

Clara, so geht Barbies Geschichte, in der die Figur der Protagonistin filmisch wiederum von Barbie als Schauspielerin verkörpert wird, hat in sehr jungen Jahren ihre Eltern verloren und wird zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Tommy vom strengen Großvater Drosselmeier erzogen. Es gibt auch eine „Aunt Drosselmeier“, eine elegante Weltreisende und Intima offenbar zahlreicher internationaler Zelebritäten, Clara näher als der strikt konservative Großvater, der an den Usancen seiner Generation festhält. Es ist diese Frau, die den Kindern zu Weihnachten u.a. den Nussknacker schenkt. Um Mitternacht kommt es zum Aufmarsch der Mäuse. Verantwortlich dafür ist eine Zauberei, die recht direkt auf Schiblis Film zurückweist. Bald scheinen der Mausekönig und seine Armee, denen allein der Nussknacker und Clara entgegen stehen, nicht mehr besiegbar, nachdem der Bösewicht das Mädchen mit Hilfe seines Zepters, einer Art magischer Panzerfaust, auf die Größe einer Puppe geschrumpft hat. Dennoch setzt der unumgängliche Wurf des Schuhs selbst diesen Gegner außer Gefecht. Clara und der Nussknacker, der früher seinerseits vom Mausekönig verzaubert worden war, sehen sich nun auf eine ominöse „sugar plum princess“ verwiesen, die allein gegen die unheilvolle Magie des hässlichen Fürsten der Mäuse Hilfe in Aussicht stellen könne.

Abenteuer im Puppenreich

Damit beginnt der Part ‚außer Haus‘: Wir sind sozusagen im zweiten Akt des Balletts, den dort die Fee Dragée bzw. Zuckerfee bzw. „sugar plum princess“ als die Regentin des Landes der Spielzeuge und der Süßigkeiten sowie Mutter des Nussknacker-Prinzen beherrschte und in dem der (erlöste) Sohn mitsamt seiner Clara als Heimkehrer gefeiert wurde. Erinnerungen an das Ballett als den Prototext werden nun im Film sogleich akzentuiert, wenn das Paar bei seiner Einreise in eine Reprise des tschaikowskijschen Schneewalzers gerät. Als man aber im Land ist, stellen die Dinge hier sich gänzlich anders dar. Parthenia zeigt zwar noch Spuren eines idyllischen Territoriums, ist aber vor einiger Zeit vom Mausekönig als eigener Herrschaftsbereich usurpiert worden. Da der Nussknacker in Wahrheit der legitime Prinz Eric von Parthenia ist, sehen er und Clara sich alsbald im Fokus eines Überwachungsapparates, den der auch nach dem Schuhwurf durchaus lebendige Mausekönig hier installiert hat. Suspense-Episoden, in denen die Guten ihrer brutalen Liquidation nur knapp entgehen, reihen sich aneinander. Am Ende ist Clara verantwortlich dafür, dass man den Mausekönig besiegen und die Verwandlung sowohl des Prinzen in den Nussknacker als auch Claras in eine Puppe rückgängig machen kann. Sie wird nun sogar als die „sugar plum princess“ erkannt, der man so lange auf der Spur gewesen ist. Der Tanz des präsumtiven Fürstenpaares zitiert noch einmal Tschaikowskij, nämlich mit Elementen aus dem finalen Pas de deux der Fee Dragée und ihres Prinzgemahls.

Ende

Am Ende finden sich die Wirklichkeitsebenen in der Weise disjungiert, dass die Protagonistin im Reich der Phantasie erlischt und wir sie anschließend zu Hause aufwachen sehen; alsbald erscheint ihre Tante Drosselmeier zum Besuch beim Großvater und bringt einen von Clara spontan mit dem Ausruf: „Nutcracker!“ begrüßten „Eric“ in formeller ziviler Kleidung mit, den Sohn eines lieben Freundes. Es wird kein Zweifel daran gelassen, dass unter diesen realen Figuren das Palimpsest ihrer Geschichte liegt.

The Nutcracker and the Mouseking (2004, US/D/RUS) von Johnson und Ilyina

The Nutcracker and the Mouseking (2004, US/D/RUS) von Michael Johnson und Tatjana Ilyina (82 min.) [10] hält Distanz sowohl zum Märchen als auch zum Libretto des Balletts; ferner wird Tschaikowskijs Musik nur im Einzelfall, häufiger dagegen Popmusik, auch solche mit handlungsassoziierten Songtexten, hörbar.

The Nutcracker and The mouseking

Weitere Daten zu diesem Film finden Sie in unserer Filmografie

Die Protagonisten und der Weihnachtsabend

Die Antagonisten

Der große Kampf

Die Handlung des Films

Der Film beginnt mit dem Eintreffen zweier intimer Reisegruppen im vorweihnachtlichen St. Petersburg: Der Zauberer Drosselmeier bringt seinen in einen Nussknacker verzauberten Neffen, einen geborenen Prinzen, in die Stadt und hat den Mausekönig samt zweien von dessen Dienern als blinde Passagiere auf der Kutsche; Clara wiederum reist mit ihrer Familie gleichfalls in die Metropolresidenz an der Newa, sie freut sich auf den Weihnachtsball, steht aber für ihren Bruder Nicolas im Ruf der Tagträumerei. Der Drosselmeier des Films kutschiert seinen Neffen Jahr für Jahr zu Weihnachten in die Stadt, weil er hier einmal das „reine Herz“ zu finden hofft, das den Nussknacker, der sich einst selbst mitsamt seinem ganzen Hofstaat aus flegelhafter Arroganz durch eine Zaubernuss in ein Spielzeug verwandelt hatte, wieder in einen (und dann hoffentlich liebenswerten) jungen Menschen umschaffen könnte. Zum diesjährigen Fest scheint das Vorhaben zu glücken, verliebt sich doch Clara in die Holzfigur und erklärt sich gleich bereit, ins „Land der Spielzeuge“ (so die deutsche Sprachversion) bzw. „land of dreams“ (so die englische) zu reisen, um dort eine zweite der nur zu Weihnachten reifenden Zaubernüsse zu pflücken. Wie in The Nutcracker Prince werden also auch hier Geschichte der Verzauberung und Bedingungen der Erlösung sehr frühzeitig bekanntgemacht. Ist auch in die Verzauberung selbst keine antagonistische Seite verwickelt, so zeigt eine solche sich allerdings anschließend.

Bei dem Mausekönig handelt es sich um einen sich grenzenlos überschätzenden komischen Trottel, der glaubt, ihm sei durch die Torheit des legitimen Prinzen dessen Reich als Eigentum zugefallen. Lediglich die Tante Milba dieses debilen Miniaturfürsten hat antagonistisches Format und kann Drosselmeier als dem Sachwalter der protagonistischen Seite auf gleicher Höhe als potente Magierin begegnen; sie ist es denn auch, die ihrem Neffen die Armee aus Soldaten liefert, die wie in Hoffmanns Märchen in zwei Schlachten zum Einsatz kommen.

Eine verwirrende Menge von kleinen Suspense-Episoden (allesamt im fiktionalen Petersburg samt seiner Umgegend spielend und ausgestattet mit der Devise: „Fantasie ist der Schlüssel“ bzw. „Imagination is the key“) macht den Film etwas konfus und ist im Grunde überflüssig, weil der eigentliche Kampf im Bereich des Zaubers vor sich geht, in dem ein goldener Hahn Drosselmeiers gegen das schwarze Schattenungeheuer der Mauskönigstante Milba kämpft (und immer gewinnt). So erweist sich auch die agonale Reise der Parteien ins Land der Spielzeuge bzw. des Traums zur rechtzeitigen Sicherung der Zaubernuss am Ende als funktionslos. Es ist vielmehr die von Drosselmeier immer wieder erneuerte Berufung auf das „reine Herz“ Claras, unter dessen Einfluss ein herzloser, übermütig-dummer junger Prinz sich in ein freundliches und sich für andere Menschen aufopferndes Menschenwesen zu wandeln imstande ist. – Die Schlussfigur von The Nutcracker Prince oder Barbie in the Nutcracker erscheint in Variation auch hier: Clara erwacht beim Eintritt der Mutter in ihrer Kammer, der anfangs angekündigte Weihnachtsball beginnt, der kleine hölzerne Nussknacker marschiert, von Drosselmeier geschickt, auf das Parkett und wächst dabei zur Lebensgröße.

Filmische Adaptationen der Erzählung: Realverfilmung

internationales Profil

The Nutcracker. The Untold Story (2010, GB / HUN) von Konchalowskij

Die beiden jüngsten zu präsentierenden Filme arbeiten nicht mit Animation, sondern setzen (weitgehend) auf reale Schauspieler und erheben damit den Anspruch, einer anderen Gattungsliga anzugehören. The Nutcracker. The Untold Story (GB / HUN, 2010; 110 min., liegt auch in 3 D vor) ist ein Film von Andrei Konchalowskij, der einer im sowjetisch-russischen Kulturbereich bekannten Familie Michalkow entstammt.[11] Das eigene bisherige Lebenswerk des Filmemachers zeigt ein international ausgerichtetes Profil voller Brüche, das dem Mann, der es vorzieht, seine Filme mit dem Namen Konchalowskij zu zeichnen, auch ein zwiespältiges Image bei der Kritik eingebracht hat. Nicht ganz überraschend ist deshalb wohl die Exzentrizität, mit der er seine Konsequenzen aus Hoffmanns ursprünglichem Plot zieht. Dabei stand am Anfang des Projekts, der in das Jahr 1969 zurückreicht, ein dem Kontext der damaligen Tauwetterperiode im Kalten Krieg zu verdankendes Kooperationsvorhaben mit westlichen Produzenten, Tschaikowskijs Ballett unter der Regie von Anthony Asquith in Moskau zu verfilmen; Konchalowskij arbeitete bereits mit Unterstützung von Andrej Tarkovskij am Skript, ehe das Unternehmen abgebrochen wurde.[12]

Änderung von Ort, Zeit und Antagonisten

Der Weihnachtsabend

Der neue Konflikt

Ende

Handlung

Als der Regisseur Jahrzehnte später auf den Stoff zurückkam, befriedigte ihn die einfache Struktur des Balletts nicht mehr. (Immerhin wird auch The Untold Story Tschaikowskij noch in der Weise Reverenz erweisen, dass praktisch die gesamte Musik aus dem Schtschelkuntschik genommen, freilich dabei oft bearbeitet worden ist.) Konchalowskijs neuer Ansatz verlegt zunächst Hoffmanns Geschichte ins 20. Jahrhundert, und zwar in die 20er Jahre. Wir bewegen uns in der Welt des Wiener Großbürgertums, „Dr. Freud“ geistert gelegentlich durch die Szene oder das Gespräch, und bewusst uneindeutig führt der Filmemacher einen „uncle Albert“ ein, in dem man, wenn man will, auch Einstein erkennen kann. Sodann nimmt Konchalowskij den Krieg der Mäuse unter ihrem König als einen seinerzeitigen historisch-politischen Subtext des Märchens von 1816 ernster, als dies einer der bis dahin hervorgetretenen Filmemacher (oder wohl gar ein Germanist) jemals getan hat.[13] Worin man zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eine Satirisierung der französischen Revolutionsheere sehen mochte, entdeckt der Bearbeiter jetzt ein Konglomerat von deutsch-österreichischem Militär des Kaiserreichs und Wehrmacht. Aus Mäusen, die auch als liebenswürdige Tiere gesehen werden könnten, macht Konchalowskij daher Ratten in anthropomorpher Form. Ist vom „rat king“ die Rede, fällt zwar nicht im Film, wohl aber in der Selbstdarstellung des Filmemachers der Name ‚Hitler‘. Im Film ruft der König der Ratten vor seinen Anhängern immerhin einmal ein Imperium aus, das tausend Jahre dauern werde.

Im Mittelpunkt der Handlung jedoch steht auch in Konchalowskijs Adaptation die Kindergeschichte. Ihr wird der größere erste Teil des Films gewidmet. Clara, hier wieder „Mary“, und Fritz, hier „Max“, können dem Christabend nicht mit der Vorfreude auf eine gemütvolle Bescherung entgegensehen, bereiten ihre unsensiblen Eltern sich doch ohne schlechtes Gewissen auf eine hochrangige weihnachtliche Festlichkeit außer Haus vor. Als Stellvertreter ist Onkel Albert einbestellt, der auch Geschenke mitbringt – zwar nicht ein Spielzeugschloss mit vielen Türmen, wohl aber ein zweistöckiges Stadthaus mit skurrilem Puppenpersonal sowie einen Nussknacker, den er „NC“ zu nennen pflegt. Es folgt die Nacht der ihr Bett verlassenden und den Nussknacker, der gehen und auch sprechen kann, noch einmal aufsuchenden Mary. NC führt Mary ins Prunkzimmer des Hauses, das nunmehr eine um das Vielfache vergrößerte Ausdehnung besitzt und einen geschmückten Tannenbaum in sich fasst, der eine eigenständige vertikale Welt darstellt, in der Mary sich in den tschaikowskijschen Schneeflocken-Walzer einfädeln darf, den dort Feenwesen tanzen. Ein Panoramablick aus sehr großer Höhe und die Erzählung von NC bringen einen Ausblick auf den Herrschaftsraum des Rattenkönigs. Näher kommt Mary in dieser ersten Christnacht bis zur Rückkehr der Eltern dem Zentrum nicht.

Das erfolgt in der nächsten Nacht, im zweiten Teil. Erst jetzt werden das Mädchen und ihr Bruder mit dem König der Ratten und seiner Mutter, der „rat queen“, konfrontiert. Die Handlung verlagert sich aus dem großbürgerlichen Haus der Eltern in die Stadt, die durch Eroberung den Ratten in die Hände gefallen ist und die der Prinz, der zum Nussknacker wurde, mit Hilfe Marys und einiger Puppen zurückgewinnen will. Axiologisch ist die Welt, für die der von John Turturro in aparter Maske und mit der Eleganz eines Popstars gespielte Bösewicht steht, eher vage umrissen: Der Tyrann führt eine Kampagne gegen Spielzeug aller Art, von staatlichen Stellen eingesammeltes Material wird verbrannt in öffentlichen Schau-Aktionen, aber mehr noch in regelrechten Fabriken, aus denen durch hohe Schornsteine unablässig schwarze Rauchwolken in den Himmel steigen, die das Licht der Sonne verfinstern. Die Welt des Usurpators ist eine Welt der Gewalt, der Maschinen, der Motoren, der Geschwindigkeiten und des Lärms. Dagegen steht die Wertewelt der kindlichen Protagonistin: Phantasie, Spiel, Traum, Wunder. Szenisch ausgeführt wird dieser zweite Teil, in dem NC, Mary und die anderen ins Herz der Finsternis eingetreten sind und sich damit permanenter höchster Lebensgefahr aussetzen, durch ein Übermaß an action und Spannung. Eine Revolte der Zwangsarbeiter, die ihren geliebten Prinzen erkennen, führt das Ende der Tyrannei herbei. Die Anthropomorphose erlischt, die Ratten werden wieder Ratten.

Die Disjunktion der Weltebenen ist auch hier das letzte Wort. Mary wird von der „Snow Fairy“ des Balletts aus dem Reich des Traums verabschiedet; angerufen durch ihre von der gleichen Darstellerin verkörperte Mutter, erwacht sie in ihrem häuslichen Bett. Die Eltern haben die Lektion ihrer Unsensibilität gelernt. Auch dem Nussknacker-Prinzen gelingt der Übertritt aus der Welt des Traums in die Realität; Onkel Albert bringt wie einst die Tante Drosselmeier im Barbie-Film einen Bekannten mit, in dem wir den Darsteller des Prinzen erkennen. Ein Tanz des jungen Paares schließt auch bei Konchalowskij die Geschichte.

The Nutcracker and the Four Realms (2018, US) von Hallström

Jüngst ist Hoffmanns Märchen im Reigen der allweihnachtlich lancierten Filme der Walt Disney Pictures angekommen. Die Regie von The Nutcracker and the Four Realms (US, 2018; 99 Min.) wurde Lasse Hallström übertragen, einem Mann, der sich in der Branche ursprünglich einen Namen gemacht hatte als Regisseur, der für die meisten Musikvideos der schwedischen Gruppe ABBA verantwortlich zeichnete. Nach Abschluss der Dreharbeiten hielt man nachträgliche Aufnahmen für nötig, die Joe Johnston ausführte.

Handlung

Der Weihnachtsabend

Das Puppenreich

Der große Konflikt

Ende

Der Film folgt, sieht man von der Verlegung der Handlung ins London des späteren 19. Jahrhunderts ab, zunächst weitgehend hoffmannschen Vorgaben:[14] Die Stahlbaums haben drei Kinder, zwei Töchter namens Louise und Clara (Marie heißt hier die Mutter, die gerade gestorben ist) sowie den Sohn Fritz, die allesamt die aus dem Märchen bekannten Vorlieben an den Tag legen; als Claras Patenonkel begegnet uns erneut (und erneut als skurriler Liebhaber mechanischer Erfindungen wie als Drahtzieher im Hintergrund) Drosselmeier, verkörpert von Prominenz, nämlich Morgan Freeman.Ein Bescherungsabend im Hause Stahlbaum findet freilich nur noch als eine kurze Vorbescherung aus den Gaben der verstorbenen Mutter Marie statt, das eigentliche Ereignis am Weihnachtsabend ist dagegen der von Drosselmeier inszenierte überdimensionale Festvorgang mit Dutzenden von Gästen in luxuriösen Londoner Schlossräumlichkeiten, zu dem die Trauer tragenden Stahlbaums sich nur notgedrungen einfinden.

Von dieser Bescherung aus verschlägt es Clara durch einen langen Gang sogleich aus London in das hoffmannsche „Puppenreich“. Dies als den zweiten Teil zu bezeichnen, verbietet sich, nachdem es praktisch keinen ersten gegeben hat. Das Land besteht aus den titelgebenden vier Reichen, über die Clara – überraschend identifiziert als Tochter seiner letzten Königin – alsbald erfährt, dass eines von ihnen im Krieg mit den drei anderen liege. Wir sind wieder anspielungsweise in der Welt des Balletts, zumindest seiner Tanznummern: Es gibt das „land of snowflakes“ und das „land of flowers“ sowie das „land of sweets“ der Regentin „Sugar Plum“, also der wohlbekannten Fee Dragée, der bei Petipa die Protagonistenrolle im zweiten Akt zukam; das vierte Reich aber ist das der „Mother Ginger“, der bei Petipa die Mutter Gigogne entspricht.[15] Wenn man Clara allseits die stärksten Warnungen vor letzterer als ihrer Todfeindin zukommen lässt, scheint das auch darum begründet und berechtigt, weil die Mutter Ingwer den Mausekönig in ihr Herz geschlossen hat, der ikonographisch hier übrigens ein Koloss von Maus ist und sich ad hoc aus lauter Mäusen agglutiniert. Als Alliierter der Mutter Ingwer läge „Mouserinks“ denn auch in diesem Film im Krieg mit der Welt der Puppen und Clara.

Tatsächlich aber ist die wahre Negativfigur die Fee Dragée (mit dem Star Keira Knightley bewusst gegen den Typ besetzt). Sie und ihre sinistren Pläne gegen das Land zunichte zu machen, gelingt Clara unter permanenter Lebensgefahr in einem Suspense-Finale. The Nutcracker and the Four Realms erweist sich am Ende als ein Film, der die überlieferte Geschichte gegen den Strich bürstet: Die aus dem zweiten Akt des Balletts aufgebauten Erwartungen des (kundigen) Publikums an die Zuckerfee werden ebenso zerstört wie die aus den bisherigen Buch-, Bühnen- und Filmversionen gezogene Gewissheit der Einschätzung des Mausekönigs. Mouserinks schmiegt sich am Ende liebevoll an die Wange jenes Mannes, in dem man erst nach einiger Zeit den Nussknacker des Titels erkennt, einen einsam an der Grenze stationierten (schwarzen) Soldaten, der Clara von dort an auf ihrem Weg beisteht und der sinnigerweise – Hoffman heißt.

Am Ende des optisch außerordentlich opulenten und sich unablässig in gewaltigen Panoramen gefallenden Films erscheint Clara wieder auf Drosselmeiers Weihnachtsfeier und im Kreise ihrer Familie. Diese und jene Welt waren und bleiben ontisch getrennt. Ein Tanz (Claras mit ihrem Vater) nach tschaikowskijscher Musik beschließt den Film, der sich im Abspann gleichermaßen beruft („suggested by“) auf Hoffmanns Märchen und Petipas Ballett.

Fazit

Am Ende des Durchgangs durch die Filmversionen des ersten Märchens, das einen Band der Serapions-Brüder abschließt, darf man vielleicht ein wenig überrascht resümieren, dass nicht Die Elixiere des Teufels, nicht Der Sandmann und auch nicht Das Fräulein von Scuderi, sondern ausgerechnet das Weihnachtsmärchen der Marie Stahlbaum die am häufigsten und vor allem die mit der größten internationalen Prominenz für das Kino bearbeitete Erzählung E.T.A. Hoffmanns ist. In Rechnung stellen muss man dabei natürlich doch, dass das von Petipa geschriebene und von Tschaikowskij betörend vertonte Ballett seit geraumer Zeit zur vorweihnachtlichen Kultur im angelsächsischen Raum gehört. Gleichwohl darf Nussknacker und Mausekönig als eine gewichtige Aktie im Portfolio der weltweiten Prominenz unseres Autors bewertet werden.

Anmerkungen

[1] Vorgelegen hat mir nicht ein eigentliches Libretto, sondern ein handschriftlich überlieferter musikalisch-szenischer Plan Petipas zum Nußknacker, in deutscher Übersetzung ediert in: Marius Petipa. Meister des klassischen Balletts. Selbstzeugnisse Dokumente Erinnerungen. Hg. von Eberhard Rebling. Berlin [Ost] 1975, S. 127–134.

[2] Einzig Drosselmeier und Fritz, typisch deutsche Namensbildungen, bleiben in Petipas Ballett (wie auch den späteren Filmen) unangetastet; Hoffmanns Marie wird in Ballett und Verfilmungen meist als Clara geführt.

[3] Petipa (Anm. 1), S. 131f.

[4] Gabriele Brandstetter: Transkription in Tanz. E.T.A. Hoffmanns Märchen ‚Nußknacker und Mausekönig‘ und Marius Petipas Ballett-Szenario. In: Jugend – ein romantisches Konzept? Hg. von Günter Oesterle. Würzburg 1997 (Stiftung für Romantikforschung 2), S. 161–179, 168f.

[5] Benutzter Überlieferungsträger: DVD.

[6] Benutzter Überlieferungsträger: DVD.

[7] Ein Genuss besonders für das erwachsene Kinopublikum dürfte die Figur des überforderten Haudegens Pantalon („Pantaloon“) aus Fritzens Armee sein, die hinreißend von Peter O’Toole gesprochen wird.

[8] Arno Meteling: E.T.A. Hoffmanns Wirkung im Film und in der Literatur nach 1945. In: E.T.A. Hoffmann. Leben – Werk – Wirkung. Hg. von Detlef Kremer. 2., erw. Aufl. Berlin u. New York 2010, S. 581–591, S. 586.

[9] Benutzter Überlieferungsträger: DVD.

[10] Benutzter Überlieferungsträger: DVD.

[11] Benutzter Überlieferungsträger: DVD.

[12] So Konchalowskij selbst in seinen Äußerungen in The Making of Andrei Konchalovsky’s ‚Nutcracker‘ (2010); zu finden als Beigabe auf dem benutzten Überlieferungsträger.

[13] Eine nicht genug zu rühmende Ausnahme von der mehr als hundertjährigen Blindheit der Germanistik gegenüber dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Märchens bildet Wulf Segebrecht: E.T.A. Hoffmanns ‚Nußknacker und Mausekönig‘ – nicht nur ein Weihnachtsmärchen. In: In: E.T.A.-Hoffmann Jahrbuch 17 (2009), S. 62–87.

[14] Benutzter Überlieferungsträger: DVD.

[15] Wir haben es offensichtlich mit einer schwindelerregenden linguistischen Konfusion zu tun, der nicht weiter nachgegangen werden kann. Die hier Mutter Ingwer genannte Figur jedenfalls ist in ihrer Bühnenrepräsentation bei Petipa und Tschaikowskij (und so auch im Film) eine „mère gigogne“, eine Matrjoschka, eine russische Puppe.

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