E.T.A. Hoffmann in Portland – Rückblick zur Jahreskonferenz der German Studies Association 2019

Ein Beitrag von Dr. Stephanie Großmann, Universität Passau (→ Forscherprofil)

Dass E.T.A. Hoffmann bei der diesjährigen Konferenz der German Studies Association (GSA) in Portland, Oregon großes Interesse fand, zeigte sich schon daran, dass das von Prof. Dr. Liebrand (Universität zu Köln) und Prof. Dr. Thomas Wortmann (Universität Mannheim) initiierte Thema „Reperspektivierungen: Neue Lektüren zu E.T.A. Hoffmann“ mit drei Panels vertreten war. Als interdisziplinäre Vereinigung von ca. 1.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern widmet sich die German Studies Association (GSA) germanistischen und historischen Fragestellungen, die sich mit Bezügen zu Deutschland, Österreich und der Schweiz befassen. Ihre Jahreskonferenz, die dieses Jahr vom 3. bis zum 6. Oktober zum dreiundvierzigsten Mal stattfand, ist ein wichtiges Forum für den wissenschaftlichen Austausch zwischen den USA und Deutschland. In Portland näherten sich die neun Referentinnen und Referenten neuen Lektüren zu E.T.A. Hoffmann aus ganz vielfältigen Perspektiven, die unter anderem die Emotionsforschung, Gender und Queer Studies, Philosophie (Kant), Materielle Kulturwissenschaft, Film- und Theaterwissenschaft einschlossen.

Das erste Panel stellte E.T.A. Hoffmanns „Schreib- und Erzählstrategien“ in den Mittelpunkt. Den Auftakt machte M.A. Christian Struck (Harvard University) mit seinem Vortrag Das unsichtbare Element des Einflusses in E.T.A. Hoffmanns „Der Magnetiseur“ – oder: Schaum und Vermächtnis. Ihn beschäftigte besonders die Frage, wie der Text selbst den Leser „magnetisiert“. Dazu untersuchte Struck den Text bis hinein in die Ebenen von Syntax und Zeichensetzung und eröffnete auf dieser Mikroebene dessen Potenzial unterschiedlicher Lese- und Bezugsebenen. Außerdem beleuchtete er die Materialität des vielfach in Der Magnetiseur benannten Schaumes auf sein semantisches Potenzial.

In ihrem Vortrag Subjektkonstitutionen und Schreibprozesse: Hoffmanns Texte präsentierte Prof. Dr. Claudia Liebrand (Universität zu Köln), wie Hoffmanns Texte ihre Figuren als von ihrem Unterbewusstsein geleitete Marionetten erscheinen lassen. Dabei ging sie drei unterschiedlichen Facetten nach: 1. Die Texte verunklaren den Mensch-Maschine-Zusammenhang. Am Beispiel Der Sandmann zeigte sie, dass dort das Problem einer fehlenden Unterscheidbarkeit zwischen dem, was Mensch und was Nicht-Mensch ist aufgeworfen wird. 2. Das Trauma wird für die Figuren zu einem Skript, dem sie gehorchen müssen, das sie nachspielen müssen. So wird Nathanael in der traumatischen Urszene von Coppelius zur Marionette umgestaltet und kann ab dann nur noch als Marionette agieren. 3. Den Schreibprozess der Künstlerperson in Der goldene Topf konzipiert Liebrand als Écriture automatique avant la lettre, da das Unbewusste dem Dichter die Hand führt, es selbst zum Text werden soll.

PD Dr. Jan Süselbeck (University of Calgary) beschäftigt sich in seinem Beitrag Schöne Augen: Emotionalisierungsstrategien in E.T.A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann aus der Perspektive der Emotionsforschung mit dem literarischen Antisemitismus der Romantik. Vor allem in der „Ensemblewirkung des Textes“ bezogen auf einzelne Aspekte der Figur Coppelius/Coppola im Sandmann – seine Physiognomie, sein Potenzial der (viralen) Ansteckung, seine sprachliche Verunglimpfung („Sköne Oken“) und sein Erscheinen als Hausierer/Schnorrer – sieht er deutliche Parallelen zur Konzeption des Ahasver-Motivs im 19. Jahrhundert. So schüre Hoffmanns Text gerade durch sein wirkmächtiges Angstszenario, bei dem nie abschließend klar wird, ob Nathanael wirklich gefährdet ist oder nicht, die Angst vor dem Fremden, das einen viral befällt und in den Abgrund zieht, wobei dieses Fremde deutliche Anklänge an die Konzeption eines unheimlichen, jüdischen Anderen des frühen 19. Jahrhunderts aufweise.

Dem „Sprechen und Verstehen“ widmete sich das zweite Panel. Zunächst untersuchte Dr. Giulia Ferro Milone (Università di Verona) in ihrem Vortrag „Der Junge knurrt und miaut, statt zu reden“: Sprachstörungen und Sprachdefizite bei Hoffmanns männlichen Figuren aus der Perspektive der Gender und Queer Studies, wie das männliche Sprechen in den Texten Hoffmanns vor der Folie der für die Goethezeit dominanten Norm der Affektkontrolle zu verorten ist. Ihre These, dass Hoffmanns Figuren die dominanten Strukturen männlichen Sprechens der Zeit nicht erfüllen, erläuterte sie an verschiedenen Beispielen (Klein Zaches genannt Zinnober, Meister Floh) und konnte zeigen, dass nicht nur in der Artikulation, sondern auch bezogen auf Syntax und Wortwahl die Figuren in einem (sprachlichen) Kindheitsstatus verbleiben und „Männlichkeitsperformanz“ problematisiert wird. Diese Befunde kontrastierte Ferro Milone mit den männlichen Tierfiguren Hoffmanns, die sich alle durch eine hervorragende Artikulation und Eloquenz auszeichnen.

Unter dem Titel Zum silbernen Lamm oder zum goldenen Bock? – E.T.A. Hoffmanns ungesellige Gesellen stellte Dr. Caroline Scholzen (Universität Salzburg) Hoffmanns Konzeption von Geselligkeit in den Kontext von Immanuel Kants geschichtsphilosophischer These des sozialen Antagonismus einer „Ungeselligen Geselligkeit“, die als Motor der Sozialisation fungiert. Scholzen argumentierte, dass Kant die aus dem Paradoxon erwachsenden Probleme einzuhegen versuche, wohingegen Hoffmann in seinen Texten den Mut bewiese, dieses Paradoxon eines doppelt gerichteten Sprachraums auszuhalten, indem er in seinen Texten inverse Strukturen nicht auflöse.

Dr. Aurora Romero (Vanderbilt University, Nashville) näherte sich in ihrem Beitrag Disarticulated Women and Their (Un)Emotional Labors in E.T.A. Hoffmann’s The Sandmann den Frauenfiguren aus der Perspektive der Visual Studies und folgte den verschiedenen Blicken auf die „female bodies“, um anhand dieser Konzeptionen die kontemporären Veränderungen der Frauenrolle herauszuarbeiten.

Das dritte Panel befasste sich unter dem Titel „Adaptionen“ mit der Relation zwischen Hoffmanns literarischen Texten und anderen medialen Konzepten oder Umsetzungen. PD Dr. Mario Grizelj (Ludwig-Maximilian-Universität München) ging in seinem Vortrag „Des Vetters Eckfenster“ und die Kamerafahrt – Nicht nur: „Hoffmann und der Film“, sondern auch „Hoffmann und die Filmanalyse“ der These nach, inwiefern Hoffmanns Texte – und hier insbesondere Des Vetters Eckfenster – als Exempel für „filmische Schreibweisen“ herhalten können. In seiner Analyse kam er zu dem Schluss, dass ein Durchspielen von filmanalytischen Begrifflichkeiten an den Raum- und Blickkonzeptionen der Texte zum einen anachronistisch sei und zum anderen auch keinen Mehrwert bringe. Dieser Punkt, die Literatur nicht auf ein protofilmisches Medium zu reduzieren, sondern vielmehr ihren Eigenwert und ihre Poetizität zu würdigen, fand auch in der Diskussion große Zustimmung.

Dr. Stephanie Großmann (Universität Passau) untersuchte in ihrem Beitrag E.T.A. Hoffmann im kaleidoskopischen Blick der Oper: Jacques Offenbachs Les Contes d’Hoffmann und ihre Inszenierungen zunächst erzähltechnische Referenzen der Oper Les Contes d’Hoffmann auf E.T.A. Hoffmanns Erzählverfahren. Inwiefern dann unterschiedliche Inszenierungen der Oper Reperspektivierungen der Person E.T.A. Hoffmann hervorbringen und welche Impulse diese für neue Lektüren seiner Erzähltexte geben können, stellte sie an den Operninszenierungen von Louis Erlo (Opéra National de Lyon 1993),  Giancarlo Del Monaco (Opera de Bilbao 2006) und Stefan Herheim (Bregenzer Festspiele 2015) vor.

Den Abschluss bildete Prof. Dr. Thomas Wortmann (Universität Mannheim) mit seinem Vortrag Unter Puppen: Robert Wilson inszeniert den „Sandmann“. Als erstes fokussierte er die gesellschaftlichen Konsequenzen, die die Enttarnung Olympias als Automate in Hoffmanns Text auslöst, nämlich gerade ein fehleraffines Handeln, wie ein „taktloses Singen“, aber auch die Trennung von Paarbeziehungen. Im Anschluss widmete er sich Robert Wilsons musikalischer Bühnenrealisation (Düsseldorf 2017), in der die Erzählung zu einem an filmischen Referenzen reichen „Tale of Horror“ wird. Bezogen auf eine Reperspektivierung hob Wortmann hervor, dass das Stück einerseits die Rolle der Mutter als initiierende und dominierende Figur konzipiert, der ein infantiler Nathanael gegenübersteht. Andererseits gestaltet der die Aufführung eröffnende und schließende Song „Dream on“ und die Integration des Sandmanns als Figur das Stück als Traumerzählung, die zudem zu einer Endlossschleife gerät, da sowohl Nathanael als auch sein Vater trotz ihres vorangegangenen Todes am Ende wieder lebendig auf der Bühne sind.

Einige Ergebnisse dieser sehr breit gefächerten, produktiven Auseinandersetzung mit E.T.A. Hoffmann auf der GSA in Portland werden voraussichtlich in das E.T.A. Hoffmann-Jahrbuch 2020 aufgenommen.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert