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Rezension zu Klaus Kanzog: E.T.A. Hoffmann und Heinrich von Kleist. Textbeobachtungen und Spurenelemente

Gastbeitrag von Prof. Dr. Anne Fleig, Freie Universität Berlin

Automaten und Doppelgänger, Traum und Somnambulismus lauten die Stichworte, die viele Leserinnen und Leser mit den Namen Kleist und Hoffmann verbinden. Auch die Forschung hat diese gemeinsamen Motive und Themen immer wieder behandelt. Hoffmann ist zudem einer der wenigen Zeitgenossen, der sich mehrfach anerkennend über den „herrlichen Kleist“ geäußert hat – so in einem Brief an Julius Hitzig vom 28. April 1812. Vor diesem Hintergrund zielen die „Textbeobachtungen“ von Klaus Kanzog darauf, „Spurenelemente“ einer affektiven Gegenwärtigkeit Kleists in Hoffmanns Schreiben herauszustellen, eine Gegenwärtigkeit, die immer wieder als Impuls für Hoffmann wirkt.

In vier Abschnitten folgt der Verfasser ausgedehnten Lektüren, die mit Hoffmanns vielfachen Bezugnahmen auf Kleists bekannte Erzählung Die Marquise von O… einsetzen und überzeugend Gemeinsamkeiten und Unterschiede im dialogischen Moment des Erzählens, in der Kommunikation mit dem Berliner Publikum, aber auch in der Auffassung des Themas herausstellen, die sich noch in der politischen Auseinandersetzung mit verschiedenen europäischen Befreiungskämpfen zeigen.

So verdeutlicht bereits das erste Kapitel die besondere Anziehung Hoffmanns durch einzelne Texte Kleists, die die folgenden drei kürzeren Abschnitte an weiteren Beispielen orchestrieren. Kleists Schreiben wirkt affizierend auf Hoffmann und bewegt ihn immer wieder zu eigenen Produktionen, sie führt Kanzog zufolge aber auch zu Reminiszenzen an besonders starke Aspekte oder Figuren wie anhand von Kleists Essay Über das Marionettentheater, dem Käthchen von Heilbronn und Michael Kohlhaas illustriert wird.

Der letzte Abschnitt gilt den beiden Autoren als „Preußen“, denn beide waren nicht nur gleichaltrig und durch die napoleonische Eroberung Europas geprägt, sie waren beide zumindest zeitweise preußische Staatsbedienstete und gerieten mit der Zensur in Konflikt: Hier sieht der Verfasser ein gemeinsames Rechtsbewusstsein am Werk, das auch Figuren wie Kohlhaas oder Meister Floh auszeichnet.

Der Band bietet immer wieder interessante Einsichten in die Texte von Kleist und Hoffmann und vermag durchaus ein Moment der Faszination zu vermitteln. Die vergleichenden Lektüren führen zu langen Textbeschreibungen, die nur sehr punktuell auf die umfangreiche Forschung zu beiden Autoren Bezug nehmen. Der Ertrag dieser „Textbeobachtungen“ liegt denn auch wesentlich darin, Wege für weitere Lektüren und vergleichende Analysen gespurt zu haben, um der affektiven Dimension der Bezugnahme Hoffmanns auf Kleist nachzugehen. Diese zeigt sich in einer zuerst impulsgebenden Faszinationskraft und dann anhaltenden Bindung Hoffmanns an Kleist, die sich noch im Aufbegehren gegen die preußische Obrigkeit manifestiert.

Opern-Rezension: Hoffmann trifft auf Steampunk

Beitrag von Stefanie Junges (→ Forscherprofil)

Die Bühne ist leer und düster, das Sinfonieorchester der Neuen Philharmonie Westfalen setzt ein und E. T. A. Hoffmann, gespielt von Rüdiger Frank, tüftelt an seinem Schreibtisch am vorderen Bühnenrand an seinem neuesten Werk – einer Oper: Klein Zaches, genannt Zinnober. Ein Werk, das wortwörtlich eine Herzensangelegenheit ist. Auf dem Höhepunkt reißt Hoffmann sich sein Herz heraus; es dient als Treibstoff für die gebaute Opern-Maschinerie, die er in Gang setzt. Das Orchester verstummt und, wie es bei der beteiligten Band Coppelius heißt:

 »Die Maschine läuft an«[1]

Dampf umhüllt das Bühnenbild und mit Surren und Quietschen fährt Hoffmanns zahnradbetriebene Maschine aus dem Boden und nimmt die Arbeit auf. Sie bringt drei automatenhafte Gestalten hervor, die anfangen, auf Cello, Kontrabass und Schlagzeug zu spielen. Zwei weitere folgen und begleiten die ersten drei mit Klarinetten. Zuletzt erscheint ein Sänger aus dem Boden der Bühne, der seinen Schöpfer Hoffmann begleitet: Die Coppelianer, wie sie genannt werden, haben die Bühne betreten. Noch bevor Hoffmann seine Oper erzählend einleiten kann, wird der Zuschauer von Coppelius mit »Kein Land so schön« medias in res in die Handlung um die von Fürst Paphnutius eingeführte Aufklärung und der Verbannung der Feen versetzt – und unvermittelt mit dem Stil der Oper und der Band konfrontiert.

Dass die Oper, die bereits am 14. November 2015 Premiere feierte, das Endprodukt der kreativen Zusammenarbeit von Regisseur Sebastian Schwab und der Berliner Band Coppelius ist, fällt spätestens nach diesem Einstieg auf, der mehr wie ein Gemisch aus Theaterperformance und Rockkonzert anmutet. Für die moderne Adaption des Märchens, das den Reiz dieses Gemischs gut in Szene zu setzen weiß, sind Coppelius die richtige Wahl, denn ihr musikalisches Schaffen wird mitunter von Hoffmanns Werken inspiriert. Es verwundert nicht, dass die Erwartung eines klassischen Opernbesuchs möglicherweise enttäuscht wird: Nicht Arien bestimmen die Aufführung, sondern eine überaus gelungene Kombination von sinfonischen Stücken mit teils neu komponierten, teils alten Stücken der Coppelianer, die den Zuschauer humorvoll und unmittelbar mit einer Subkultur konfrontieren.

Steampunk: Dampf und Punkrock

Candida und ›Coppelius‹ © Musiktheater im Revier

Der Stil des Steampunk prägt die Inszenierung des Märchens optisch und musikalisch. Die retro-futuristische Subkultur stellt sich, angeregt von literarischen Vorbildern wie Jules Vernes oder H. G. Wells, eine alternative Welt vor, in der der moderne Fortschritt unseres Zeitalters nicht durch Technologie, sondern durch dampfbetriebene Maschinen errungen worden wäre – Mode, Literatur, Musik und ein ganzes Lebensgefühl stehen im Zeichen des Steampunk. Coppelius ist eine etablierte Band der Szene, sticht jedoch heraus, weil sie sogenannten ›Kammercore‹, also Rock bzw. Heavy Metal fast ausschließlich auf klassischen Instrumenten spielt. Neben Kontrabass, Cello und Klarinetten (und gelegentlich einem Cembalo) findet sich nur ein Schlagzeug auf der Bühne, das die Atmosphäre des frühen 19. Jahrhunderts, den die sechs Herren mit Gehrock, Vatermörder und Zylinder sonst verströmen, mit rockig-brachialem Sound durchkreuzt.

 

Der Stil des Steampunk wird durch ruhige Balladen und das Sinfonieorchester ergänzt und fügt alles zu einem harmonischen Ganzen. Die moderne Musik wird mit klassischem Operngesang ergänzt. Dieser wird hingegen nicht durch Begleithefte gestützt, sondern der Text wird an eines der zahlreichen Metallrohre des Bühnenbildes projiziert und repräsentiert damit erneut ein für Hoffmann sehr typisches Merkmal: die Parodie. Damit das Publikum das Essentielle nicht verpasst, wird der Text der italienischen Arie übersetzt – »Bla Bla Bla…« prangt über den Köpfen. Spätestens hier wird der Tenor der Inszenierung deutlich: Humor als Leitprinzip. Wer also fürchtet, bei so viel Subkultur bleibt die Hoffmannsche Literaturkultur auf der Strecke, irrt.

Humor, Slapstick und Parodie

Obwohl die Darbietung des Märchens durch und durch modern ist und die Rocksongs das Opern-Genre an die Grenze zum Musical katapultieren, weicht die Handlung nicht von der literarischen Vorlage ab. Sogar typische Textstrategien und Motive aus Hoffmanns Werken werden auf die Bühne gebracht, wenn der tüftelnde Autor mit seinem Herz die eigene Opern-Dampfmaschine heizt, erzählend in die Handlung einleitet und im Anschluss sogar zur Figur seines eigenen Stücks mutiert.

Während der Aufführung dominiert die spezifische Komik der Handlung und des Hoffmannschen Erzählstils. So fragt Candida singend, ob man denn »die Luftpumpe [ihres] Vaters, schon gesehen« habe, der ganze Stolz ihres Vaters Mosch Terpin, der selbst wenig mehr als heiße Luft produziert. Balthasar bekundet, der Professor erkläre so lange, »warum es donnert, hagelt, regnet, blitzt«, bis Balthasar sich »am liebsten die Adern aufgeschlitzt«. Prosper Alpanus, der bei seinem ersten Auftritt, in dicke Rauchschwaden seiner Wasserpfeife gehüllt, auf einer überdimensionierten, leuchtenden gold-kupfernen Libelle über die Opernbühne fliegt, trifft als spleeniger Sonderling ebenfalls den satirischen Ton des Märchens. Die Inszenierung parodiert sich selbst – auch hier kann sich der Hoffmann-Liebhaber also darüber freuen, dass elementare Charakteristika seiner Werke deutlich zum Tragen kommen.

Balthasar, Fabian, Prosper Alpanus und sein Gehilfe versuchen, dem Geheimnis um das ›Wurzelmännlein‹ Klein Zaches auf die Spur zu kommen © Musiktheater im Revier

Deutlich wird das Modern-Komische der Oper besonders durch allerlei popkulturelle Anspielungen. Der Magier will dem jungen Studenten Balthasar helfen, den Zauber Zinnobers zu brechen, muss jedoch erst herausfinden, um was für ein Wesen es sich beim rothaarigen Klein Zaches handelt. Er stellt fest: Weder handelt es sich, wie eindrucksvoll dargestellt wird, um Stephen Kings Horror-Clown Pennywise noch um den allseits bekannten Pumuckl.

Die satirische Anlage des Märchens wurde für den sub- und popkulturaffinen Zuschauer des 21. Jahrhunderts angepasst. Neben Anspielungen auf Film, Fernsehen und virulente YouTube-Videos werden auch Prominente persifliert. Der zum Minister avancierte Zinnober, dem der Orden des grüngefleckten Tigers mit zwanzig Knöpfen verliehen werden soll, lässt seine Garderobe von niemand geringerem als Karl Lagerfeld schneidern. Auch die Begegnung der Fee Rosabelverde und des Zauberers Prosper Alpanus, die sich im Märchen ein Duell ihrer Kräfte liefern, wird zum videospielgesteuerten ›Showdown‹ mit Slapstickeinlage: Zaches und Balthasar steuern die beiden magischen Wesen über einen Joystick, die sich mit entsprechender, beinahe klischeehafter musikalischer Untermalung des Benny-Hill-Themes eine Verfolgungsjagd liefern.

Zahnräder, Dampf und Vatermörder

Ulrike Schwab als laszive Fee Rosabelverde im Stempunk-Outfit © Musiktheater im Revier

Neben Handlung und Musik verdeutlichen auch Bühnenbild und Garderobe eindrucksvoll die elegante Verschmelzung von historischem Märchen des 19. Jahrhunderts und dem Flair der am industriellen und viktorianischen Zeitalter orientierten Steampunk-Ästhetik. Symbole wie Zahnräder und nietenverzierte, dampfbetriebene Maschinen mit kupfer-goldener Patina verschmelzen gekonnt mit arabeskenhaft verziertem, edlem Biedermeier-Mobiliar und prägen das Design der hydraulischen, in Dampf gehüllten Hauptbühne. Hinter der gewaltigen Bühnenmaschine verbirgt sich das Sinfonieorchester und kreiert zusammen mit dem zwischen rockig-brachialen und melodischen Tönen changierenden Steampunk-Sound von Coppelius eine akustische Harmonie.

Die Kostümierung der Darsteller ist eine für den Steampunk typische Hybridisierung aus historischer Mode und modernen Elementen: Gehrock, Zylinder und Frack werden mit engen Biker-Hosen und szenetypischen runden Fliegerbrillen, den ›Goggles‹, kombiniert. Dunkle, gedeckte Farben wie Braun, Dunkelrot und Schwarz bestimmen die Steampunk-Garderobe. Die einzige weibliche Darstellerin – Ulrike Schwab – mimt die wortkarge Candida im kurzen, weißen Spitzenkleid mit türkisen Haaren und kontrastiert ihren klassischen Operngesang in der Rolle der Fee Rosabelverde in lasziven Steampunk-Outfits mit Hot-Pants, Lederkorsage, längsgestreiften Kniestrümpfen und Spitze.

Die Maschine hält an

Der Humor der Oper ist, ähnlich der romantisch-ironischen Schreibkunst E. T. A. Hoffmanns, plakativ. Die getakteten Pointen werden gezielt eingesetzt, obgleich sie durch dieses Übermaß stets drohen, albern und klamaukig zu werden. In der zweiten Hälfte der Oper rückt die Handlung zugunsten der minutiösen Vorstellung der Bandmitglieder, ausschweifender Soli und demonstrativer Körperkomik in den Hintergrund. Dennoch gelingt es Coppelius und Sebastian Schwab, das Abrutschen in die Lächerlichkeit (wenn auch haarscharf) zu vermeiden. Obgleich man kritisch fragen kann, ob eine minutenlange, vulgäre Kinski-Hommage des Hauptdarstellers die Darbietung bereichert, beeinträchtigt es keinesfalls das Amüsement des Zuschauers – im Gegenteil.

Die Oper greift die Aspekte der Wissenschaftsparodie, der Aufklärungskritik und der Gesellschaftssatire des Märchens auf und überspitzt sie mit zahlreichen popkulturellen Anspielungen, ohne den zwischen subtil und plakativ changierenden Hoffmannschen Humor zum Possenspiel werden zu lassen. Wer sich von einer ›Steampunk-Oper‹ klassische Arien und gediegene Töne erhofft, wird hier enttäuscht. Dafür wird hier etwas Neues geboten: Die gelungene Kombination aus klassischer Oper, Musical und rockigem Steampunk-Konzert mit einem ironisch-romantischen Märchenstoff lockt nicht nur ein junges Publikum ins Theater, sondern ist auch progressiv und hochgradig experimentell – und somit nichts anderes als genuin romantisch!

[1] Aus dem Lied »Herzmaschine« von Coppelius. Album: Hertzmaschine, F.A.M.E. Artist Recordings GmbH, 2015.