by Noëlle Miller
Der Workshop findet vom 14.12-16.12. 2023 am Institut für Romanistik der Universität Wien statt.
Mit dem Aufkommen des Individualismus im 17. Jahrhundert lässt sich ein wachsendes Interesse am Selbst und der eigenen Erfahrung (wie z.B. in Les Essais von Michel de Montaigne, in dem es vor allem um die Erforschung des „Moi“ geht) und damit auch an unbewussten Trieben, Wünschen und Träumen beobachten. Der Doppelgänger bietet eine mögliche Darstellung für ein Subjekt, das als komplex und vielschichtig verstanden wird. Dimitris Vardoulakis sieht die Entstehung des Doppelgängers sogar als literarische Antwort auf die Subjektivitätsphilosophien des aufgeklärten 17. Jahrhunderts, die das Subjekt als autonom und sich selbst transparent betrachten (Dimitris Vardoulakis 2010: The Doppelgänger. Literature’s Philosophy). Diese literarische Kritik eines aufgeklärten Subjekts nimmt insofern die Nachkriegsphilosophien der Postmoderne vorweg (Derrida, Lacan, Deleuze, Lyotard).
Im Kontext von Denkströmungen wie der Transhumanismus und die Entwicklung neuer Technologien (ChatGPT, Metaversen usw.) gewinnt dieses Thema nicht zuletzt an Aktualität, weil es dabei um Werkzeuge und Strategien geht, die den Vollzug von Ritualen und Routinen im Alltag prägen (Henri Lefebvre). Was einst eine romantische (Künstler-)Fantasie war, kann potenziell naturwissenschaftlich realisiert werden. Auf der einen Seite erweitern die Technologien den Subjektbegriff, auf der anderen stoßen sie an die Grenzen des Bewusstseins und das Geheimnis des Menschseins. Meistens bleibt es also bei einer Fantasie, die Literatur und Film gerne aus- und durchspielen. In der Fiktion selbst ist unbestritten, dass Alltagsmenschen durch übermenschliche Kräfte zu Superhelden oder durch einen Fluch zu Monstern werden können. Beispiele dafür sind
In der Literatur: Jean Pauls Siebkäs (1797), Michel Houellebecqs La carte et le territoire, Saramagos O Homem Duplicado (2002), Borges El otro (1975), Maupassants Le Horla (1886), Marquis de Sades Justine et les malheurs de la vertu (1787), Dostojewskis Der Doppelgänger (1846), E.T.A. Hoffmann Die Abenteuer der Silvesternacht (1815), Mary Shelleys Frankenstein, Prometheus Unbound (1818), Théophile Gautiers Avatar (1857), Charles Baudelaires Les paradis artificiels (1860), Benito Pérez Galdós’ La sombra (1870/1871), Luigi Pirandellos Il fu mattia Pascal (1904), Italo Calvinos Il visconte dimezzato (1951), Camille Laurens Celle que vous croyez (2016), Samanta Schweblins Kentukis (2018) oder Karoline Georges De Synthèse (2017).
Im Film: Wienes Das Cabinet des Dr. Caligari (1920), Brombergs Der Elektrische Doppelgänger (1979), Spike Jonzes Being John Malkovich (1999), Garlands Annihilation (2018) und das Universum der Superhelden mit ihren Anverwandlungen in Literatur, Graphic Novel und Film.
Welche Vorstellungen des Ichs liegen diesen Darstellungen zugrunde? Wie verhält sich die Darstellung des Doppelgängers zu historischen und technologischen Entwicklungen? Welche Wirkungen werden mit dem Doppelgänger ausgelöst (Angst, Humor, Konfusion usw.)?
Die Tagung ist den literarischen und filmischen Darstellungen von Doppelgängern gewidmet. Beiträge zu den angeführten und weiteren Fragestellungen zum Thema Doppelgänger, gern mit Bezug auf die romanischen Sprachräume, sind herzlich willkommen. Die Konferenzsprache ist Deutsch und eine Veröffentlichung der Vorträge ist geplant. Wir freuen uns über Abstracts (500 Wörter) mit kurzem CV bis zum 1. Oktober 2023 an: santiago.contardo.martinez@univie.ac.at; noelle.miller@univie.ac.at; joerg.tuerschmann@univie.ac.at. Die ausgewählten Vortragenden werden mit einem Reisekostenzuschuss unterstützt